"Auftakt nach Maß" oder "glücklich abgewendeter Fehlstart"? Phrasen helfen nicht, um den mit 2:1 erfolgreichen Saisonstart des 1. FC Kaiserslautern beim SSV Ulm zu bewerten. Die Wahrheit liegt, wie so oft, irgendwo dazwischen.
Vom fußballerischen Neu-Anfang träumen, dann aber an amateurhaften Abwehrfehlern scheitern. Wie das aussehen kann, hätten sich die Betze-Buben bereits am Samstagnachmittag anschauen und als warnendes Beispiel ins Donaustadion mitnehmen können: Bei der Partie Karlsruher SC gegen den 1. FC Nürnberg, in der die "Glubberer" eine 2:0-Führung wieder aus der Hand gaben und so ihrem neuen Coach Miro Klose das Trainerdebüt versauten.
Unterm Strich stellten sich die Roten Teufel in Ulm natürlich nicht so stümperhaft an wie die FCN-Hintermannschaft bei den KSC-Treffern. Es gab aber Phasen in ihrem Spiel, in denen es so aussah, als könne es ähnlich laufen. Vor allem in der Viertelstunde nach der 47. Minute.
Ein 0:1, das zum Verhängnis hätte werden können
In dieser nämlich waren die Gastgeber in Führung gegangen, und sowohl Abschluss als auch eine Entstehung waren aus Pfälzer Sicht einfach nur zu Haare raufen. Spatzen-Keeper Christian Ortag passt einen Abschlag auf die linke Verteidiger-Position zu Philipp Strompf. Worauf die vorderen FCK-Reihe sofort zu dem forschen Angriffspressing ansetzt, wie es unter Anfang nun öfter praktiziert werden soll. Löblich, löblich, eigentlich.
Strompf aber glückt ein 30-Meter-Pass zwischen attackierenden Roten hindurch in Richtung des Mittelkreises, wo die Stürmerkante Felix Higl das Leder behauptet und auf den rechten Schienenspieler Bastian Allgeier ablegt. Und der darf laufen, laufen und laufen. Und gucken, gucken und gucken. Und flanken, flanken und flanken. Während Mittelstürmer Higl Richtung Lautrer Strafraum trabt, trabt und trabt. Dann stiehlt er sich Jan Elvedi aus dem Kreuz und tickst den Ball an Julian Krahl vorbei ins Netz.
Und schon war's vorbei mit - ja, mit was eigentlich? Mit "Lautrer Herrlichkeit"? Das wär jetzt übertrieben. Treffender ist: Die Roten Teufel hatten sich bis dahin ein ordentliches Chancenplus erarbeitet und zumindest in Ansätzen gezeigt, wohin des Anfangs Weg in Zukunft führen soll.
FCK mit Chancen - aber nicht unbedingt im Anfang-Stil
Wobei die ersten Tor-Aktionen, die der FCK verzeichnete, allerdings mit Mitteln herausgespielt wurden, die er auch schon in der vergangenen Saison im Portfolio hatte. Schon nach drei Minuten bekommt Elvedi eine saubere Freistoßflanke Marlon Ritters auf den langen Pfosten nicht unter Kontrolle, sonst hätte es aus sieben Meter schnackeln lassen können.
Nach neun Minuten haut Krahl einen Abstoß wie in guten alten Zeiten weit nach vorne, Mittelstürmer Daniel Hanslik legt mit dem Kopf auf Rechtsaußen Richmond Tachie ab. Der startet Richtung Grundlinie, passt in den Rückraum - und der eingelaufene Linksaußen Aaron Opoku jagt das Leder aus sechs Metern übers Tor.
Nach einer knappen Viertelstunde flankt Erik Wekesser von links, wie in der vergangenen Runde Tymo Puchacz geflankt hat, Hanslik aber taucht knapp unterm Ball durch. An den Bildschirmen und wie auf den Rängen dürfte da dutzendfach der Satz gefallen sein: "Ragnar Ache hätte den reingemacht." Das Saisondebüt von Lauterns Kopfballspezialist wird aber noch auf sich warten lassen.
Abwehrverhalten? Besser, aber noch lange nicht top
Es beim Spiel gegen den Ball so eng wie möglich machen, mit dem Ball so breit wie möglich - die Elemente im FCK-Spiel, die unter Markus Anfang künftig stärker betont werden sollen, waren durchaus auch schon zu sehen. Eine Einschusschance Tachies aus halbrechter Position etwa wird nach einem erfolgreichen Gegenpressing 25 Meter vor des Gegners Tor eingeleitet.
Und wie sieht's mit dem Abwehrhalten aus in dem Klub, der vergangene Saison mit 64 Gegentreffern die zweitschwächste Defensive der Liga stellte? Künftig soll "weiter weg vom eigenen Tor" verteidigt werden. "Wir haben ganz wenig zugelassen, außer mal ein paar Schüsse aus der zweiten Reihe", resümierte Markus Anfang nach dem Spiel im kleinen Journalistenkreis, und bescheinigte seinen Jungs, "sehr, sehr gut verteidigt" zu haben. Die Darstellung ist wohl ein wenig der Euphorie unter dem Eindruck des Auftaktsieges geschuldet.
Richtig ist: Viel ließ sein Team bis zu diesem 0:1 in der Tat nicht zu, aber das wenige offenbarte Schwächen in die Flügelverteidigung. Nach einem schön vorgetragenen Angriff über die linke Seite etwa verpasste der junge Aaron Keller in der 43. Minute den Führungstreffer für sein Team.
Dass sich der Aufsteiger wenn, dann über die Flügel in Szene setzte, mag daran liegen, dass sie rechts mit Allgeier und vor allem links mit Romario Rösch zwei ihrer stärksten Kräfte auf den Seiten haben. Dass zwischen den Lautrer Flügelstürmern und ihren Verteidigern aber noch Abstimmungsprobleme bestehen, lässt sich ebenfalls nicht leugnen.
Die Flügel können Tempo, aber keine Knoddelkunst
Apropos Flügelstürmer. In der schwachen Phase nach dem Rückstand zeigte sich obendrein: Tachie kann sich zwar durchsetzen, in erster Linie aber über sein Tempo. Wenn es gegen Kontrahenten geht, die sich nach einer Führung tiefer stellen, ist jedoch eher der Typ Schmierseifendribbler gefragt, der sich auch auf einem Bierdeckel an seinem Widersacher vorbeiknoddelt. Das wiederum ist nicht so Tachies Ding.
Auch Dickson Abiama, der ihn ab der 60. Minute ersetzte, blieb ein ums andere Mal an seinen Gegenspielern hängen. Links vermochte sich Opoku auf engem Raum besser durchzusetzen, doch auch er spielt lieber seine Geschwindigkeit aus. Wie in der 46. Minute, als ihn Ritter nach einem Ballgewinn in der eigenen Hälfte auf die Reise schickte und Opoku seinen Gegenspieler Tom Gaal übersprintete. Im Strafraum angekommen, schlenzte er die Kugel knapp an Ortags Kasten vorbei.
Unmittelbar danach fiel Ulms 1:0. Was, allem Anfang zum Trotz, wieder mal "typisch FCK" gewesen wäre, wäre die Partie anschließend verloren gegangen.
Warum es soweit dann doch nicht kam? Jedenfalls nicht, weil die Roten Teufel danach ein leidenschaftliches Powerplay aufzogen. Oder weil Markus Anfang auf ein 4-4-2 umstellte, als er in der 71. Minute Jannik Mause für Filip Kaloc ins Spiel brachte. Richtig ist: Die Pfälzer erarbeiteten sich nach und nach wieder Platzhoheit, indem sie wieder mehr Zweikämpfe gewannen. Das zeigt auch diese "Wyscout"-Visualisierung:
Die Wende: Mit Hilfe der Gastgeber, aber nicht nur
Und dann, es ist leider so banal, halfen die Gastgeber tüchtig mit, das Spiel zu drehen. Wie Johannes Reichert in der 77. Minute einen Foulelfmeter verursachte, war schon arg unglücklich aus Spatzen-Sicht. "Wir haben Lehrgeld bezahlt", brachte es Aufstiegstrainer Thomas Wörle treffend auf den Punkt. Ulms Kapitän touchierte Hanslik in einer gar nicht mal brenzligen Situation. Der FCK-Stürmer bewegte sich aus dem Strafraum hinaus, als er getroffen wurde. Und Schiedsrichter Robert Schröder verlegte den Moment der Berührung erst nach Rücksprache mit dem unter VAR korrekterweise zurück in den Strafraum.
Aus FCK-Sicht darf aber auch notiert werden: Dass Reichert überhaupt in die Bredouille gerät, ist dem energischen Nachsetzen Hansliks geschuldet. Ebenso schön anzuschauen ist Boris Tomiaks cool verwandelter Elfer - und, mehr noch: Wie er anschließend selbst den Ball aus dem Netz holt und in einem Pulk von Mitspielern zur Mittellinie trabt, auf diese Weise signalisiert: Das war's noch nicht, wir wollen noch mehr - wenn das Ausdruck eines neuen Spirits gedeutet werden darf, das wäre schön.
Beim Siegtreffer wiederum unterstützte Ulms Gaal. Als Bewacher Opokus hebt er ein mögliches Abseits auf, so dass sich der eingewechselte Mause einen langen Ball von Wekesser erlaufen kann. Der Neuzugang setzt bei der Ballannahme gut seinen Körper ein, hat aber auch ein wenig Glück, dass der herausstürzende Ortag das Leder nicht zu fassen kriegt. Und Opoku, über die volle Spielzeit betrachtet Lauterns gefährlichster Angreifer, darf zum Matchwinner werden. Opoku, wohlgemerkt, der bei der Generalprobe gegen 1860 München vor Wochenfrist nur von der Bank kam und lediglich wegen Kenny Redondos Verletzung unter der Woche in die Startelf rückte.
An der Stelle wiederum darf ergänzt werden. Bevor der Ball bei Wekesser landete, hatten sich die Roten einen Einwurf der Ulmer in deren Hälfte erobert, indem sie beharrlich und mit vereinten Kräften nachsetzten. Es handelt sich auch hier nicht um ausschließlich um einen geschenkten Treffer nach einer gegnerischen Dusselei.
Von daher trifft das Fazit "glücklich abgewendeter Fehlstart" ebenso wenig wie "Auftakt nach Maß". Drei Punkte zum Start, die sind auf jeden Fall gut für die Seele. Erst recht nach einem gedrehten Rückstand. So sieht's auch Markus Anfang: "Der Glaube an das, was du spielst, wird dann verstärkt."
Zum Abschluss noch ein wenig Statistik-Gedöns
Bevor wir zur xG-Timeline kommen, möchten wir noch einen Einwechselspieler hervorheben. Neuzugang Jan Gyamerah kam nach 71 Minuten für Jean Zimmer, stand inklusive Nachspielzeit 27 Minuten auf dem Platz. Klar soll man nach einem solchen Teilzeit-Einsatz nicht gleich ausflippen, aber ein paar nüchterne Zahlen dürfen ja wohl sein.
Gyamerah spielte zwei steile Pässe, zwei lange Bälle, drei ins letzte Drittel - und alle kamen an. Ebenso seine kurzen und mittellangen Zuspiele sowie ein Rückpass. Lediglich einer seiner drei Seitwärtspässen fand keinen Mitspieler. Außerdem zeigte er, dass er als Außenverteidiger in die Mitte marschieren kann, wie es die Anfang'sche Spielanlage vorsieht. Womit er zumindest eindrucksvoll andeutet hat, wie gut er passen könnte.
2,01 : 0,96 gewinnt der FCK den Wyscout-Daten zufolge nach "expected Goals" (xG), "bundesliga.de" und Co. haben sogar ein 3,0 : 0,98 für Lautern errechnet. Natürlich hauptsächlich wegen der 0,76 Punkte, die allein aus dem Tomiak-Elfer resultieren. Ohne den wär's nicht ganz so klar, aber immer noch deutlich.
Die Positions- und Passgrafik der Roten Teufel: Das Transfer-Schnäppchen Jannis Heuer (Nr. 24) scheint sich zum Dreh- und Angelpunkt beim Spiel von hinten heraus zu entwickeln. Schön zu sehen auch: Die Positionierung von Mause (18), nachdem er für Kaloc (26) eingewechselt wurde. Da wurde aus dem 4-1-2-3 ein 4-4-2.
Zu Kaloc führen weder Pfeile noch weisen welche von ihm weg. War irgendwie nicht sein Tag. "Wsycout" hat für den FCK übrigens einen Ballbesitzanteil von 48 Prozent errechnet, "bundesliga.de" sogar nur 46 Prozent. Das sind zwar einige Prozentpunkte mehr als zu Schuster-Zeiten, ist aber längst nicht das, was man unter "Ballbesitzfußball" versteht.
Gerannt sind die Pfälzer übrigens insgesamt 111,6 Kilometer, die Ulmer 118,4 Kilometer. Wer Sieg oder Niederlage gerne an Laufleistungen festmacht, wird mit diesem Spiel also nicht glücklich.
Die Positions- und Passgrafik des SSV Ulm: Unterstreicht die Bedeutung von Rösch (43) und Allgeier (7) für ihr Spiel.
Und zum Schluss die Übersicht über die geführten Duelle. Auch hier imponiert auf Ulmer Seite einmal mehr Rösch. Die Bilanz der FCK-Hintermannschaft ist ordentlich, aber nicht überragend. Tomiak auf der zentralen defensiven Mittelfeldposition kann und muss sich steigern. In der schwachen Phase nach dem 0:1 ließ der Sechser sich mal von Dennis Chessa vernaschen, auch bei einer Einschusschance des eingewechselten Maurice Krattenmacher zentral auch 18 Metern kurz danach sah er nicht gut aus.
Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer
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