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Kontrolle, Technik, klare Kante: Jan Gyamerah im Porträt

Kontrolle, Technik, klare Kante: Jan Gyamerah im Porträt

Foto: Imago Images

Der 1. FC Kaiserslautern verpflichtet eine Woche vor Saisonstart den Kapitän von Liga-Konkurrent 1. FC Nürnberg. Ein Transfer, der auf den ersten Blick überrascht, auf den zweiten aber Sinn ergibt - für beide Vereine und den Spieler.

Auch am Valznerweiher weht bekanntlich ein neuer Wind. Der ehemalige DFB-Funktionär Joti Chatzialexiou hat Dieter Hecking als Sportvorstand beerbt, und das Trainer-Zepter schwingt nun der einstige Lautrer Miro Klose. Die neuen Chefs überraschten schon Ende Juni mit einem recht harten Schnitt, als sie mit Johannes Geis, Christoph Daferner, Ahmet Gürleyen und Jannes Horn auf einen Schlag vier Profis aus ihrem Kader aussortierten. In den FCK-Foren wurde daraufhin orakelt, ob Horn nicht vielleicht ein Kandidat für die Roten Teufel könnte - denn der passt als Innenverteidiger und Linksfuß in ein noch gesuchtes Profil. Dass aber Jan Gyamerah (gesprochen: "Dschammerra"), der zuletzt Rechtsverteidiger spielte und obendrein die Spielführerbinde beim FCN trug, ein Wechselkandidat sein könnte, hatte niemand auf der Rechnung.

Zumindest für Teile des Nürnberger Umfelds kommt der Transfer nicht so ganz überraschend. Der 29-Jährige hat die Vorbereitung weitgehend verpasst, weil sein Rücken Probleme bereitete. Obendrein wollen Klose und Chatzialexiou den Kroaten Jan Jurcec verpflichten, der auf der rechten Seite defensiv und offensiv eingesetzt werden kann. Mit Enrico Valentini und Jannik Hofmann hat der "Glubb" zudem einen lange etablierten und einen noch aufstrebenden Rechtsverteidiger unter Vertrag, so dass Gyamerah auf dieser Position wohl nur noch die vierte Alternative gewesen wäre.

Ein Rechtsverteidiger, der lieber in die Mitte zieht

Was den Deutsch-Ghanaer für den 1. FC Kaiserslautern so interessant gemacht hat, dass er 400.000, mit Boni vielleicht sogar 500.000 Euro Ablöse in die Hand nimmt? Dazu könnte eine Beschreibung des Online-Mediums "Clubfokus" Aufschluss geben. "Anders als unter Fiél (Kloses Vorgänger; Anm. d. Red.), als die Außenverteidiger invers agierten, sollen sie unter dem neuen Trainer die Breite halten und als Flügelspieler im Spiel mit Ball fungieren", heißt es zum Abschied von "Jambo" beziehungsweise "Gyambo", den Autor Christian Pöhlmann dennoch für "bedauerlich" hält. Und weiter: "Insbesondere Gyamerah war mit seiner Ballkontrolle und Technik prädestiniert für das Zentrum. Unter Klose hätte er sein Spiel, das in den letzten Jahren nur selten an der Außenlinie stattfand, umstellen müssen. Dies zeigt auch ein Blick auf die abgelaufene Saison. Unter allen Außenverteidigern der 2. Bundesliga mit mindestens 1.500 Einsatzminuten zählte Gyamerah zu den 25 Prozent, die die wenigsten Flanken schlugen. Ein Stilmittel, das von einem Flügelverteidiger gefordert sein wird."

Gyamerah ist also ein Verteidiger, der bei Ballbesitz lieber nach innen zieht. Exakt das wiederum ist ein Element der Spielanlage, die Markus Anfang für sein FCK-Team vorgesehen hat. Insofern darf der neue Mann als passende Lösung fürs neue Konzept angesehen werden. Und vermuten lassen, dass es für die gegenwärtigen Rechtsverteidiger-Kandidaten Jean Zimmer und Frank Ronstadt auf Sicht schwer werden könnte, in der Startelf zu stehen.

Gyamerah ist aber nicht nur Rechtsverteidiger. In seiner ersten vollen Profi-Saison, 2016/2017 beim VfL Bochum, wurde der 1,84 Meter große Rechtsfuß noch öfter als Innenverteidiger eingesetzt. Und dass er "mit seiner Ballkontrolle und Technik prädestiniert für das Zentrum" ist, hat er situativ auch in Nürnberg bewiesen. Etwa bei seinem Treffer gegen Eintracht Braunschweig im März 2023:

» Zum Video: Jan Gyamerahs Treffer gegen Braunschweig

Die gute Ballkontrolle lässt sich auch statistisch belegen. In der Saison 2023/24, in der er 25-mal von Beginn an auflief, fanden 83,9 Prozent seiner Zuspiele einen Mitspieler (zum Vergleich: Zimmer 73,3 Prozent, Ronstadt 82,1 Prozent).

In Hamburg und Nürnberg bestritt Gyamerah auch einige Einsätze als linker Verteidiger. Im defensiven Mittelfeld - ebenfalls noch eine Position, auf der Lautern Bedarf hat - absolvierte er lediglich ein Spiel: im April 2024 gegen den Karlsruher SC, der "Glubb" verlor 0:1. In insgesamt zehn von nunmehr 177 Zweitligapartien war er rechts vorne gefragt. Dass er von dieser Seite auch in die Spitze gehen kann, bewies er vergangene Saison beim 2:1-Auswärtssieg des FCN beim SV Wehen. Hier sein Treffer zum 2:0:

» Zum Video: Jan Gyamerah trifft zum 2:0 gegen Wehen

Geboren ist Jan Gyamerah ist Berlin, als Kind einer deutschen Mutter und eines ghanaischen Vaters - wie die Brüder Jerome und Kevin Prince Boateng. Als Berliner habe er sich aber nie gefühlt, erzählte er später dem Magazin "HSV live". Und in Stadthagen, wo er aufwuchs, sei er der einzige Schwarze gewesen, verriet er 2021 anlässlich der Vorstellung des Dokumentarfilms "Schwarze Adler", der sich mit Rassismus im Fußball auseinandersetzt und in dem auch er zu Wort kommt. "Nur mein Vater konnte nachvollziehen, was ich durchmachen musste."

Das formte ihn zu einem Typ, der Position bezieht, auf und neben dem Platz. "Gyambo" unterstützte später die "Black Lives Matter"-Bewegung, demonstrierte mit einer Trikot-Versteigerung für sexuelle Vielfalt und wirkte in einem Video gegen Hass im Netz mit. Er ist einer, der Position bezieht, auf und neben dem Platz. Aber nicht mehr im Internet, denn der 29-Jährige ist einer der wenigen Fußballprofis, der nicht (mehr) auf Social Media aktiv ist. Auch eine Reaktion auf die vielen Hasskommentare auf diesen Plattformen.

Debüt unter Neururer, gereift unter vier HSV-Trainern

Noch vor dem Eintritt ins U17-Alter wechselte Gyamerah zu Arminia Bielefeld, anschließend ins Bochumer NLZ, von wo ihm der Sprung ins Profiteam des VfL glückte. In der U17-Auswahl des DFB lief er zweimal, in der U18 viermal auf. Sein Debüt für den Ruhrpott-Klub gab er, grade mal 18 geworden, bereits im Dezember 2013 gegen Dynamo Dresden. Auf der Trainerbank des VfL saß Peter Neururer, im Tor stand der spätere FCK'ler Andreas Luthe.

Im Sommer 2019 wechselte Gyamerah zum Hamburger SV, nachdem er auf der Zielgeraden der vorangegangenen Saison wegen einer Verletzung am Schambein seinen Stammplatz in Bochum verloren hatte. Kurz nach dem Saisonstart 2019/20 war er in "HSV, wir müssen reden" zu Gast, einem Podcast des "Hamburger Abendblatt", in dem er viel Interessantes über sich und seine Karriereanfänge erzählt.

» Zum Video: HSV, wir müssen reden - mit Jan Gyamerah

In den anschließenden beiden Jahren diente er unter den Trainern Dieter Hecking, Daniel Thioune, Horst Hrubesch und Tim Walter - und kam unter allen zu seinen Einsätzen. Zwischenzeitlich warfen ihn allerdings ein Wadenbeinbruch und eine Hüftverletzung zurück.

"Für mich war klar, dass ich zurückkomme und ich konnte die Zeit absehen, wann es der Fall sein wird", beschreibt er in besagtem Interview bei "HSV live", wie der Umgang mit Verletzungen auch seinen Charakter prägte. "In den ersten Tagen herrscht eine große Enttäuschung, dann akzeptierst du es und dann freust du dich irgendwann darauf, wieder zurückzukommen. Am schwersten war es eigentlich damals in Bochum mit meiner Schambeinverletzung, weil ich wirklich nicht absehen konnte, ob und wann ich wieder spielen kann. Mittlerweile habe ich das Mindset: Egal was da kommt, ich komme zurück."

Als er im Sommer 2022 die Hansestadt Richtung Nürnberg verließ, war er als Spielerpersönlichkeit anerkannt und beliebt. Davon zeugt auch dieses Abschiedsvideo, das "HSV TV" von ihm fertigte. Ab Minute 0:15 ist da auch ein Treffer von ihm zu sehen, der zeigt, dass er für einen Verteidiger technisch recht beschlagen ist:

» Zum Video: Danke Gyambo - Abschied vom HSV

In Nürnberg ist nun nach zwei Jahren mit insgesamt 59 Pflichtspiel-Einsätzen Schluss. 52-Mal stand Gyamerah in 2. Bundesliga und DFB-Pokal in der Startelf, so dass auch für seine Zeit beim FCN gilt: Wenn er nicht verletzt war, war er immer aktiv dabei. "Wir konnten mit Jan einen gestandenen Zweitligaspieler verpflichten, der auch bereit ist, auf und neben dem Platz Verantwortung zu übernehmen", bestätigt FCK-Geschäftsführer Thomas Hengen. "Er ist eine Verstärkung für unseren gesamten Abwehrverbund, da er uns dank seiner Flexibilität eine Vielzahl an Möglichkeiten bietet, unser System und unser Spiel zu gestalten."

"Nicht zu locker sein, aber auch nicht zu verbissen"

"Ich bin sicherlich niemand, der ein Einpeitscher ist", sagte er seinerzeit im "HSV live"-Interview über sich selbst. "Ich versuche aber, immer locker zu bleiben. Man soll spüren, dass Fußball immer Spaß machen sollte. Am Ende ist die Mischung wichtig. Ich weiß auch, dass wir Ziele haben und man fokussiert und konzentriert sein muss, um diese zu erreichen. Mit zu viel Lockerheit klappt es nicht, mit zu viel Verbissenheit aber auch nicht."

So ähnlich hat auch Coach Anfang in unserem DBB-Interview unlängst die Einstellung beschrieben, mit der seine Jungs an Werk gehen sollten. Von daher könnten die beiden schnell einen Draht zueinander finden. Jan Gyamerah vermag selbst bei Elfmetern locker zu bleiben, wie dieses Schmankerl zum Abschluss zeigt. Sein Strafstoß zum 2:0 beim 3:0-Sieg des FCN über den SV Wehen vergangene Saison ist ab Minute 3:51 zu sehen. Solche verzögerten Wackelnummern erlauben sich meist nur offensive Ballartisten, Abwehrspieler dagegen kaum.

» Zum Video: Elfmeter-Kunst von Jan Gyamerah

Quelle: Der Betze brennt

Weitere Links zum Thema:

- FCK holt Defensivspezialist Jan Gyamerah aus Nürnberg (Pressemeldung FCK)

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