Saisonstart gegen einen Aufsteiger, dessen Personal keine Liga-Erfahrung hat und kaum verstärkt wurde - ein leichtes Spiel? Von wegen: Auf den 1. FC Kaiserslautern wartet ein SSV Ulm, der 2024 noch ungeschlagen ist - und heiß wie Frittenfett.
Anspruch und Wirklichkeit: Der SSV Ulm ist zurück in der 2. Bundesliga, nach nur einem Jahr Aufenthalt in Liga Drei. Der Klub hat schon einmal mit einem eindrucksvollen Durchmarsch aufhorchen lassen. 1997/98 führte ihn der damals 40-jährige Ralf Rangnick von der drittklassigen Regionalliga ins Unterhaus. Als der VfB Stuttgart das Trainertalent im Schlussdrittel der folgenden Spielzeit abwarb, übernahm Martin Andermatt - und flatterte mit den Spatzen direkt weiter in die Bundesliga. Nach einem Jahr aber war Schluss mit dem Höhenflug. Es folgten schlimme Jahre. Auf eine erste Insolvenz 2001 folgten noch zwei weitere, sportlich führte der Weg bis in die Fünfte Liga. Erst seit 2015 geht's wieder aufwärts. Seit 2021 sitzt Thomas Wörle auf der Trainerbank, und der darf sich trotz seiner erst 42 Jahre mit Fug und Recht Erfolgstrainer nennen: Bevor er mit dem SSV den doppelten Aufstieg perfekt machte, hatte er bereits zwei Deutsche Meisterschaften eingefahren - mit der Damen-Mannschaft von Bayern München. Wie lange es diesmal aufwärts geht? Die Ulmer planen vorsichtig. Ihr Augenmerk galt zunächst ihrer Heimstätte, dem Donaustadion, das in den vergangenen Wochen mit Hochdruck zweitligatauglich gemacht wurde. Große Investitionen ins kickende Personal waren nicht drin. Statt dessen gilt es, den Abgang von Topscorer Léo Scienza zu verkraften.
Die Neuen: Von der Binsenweisheit "Als Aufsteiger musst du erstmal Leute mit Liga-Erfahrung holen" halten Wörle und Geschäftsführer Markus Thiele offenbar nicht viel. Sie setzen weiter auf Talente. Mit Maurice Krattenmacher (18, Bayern München), Laurin Ulrich (19, VfB Stuttgart), Luka Hyryläinen (19, TSG Hoffenheim) und Aaron Keller (20, SpVgg Unterhaching) kamen hauptsächlich Nachwuchskräfte, und die nur als Leihgaben. Als größtes Talent gilt Linksaußen Keller, der vergangene Saison in der Regionalliga immerhin 13 Scorerpunkte sammelte. Aus England pfiffen die Spatzen den aus Ehingen an der Donau stammenden Semir Telalovic (24) zurück, der auch schon mal in Gladbach Station machte, zuletzt bei Blackburn Rovers aber nicht viel riss. Von den Stuttgarter Kickers kam Abwehrmann Niklas Kolbe (27). Mit Niklas Kölle (24, MSV Duisburg) und Jonathan Meier (24, Dynamo Dresden) schuf sich der Klub Optionen für die linke Seite. Zuletzt lieh er sich mit Niclas Thiede (25) vom VfL Bochum noch einen weiteren Keeper, der aber sich aber wohl hinter Stammtorhüter Christian Ortag (29) anstellen muss.
Die Formation: Thomas Wörle bevorzugte in der vergangenen Saison ein 3-4-3, und das behielt er zuletzt auch bei den beiden Generalproben bei: Am Samstag ging's gegen den FC Ingolstadt (1:1) und am Sonntag gegen den Sonntag gegen den VfB Stuttgart II (2:2). Die Startelf, die Wörle gegen die Schanzer auflaufen ließ, dürfte die sein, die auch am Sonntag gegen den FCK zu erwarten ist. Interessant: In dieser stand mit Keller lediglich ein Neuzugang. Was zeigt: Der SSV Ulm will und wird auf seine Aufstiegshelden setzen. Die haben in der vergangenen Spielzeit ja auch ordentlich Qualität nachgewiesen. In der aktuellen "Kicker"-Rangliste der 3. Liga finden sich insgesamt neun Ulmer. Als "herausragend" eingestuft wurden Keeper Ortag, Innenverteidiger Johannes Reichert (das 33 Jahre alte Ulmer Urgestein und Kapitän, der in seiner Karriere bis auf einen zweijährigen Abstecher zum FCK II nur für den SSV spielte), der linke Außenbahnspieler Romario Rösch (25), der offensive Mittelfeldspieler Max Brandt (23), der rechte Flügelspieler Dennis Chessa (31) - und Scienza, der nach Heidenheim abgewandert ist.
Zahlenspiele: Am meisten beeindrucken sollte den FCK: Dieser SSV Ulm ist 2024 noch ungeschlagen. In den 19 Drittliga-Partien seit Januar spielte er nur fünf Mal Remis, alle übrigen Partien gewann er, die letzten sieben davon in Serie. In der Rückrunde kassierten die Spatzen nur zwölf Gegentreffer, in der gesamten Saison 38, das war Liga-Bestwert. Die zehn Punkte Vorsprung in der Endabrechnung vor dem Tabellenzweiten Preußen Münster sprechen ebenfalls für sich. Interessanterweise weisen die Ulmer kaum Auffälligkeiten in den Detail-Statistiken auf. Sie legen weder großen Wert auf Ballbesitz, noch attackieren sie besonders aggressiv - in den entsprechenden Rankings belegen sie nur Mittelfeldplätze. So banal es klingen mag: Diese Mannschaft lebt von ihrer Geschlossenheit und ihrem Spirit. Drum macht es absolut Sinn, dass sie in dieser Saison weiter auf ihre Aufstiegshelden setzt.
Fazit: Ein Aufsteiger, der fast nur in Leihspieler investiert und nicht mal Personal mit Liga-Erfahrung in seinen Reihen weiß - ein leichterer Gegner zum Liga-Auftakt ließe sich ja nicht mal mit Hilfe von Sandförmchen gestalten, oder? Wer so denkt, sollte gleich in Kaiserslautern bleiben. Die Roten Teufel erwartet im Donaustadion ein Team und ein Publikum, das auf die Zweite Liga heiß ist wie Frittenfett. Dass die Qualitätsunterschiede zwischen Dritter und Zweiter Liga nicht allzu groß ausfallen, haben in der jüngster Vergangenheit nicht nur der FCK, sondern auch der 1. FC Magdeburg, Eintracht Braunschweig, die SV Elversberg und - über weite Strecken zumindest - der SV Wehen bewiesen, ebenso die Ergebnisse der Relegationsspiele. Zudem treffen die Lautrer auf ein Team, das im ersten Halbjahr durchweg Erfolge feierte und ein entsprechendes Selbstbewusstsein ausstrahlt. Für Markus Anfangs Team geht's vor allem darum, in der Rückwärtsbewegung keine Lücken zu lassen. Das erschien in den Testspielen noch verbesserungswürdig, auch wenn diese allesamt gewonnen wurden. Und sie werden reichlich Gelegenheit haben, ihrem Trainer gleich im ersten Spiel zu zeigen, dass sie einen seiner größten Ansprüche erfüllen können: mit spielerischen Mitteln auch gegen geschlossen stehende Defensivverbände ein Durchkommen finden.
Quelle: Der Betze brennt
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- Sonntag, 13:30 Uhr: Saisonauftakt im Donaustadion (Der Betze brennt)