Umbruch? Der ist nicht "in vollem Gange", wie allenthalben behauptet wird, der hat noch gar nicht richtig begonnen. Auch sonst steht der 1. FC Kaiserslautern vor einer Rückrunde mit vielen Fragezeichen. Ein Kommentar von Eric Scherer.
"Sich eine Zukunft zu wünschen, ist schwieriger, als sich Nostalgie hinzugeben, aber es lohnt sich." Das schrieb die Journalistin Anna Dreussi unlängst im "Spiegel". Allerdings nicht über den 1. FC Kaiserslautern, sondern in einer Besprechung zur ZDF-Serie "Der Bergdoktor" - die zeige ihrer Ansicht nach eine Welt, die es so gar nicht mehr gibt. Der Satz passt allerdings auch zur aktuellen Situation der Roten Teufel. Auch da mag es nach wie vor schön sein, in Erinnerungen an den alten Fritz, King Kalli und König Otto zu schwelgen. In der Gegenwart aber helfen diese nicht weiter. Und nicht nur das: Gerade heißt es auch Abschied nehmen von den Helden der jüngeren Vergangenheit. Von den Aufsteigern der Saison 2021/22, von den "Mentalitätsmonstern" der Hinrunde 2022/23.
Von denen könnten zur kommenden Spielzeit schlimmstenfalls nur noch Marlon Ritter und Boris Tomiak im Kader stehen. Mike Wunderlich, René Klingenburg und Matheo Raab sind schon lange weg. Vor wenigen Tagen ging Terrence Boyd. Dass die Verträge von Kevin Kraus, Philipp Hercher und Julian Niehues auslaufen, gilt als sicher, von anderen ist das Vertragsende nicht bekannt. Sofern jedoch die "Streichliste", die neulich in den Medien auftauchte, nicht "frei erfunden" ist, wie Geschäftsführer Thomas Hengen erklärte - und komplett falsch ist sie bestimmt nicht - könnten sich auch Hendrick Zuck, Daniel Hanslik und "Capitano" Jean Zimmer verabschieden, dazu die "Transfer-Coups" des Sommers 2022, Erik Durm, Andreas Luthe und Philipp Klement.
Von den fünf Verpflichtungen dieses Winters sind drei nur leihweise gekommen, können also noch nicht über den Sommer hinaus eingeplant werden: Filip Stojilkovic und Filip Kaloc immerhin mit Kaufoption, Chance Simakala wohl ohne. Zudem sind Nikola Soldo und Tymo Puchacz lediglich Leihspieler.
Summa summarum stehen über die Saison hinaus also noch hinter so vielen Planstellen Fragezeichen, dass man sich unweigerlich fragen muss: Wieso eigentlich ist allenthalben von einem "Umbruch" die Rede, der bereits "in vollem Gange" sei? Fakt ist doch vielmehr: Der Umbruch hat noch gar nicht richtig begonnen. Und kann derzeit nur schwer in Bewegung kommen, wenn nicht noch der ein oder andere Spieler bis Ende dieser Transferperiode von der Payroll verschwindet. Denn nach dem Personalzuwachs der vergangenen Tage umfasst diese 29 Profis, und die Schwachstelle hinten links ist immer noch nicht beseitigt.
Eine Zukunft "wünschen" kann sich im Moment daher nur der Anhang - Geschäftsführer Hengen, Kaderplaner Enis Hajri und Trainer Dimitrios Grammozis sind dringend aufgerufen, diese aktiv zu gestalten.
Insbesondere der neue Coach steht der vor einer kniffligen Aufgabe: Er soll angesichts des aktuellen 15. Tabellenplatzes nicht nur schnellstmöglich den Abstand zu Abstiegsrängen vergrößern, er soll und will auch wieder Offensivfußball spielen lassen, der dem Betze Ehre macht. Das mutet unter diesen Voraussetzungen ein wenig wie die Quadratur des Kreises an: Teams, die sich mit Sturm und Drang an der Abstiegszone befreit haben, waren in der Zweiten Liga bislang noch nicht oft zu erleben. In der Regel wird im Tabellenkeller eher mit dem gepunktet, was im Lautrer Umfeld zuletzt als "Schusterball" verpönt war.
Zudem will der neue Coach wieder eine Vierer-Abwehrkette installieren, auch um, so hat er es gegenüber der "Rheinpfalz" formuliert, "vorne mehr Zugriff" zu bekommen. Dagegen wäre nichts zu sagen, liefe es nicht dem zuwider, was Geschäftsführer Hengen, übrigens selbst lizenzierter Fußballlehrer, in der jüngsten Vergangenheit propagierte: Nämlich, "das Spiel mit Dreierkette voranzutreiben", weil es mehr zur "Philosophie" des Vereins passe. Ob hier ein Konflikt bereits vorprogrammiert ist? Man kann's ja auch optimistisch sehen: Der Trainer hat anscheinend seinen eigenen Kopf, und das ist grundsätzlich kein schlechtes Zeichen.
Allerdings: Der Kader verfügt schon länger über keinen wirklich geeigneten Linksverteidiger mehr. Zuck und Puchacz sind eher Schienenspieler für ein Spiel mit Dreierkette.
Somit steht der FCK vor einer Zukunft, in der es noch viele Fragezeichen aufzulösen gilt. Zuallererst aber steht er vor einer ganz schweren Rückrunde. In der es am allerwenigsten nutzen wird, nach jedem verlorenen Spiel "Trainer raus" zu rufen. Schon allein deswegen nicht, weil der Coach nicht allein in der Verantwortung steht. Es ist das Triangel Hengen-Hajri-Grammozis, das sich jetzt bewähren muss.
Sicher, Thomas Hengen hat bislang mit seinen Entscheidungen meistens gut gelegen. Das macht Hoffnung, ist aber auch keine Garantie für eine wünschenswerte Zukunft.
Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer