Interview des Monats: FCK-Trainer Dirk Schuster, Teil 1/2

"Der FCK ist kein Job, sondern eine Bestimmung"

"Der FCK ist kein Job, sondern eine Bestimmung"


Wohin steuert der 1. FC Kaiserslautern mit Dirk Schuster? Wir haben den Trainer zum großen Sommerpausen-Interview getroffen und mit ihm über seine ersten Wochen bei den Roten Teufeln gesprochen.

Der Betze brennt: Dirk Schuster, ein Kollege hat unlängst von einem "zweiten ersten Date" geschrieben, das für Sie und Ihre Mannschaft mit der laufenden Saisonvorbereitung begonnen hätte. Demnach wäre das erste wohl eher "Speeddating" gewesen, da die Zeit zum Kennenlernen im Mai, unmittelbar vor den Relegationsspielen, sehr knapp war. Wie läufts denn beim zweiten Anlauf?

Dirk Schuster (54): Die Eindrücke, die wir damals beim Speeddating gewonnen haben, haben sich verfestigt. Wir haben eine Mannschaft kennengelernt, die wissbegierig ist, Neues aufnehmen will und bereit ist, an die Grenzen zu gehen, wie die Relegationsspiele gezeigt haben. Jetzt wird intensiv und hart trainiert. Wir haben Zeit, Einzelgespräche zu führen und mit den Spielern auch über unsere Erwartungen zu reden. Hinzu kommen Impulse und Reflexe durch die neuen Spieler - da sind wir Trainer gefordert, die Integrationsprozesse voranzutreiben. Der Geist, der innerhalb der Mannschaft herrscht, ist auch außerhalb des Platzes fantastisch. So ein paar Reibungspunkte ab und an sind manchmal aber auch gar nicht schlecht, um eine Hierarchie im Team herauszubilden.

"Die Neuen müssen begreifen, was es heißt, für Lautern zu spielen"

Der Betze brennt: Knapp bemessen ist die Zeit allerdings auch beim zweiten Date. Saisonstart ist schon Mitte Juli, da bleiben nur vier Wochen Zeit zur Vorbereitung ...

Schuster: Das ist knapp, definitiv. Normalerweise haben wir sechs, sieben Wochen zur Vorbereitung. Im Ausdauer- und Schnelligkeitsbereich arbeiten, dabei auch die sportmedizinischen Aspekte beachten, die Neuen integrieren, Automatismen einstudieren, die taktischen Dinge durchgehen - spielen wir künftig mit Vierer- oder Dreierkette? - das alles in dieses komprimierte Zeitfenster zu packen, ist brutal. Da müssen wir sehen, wie wir das koordiniert kriegen: Erstmal die taktische Einheit, wenn die Spieler noch aufnahmefähig sind, und anschließend die körperliche Belastung. Und die Neuen müssen begreifen, was es heißt, beim 1. FC Kaiserslautern zu spielen.

Der Betze brennt: Und das heißt?

Schuster: Verinnerlichen, dass dieser Verein für die Menschen hier eine Art Religion ist. Dass es kein Job ist, hier zu spielen, sondern eine Bestimmung. Ich hab neulich mal den Satz gehört: Viele Städte haben ein Stadion, aber dieses Stadion hat eine Stadt. Den fand ich großartig.

Der Betze brennt: Schauen wir nochmal zurück. Nach ihrem kurzfristigen Amtsantritt vor den Relegationsspielen hatten Sie angekündigt, gar nicht so viel ändern zu wollen, das mache in der Kürze der Zeit keinen Sinn. Dann haben Sie doch ziemlich viel geändert, unter anderem wieder von Dreier- auf die Viererkette umgestellt. Hatten Sie da nur geblufft oder hatten Sie in den Tagen vor dem Hinspiel tatsächlich schon so viele Erkenntnisse gewonnen, dass Sie diese Umstellung für angezeigt hielten?

Schuster: Beides. Unser Vorteil war: Wir wussten vieles über Dynamo Dresden, aber die wussten nicht, was wir machen würden. Ich hatte zufällig das vorletzte Spiel von Dresden in Karlsruhe gesehen, das Saisonfinale gegen Aue habe ich mir mit meinen Co-Trainer Sascha Franz zusammen angeschaut, auch die vorangegangenen Dynamo-Spiele hatten wir uns auf Video angesehen. Wir wussten: Unter Guerino Capretti hatten die immer 3-5-2 gespielt, da war keine Änderung zu erwarten. Und wir müssen die Außenbahnspieler Guram Giorbelidze und Agyemang Diawusie in Griff kriegen. Wir Trainer waren sicher, dass dies in einem 4-2-3-1 am besten funktioniert. Dies aber einer Mannschaft einfach so zu diktieren macht keinen Sinn. Wir mussten sie überzeugen. Also haben wir eine Woche vor der Relegation ein internes Testspiel gemacht. Team 1 spielte in der ersten Hälfte 4-2-3-1, Team 2 imitierte das Dresdner 3-5-2. In der Pause führte Team 1 mit 1:0. In Hälfte zwei ließen wir mit umgekehrten Formationen spielen - und Team 2 gewann mit 2:0. Danach haben wir die Spieler gefragt, in welchem System sie sich wohler gefühlt haben: Fast alle stimmten fürs 4-2-3-1. In der verbleibenden Woche haben wir dann die dafür passenden Abläufe geübt.

"Wir haben die Mannschaft vor dem Rückspiel auf alle Details vorbereitet"

Der Betze brennt: Dennoch lief das Hinspiel auf dem Betzenberg nicht optimal …

Schuster: Wir haben eigentlich gut begonnen. Wir wollten Dresden überraschen, sind von Anfang an voll drauf gegangen und haben das auch gut gemacht. Dadurch hat uns dann aber hintenraus die Kraft gefehlt. Wir haben durchgehend gut verteidigt, hatten jedoch nicht mehr die Dominanz und haben zu viele Bälle verschenkt. Und wir haben Chris Löwe nicht in den Griff gekriegt, der das Dresdner Spiel immer wieder ankurbelte.

Der Betze brennt: Der Druck vor dem Rückspiel war für beide Mannschaften extrem. Wie haben Sie Ihre Spieler mental vorbereitet?

Schuster: Wir wussten, was die Dresdner Fans für einen Alarm machen würden, auch schon mal Feueralarm, buchstäblich: Die Bielefelder zum Beispiel sind in der Nacht vor dem Spiel mal um ihren Schlaf gebracht worden, weil Dresdner Fans in ihrem Hotel Feueralarm ausgelöst hatten. Also haben wir uns ein Hotel außerhalb der Stadt gesucht. Wir wussten auch noch, dass die Dresdner vor dem Aue-Spiel ihren Rasen kurz vorm Anpfiff nochmal stark gewässert hatten.. Wir wussten ebenso, dass die Balljungen bei solch brisanten Spielen eine besondere Rolle spielen könnten, dass sie Einwürfe der Gastmannschaften eventuell verzögern, das eigene Team aber immer wieder sofort ins Spiel bringen könnten. Auf all das haben wir die Mannschaft eingestellt. Und dann haben wir uns noch die Sache mit den Bändchen einfallen lassen. In Darmstadt hatten wir schon mal so etwas Ähnliches gemacht.

Der Betze brennt: Bändchen?

Schuster: Jeder Spieler bekam ein Armbändchen, vorne mit seinen Initialen, innen mit dem FCK-Logo und dem Kopf eines Inuit drauf.

Der Betze brennt: Was sollte der denn da?

Schuster: Inuit stehen im Eissturm eng zusammen, und wenn der Wind dreht, drehen sie sich auch geschlossen vom Wind weg. Das wollten wir mit dem Inuit-Kopf symbolisieren. Auch wir Trainer haben diese Bändchen getragen. Das war wie ein Vertrag, den wir untereinander schlossen. Später haben wir dann mitbekommen, dass die Spieler die Bändchen sogar noch untereinander getauscht hatten, also dass jeder mit den Initialen eines anderen am Arm spielte. Das hat die Symbolkraft nochmal verstärkt. Tolle Sache.

"Jean Zimmer hat Bundesliga-Niveau - wieso sollten wir auf ihn verzichten?"

Der Betze brennt: Bei diesem Rückspiel war bis in jeden Winkel des Stadions eine ungeheuerliche Anspannung zu spüren. Selbst ältere Fans, die noch die Europapokalnächte der 1980er und 1990er Jahre erlebt haben, erzählten uns hinterher, eine solche Intensität in einem Fußballspiel noch nie gefühlt zu haben. Und Mitte der zweiten Hälfte, als die Dresdner auf den Ausgleich drängten, stand wohl jeder FCK-Sympathisant, ob im Stadion oder am Bildschirm, kurz vorm Herzkasper. Von ihnen am war im TV eine Einstellung zu sehen, in der sie ganz entspannt in die Kamera lächelten. Waren sie tatsächlich innerlich so ruhig?

Schuster: Nee, war ich gar nicht. Das muss wohl die Situation gewesen sein, als Jean Zimmer und noch zwei, drei andere Spieler auf mich zukamen und jeder meinte, Trainer, nimm mich raus, ich bin kaputt. Ich hab dann abgewunken und gesagt, nix da, ich kann doch nicht die halbe Mannschaft auswechseln (lacht). Vielleicht hab ich dabei gegrinst, es ist mir aber nicht bewusst geworden. So um die 70. Minute hatte ich dann auch das Gefühl, dass wir das Ding nach Hause bringen.

Der Betze brennt: Sie haben Jean Zimmer angesprochen. Das war ebenfalls eine Überraschung, dass Sie ihn in beiden Spielen in die Startelf beorderten, trotz seiner langen Ausfallzeit und erst ein paar Minuten Spielpraxis gegen Wehen Wiesbaden. Weshalb wollten sie ihn dabei haben?

Schuster: Zunächst mal, weil er gut trainiert hatte. Deshalb hatten wir ja auch Julian Niehues im Hinspiel gebracht. Und weil wir Zimmer gut kennen, aus seinen Zeiten, in denen er noch in der Ersten Liga die Außenbahnen rauf und runter gefegt ist. Wir wussten auch, dass er vergangene Saison gerade im Zusammenspiel mit "Hecke" (Philipp Hercher; Anm. d. Red.) gut funktioniert hatte. Warum also hätten wir auf einen Spieler verzichten sollte, von dem wir wissen, dass er eigentlich sogar Bundesliga-Niveau hat? Drum haben wir ihm vertraut und ihm gesagt, du spielst, solange die Füße tragen - wohl wissend, dass wir ihn höchstwahrscheinlich sowieso nicht rausnehmen (lacht).

Der Betze brennt: Mit Mike Wunderlich und René Klingenburg befinden sich zwei Spieler in Ihrem Kader, denen ein besonderes Verhältnis zu Ihrem Vorgänger Marco Antwerpen nachgesagt wird, die auch als dessen ausdrückliche Wunschspieler geholt wurden. Wie sind Sie mit den beiden umgegangen? Mussten Sie ihnen gegenüber eine besondere Sensibilität an den Tag legen?

Schuster: Die Gedanken hatte ich mir in der Tat auch gemacht. Ich muss aber sagen: Beide haben die Situation hochprofessionell angenommen. "Klinge" kam an meinem zweiten Tag zu mir und hat gesagt: "Trainer, ich weiß, ich war gestern durcheinander, aber jetzt bin ich wieder voll da und steh' voll hinter ihnen und der Mannschaft." Ich habe geantwortet: "Ist in Ordnung, das zeichnet dich doch aus, dass du für deinen ehemaligen Trainer Partei ergriffen hast. Und ich weiß, wie du dich gefühlt hast, ich hab das auch schon erlebt." Als junger Spieler war Joachim Streich mein Mentor und Trainer in Magdeburg. Nach dem Mauerfall ging er nach Braunschweig und ich bin ihm gefolgt, weil das sein ausdrücklicher Wunsch war. Im Herbst haben sie ihn dann entlassen. Da hab ich auch zwei, drei Einheiten gebraucht, um damit klarzukommen.

Morgen im zweiten Teil des großen DBB-Interviews: Dirk Schuster über seine Erfahrungen aus 35 Jahren Profifußball, die Ambitionen des 1. FC Kaiserslautern und die Rolle der Fans bei Neuverpflichtungen.

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer, Thomas Hilmes

Weitere Links zum Thema:

- Teil 2 des Interviews: "Lasst die Leute doch träumen - das finde ich super" (Der Betze brennt)

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