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Holstein Kiel im Gegner-Check: Kühlköpfe mit warmem Nest

Holstein Kiel im Gegner-Check: Kühlköpfe mit warmem Nest

Foto: Imago Images

Nach einem furiosen Auftakt heißt es für den 1. FC Kaiserslautern nun, im Zweitliga-Alltag zu bestehen. Die Kieler Störche flogen vergangene Saison nur auf halber Höhe. Jetzt startete der nächste FCK-Gegner vielversprechend, mit einem 2:2 bei Absteiger Fürth.

Die Unaufgeregten: DFB-Pokal-Halbfinale erreicht, auf dem Weg dahin die Bayern rausgeworfen, es in der Liga die Aufstiegsrelegation geschafft, am 1. FC Köln aber trotz Hinspiel-Sieg gescheitert - die Saison 2020/21 lief für Kiel überragend. 2021/22 dagegen: nur Platz 9. Und? Riskieren die Störche jetzt was, um wieder zum Höhenflug ansetzen zu können? I wo. Aktionismus ist nichts für Sportchef Uwe Stöver. Kaum Kaderbewegungen im Sommer. Für den nach Hannover abgewanderten Phil Neumann kam der Schalker Timo Becker. Der aus Luzern zurückgeholte Ex-Gladbacher Marvin Schulz war zum Saisonauftakt bei der SpVgg Fürth (2:2) nur 23 Minuten im Einsatz. Nix Neuaufbau, nix Umbruch. Der einstige FCK-Manager Stöver setzt auf langen Atem statt auf Hyperventilieren. Investiert wird in Kiel, wenn überhaupt, in Infrastruktur.

Die Trainerschmiede: 2017/2018, in der Saison, in der der FCK aus der 2. Bundesliga abstieg, überzeugte der KSV als Aufsteiger auf Anhieb mit einem taktisch klugen und dennoch erfrischenden Fußball. Markus Anfang, der Coach dieser Überflieger, landete anschließend in Köln und Bremen, ruinierte sich seine Karriere dann ums Haar mit einer dämlichen Impfpassfälschung, bekommt jetzt in Dresden eine Chance. Auch seine Nachfolger nutzten Kiel als Sprungbrett. Tim Walter trainiert jetzt den HSV, war davor beim VfB Stuttgart engagiert. Ole Werner ist mit dem SV Werder gerade in die Bundesliga aufgestiegen. Auf der Bank sitzt nun der ehemalige Hoffenheimer NLZ-Trainer Marcel Rapp. Auch er steht für Spielkultur und Variabilität. In Fürth ließ er mit Dreierkette starten. Was aber nicht bedeuten muss, dass die gegen Lautern erneut aufläuft.

Auffangbecken für Talente: Das Storchennest hat sich zum Landeplatz für Jungs entwickelt, die zu früh zu hoch gehandelt wurden und anschließend zum Sink- statt zum Höhenflug ansetzten. In der Kieler Nestwärme sollen sie ihre Flugtauglichkeit im zweiten Anlauf nachweisen. Das klappt mal besser, mal schlechter. Der einstige U20-Nationalspieler Fabian Reese, der sich auf Schalke nicht durchsetzte, ist in Kiel zu einem der besten Flügelspieler der Liga gereift. Der ehemalige Juniorennationalspieler Finn Porath dagegen, einst beim Hamburger SV mit Vorschusslorbeeren bedacht, ist bei den Störchen noch nicht so richtig abgehoben. Im Norden gelandet ist vor einem Jahr Steven Skrzybski, der einst bei Union Berlin groß aufspielte, anschließend in Schalke aber nicht zum Zuge kam. Mit nur vier Treffern gestaltete sich die erste Saison des Stürmers in Kiel allerdings nicht so überragend.

Die aktuelle Nachwuchshoffnung: Der jüngste Storch, der den Abflug im zweiten Versuch schaffen will, heißt Fiete Arp. Beim Hamburger SV einst als eines der größten deutschen Talente gehandelt, ging er schon 2019 zum FC Bayern, schaffte er es dort aber nur in die Zweitvertretung. Die Kieler liehen den Offensivspieler bereits im vergangenen Jahr aus und verpflichteten ihn im Sommer fest. Obwohl seine erste Saison im Unterhaus bestenfalls durchwachsen lief, nur neun Startelf-Einsätze und zwei Treffer. Rapp und Stöver glauben jedoch weiter an ihn.

Der Gereifte: Auch aus dem nunmehr 31-jährige Lewis Holtby ist nie das geworden, was ihm in jungen Jahren nachgesagt worden war. Aus Mainz ist der Offensivquirl noch als Leadsänger einer skurrilen Jubel-Kombo in Erinnerung, mit André Schürrle und Adam Szalai als Begleiter. Anschließend auf Schalke, bei Tottenham, Fulham, dem HSV oder in Blackburn hatte Holtby weniger Anlässe zum Feiern. In Kiel liefert der dreimalige Nationalspieler, mittlerweile zentraler Mittelfeldspieler, laut "11 Freunde" nun ein "beeindruckendes Spätwerk" ab. Die Kollegen vom "Kicker" schätzen ihn offenbar nicht so hoch ein: In ihrer Sommer-Rangliste taucht Holtby nicht auf.

Zu Effizienz gefunden? In der sogenannten "Effektivitätstabelle" landeten die Kieler in der vergangenen Saison nur auf Rang 15. Sie erarbeiteten sich insgesamt 200 Torchancen, erzielten aber nur 46 Tore. Insofern scheint unglaublich, was sich zum Saisonauftakt in Fürth abspielte: Den Störchen genügten im Grunde zwei Torschüsse, um sich beim Bundesliga-Absteiger ein 2:2 zu sichern. Nach "expected Goals" endete die Partie 2,22 : 0,95 für Fürth, die Gastgeber hätten also klar gewinnen müssen. Sind die Kieler etwa in diesem Sommer zu Musterknaben in Sachen Effizienz geworden? Eher nicht.

Das Fazit: Schon die Zusammenfassung der Partie in Fürth präsentiert eine Fülle exzellenter Einschussgelegenheiten, die das Kleeblatt liegen ließ. Wenn der FCK nur ähnlich beherzt nach Balleroberungen umschaltet, sollte gegen Kiel was zu holen sein. Leider kann sich Dirk Schuster nicht so sicher sein wie vor den Relegationsspielen gegen Dresden, dass sein Trainerkollege mit Dreierkette spielen lässt. Denn vor allem im Rückspiel bewährte sich sein Rezept, einer solchen Formation mit breit aufgestellten Flügeln zu begegnen. Philipp Hercher und Daniel Hanslik überragten nicht nur wegen ihrer beiden entscheidenden Treffer. Hercher hatte zum Saisonauftakt noch pausieren müssen, steht aller Voraussicht nach am Samstag aber wieder zur Verfügung. Das ist schon mal ein Pluspunkt.

Quelle: Der Betze brennt

Weitere Links zum Thema:

- Samstag, 13:00 Uhr: Erste Auswärtsaufgabe in Kiel (Der Betze brennt)

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