Interview mit Sportwissenschaftler Prof. Dr. Arne Güllich

"Nur einer von Tausend wird Profi"

"Nur einer von Tausend wird Profi"


In Kaiserslautern wird Fußball nicht nur gespielt, sondern auch erforscht. Prof. Dr. Arne Güllich von der RPTU legt nun eine Studie zur Talentförderung vor, die erschüttert. DBB-Autor Eric Scherer hat ihn interviewt.

Der Betze brennt: Professor Arne Güllich, Sie haben über fast ein Jahrzehnt hinweg die Talententwicklung in den rund 50 deutschen Nachwuchsleistungszentren (NLZ) sowie 30 internationalen "Youth Soccer Academies" untersucht. Die Studie, die Sie nun vorgelegt haben, stellt diesen ein vernichtendes Zeugnis aus ...

Prof. Dr. Arne Güllich (58): An der Stelle muss ich gleich mal einhaken. An den NLZs arbeiten ohne Frage viele qualifizierte, engagierte, zum Teil hervorragende Trainer. Wenn ich allein den Sportpark Rote Teufel bei uns vor Ort am Fröhnerhof in Kaiserslautern betrachte: Ein großer Teil der Trainer, die in den vergangenen Jahren dort tätig waren und noch sind, sind Sport-Studierende und Absolventen der TU Kaiserslautern. Mit dem NLZ des FCK haben wir in der Vergangenheit auch so manche Projekte verwirklicht, die für beide Seiten von großem Nutzen waren. Wenn das NLZ-System nicht so funktioniert, wie es gedacht ist, liegt das nicht am einzelnen Trainer im NLZ.

Der Betze brennt: Ihre Studie belegt, dass von 1.000 jungen Spielern in einem NLZ am Ende ein einziger ein erfolgreicher Profi wird. Wer außer den Trainern soll an dieser traurigen Bilanz denn schuld sein?

Güllich: Es ist das System an sich. Ein typisches Beispiel für das Muster: Alle machen mit und keiner ist schuld. Schon die grundlegende Idee, die einem NLZ zugrunde liegt, ist ein Irrtum. Man glaubt, bereits bei 8- bis 12-Jährigen erkennen zu können, wer das Potenzial zum Spitzenfußballer hat. Man hält diejenigen, die in jungen Jahren schon am weitesten entwickelt sind, für die größten Talente. Durch die Förderung soll die Leistungsentwicklung des erkannten Talents weiter beschleunigt werden. Die Förderung wird langfristig und durchgängig fortgeführt, bis im Erwachsenenalter der erfolgreiche Profi herauskommt. Unsere Forschung zeigt: Diese Vorstellung geht an der Realität vorbei. Man kann Talente in jungen Jahren nicht verlässlich erkennen, eine langfristige durchgängige Entwicklung ist die Ausnahme, und die frühe Förderung und forcierte Beschleunigung führt zu einem geringerem Erfolg im Erwachsenenalter.

"Menschliche Entwicklungen lassen sich nur schwer steuern"

Der Betze brennt: Aber es gibt doch Indikatoren, auf die gut ausgebildete Talentscouts achten und die sie kompetent beurteilen können.

Güllich: Natürlich. Sie betrachten sich Körperbau, körperliche Fähigkeiten wie Schnelligkeit, Kraft und Ausdauer. Fertigkeiten der Ballkontrolle wie Passen, Annehmen, Dribbeln und Schießen. Spiel- und taktisches Verständnis, psychologische Merkmale wie Motivation, Selbstkonzept und Resilienz. Die Frage ist erstens, ob ein herausragender 10- bis 14-Jähriger auch noch im Erwachsenenalter in diesen Punkten herausragen wird, und zweitens, ob diese Merkmale im Kindesalter die Leistung im Profi-Alter vorhersagen. Die nachweisbare Vorhersagekraft von solchen Beurteilungen in dieser Altersgruppe, das haben wir und andere errechnet, liegt zwischen null und 3,5 Prozent. Wenn die genannten Merkmale klug kombiniert werden, bei etwa sieben Prozent. Bedenken wir bei alledem nun noch die Erfolgsquote von etwa einem Promille, dann liegt die Trefferquote der Talentauswahl bei 0,2 bis 0,7 Prozent.

Der Betze brennt: Und warum ist das so?

Güllich: Weil es Menschen sind, deren Entwicklungen eben unglaublich komplex sind und sich nur schwer steuern und erst recht schwer vorhersagen lassen. Gerade ab einem so frühen Alter. Die Forschungen haben übrigens auch gezeigt, dass eine frühe Förderung langfristig zu geringerem Erfolg führt. In verschiedenen Ländern - darunter Deutschland, Großbritannien, Spanien, Niederlande - wurden erwachsene Spieler dahingehend untersucht, in welchem Alter sie in ein NLZ oder eine Youth Soccer Academy sowie in U-Auswahlmannschaften einstiegen. Das Ergebnis ist bemerkenswert: Eine frühe Förderung führt zu frühen Erfolgen im Jugendalter, aber zu geringerem langfristigem Erfolg im Erwachsenenalter. Spieler, die im Alter zwischen 12 bis 15 Jahren in ihren Teams überragten, fanden sich im Erwachsenenalter in der Regel in der dritten bis fünften Liga wieder. Umgekehrt ist es bei Spielern, die als Weltklasse galten - von denen hat weniger als jeder Zehnte einmal in einer U15-Nationalmannschaft gespielt. Ähnlich sieht es bei den NLZs aus: Wer in einem späteren Alter in ein NLZ wechselt, hat eine viel größere Chance, als Erwachsener in einem Profikader zu stehen. Die liegt dann bei ungefähr zehn Prozent.

"Eine zweite Sportart fördert auch die fußballerische Entwicklung"

Der Betze brennt: Ihre Studie belegt auch, dass sich die Karrierechancen eines Spielers erhöhen, wenn er im Juniorenalter noch eine zweite Sportart ausgeübt hat. In der Tat fallen uns spontan einige FCK-Ikonen ein, auf die dies zutrifft. Lauterns Weltmeister Werner Kohlmeyer war in jungen Jahren Leichtathlet, ebenso der Vize-Weltmeister und Europameister Hans-Peter Briegel. Die schwedische Torwartlegende Ronnie Hellström hat in seiner Jugend Eishockey gespielt ...

Güllich: Und wir haben nun wissenschaftlich nachgewiesen, dass dies keine zufälligen biographischen Übereinstimmungen sind. Übrigens ist das bis heute die einzige derartige Studie weltweit. Das war nur möglich, weil ein Bundesliga-Spieler bei uns seine Staatsexamensarbeit geschrieben hat. Er hatte eben die Möglichkeit, viele seiner Berufskollegen zu befragen. Dabei hat er die Spieler, die es in die Nationalmannschaft geschafft haben, mit durchschnittlichen Bundesligaspielern verglichen und in ihren Biografien zwei Merkmale identifiziert, die den Unterschied machten. Erstens: Die Nationalspieler haben als Junioren eher weniger Fußball trainiert als die anderen. Und zweitens: Sie haben neben Fußball noch eine oder zwei weitere Sportarten ausgeübt. Im Durchschnitt acht Jahre lang und mit Teilnahmen am Wettkampfsport in diesen Sportarten. Welche Sportart, schien übrigens keine Rolle zu spielen. Tennis kam recht häufig vor, aber auch Leichtathletik, Handball, Basketball und Tischtennis.

Der Betze brennt: Und warum macht diese zweite Sportart diese Spieler am Ende zu besseren Fußballern?

Güllich: Da sehen wir drei Erklärungen. Erstens, es ist gut gesichert, dass Spieler, die verschiedene Sportarten betrieben haben, später weniger Überlastungsschäden in den Gelenken haben. Zweitens ist es logisch zwingend, dass jemand, der in verschiedenen Sportarten eigene authentische Erfahrungen macht, also mit spezialisierten Trainern langjährig leistungsbezogen trainiert hat, besser die Sportart bestimmen kann, die am besten zu ihm passt. Und die dritte Erklärung: Die Erfahrungen in den verschiedenen Sportarten machen ihn später zu einem besseren Lerner im Fußball. Der Spieler lernt, verschiedene Lernaufgaben in verschiedenen Situationen mit verschiedenen Lernmethoden zu bewältigen. Wir nennen das ein größeres Lernkapital. Das hilft ihm für das langfristige Lernen im Fußball.

"Deutsche Nationalspieler kennen nur einen Plan A"

Der Betze brennt: Sehen Sie das schlechte Abschneiden der deutschen Nationalmannschaft zuletzt auch als Folge dieses dysfunktionalen Ausbildungssystems?

Güllich: Natürlich ist es einer der Faktoren. Wenn viele Potenziale verloren gehen und die frühe NLZ-Förderung langfristige Erfolge verringert, muss das zwangsläufig zu weniger Spitzenspielern führen. Und vermutlich kommt noch etwas hinzu. Was ich jetzt sage, ist noch nicht wissenschaftlich untersucht, aber wir interessierte Laien konnten das Folgende, glaube ich, alle beobachten: Die deutschen Mannschaften hatten bei den vergangenen Turnieren nur einen Plan A, nur ein Konzept. Die Gegner konnten sich leicht darauf einstellen, und unsere Mannschaften konnten nicht auf einen Plan B oder C umstellen. Der DFB war einerseits sehr erfolgreich darin, seine Spielphilosophie und sein Ausbildungskonzept durchzusetzen. Aber so wurden andererseits eben alle Spieler nach ein und demselben Konzept ausgebildet. Und ich würde einen weiteren Punkt ansprechen: Wir wünschen uns reife, erwachsene, verantwortungsbewusste Spieler. Um im Jugendalter Verantwortung zu lernen, muss ich Möglichkeiten haben, selbst Entscheidungen über die Verwendung frei verfügbarer Zeit zu treffen und so Verantwortung einzuüben. Wir lassen den Nachwuchs aber in einer Art Ghetto aufwachsen, wo jeder Tag komplett durchgetaktet ist, vom Aufstehen bis zum Einschlafen. Der Spieler lebt nur unter seinesgleichen, der Freundeskreis beschränkt sich auf die Fußballwelt, wo die Freunde gleichzeitig die Konkurrenten um den Platz im NLZ sind. Die Möglichkeiten zur Persönlichkeitsentwicklung sind dadurch stark eingeschränkt. In anderen Ländern habe ich viele Youth Soccer Academies gesehen, wo die Spieler viel mehr Freiräume haben und bewusst ihre Mitbestimmung gefördert und auch verlangt wird. Die haben ihrer Mannschaft bei einer Besprechung unter der Woche den kommenden Gegner vorgestellt und sie dann aufgefordert, nun selbst zu bestimmen, wie sie das Spiel angehen wollen. Die jugendlichen Spieler können und sollen die Spieltaktik, die Aufstellung und übrigens auch das Training mitbestimmen. Außerdem natürlich ihre Freizeit.

Der Betze brennt: Es lässt sich doch aber nicht leugnen, dass die deutschen NLZs Spieler hervorbringen, die zumindest Bundesliga-Niveau haben. Und das ist ja jetzt auch nicht soo schlecht ...

Güllich: Genau. Rückwärts betrachtet sind die meisten Bundesligaprofis in einem NLZ gewesen. Umgekehrt, sozusagen vorwärts betrachtet, bringen die NLZs aus den tausenden jungen Spielern später einige wenige Bundesligaprofis und viele Dritt- bis Fünftliga-Spieler hervor. Dabei ist die gesamte Funktionsweise nicht so, wie sie ursprünglich gedacht war. Es sind keine Fördersysteme, in denen Talente früh erkannt und dann langjährig bis in die Spitze durchgängig gefördert werden. Sondern es ist vor allem ein System des Ein- und Aussortierens. Nach jeder Spielzeit werden im Durchschnitt 29 Prozent eines Juniorenkaders ausgetauscht, und das recht gleichmäßig von der U11 bis zur U19. Das heißt, schon nach drei Jahren ist nur noch ein Drittel des Kaders identisch. Deswegen kommt am Ende ja nur einer von 1.000 in der Bundesliga an. Viele Spieler werden erprobt und die Anzahl der ausprobierten Spieler wird durch das umfangreiche Austauschen systematisch ausgeweitet. Einige wenige bewähren sich und dürfen vorerst bleiben. Die meisten werden aber nach kurzer Zeit wieder aussortiert und durch andere ersetzt, die nun wiederum erprobt werden. Die Spieler, die es am Ende schaffen, kristallisieren sich also im Zuge der Erprobungsprozesse im Laufe der Altersklassen heraus. Wir können hier also kaum von einem Fördersystem sprechen, sondern eher von einem System der rollierenden Selektion und Deselektion, des fortwährenden Ein- und Aussortierens.

"55 Prozent der Aussortierten leiden unter Stress und Depressionen"

Der Betze brennt: Haben Sie sich auch mal mit den jungen Spielern befasst, die in diesem System auf der Strecke bleiben?

Güllich: Haben wir. Diese Ergebnisse sind vielleicht sogar die erschreckendsten von allen. Es wurden zahlreiche Spieler interviewt, die aus den NLZ oder einer Youth Academy aussortiert worden sind. 55 Prozent leiden unter klinisch relevanten Stress- und Depressionssymptomen. Und damit sind längst nicht alle negativen Folgen für die jungen Menschen erfasst. Viele haben früh ihr Elternhaus verlassen, ihre Sportkameraden im Heimatverein, ihre Freunde - und die, die sie dann im NLZ gefunden haben, waren gleichzeitig ihre Konkurrenten um den Platz im NLZ. Sie haben Vereinsfunktionäre erlebt, deren Reden und Handeln auseinanderfällt, die ihnen immer wieder erzählten, sie wollten mehr Spieler aus der eigenen Jugend im Profikader und die dann doch immer mehr neue Spieler von auswärts holten. Im Dauerstress zwischen Schule und Training haben sie nicht die Abschlüsse erreicht, die sie hätten erreichen können. So ist aus manchem, der Gehirnchirurg hätte werden können, nur ein Pizzalieferant geworden. Weil ihm mit 16 eingeredet wurde, zum Toreschießen brauchst du kein Abi.

Der Betze brennt: Und das läuft wirklich in allen NLZs so ab?

Güllich: Nicht in allen, aber in vielen. Es gibt Ausnahmen. Ich habe mittlerweile sechs NLZs beraten. Zwei davon darf ich namentlich nennen: Mainz 05 und den SC Freiburg. Da gilt als oberste Regel: Schule hat Vorrang. Sobald da die Leistungen absacken, gibt es Trainingsverbot, bis die Schulleistungen wieder stimmen. Resultat: 70 Prozent der NLZ-Besucher in Mainz und Freiburg machen Abitur. Zweitens: Die Vereine fördern aktiv, wenn die Spieler eine zweite Sportart betreiben, in einem Fall bis 14, im anderen bis 16 Jahre. Drittens: Kein Junior wird von weiter weg geholt. Bis 14 Jahre haben sich die Vereine per Selbstverpflichtung einen 50-Kilometer-Radius auferlegt, bis 16 Jahre 80 Kilometer. Ein Internat ist erst ab 15 Jahren vorgesehen. Darüber hinaus existieren Kooperationen mit 20 bis 30 regionalen Vereinen, wo Spieler durchaus beobachtet werden. Man nimmt Kontakt mit dem Trainer, den Eltern und dem Spieler auf, aber er wird im Heimatverein belassen und aus der Ferne unterstützt, aber erst ins NLZ geholt, wenn die Zeit dafür als reif angesehen wird. Dass dieser Weg sportlich erfolgreich sein kann, hat sich gezeigt. Beide Vereine haben etliche Profis der Ersten und Zweiten Liga entwickelt. Die A-Junioren von Mainz 05 sind gerade Deutscher Meister geworden.

"DFL und DFB leiden unter struktureller Trägheit"

Der Betze brennt: Ihre Studie bietet nun beste Argumente für eine radikale Reform. Ist eine solche denn denkbar? Wie ist denn die Resonanz bislang?

Güllich: Seit der Veröffentlichung erhalten wir Anfragen aus aller Welt, darunter die USA, Großbritannien, Frankreich, Australien, Japan, China und einige mehr. Wir werden eingeladen, vor Ort Vorträge zu halten. Hinzu kommt eine Vielzahl von Telefon- oder Zoom-Interviews.

Der Betze brennt: Und was regt sich in Deutschland?

Güllich: Der DFB hatte uns eingeladen, einmal einen Vortrag vor den Leitern der NLZs zu halten. Und einen vor den Koordinatoren der DFB-Stützpunkte. Die wurden zunächst recht geräuschlos zur Kenntnis genommen. Hinterher aber kamen einige NLZ-Leiter auf uns zu und haben uns gebeten, doch einmal bei Ihnen vorbeizuschauen.

Der Betze brennt: Das klingt nicht, als strebe der DFB auf der Basis Ihrer Erkenntnisse in absehbarer Zeit eine Reform seines Ausbildungssystems an.

Güllich: Ich glaube, die Musik macht hier eher die DFL mit ihren Vereinen und NLZs als der DFB. Aber für solche Dachorganisationen ist es generell ungeheuer schwierig, strategische Irrtümer einzuräumen und sich von innen heraus wirklich zu reformieren. Soziologen sprechen von "struktureller Trägheit". Diese ist besonders stark bei Organisationen, die symbolische Güter herstellen - in unserem Fall, dass sie sportlichen Erfolg "produzieren" sollen -, die unter öffentlicher Beobachtung stehen und die von der Politik abhängig sind. Auf den DFB und DFL trifft alles zu. Veränderungen wären noch am ehesten denkbar, wenn es zu einschneidenden Budgetkürzungen käme oder zu einem sogenannten exogenen Schock, der alles in Frage stellt, etwa seitens der öffentlichen Meinung.

"Reformen müssten die Trainer anstoßen - und die Eltern"

Der Betze brennt: Zweimal hintereinander bei einer WM in der Gruppenphase ausgeschieden, bei der EM dazwischen im Achtelfinale die Segel gestrichen, und zuletzt hat auch die U21-Nationalmannschaft versagt. Sollte das keinen exogenen Schock bewirken, der alles in Frage stellt?

Güllich: Das hätte ich auch gedacht. Anscheinend ist aber entweder der Leidensdruck immer noch nicht groß genug. Oder aber, es geht dem DFB und den DFL-Vereinen mit oder ohne Erfolge der Nationalmannschaft gut genug.

Der Betze brennt: Dann haben Sie gar keine Hoffnung, dass Ihre Arbeit irgendwas ändern könnte?

Güllich: Nun, unsere Aufgabe liegt darin, gesichertes Wissen zu vermehren. Ob Praktiker und Praxisorganisationen das Wissen aufnehmen oder nicht, dafür können sie viele Gründe haben. Wie gesagt, international nehmen viele Sportorganisationen die aktuelle Forschung auf und auch national etliche NLZ-Trainer. Wir haben, wie ich eingangs schon sagte, gute, engagierte Trainer in den NLZs. Und die sind auch nicht glücklich damit, wie es zurzeit läuft. Sie möchten ein freundschaftliches, von emotionaler Wärme getragenes pädagogisches Verhältnis zu ihren jungen Spielern aufbauen, müssen aber immer im Hinterkopf haben, dass sie zu Saisonende ein Drittel ihres Kaders aussortieren müssen. Gleichzeitig haben sie Funktionäre über sich, die von langfristiger Entwicklung der Spieler reden, die sie aber vor die Tür setzen werden, wenn sie nicht kurzfristig ihre Spiele gewinnen. Alle Trainer haben davon erzählt, wie sehr sie das belastet. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Masse der Trainer auf kurz oder lang Veränderungen einfordern wird. Und ich setze auch auf die Eltern, die eine nicht zu unterschätzende Einflussgröße darstellen. Denen muss man aber reinen Wein einschenken.

Der Betze brennt: Reiner Wein? Wie sieht der aus?

Güllich: Statt den Eltern einzureden, bei uns wird dein Sohn zum Profi gemacht, wäre es ehrlich, ihnen zu sagen: Euer 12-Jähriger, der in seinem Team gegenwärtig herausragt - wenn Ihr den zu uns ins NLZ schickt, wird er gut trainiert, sich als Persönlichkeit gut entwickeln, den für ihn besten Schulabschluss machen und hoffentlich auch einfach eine gute Zeit in diesem Lebensabschnitt haben. Aber die Chance, dass er es in die Bundesliga schafft, ist 1 : 1000. Und dann setze ich auch auf die Medien, dass sie die aktuelle Forschung - unsere und die einiger anderer Forschungsteams - publik machen und zu einer informierten öffentlichen Meinung beitragen. Deshalb gebe ich auch gerne dieses Interview. So etwas tue ich nämlich normalerweise gar nicht so gerne.

Der Betze brennt: Dafür haben wir Ihnen gerne zugehört. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Professor Güllich. Alles Gute für Sie und Ihre Studien - auf dass sie weiter auf Resonanz stoßen.

Zur Person:

Prof. Dr. Arne Güllich

Professor Dr. Arne Güllich arbeitet seit 2008 auf dem Fachgebiet Sportwissenschaft der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU; bis 2022: TU Kaiserslautern). Seit 2010 leitet der heute 58-Jährige das Institut für Angewandte Sportwissenschaft, seit 2011 doziert er an der RPTU als Professor für Sportwissenschaft. Davor übte er verschiedene Funktionen im Geschäftsbereich Leistungssport des Deutschen Olympischen Sportbundes aus und war unter anderem als Leichtathletik-Verbandstrainer aktiv. Studiert hat Arne Güllich am Institut für Sportwissenschaften der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt. In dessen Abteilung für Leistungsdiagnostik war er auch wissenschaftlicher Mitarbeiter.

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer

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