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Gegner-Check VfB: Mission gar nicht sooo impossible

Gegner-Check VfB: Mission gar nicht sooo impossible

Foto: Imago Images

Im Mai gegen den Meister, im Oktober gegen den Vize-Meister. Der Pokal gibt dem 1. FC Kai­sers­lau­tern Gelegenheit, sich mit den Besten zu messen. Ist beim VfB Stuttgart mehr drin als eine Lehrstunde? Halten wir's mit dem alten Toyota-Slogan: Nichts ist unmöglich.

Anspruch und Wirklichkeit: Tja, wenn, ja wenn Bayer Leverkusen nicht gewesen wäre. Dann wäre vergangene Saison der VfB Stuttgart als die Überraschungsmannschaft gefeiert worden. Manche, etwa Tobias Escher, Hohepriester der deutschen Fußballnerd-Szene, sagen sogar, der Vizemeister hätte bestimmte fußballtaktische Innovationen noch besser beherrscht als Xabi Alonsos Champions, die den Bayern nach elf Jahren das Titel-Abo kündigten. Die finanzstarke Konkurrenz allerdings widmete dem Höhenflug der Schwaben durchaus die gebührende Aufmerksamkeit, so dass es kam, wie es kommen musste: Den Mercedes-Städtern wurden stante pede die Sterne weggekauft. Der linksfüßige Innenverteidiger Hiroki Ito wechselte zum FC Bayern, sein Nebenmann Waldemar Anton und Toptorjäger Serhou Guirassy zu Borussia Dortmund. Das Trio spülte zwar rund 70 Millionen Euro in die Kasse, aber wie sprach schon König Otto einst: "Geld schießt keine Tore". Hinzu kommt, dass die Überflieger nun in der neu strukturierten Champions League Überstunden schieben müssen. Außerdem ist der VfB Hauptlieferant von Julian Nagelsmanns Nationalmannschaft geworden. Englische Wochen sind für die Leistungsträger jetzt Dauerzustand. Das geht an die Substanz. Und erschwert Konstanz. So manche Überraschungsmannschaft ist angesichts vergleichbarer Mehrbelastungen in der Folgesaison schon böse abgeschmiert. So gesehen halten sich die Stuttgarter bislang gut, sind nach acht Spieltagen Achter. Sie haben in der Liga zweimal verloren, gegen Freiburg und die Bayern, außerdem in der Champions League nach wirklich gutem Spiel gegen Real Madrid, das alles ist keine Schande. Und sie haben schon so manches Highlight gesetzt. Ein 5:1 gegen Borussia Dortmund etwa. Oder vor einer Woche erst ein glänzender CL-Auftritt bei Juventus Turin mit einem verdienten 1:0-Erfolg. Das 2:1 gegen Holstein Kiel vergangenen sah lange Zeit nach einem ungefährdeten Sieg aus, bis Neuzugang Jeff Chabot (26) die Ampelkarte sah und es doch nochmal spannend wurde.

Die Neuen: Ist ja nicht so, dass es sich Sport-Vorstand Fabian Wohlgemuth auf dem großen Geldhaufen, den seine abgewanderten Stars zurückließen, bequem gemacht hätte. Aus Augsburg holten die Stuttgarter Stürmer Ermedin Demirovic (26), nicht unbedingt ein neuer Guirassy, aber ein solider Torlieferant. Fünf Buden hat er schon auf dem Konto. Aus Burnley kam Innenverteidiger Ameen Al-Dakhil (22), der aber noch verletzt ist. Aus Toulouse Verteidiger Anthony Rouault (23), aus Köln der bereits erwähnte Chabot und von den "Eisernen" aus Berlin der nunmehrige Nationalstürmer Jamie Leweling . Alle zusammen kosteten rund 50 Millionen Euro, dazu sicherte sich der VfB die Dienste ablösefreier und noch entwicklungsfähiger Kicker wie Offensivkraft Nick Woltemade (22) von Bremen oder Mittelfeldspieler Yannik Keitel (24) von Freiburg. Wichtigster Einkauf war aber Deniz Undav (28), der vergangene Saison von Brighton & Hove Albion nur geliehen und neben Guirassy bester Goalgetter war. Mittlerweile ist auch er Nationalspieler. Ihn auch noch zu verlieren, hätte einfach zu sehr geschmerzt, drum ließen die Schwaben ihn sich fast 30 Millionen kosten. Die meiste Freude aber bereitet ihnen zurzeit der stürmende Spaßfußballer El Bilal Touré, den sie von Europa League-Sieger Atalanta Bergamo liehen. Er schoss vor Wochenfrist Juve ab, zuletzt gegen Kiel war er mit einem Treffer und einem Assist erfolgreich.

Die Formation: Trainer Sebastian Hoeneß setzt auf ein bewegliches 4-2-3-1, das ist nichts Ungewöhnliches. Interessanter als diese Zahlenkombination ist die Stuttgarter Interpretation des vielzitierten "Ballbesitzfußballs", die von dem wandelnden Guardiola-Upgrade Roberto de Zerbi inspiriert sein soll. Die Schwaben "locken" mit Kurzpassspiel auf engem Raum den Gegner gerne auch mal auf eine Seite in der eigenen Hälfte, um dann nach einem Flankenwechsel per Diagonalpass die Post abgehen zu lassen. In welcher Besetzung aber Hoeneß gegen Zweitligist Kaiserslautern starten lässt, darüber darf trefflich gerätselt werden. Kommenden Freitag steht für die Stuttgarter der nächste Kracher an, sie müssen zu Meister Leverkusen. Hoeneß hat bereits angekündigt, dass er im Pokal rotieren lässt, ein "Komplettumbau" stehe aber nicht zur Debatte ... was Trainer halt so sagen in einer stressigen Englischen Woche. Flügelspieler Chris Führich (26), der sich bei seinem jüngsten Nationalmannschafts-Aufenthalt einen Muskelfaserriss zuzog, kam nach seiner Genesung gegen Kiel erstmal wieder von der Bank - kann gut sein, dass das Lautern-Spiel jetzt als Härtetest für ihn genutzt wird. Ebenfalls nur eingewechselt wurde Stammstürmer Demirov, was den Startelf-Einsatz im Pokal ebenfalls wahrscheinlicher macht. Außerdem waren im Kiel-Spiel nur Teilzeitkräfte oder die volle Spielzeit auf der Bank: Die Neuzugänge Rouault, Woltemade und Keitel, der etatmäßige Kapitän Atakan Karazor (28) sowie Verteidiger Pascal Stenzel (28). Auch das wären also potenzielle Nutznießer einer Rotation. Dafür könnten Undav, El Bilal und Mittelfeld-Zauberer Enzo Millaut (22), dessen Marktwert so langsam die 50-Millionen-Grenze überschreitet, geschont werden. Die Roten Teufel hätten sicher nichts dagegen.

Zahlenspiele: Erstmal eine gute Nachricht für alle, die Laufstatistiken für den wichtigsten Leistungsindikator halten. Das FCK-Team legte bei seinem 4:3-Sieg in Düsseldorf 121,9 Kilometer zurück, 1,3 Kilometer mehr als der Gegner. So viel in einem Spiel sind die Roten Teufel seit der kurzen, aber intensiven Zeit unter Jeff Strasser kaum noch gerannt. Die Stuttgarter dagegen rangieren nicht nur bei "gelaufene Kilometer insgesamt", sondern auch bei "Sprints" und "intensive Läufe" im Wettbewerbsvergleich auf hinteren Plätzen. Heißt das nun, dass man den Vizemeister in Grund und Boden rennen könnte, wenn man nur will? Nicht so ganz. Im Schnitt 57 Prozent Ballbesitz - Rang 3 im Ligavergleich - und eine Passpräzision von 86,9 Prozent - Rang 4 - weisen darauf hin: Der VfB gehört tatsächlich zu den Mannschaften, die weniger Laufaufwand betreiben müssen, weil sie den Ball laufen lassen - können. Das bestätigt nicht zuletzt die Torausbeute: 17 Buden haben die Hoeneß-Buben bislang gemacht, nur Bayern und Bayer trafen öfter. Ebenfalls zum oberen Drittel der Liga zählt der VfB in Sachen Pressing, wobei die Lautrer im Vergleich mit ihren Klassenkameraden nicht viel schlechter sind. Die Schwaben gestatten dem Gegner im Schnitt 11,3 Zuspiele, ehe sie attackieren (FCK: 9,89), und gehen pro Minute gegnerischen Ballbesitzes im Mittel 5,6 mal in Duelle oder Tacklings (FCK: ebenfalls 5,6).

Fazit: "Wir haben keine Chance, aber die wollen wir nutzen." Mit dem Spruch brillierte Friedhelm Funkel im Mai vor Lauterns DFB-Pokal-Finale gegen Meister Leverkusen. Die Urheberrechte daran hat er allerdings nicht, der Satz stammt, wenn wir uns recht erinnern, aus einem 80er-Jahre-Actionspektakel mit Bruce Willis ("The Last Boy Scout"). Ist eigentlich aber auch egal. "Wir müssen auf uns selber schauen, nicht grübeln, wie der Gegner auflaufen könnte" - so ähnlich würde es wohl Markus Anfang ausdrücken. Stimmt ja, nur, ob sein Team tatsächlich keine Chance nutzen kann, dürfte zu einem guten Teil schon davon abhängen, ob sich der Gegner versehentlich nicht selbst ein paar Blößen gibt. Indem sich Sebastian Hoeneß beim Rotieren vertut oder die Gastgeber angesichts des Dauerstress gegen hochkarätige Teams gegen den Zweitligisten die Konzentration vielleicht nicht hoch genug halten können. Undenkbar ist das nicht. Für den FCK ist diese Woche allerdings nicht weniger englisch. Auch Anfang könnte mindestens auf zwei, drei Positionen umstellen, unabhängig davon, ob die Spieler, die angeschlagen aus Düsseldorf zurückgekehrt sind, bis Dienstagabend wieder fit werden.

Quelle: Der Betze brennt

Weitere Links zum Thema:

- Lautern will im Pokal mehr als nur Sparringspartner sein (Der Betze brennt)

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