Darmstadt 98 gegen 1. FC Kaiserslautern, Lilien gegen Rote Teufel, Lieberknecht gegen Schuster. Das Top-Spiel der 2. Bundesliga bietet viele interessante Geschichten. Über einige haben wir mit Stephan Köhnlein vom Darmstädter "Lilienblog" gesprochen.
Der Betze brennt: Mit Dirk Schuster steht Euer Aufstiegstrainer aus der 3. Liga bis in die Bundesliga aktuell beim FCK unter Vertrag. Der heute 55-Jährige stand von 2012 bis 2016 und später nochmals von 2017 bis 2019 beim SVD an der Seitenlinie. Sind Spiele der Lilien gegen Dirk Schuster etwas besonderes? Und erkennst Du beim FCK ähnliche Dinge wie in seiner Darmstädter Zeit?
Stephan / Lilienblog: Es gibt einen Darmstädter Fußball-Podcast namens "Hoch und weit", angelehnt an Dirk Schuster. Man tut ihm aber ein wenig unrecht damit. Hoch und weit haben wir in der Bundesliga gespielt, als wir qualitativ unterlegen waren und destruktiv spielen mussten. Gerade in unserer Abstiegssaison aus der Bundesliga. In der Zweiten Liga wurde unter Schuster hingegen attraktiver Fußball gespielt und es wurden viele Tore geschossen. Leider kam Schuster bei seinem zweiten Engagement Ende 2018, Anfang 2019 zum Teil nicht mehr von destruktivem Fußball runter. Dies war auch einer der Gründe, warum er damals gehen musste. Er steht jetzt nicht für berauschenden Kombinationsfußball.
"Ich war skeptisch bei Lieberknecht, aber er hat mich Lügen gestraft"
Der Betze brennt: Auf der anderen Seite steht mit Trainer Torsten Lieberknecht ein echter Pfälzer mit FCK-DNA an Eurer Seitenlinie. Wie siehst Du die Entwicklung des SVD seit seinem Amtsantritt bei euch?
Stephan / Lilienblog: Torsten Lieberknecht identifiziert sich immer mit seinen Stationen, ob Braunschweig, Duisburg oder nun bei uns in Darmstadt. Lieberknecht kam für uns überraschend und niemand hatte ihn zunächst auf dem Schirm. Wir waren zugegebenermaßen auch skeptisch in Darmstadt, da das vorherige Kapitel Duisburg nicht positiv für Lieberknecht war. Zum Teil wird heute auch noch kritisch gesehen, dass er relativ häufig Benachteiligungen durch Schiedsrichter anspricht. Unter dem Strich gleicht es sich in der Saison aber immer aus. Ich kann mich an das Zitat "Kleiner Pissverein" aus seiner Braunschweiger Zeit erinnern. Aber das ist mir zum Teil auch lieber als jemand, der alles emotionslos hinnimmt. Lieberknecht hat mich mit meiner anfänglichen Skepsis jedenfalls Lügen gestraft.
Über den Gegner:
Der "Lilienblog" wurde im Herbst 2018 gegründet und wird von unserem Interview-Partner Stephan Köhnlein gemeinsam mit Arthur Schönbein betrieben. Unter dem Motto "unabhängig - fundiert - innovativ" berichtet das Online-Magazin über alles Wichtige rund um den SV Darmstadt 98.
» Lilienblog.deDer Betze brennt: In der vergangenen Saison habt Ihr die Chance zum Bundesliga-Aufstieg auf den letzten Metern mit Tabellenplatz 4 verspielt. Danach seid Ihr so richtig durchgestartet, habt an den ersten 22 Spieltagen nur einmal verloren, zudem für Überraschungen im DFB-Pokal gesorgt, wurdet Herbstmeister und seid weiterhin Tabellenführer. Der letzte Sieg ist nun aber schon fast einen Monat her, auswärts in Rostock. Danach folgten ein Remis gegen Hamburg und zwei Niederlagen gegen Heidenheim und Bielefeld. Nun kommt der Endspurt mit den letzten zehn Saisonspielen, wie lautet Deine aktuelle Bewertung: Kamen diese Dämpfer vielleicht sogar zur richtigen Zeit? Wie haben die Fans im Stadion darauf reagiert?
Stephan / Lilienblog: Ich tue mich immer schwer mit "Wenn wir gewinnen ist alles super und wenn wir verlieren ist alles scheiße". Klar, es gehört zum Fußball dazu und macht es auch so toll. Unsere Aufgabe von "Lilienblog" ist es, hier etwas zu differenzieren und sich nicht auf eine Seite zu schlagen. Wir haben zwei Spiele verloren und davor 21 Spiele nicht verloren. Die letzten beiden Auftritte gegen Bielefeld und Heidenheim waren nicht gut. Unser Kader ist klug zusammengestellt von Sportdirektor Carsten Wehlmann. Es ist keine Mannschaft, die man nominell auf Platz 1 erwarten würde. Aber es passt eben. Vielleicht haben wir das Spielglück der vorherigen 21 Spiele aufgebraucht. Lieberknecht sagte, dies sei eine Delle und keine Krise. So sehe ich es auch. Wir sollten cool bleiben. Gerade im Internet und Social Media hat man kein repräsentatives Bild: Wenn was gut ist, schweigt man eher. Wenn etwas scheiße ist, haut man auf die Kacke. Du hast möglicherweise den Eindruck, dass es mehr Leute schlecht finden, als es tatsächlich ist. In Darmstadt wird aber letztlich schon gesehen, dass die aktuelle Leistung etwas Besonderes ist.
Der Betze brennt: Sowohl in Darmstadt als auch beim FCK waren die verfügbaren Tickets innerhalb von zehn Minuten ausverkauft. Wir hätten alleine in Lautern wohl mehr als 10.000 Karten für das Spiel verkaufen können, aber auch bei Euch herrscht zurzeit eine große Euphorie, was beispielsweise auch die 5.000 mitgereisten Lilienfans beim Hinspiel zeigen. Ist das neu umgebaute Böllenfalltor mit 17.800 Plätzen für solche Top-Spiele zu klein, auch mit Hinblick auf einen möglichen Aufstieg in die Bundesliga?
Stephan / Lilienblog: Am jetzigen Standort geht nicht mehr. Es ist am Rand eines Wohngebiets und es gibt Beschränkungen. Das Stadion am Böllenfalltor ist schon seit zehn Jahren ein Thema, auch wurden bereits andere Standorte geprüft. Bei einem Benefizspiel im Rahmen unserer Insolvenz 2008 gegen Bayern München hatten wir 20.000 Zuschauer. Es war unerträglich und man konnte sich kaum noch bewegen. In der Bundesliga-Saison 1981 waren 30.000 bis 32.000 Zuschauer gegen die Bayern im Stadion. Wie da zusätzliche 12.000 Zuschauer mehr reingepasst haben? Unfassbar.
In der aktuellen Hinrunde war unser Heimbereich immer ausverkauft, aber teilweise erst am Spieltag. Das heißt, wären wir im Mittelfeld der Zweiten Liga, wäre das Stadion zu groß. Es ist zwar ein kleines Stadion, hat aber für unsere Verhältnisse eine gute Größe. Wenn wir mal fünf Jahre in der Bundesliga spielen, können wir wie Mainz 05 ja auf einer Wiese neubauen. Wobei Mainz auch nicht wirklich glücklich damit ist (lacht).
Unser Präsident Rüdiger Fritsch hat dies plausibel vorgerechnet: Ein guter Sponsor aus dem Premiumbereich bringt dem SVD finanziell mehr als 5.000 Stehplätze. Hier schätze ich unseren Verein sehr. Man lässt sich nicht von einer Begeisterung mitziehen, sondern man ist sehr bedacht. Unser Präsidium mit Rüdiger Fritsch ist seit zehn Jahren im Dienst und es wird seriös gehaushaltet. Nach der Insolvenz hatte Darmstadt 98 einen schlechten Ruf, dies hat sich geändert.
"Das Böllenfalltor hat für unsere Verhältnisse eine gute Größe"
Der Betze brennt: Vielen FCK-Fans sind noch die Bilder des Spielabbruchs aufgrund des medizinischen Notfalls bei unserem damaligen Cheftrainer Jeff Strasser im Januar 2018 in Erinnerung. Es gab aufmunternden Applaus und großes Verständnis seitens der Lilien-Fans. Dies sorgte bei den Lautrer Fans für Pluspunkte. Wie siehst Du Eure Fanszene über die letzten Jahre? Spürt man hier aufgrund des sportlichen Erfolgs eine Veränderung? Gerade Eintracht Frankfurt hat in Darmstadt ebenfalls eine große Fanszene.
Stephan / Lilienblog: Der eigentliche Lokalrivale ist Kickers Offenbach aufgrund der 1980er 1990er Jahre. 2012/13 sind die Lilien sportlich aus der 3. Liga abgestiegen, blieben aber aufgrund einer Insolvenz der Kickers dann doch drin. Danach folgte der Durchmarsch. Obwohl das letzte Pflichtspiel schon länger her ist, gibt es noch heute regelmäßig Sprechchöre gegen Offenbach. Gegen die Eintracht haben wir hingegen selten gespielt. Hier gab es weniger Berührungspunkte. Aber klar, seit unserer Bundesliga-Zeit und dem aktuellen Spiel im DFB-Pokal waren das auch Hassspiele. Wobei hier meiner Meinung nach ein großer Teil der Aggression von Frankfurter Fans ausging.
Die Lilien-Fans hatten viele Jahre in den 1980er, 1990er und 2000er Jahren keinen guten Ruf. Jetzt ist es relativ friedlich geworden. Wir haben eine aktive Ultraszene, die mit dem Verein im Austausch steht. Natürlich sind mit dem Bundesliga-Aufstieg viele Anhänger, auch Eventfans, dazugekommen. Durch die Stehplätze lebt die Stimmung und die Atmosphäre, aber finanziell lebt der Verein von Logen und Business-Seats. Als ich zum ersten Mal nach der Insolvenz im Stadion war, fand ich das so geil, weil es so wie in meinem Fußball-Sammelalbum von 1978 aussah. In dieser Zeit waren 2.000 Leute im Stadion. Mittlerweile haben wir einen Schnitt von 15.000, 16.000 Zuschauern. Jetzt kommen auch Zuschauer, weil es cool ist, Fan von Darmstadt 98 zu sein. Davon lebt der Verein ja auch. Im Großen und Ganzen haben wir eine vernünftige, engagierte und besonnene Fanszene.
Der Betze brennt: Am 08. März 2016 ist Lilien-Fan Jonathan Heimes an Krebs verstorben. Vielen Fans auch außerhalb von Darmstadt sind Johnnys Werte und der mit ihm verbundene Slogan "Du musst kämpfen" noch ein Begriff. Auf Social-Media-Kanälen gibt es einen jährlichen Spendenrun für krebskranke Kinder aus den Reihen der Lilien. Das "Böllenfalltor" trug eine Saison lang den Namen "Jonathan-Heimes-Stadion am Böllenfalltor", der Sponsor verzichtete hierfür auf sein Namensrecht. Wo bemerkt man noch heute seinen Einfluss innerhalb Eures Vereins oder der Fanszene? Auch in Kaiserslautern war Johnny letztes Jahr nochmal ein Thema: Dirk Schuster hatte die Idee mit den Armbändern als Teambuilding-Maßnahme vor dem entscheidenden Relegationsspiel gegen Dresden aufgegriffen - bekanntlich mit Erfolg, das FCK-Team schaffte den Aufstieg.
Stephan / Lilienblog: Das ist natürlich eine beeindruckende Geschichte. Tennistalent, Gehirntumor, wieder zurückgekämpft, erneut ein Rückschlag. Diese Geschichte passt auch gut zur DNA unseres Vereins: "Du musst kämpfen!" Und ja, Johnny ist nach wie vor präsent. Der Verein legt viel Wert auf soziales Engagement. Wir haben eine eigene Abteilung "Im Zeichen der Lilie". Johnny ist hier ein Bereich mit dem Aspekt "Du musst kämpfen". Die Südtribüne am Böllenfalltor heißt außerdem Jonathan-Heimes-Tribüne.
Der Betze brennt: Hast du einige Tipps für FCK-Anhänger, die am Samstag nach Darmstadt reisen? Eine bestimmte Kneipe für Speis und Trank vor dem Spiel, oder auch mit TV-Übertragung für Fans ohne Eintrittskarte? Ratschläge zur Anreise und zur Parksituation am Böllenfalltor?
Stephan / Lilienblog: Hier eignet sich in kleinen Gruppen das Grohe Brauhaus "Grohe" in der Stadt oder das "Braustüb’l" am Hauptbahnhof. Meine Empfehlung für den Weg zum Stadion ist klar der ÖPNV mit der Straßenbahn. Parkplätze gibt es außer einem kostenpflichtigen Parkhaus um das Bölle herum relativ wenige.
Der Betze brennt: Die obligatorische Abschlussfrage: Wie lautet Dein Ergebnistipp für den Samstagabend?
Stephan / Lilienblog: 2:1 für Darmstadt 98.
Der Betze brennt: Danke für die interessanten Einblicke und auf ein gutes Spiel!
Quelle: Der Betze brennt | Autor: Christian Zercher
Weitere Links zum Thema:
- Samstag, 20:30 Uhr: Highlight-Spiel am Böllenfalltor (Der Betze brennt)