Diskussionen zu fanpolitischen Themen, wie z.B. von ProFans oder dem B.A.F.F.

Beitragvon Thomas » 13.09.2013, 23:21


Hier mal ein wie ich finde sehr lesenswerter Artikel des Sportreporters Hansi Küpper, der bei den Kollegen von schwatzgelb.de veröffentlicht wurde:

Gastautoren - 13.09.2013
Desinformation und Eskalation


Ich bin ein guter Bundesbürger. Ich lebe gerne in meinem Land, bin eher wertkonservativ und habe mit einer gewissen Naivität bis zu den jüngsten NSA-Enthüllungen nicht an Verschwörungstheorien geglaubt. Wenn ich Polizisten gesehen habe, hatte ich immer ein gutes Gefühl. Sie waren für mich Repräsentanten unserer Staatsmacht, die unsere Sicherheit garantierten. Inzwischen beschleicht mich bei Polizeieinsätzen immer häufiger ein mulmiges Gefühl. Ich empfinde die Geschehnisse vor dem BVB-Spiel gegen Braunschweig und während der Partie Schalke gegen Saloniki als regelrecht alarmierend. Um es klar zu sagen: Etwas stimmt nicht mehr in unserem Land.

Das Relegationsspiel Düsseldorf-Hertha im Vorjahr markierte einen Wendepunkt. Law-and-Order-Politiker und Polizeivertreter erkannten eine Chance. Hand in Hand mit einer unsäglich verzerrenden Berichterstattung deuteten sie eine gewaltige Aufstiegsparty in einen Bürgerkrieg um. Alles war in den Wochen der nun einsetzenden Hysterie erlaubt. Dass Ultras als "Taliban der Fans" verunglimpft wurden, störte niemanden. Dass Choreografien als "faschistoide Versammlungsrituale" diffamiert wurden, wurde akzeptiert. Die überwältigende Mehrheit der Nicht-Stadiongänger in Fußball-Deutschland wurde geradezu systematisch in Angst und Schrecken versetzt.

Dass die Verletzungsgefahr beim Münchener Oktoberfest 25 mal so groß ist wie bei den Spielen der deutschen Profi-Ligen, interessierte niemanden. Auch nicht die Polizei! Bei der lösten die vergewaltigten Frauen und Schwerverletzten von der Theresienwiese nur ein Schulterzucken aus: "Wo so viel getrunken wird, wird es immer zu alkoholbedingten Körperverletzungsdelikten kommen," meinte ein Polizeisprecher lakonisch. Ein Bundesligapräsident, der so über eine Schlägerei im Stadion sprechen würde, wäre morgen nicht mehr im Amt.

Der Fußball ist in schwierigen politischen Zeiten der großen Krisen von den Hardlinern in der Politik als dankbarer Blitzarbeiter erkannt worden. Eine Pyro-Fackel und zwei prügelnde Fans reichen: Schwupps verschwinden die Artikel über Währungskrise, NSU-Morde und NSA-Bespitzelung in den Innenteil der Zeitungen. Und für die Nachrichten über Fan-Randale sorgt die Polizei - und das ist der Skandal - inzwischen selbst.

Die ZIS (Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze) platzierte mitten in die Sicherheitsdebatte des Vorjahres die Veröffentlichung von Verletztenzahlen mit klarer Aussage: wir haben mehr Verletzte, also eskaliert die Gewalt! Wir müssen handeln! Als nachdenklich gewordene Journalisten nachhakten, wurde aus der vorher noch so laut tönenden ZIS die geradezu peinlich hilflose ZDS (Zentrale Desinformationsstelle Sporteinsätze). Der Fragenkatalog von Spiegel Online und das in sich zusammenfallende Kartenhaus der ZIS ("Hierzu liegen keine Erkenntnisse vor") sind ein eindrucksvolles Dokument einer versuchten und dann kläglich gescheiterten Dramatisierung der Situation in unseren Stadien.

Trotzdem haben versuchte Desinformation und Eskalation seit dem vergangenen Herbst System. Die Fan-Randale beim Revierderby, die niemand will und niemand gutheißt, wurde vom NRW-Innenminister in grober Unkenntnis der Vergangenheit zur schlimmsten Ausschreitung aller Zeiten hochdramatisiert.

Als lose Schrauben an einer Zuschauertribüne in Zwickau entdeckt wurden, schloss der Polizeisprecher Sabotage nicht aus. Ruckzuck sprachen Zeitungen von "unbekannten Chaoten" und "Mordanschlag". Die unspektakuläre Wahrheit - es handelte sich schlicht und einfach um Pfusch am Bau - blieb dann weitestgehend ungehört.

Als Frankfurter Fans sich beim Auswärtsspiel in München verschärfter Körperkontrollen in Zelten unterziehen mussten, machte anschließend eine erschreckende Zahl von sichergestellten Messern und Pickelhauben die Runde. Erst auf Nachfrage stellte sich heraus, dass die "Waffenfunde" überall im und am Stadion, nur eben nicht in den Zelten getätigt wurden. Die Hardcore-Leibesvisitation wurde als voller Erfolg verkauft, war aber tatsächlich ein Voll-Flop.

Als mitten im niedersächsischen Wahlkampf Dynamo Dresden zum Auswärtsspiel nach Hannover kam, wurde - merkwürdig, merkwürdig - eine bewährte Deeskalationsstrategie der Polizei außer Kraft gesetzt. Ausgerechnet die gefürchteten Dynamo-Fans wurden nicht wie üblich frühzeitig in einen geöffneten Gästeblock gelassen sondern eingekesselt. Brauchte da vielleicht jemand willkommene Schlagzeilen?

Um Schlagzeilen ging es offensichtlich auch, als man die Presse zu einer geradezu grotesken Hooliganbekämpfungs-Polizeiaktion mit Hundertschaft und Hubschraubern am Berliner Olympiastadion einlud. Spätestens als im Schneegestöber ein vierfacher Familienvater und Hubschrauberpilot sein Leben verlor, hätte es den Aufschrei der Empörung geben müssen. Oder glaubt irgendjemand wirklich, dass bei einem Bundesligaspiel mit 70000 Zuschauern die Polizei über Hubschraubereinsätze über einer Menschenmenge nachdenkt, um eine Schlägerei zu verhindern? Wir sollten uns nicht verdummen lassen!

Spätestens die Ereignisse der gerade begonnenen Saison sollten uns endgültig aufrütteln. Warum werden BVB-Fans auf dem Weg zum Stadion eingekesselt? Weil die Polizei eine Bombe in einem Rucksack wähnt? Weil ein Sturm auf den Gästeblock vermutet wird? Weil Schlagringe, Messer und Baseballschläger sichergestellt werden sollen? Nee! Die Polizei wollte eines ACAB-Transparents habhaft werden. Wie schräg ist das denn? Kein Polizist muss sich diese primitive und frühpubertäre Beleidigung gefallen lassen. Aber kein Bundesbürger muß sich eine derartige Unverhältnismäßigkeit beim polizeilichen Vorgehen auf der Suche nach einem - juristisch noch nicht einmal verbotenen - Banner gefallen lassen.

Der Polizeieinsatz auf Schalke markierte den traurigen Höhepunkt des Versuchs, dem Fußball und seinen Fans ein Gewaltproblem unterzujubeln, dem man nur vor Millionen Fernsehzuschauern durch martialisches Einschreiten begegnen könne. Von "Lebensgefahr" und "Volksverhetzung" war die Rede. Was eine reguläre Fahne mit Volksverhetzung zu tun hat, konnte die hilflos vor sich hinstammelnde Polizeisprecherin dem Radiomoderator nicht erklären. Die ZIS, der grundsätzlich keine Erkenntnisse vorliegen, lässt grüßen.

Der Fußball in Deutschland läuft Gefahr, ähnlich missbraucht zu werden, wie der Fußball im England der Thatcher-Ära. Auch damals wurden Verhältnisse dramatisiert, Fans kriminalisiert und Tatsachen verschleiert. Der Fußball muß sich wehren.

Die Vertreter des FC Schalke haben sich vorbehaltlos hinter ihre Fans gestellt, die an diesem Abend Opfer waren. Ein derartig klares Bekenntnis gegen Panikmache und Eskalation ist zur Nachahmung empfohlen.

Hansi Küpper, 13.09.2013

Hansi Küpper ist seit rund einem Vierteljahrhundert als Fußballkommentator für verschiedene Radio- und Fernsehsender tätig, aktuell für Sport 1. Er schreibt regelmäßig die Kolumne Hansi Mondiale in der BVB-Mitgliederzeitschrift "Borussia" sowie der Stadionzeitschrift "Echt".


Quelle: http://www.schwatzgelb.de/2013-09-13-de ... ation.html
Der Verein führt als eingetragener Verein den Namen 1. Fußball-Club Kaiserslautern e.V. (1. FCK) und hat seinen Sitz in Kaiserslautern. Seine Farben sind rot und weiß. (...) Das Stadion trägt den Namen Fritz-Walter-Stadion. (Vereinssatzung des 1. FC Kaiserslautern e.V. - Artikel 1, Absatz 1)



Beitragvon paulgeht » 14.09.2013, 00:06


Respekt. Hansi Küpper war doch auch derjenige, der den den Gewerkschaftschef Wendt in einer Fernsehsendung ordentlich Contra und Feuer gab, oder täusche ich mich?
Bild
Ihr findet uns auch bei Facebook und Twitter.



Beitragvon Hellfire » 14.09.2013, 02:21


Eine Abwehr aus Granit - so wie einst Real Madrid -
und so zogen wir in die Bundesliga ein, und wir werden wieder Deutscher Meister sein!



Beitragvon MäcDevil » 14.09.2013, 07:45


Höre dem Küpper gerne zu.- Man hört bei ihm immer, dass er sehr gut recherchiert und rückt die Dinge immer in das richtige Licht !
Im Gegensatz zu anderen Nasen die z.B. bei Doppelpass, der öfteren 11 Uhr-Fussball-Disaster-Runde, sitzen.
...und aus dem Chaos sprach eine Stimme zu mir: "Lächle und sei froh, es könnte schlimmer kommen!" ...und ich lächelte und war froh, und es kam schlimmer...!



Beitragvon OWL-Teufel » 14.09.2013, 09:22


Mit Hansi Küpper bin ich als Fan am Radio großgeworden. Seine Stimme ist mir (fast) vertrauter als die meiner Mutter :D

Er hat zumindest den Mut, Mr. Polizeistaat R.W. auf die Finger zu klopfen und daher verdient er meinen allergößten Respekt!!!



Beitragvon attacke pfalz » 14.09.2013, 12:14


guter bericht,der nah an der wahrheit dran ist.leider muss schalke seine loyalität nun büsen,indem die polizei angekündigt hat nicht mehr im stadion für sicherheit sorgen zu wollen...für mich stellt sich die frage:wie kann man die minister,polizeigewerkschaftler,polizisten usw. wieder zu ner normalen sicht der dinge bewegen?deren hebel ist schon sehr lang...
das es immer,solangs in deutschland fußball gibt,zu unverhältnissmäßigkeiten,von beiden seiten,kommen wird,ist auch klar.wichtig ist,dass die jeweilige seite dann nicht (wieder)die gesamtsituation dramatisiert...



Beitragvon Mcmurphy » 14.09.2013, 12:20


...eine in sich sehr stimmige Auseinandersetzung mit einem brisanten Thema...und hierbei geht es jetzt "nur" um Fußball...nach amerikanischem und englischem "Vorbild" begeben wir uns nun auf ähnlichen Pfaden...leider bleibt Herr Küpper in letzter Konsequenz die entscheidende Antwort schuldig...wieso das Ganze, wem dient es und welche gesamtpolitischen Ziele werden verfolgt...ein wie bereits erwähnt, stimmiger Bericht der die Symptome entlarft, die Ursache jedoch im Dunkeln lässt...schade...
"Die Grenze zwischen Verstand und Gefühl ist das Jagdgebiet des Teufels"
(C.K.Dighton Patmore)



Beitragvon Bää$cht » 18.09.2013, 19:13


DIe Frage dabei ist auch, ob es nicht in Zukunft auf Schalke zu deutlich weniger Zwischenfällen und Verletzten kommt, GERADE WEIL die Polizei nicht da ist ;)

Für mich ist das die interessante Fragestellung ;)



Beitragvon c » 19.09.2013, 13:53


Bää$cht hat geschrieben:DIe Frage dabei ist auch, ob es nicht in Zukunft auf Schalke zu deutlich weniger Zwischenfällen und Verletzten kommt, GERADE WEIL die Polizei nicht da ist ;)

Für mich ist das die interessante Fragestellung ;)


Du glaubst gar nicht wie subtil man als Polizei Eskalationen - gerade im Rahmen eines Fussballspiels, bei der aktuellen Lage der Berichterstattung - provozieren kann. Dafür müssen die nicht im Stadion sein.
Das wissen auch unsere Pappenheimer. Wenn man an den richtigen kommt, dann verzehlen die dir das im Suff auch noch proppenstolz.



Beitragvon Bää$cht » 19.09.2013, 20:59


Klar... Kenne auch ein paar davon... Einer ist mehr so der Haudrauf, der andere relativ kritisch... Letzterer hat mir dann eröffnet, dass bei Betze-Heimspielen der Einsatzleiter irgendwo außerhalb des Stadions in nem Einsatzleitwagen sitzt und "auf Hören Sagen" seine Marschbefehle gibt... Wie soll so einer sinnvolle entscheidungen treffen, wenn er nicht mal da ist...



Beitragvon daachdieb » 03.12.2013, 11:30


Hansi Küpper ist einer der wenigen prominenten Fußball-Kommentatoren, die in den vergangenen Jahren offen Partei für die aktive deutsche Fanszene ergriffen und gleichzeitig Politiker und Sicherheitsbehören kritisiert haben. Ein Interview über heraufbeschworene Bürgerkriege und »Nazi-Schweine«.


11freunde Interview mit Hansi Küpper
Oderint, dum metuant
fck-jetzt.de



Beitragvon satisfactory » 03.12.2013, 13:18


Bää$cht hat geschrieben:DIe Frage dabei ist auch, ob es nicht in Zukunft auf Schalke zu deutlich weniger Zwischenfällen und Verletzten kommt, GERADE WEIL die Polizei nicht da ist ;)

Für mich ist das die interessante Fragestellung ;)


Die Polizei ist nie einem Schalkespiel ferngeblieben. Am Ende sind die S04-Verantwortlichen ja eingeknickt.

Hansi Küpper ist wirklich ein kleines Sprachrohr für die Fans. Bis auf seine Meinung zur Pyrotechnik, die er an andere Stelle durchblicken ließ, unterschreibe ich seine Aussagen zu 100%. Leider findet aber auch er nicht genug Gehör von den ausschlaggebenden Medien.
"Der Skandal fängt an, wenn die Polizei ihm ein Ende bereitet." - Karl Kraus



Beitragvon Dr.BETZE » 11.12.2013, 21:59


satisfactory hat geschrieben:
Hansi Küpper ist wirklich ein kleines Sprachrohr für die Fans. Bis auf seine Meinung zur Pyrotechnik,...

was missfällt dir daran?
könnte fast alles, was er zu dem thema sagte, so unterschreiben.
< < < < < < < < < < < <<<< www.roteteufel.de >>>> > > > > > > > > > > >



Beitragvon satisfactory » 12.12.2013, 16:14


"Inzwischen ist die Pyrofackel für mich nur noch das Symbol eines leidigen Stellvertreterkrieges." Quelle: http://www.11freunde.de/interview/ist-die-deutsche-fankultur-bedroht-hansi-kuepper

Den eigentlichen Sinn von Pyrotechnik erkennt er in dem Interview von 11Freunde.de nicht.
Vielleicht gilt dieses Prinzip in manchen Szenen.
Für mich ist das Abbrennen von Pyro immer noch ein Adrenalinkick und Stilmittel der Fankultur.
Aber gut...das ist meine Meinung und der Hansi hat eben eine andere. Deswegen schätze ich sein Engagement und Wissen aber trotzdem.
"Der Skandal fängt an, wenn die Polizei ihm ein Ende bereitet." - Karl Kraus




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