Interview des Monats: Ex-FCK-Spieler und -Funktionär Fritz Fuchs, Teil 1/2

"... und dann ging die Post ab"

"... und dann ging die Post ab"

Foto: Imago Images

50 Jahre 7:4 - da weiß jeder beim 1. FC Kaiserslautern sofort, wovon die Rede ist. Fritz Fuchs war am 20. Oktober 1973 als Linksverteidiger dabei und verrät im DBB-Interview, warum der Triumph gegen Bayern München nur durch Ungehorsam möglich wurde.

Der Betze brennt: Fritz Fuchs, Sie feiern am 18. Oktober ihren 80. Geburtstag. Wie werden Sie denn den 20. Oktober begehen, den 50. Jahrestag des wohl legendärsten Bundesliga-Spiels aller Zeiten?

Fritz Fuchs (79): (überlegt) Ich weiß nur, dass ich am 19. Oktober bei einer Veranstaltung im Saarland bin, bei einer mit dem CDU-Politiker Wolfgang Bosbach. Am 20. habe ich bestimmt auch schon was vor, was, fällt mir im Moment gerade nicht ein.

Der Betze brennt: Kein Treffen mit Mitspielern von damals?

Fuchs: Wir sehen uns leider kaum noch. Mit Herbert Laumen habe ich mir unlängst die Partie Gladbach gegen Leipzig angesehen, der lebt ja in Mönchengladbach. Lothar Huber wohnt in Dortmund, Roland Sandberg in Schweden, Seppl Pirrung ist leider viel zu früh verstorben. Den anderen geht’s derzeit gesundheitlich nicht so gut oder sie lassen nichts mehr von nichts hören. Nur bei Jupp Elting weiß ich gar nicht, was aus ihm geworden ist.

"Unser Spielsystem war noch offensiver, als es sich anhört"

Der Betze brennt: Die Namen haben Sie offensichtlich aber noch alle parat. Dann wissen Sie sicher auch nach 50 Jahren noch exakt, wie die Mannschaft damals stand.

Fritz Fuchs: Natürlich. Jupp Elting im Tor, Dittes Schwager Libero, Ernst Diehl Vorstopper, Lothar Huber und ich Außenverteidiger. Im Mittelfeld Hermann Bitz und Herbert Laumen, im Sturm Seppl Pirrung, Klaus Toppmöller, Roland Sandberg und Klaus Ackermann.

Der Betze brennt: Im 4-2-4 gegen den damals zweifachen Deutschen Meister FC Bayern, das klingt ganz schön offensiv.

Fuchs: Das war sogar noch offensiver, als es sich anhört. Denn Huber und ich waren Offensivverteidiger, und auch die Mittelfeldspieler Bitz und Laumen waren eher nach vorne orientiert. Nach hinten funktionieren konnte das nur, wenn auch die Stürmer defensiv mitgearbeitet haben.

"Ich sagte zu Ribbeck: Trainer, Sie berauben mich meiner Stärke"

Der Betze brennt: Habt Ihr damals immer so offensiv gespielt?

Fuchs: Wir waren von unseren früheren Trainern Gyula Lorant und Dietrich Weise so ausgerichtet worden. Im Sommer 1973 aber hatte Erich Ribbeck das Zepter übernommen. Der wollte, dass wir abwartender spielten und auf Konter lauerten. Das lag uns gar nicht. Zu mir hat er gesagt: "Herr Fuchs, für Sie ist ab sofort an der Mittellinie Schluss." Ich war entsetzt. "Trainer", hab ich gesagt, "Sie berauben mich meiner Stärke. Ich bin es gewohnt, dass die Rechtsaußen hinter mir herlaufen."

Der Betze brennt:Das klingt, als wärt Ihr damals gar nicht so glücklich gewesen mit Eurem neuen Trainer ...

Fuchs: Am Anfang war es schon schwierig mit ihm. Aber wir haben zu ihm gestanden. Nach den ersten vier Spielen der Saison hatten wir erst einen Punkt auf dem Konto. FCK-Präsident Willi Müller wollte Ribbeck eigentlich schon entlassen. Aber Dittes Schwager, Ernst Diehl und ich sind daraufhin zu ihm gegangen und haben ihn gebeten, Ribbeck im Amt zu lassen und ihm versprochen, mit dem Trainer zu reden. Das haben wir dann auch getan, und in den Spielen danach haben wir so gespielt, wie wir es uns vorstellten. Und drei Mal hintereinander gewonnen. Erich Ribbeck blieb anschließend fünf Jahre FCK-Trainer, so lange, wie keiner vor ihm und keiner mehr danach. Vor ein paar Jahren hab ich ihn auf Teneriffa wiedergetroffen und ihm erzählt, dass wir ihm damals den Allerwertesten gerettet hätten. Das hat er mir nicht geglaubt. Sowas gibt’s ja heute auch kaum noch, dass Spieler sich so für ihren Trainer einsetzen.

Der Betze brennt: Als es dann am 12. Spieltag gegen die Bayern ging, wart ihr Tabellen-7., Bayern stand auf Platz 3. Und mit Eurem Offensivkonzept war es zunächst gar nicht so weit her.

"Jetzt reicht’s. Alles oder nichts. Egal, was der Trainer sagt."

Fuchs: Weil wir in der ersten Hälfte wieder so spielten, wie der Trainer es von uns verlangte. Zurückhaltend, auf Konter lauernd. Da haben die Bayern uns vorgeführt. Zur Halbzeit stand es 1:3. Und in der Kabine bestand Ribbeck weiter darauf, dass wir vorsichtig blieben. Damit wir die Bude nicht noch voller kriegten. Nach dem Wiederanpfiff fiel dann das 1:4. Da haben wir uns gegenseitig angeschaut und gesagt: "Jetzt reicht’s. Alles oder nichts. Egal, was der Trainer sagt." Und dann ging die Post ab.

Der Betze brennt: Wer war Euer Leitwolf, der, der Euch in dieser fast schon aussichtslosen Situation nach vorne gepeitscht hat?

Fuchs: In dem Spiel, würde ich sagen, war es tatsächlich so, wie es immer mal gesagt und geschrieben wird: Es ging ein Ruck durch die Mannschaft. Alle machten mit, von einem Moment auf den anderen. Sicher, da war hinten der Dittes Schwager, der hat immer lautstark Kommandos gegeben. Und vorher hatten wir mit Otto Rehhagel und Atze Friedrich Typen, die auch führen konnten. Aber die waren in dieser Partie nicht mehr dabei.

"Natürlich haben wir Pfälzisch gesprochen"

Der Betze brennt: Habt Ihr auf dem Platz eigentlich Pfälzisch miteinander gesprochen?

Fuchs: Ja, klar. Wir waren ja fast alle Pfälzer. Das hatte natürlich auch den Vorteil, dass unsere Gegner nicht verstanden haben, was wir redeten. Manche dachten wahrscheinlich, wir wären Ausländer (lacht).

Der Betze brennt: Gegen wen haben Sie damals gespielt?

Fuchs: Gegen Uli Hoeneß.

Der Betze brennt: In Biografien älterer Fußballer ist öfter mal zu lesen, dass es auf der verbalen Schiene früher noch schlimmer abging als heute, was das Beleidigen und Provozieren von Gegenspielern angeht ...

Fuchs: Und ob. Unser Schlimmster war einer, der später ein berühmter Trainer werden sollte. Der hat schon beim Einlaufen seinem Gegenspieler angekündigt, dass er ihm gleich die Knochen kaputttreten wird. Und zu Jürgen Grabowski hat er mal gesagt: "Du hässlicher Vogel, du musst doch Porsche fahren, damit dich überhaupt eine Frau anguckt." Das hab ich nie vergessen.

Der Betze brennt: Wie war das zwischen Ihnen und Uli Hoeneß?

Fuchs: Ach, der Uli war immer in Ordnung. Der hat nur gesagt: "Fritz, bitte, pass auf, ich hab am Mittwoch ein Länderspiel." Da hab ich geantwortet: "Dann spiel halt rechtzeitig ab." Wir haben heute noch ein gutes Verhältnis. Uli wollte mich später auch mal als Co-Trainer zu den Bayern holen, als Gyula Lorant dort Trainer war. Dessen Co-Trainer Pal Csernai schoss permanent hintenrum gegen seinen Chef, das wollte Uli ändern. Mein damaliger Verein, der VfR Bürstadt, gab mich aber nicht frei. Lorant wurde bald darauf gefeuert und Csernai hatte sein Ziel erreicht: Er wurde Bayern-Trainer.

"Fritz Walter und Gyula Lorant waren mein großes Glück"

Der Betze brennt: Zurück zum 7:4. Sie spielten linker Verteidiger, waren aber Rechtsfuß ...

Fuchs: Ich war kein gelernter Verteidiger. Fritz Walter, der mein Trainer beim SV Alsenborn war, hat mich dazu gemacht. Davor hatte ich immer im Sturm gespielt. Vor einem Spiel gegen den 1. FC Saarbrücken aber fiel unser etatmäßiger Linksverteidiger Werner Mangold aus. Beim FCS spielte Walter Gawletta Rechtsaußen, ein Topmann. Da hat der Fritz zu mir gesagt: "Friedrich, den müssen Sie jetzt übernehmen." Das hab ich gemacht, es hat gut geklappt, wir gewannen 3:1. Von da an war ich immer linker Verteidiger. Später hat mich Gyula Lorant zum FCK zurückgeholt, meinen Heimatverein, der mich nach der U19 aussortiert hatte. Das war das große Glück meiner Karriere, dass ich diese beiden Trainer gleich am Anfang hatte: Fritz Walter und Gyula Lorant. Die haben mich geprägt. Als Fußballer und Mensch. Respekt, Anstand, Mentalität, das habe von diesen beiden gelernt.

Der Betze brennt: Lorant galt auch als Taktikfuchs. Bei Eintracht Frankfurt hat er mal eine taktische Formation erfunden, die als "U-System" bekannt wurde.

Fuchs: Taktisch war Gyula Lorant seiner Zeit schon weit voraus, als er noch bei uns war. Ende der 1990er habe ich zu Ralf Rangnick mal gesagt: "Du glaubst, du hättest die Raumdeckung nach Deutschland gebracht? Die haben wir in Kaiserslautern unter Lorant schon 1969 gespielt!"

"Über Angebote von anderen Klubs haben wir nie gesprochen"

Der Betze brennt: Zurück zum Spiel. Vor dem 2:4 durch Klaus Toppmöller sieht man deutlich, wie Lothar Huber seinen Gegenspieler wegstößt, bevor er frei zum Flanken kommt. Wenn man das heute sieht, hält man es eigentlich für unmöglich, dass da nicht abgepfiffen wurde. Haben die Schiedsrichter damals mehr laufen lassen?

Fuchs: Ja, natürlich. Damals sind auch Grätschen von hinten noch nicht zwingend abgepfiffen worden. Vor dem 5:4 durch Ernst Diehl habe ich übrigens Franz Beckenbauer gesperrt, um dem Ernst die Bahn frei zu machen. Hat der Schiedsrichter auch nicht gesehen. Aber: Wir haben fair gewonnen.

Der Betze brennt: Von Seppl Pirrung heißt es, er habe damals das Spiel seines Lebens gemacht. Er hat das 1:3, das 3:4, und das 4:4 erzielt. Es heißt, er habe später Angebote von den Bayern und einigen anderen Vereinen bekommen, aber alle abgelehnt. Hat er mit Euch da mal drüber geredet?

Fuchs: Nein. Wir wussten aber, dass er diese Angebote hatte. Fast jeder von uns hatte Angebote von anderen Vereinen, auch ich. Aber ich habe alle abgelehnt, wie fast alle anderen auch. Miteinander gesprochen haben wir darüber aber nie.

"Die Osttribüne leerte sich, war am Schluss aber wieder proppenvoll"

Der Betze brennt: Kürzlich in Osnabrück hatte Jean Zimmer vor dem Pausenpfiff die Gelegenheit, auf 2:2 zu stellen. Aus einem extrem spitzen Winkel allerdings. Ungefähr aus der Position hat Pirrung damals das 4:4 gemacht. Haben Sie da auch sofort an diese Szene gedacht, als sie das sahen?

Fuchs: Möglicherweise, ja. Ich hab öfter solche Flashbacks, aber eher zu Szenen, zu denen ich als linker Verteidiger gefordert gewesen wäre. Da überlege ich dann: Wie hast du das damals gelöst?

Der Betze brennt: Es heißt, die Osttribüne hätte sich nach dem 1:4 erst einmal geleert. Als Eure Aufholjagd begann, hätte sie sich aber schnell wieder gefüllt …

Fuchs: Ja, das war tatsächlich so. Wir haben ja auf die Osttribüne gespielt, da haben wir das mitbekommen. Zum Schlusspfiff war das Stadion wieder proppenvoll. Und der Jubel unbeschreiblich. Nur unser Trainer hat auf seiner Bank gesessen und geweint. Vor Freude. Da sind wir zu ihm hingegangen und haben ihn in den Arm genommen. Was war der so stolz. Ich glaube, dass wir nur gewannen, weil wir nicht mehr auf ihn gehört hatten, ist ihm nie so richtig bewusst worden.

"Roland, mach’s Fenschter uff"

Der Betze brennt: Und danach? Seid Ihr noch durch die Stadt gezogen?

Fuchs: Ja, klar. Der harte Kern ist nach dem Spiel immer noch einen trinken gegangen. Die, die von ihren Frauen direkt an der Umkleidekabine abgegriffen wurden, hatten halt Pech. Ich selbst hab immer zum harten Kern gehört (schmunzelt). Unser Hauptausgehtag war aber der Montag. Da ging es zuerst in die Weinstube Groß und anschließend ins Big Ben. So bis zwölf, halb eins. Am Dienstagmorgen hat der Coach im Training dann langsam machen müssen. Den Rest der Woche aber waren wir dann immer mit voller Konzentration bei der Sache.

Der Betze brennt: So etwas wie Neid und Eifersucht gab’s bei Euch nicht?

Fuchs: Als 1973 der Roland Sandberg aus Schweden zu uns kam, sprach sich schon herum, dass der viel mehr verdient als wir anderen. Und als der Trainer dann fragte, wer sich mit dem Roland ein Zimmer teilen will, hat einer sogar gesagt: "So viel, wie der verdient, kann der doch allein schlafen." Da hab ich gesagt: "Spinnst du? Wir können doch froh sein, dass so ein Spieler zu uns kommt." Und habe den Roland unter meine Fittiche genommen. Der konnte zu der Zeit ja noch nicht einmal Deutsch.

Der Betze brennt: Und was haben Sie ihm als erstes beigebracht? "Spiel ab"?

Fuchs: Nein. "Roland, mach’s Fenschter uff." Ich kann nämlich nur bei offenem Fenster schlafen.

"Gegen Bayern haben wir immer gut ausgesehen"

Der Betze brennt: In einer knappen halben Stunde aus einem 1:4 ein 7:4 gemacht zu haben, das ist ein bis heute einzigartiger Erfolg. Aber war es für Euch damals auch was Besonderes, die Bayern zu schlagen?

Fuchs: Ach, das war gar nicht mal so ungewöhnlich, gegen die Bayern haben wir immer gut ausgesehen. Ein Jahr zuvor hatten wir sie auf dem Betze 3:1 geschlagen, und zwei Jahre zuvor 2:1. Da habe ich übrigens das Siegtor gemacht, in der 85. Minute. Nur eine Minute zuvor hatte Idriz Hosic den Führungstreffer von Uli Hoeneß ausgeglichen. Und ein Jahr später haben wir in München 5:2 gewonnen. Da hat Klaus Toppmöller drei Tore gemacht. Und war damit der erste Spieler überhaupt, der im Olympiastadion gegen die Bayern drei Tore erzielte.

Der Betze brennt: Klaus Toppmöller hat uns mal erzählt, er war gegen die Bayern immer auch deswegen so motiviert, weil er sicher sein konnte, dass von diesem Spiel eine Zusammenfassung in der "Sportschau" gezeigt würde, die auch auf dem Fernseher in der Gaststätte seiner Eltern in Rivenich lief, vor dem sich sein Heimatdorf dann komplett versammelte. Damals wurden ja immer nur drei Spiele in der ARD gezeigt. Hat Sie das auch motiviert, wenn Sie wussten, Ihr Spiel läuft nachher im Fernsehen?

Fuchs: Nein, gar nicht. An so etwas hab ich nicht gedacht. Überhaupt befand ich mich an Spieltagen immer schon morgens in einem Tunnel und war kaum ansprechbar.

Morgen Mittag auf Der Betze brennt: Im zweiten Teil unseres Interviews erzählt Fritz Fuchs, wie er beinahe mal FCK-Trainer und wie er der Berater des deutschen Nationalspielers Antonio Rüdiger wurde - und warum seine Engagements als FCK-Funktionär immer vorzeitig endeten.

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer, Thomas Hilmes

Weitere Links zum Thema:

- Teil 2 des Interviews: "Demut ist das eine, Selbstbewusstsein das andere" (Der Betze brennt)

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