Am Samstag jährt sich das legendäre Spiel des 1. FC Kaiserslautern gegen den FC Barcelona zum 30. Mal. Demir Hotic war hautnah dabei, erzielte zwei Treffer gegen den späteren Champions-League-Sieger. Im DBB-Interview erzählt er die ganze Geschichte.
Wer mit einer wohligen Gänsehaut und vielleicht auch einem Tränchen im Auge in unser Interview des Monats einsteigen möchte, dem empfehlen wir vorab dieses historische SWR-Video:
Der Betze brennt: Demir Hotic, am 6. November 2021 ist es 30 Jahre her, dass Du mit dem 1. FC Kaiserslautern den FC Barcelona 3:1 geschlagen hast - und Ihr dennoch aus dem Europapokal der Landesmeister ausgeschieden seid …
Demir Hotic (59): Wirklich? Wenn Ihr mir das jetzt nicht gesagt hättet, hätt' ich nicht dran gedacht.
Der Betze brennt: Beschäftigt Dich dieses Spiel denn gar nicht mehr?
Hotic: Doch, natürlich. Ich sitze jeden Dienstag mit Gerry Ehrmann (damals im FCK-Tor; Anm. d. Red.) in der Sauna. Was meint Ihr, wie oft wir da dieses Spiel schon durchgegangen sind, vor allem die Sekunden vor Bakeros Treffer in der 90. Minute? Wer hätte wen da besser decken müssen? Hätte Gerry nicht vielleicht doch raus kommen müssen, um den langen Ball von Koeman abzufangen? Und, und, und ... Du kannst die Zeit halt nicht zurückdrehen. Das exakte Datum hätte ich jetzt aber nicht parat gehabt.
"Der Betze, die Bengalos, die Stimmung - Gänsehaut pur!"
Der Betze brennt: Was sind die ersten Bilder, die in Dir wach werden, wenn Du an dieses Spiel denkst?
Hotic: Die stammen von dem Moment, in dem wir ins Stadion einlaufen. Der proppenvolle Betzenberg, die Luft brennt, die Westkurve eine einzige Feuerwand, von Bengalos erleuchtet - für mich haben Bengalos immer zum Fußball gehört. Diese Stimmung, das ist Gänsehaut pur. Und dann beginnt das Spiel. Wir haben direkt Druck gemacht, ich habe die erste Chance, aber Zubizarreta (Andoni Zubizarreta, Weltklasse-Keeper von Barcelona und Spaniens Nationalteam; Anm. d. Red.) hält gut. Und dann kommen wir ins Marschieren ... Wir hatten Typen wie Bjarne Goldbaek in der Mannschaft, die konnten das. In diesem Spiel ist er über sich hinaus gewachsen, wie wir alle. So etwas erlebst du nur einmal.
Der Betze brennt: Hattet Ihr das Gefühl, dass die Spanier Euch unterschätzen?
Hotic: Ja, so ein bisschen schon. Barca-Trainer Johan Cruyff hatte ja schon vor dem Spiel sinngemäß gesagt: "Lasst die nur laufen, wir spielen Fußball." Aber dann haben wir die laufen lassen, und zwar hinter uns her. Die dachten bestimmt, irgendwann machen wir sowieso unsere Bude, und dann sollen die erstmal vier schießen.
Der Betze brennt: An der Stelle müssen wir die Uhr jetzt mal kurz zurückdrehen. 1991 war für den FCK insgesamt das größte Jahr seit den Zeiten Fritz Walters: Als Fast-Absteiger der Vorsaison wart Ihr plötzlich ganz oben dabei und konntet Deutscher Meister werden. Ein markanter Tag war der 23. März 1991, das Gipfeltreffen auf dem Betzenberg gegen Bayern München, in dem Du auch eine wichtige Rolle spieltest ...
Hotic: Die Bayern gingen durch Roland Wohlfahrt früh in Führung und meinten, sie hätten uns schon im Sack. Aber in der 60. Minute konnte ich den Ausgleich erzielen: Jürgen Kohler (Weltmeister-Verteidiger in Diensten des FCB; Anm. d. Red.) wollte mich umhauen, aber ich war schneller und stahl mich an ihm vorbei. Stefan Kuntz erzielte dann fünf Minuten vor Schluss den Siegtreffer, da war buchstäblich die Hölle los. Wir holten uns an diesem Tag die Tabellenführung und gaben sie bis zum Ende nicht mehr her. Aber es gab noch viel mehr legendäre Spiele in dieser Saison: Das 3:2 gegen Karlsruhe, als Udo Scholz (langjähriger Stadionsprecher des FCK; Anm. d. Red.) verbal die Uhr zurückstellte (lacht), der Auswärtssieg in Bremen mit zeitgleicher Niederlage der Bayern in Wattenscheid, und natürlich zum Abschluss das 6:2 vor 40.000 mitgereisten Fans in Köln. Diese Erlebnisse wird keiner von uns jemals vergessen.
Der Betze brennt: Der Lohn dafür war die Teilnahme am Europapokal der Landesmeister, der in jener Saison erstmals in den heute bekannten Champions-League-Gruppen ausgespielt wurde. Vor der Gruppenphase musste man aber zwei Qualifikationsrunden überstehen. Der Auftakt gegen Etar Tarnovo aus Bulgarien lief problemlos, dann bescherte Euch das Los den FC Barcelona. Das Hinspiel im legendären Camp Nou ging mit 0:2 verloren. Auch das dürfte Dir unvergesslich geblieben sein, oder?
Hotic: Und ob. Schon die Anfahrt mit dem Bus vom Mannschaftshotel ins Stadion dauerte eine Ewigkeit. Dann das Stadion-Foyer, der Kabinentrakt - da hast du gespürt, jetzt bist du in einer anderen Welt angekommen. Anschließend Warmmachen auf dem Platz, vor den gigantischen Tribünen für bis zu 100.000 Zuschauer. Da sind zunächst aber gar nicht so viele Zuschauer im Stadion, in Spanien kommen die meisten erst kurz vor knapp. Zum Anpfiff sind's dann plötzlich 65.000. So viele waren es jedenfalls damals bei uns.
"Trotz des 0:2 aus dem Hinspiel wussten wir: Am Betze geht das!"
Der Betze brennt: Und Ihr macht ein richtiges gutes Spiel, liegt dann aber doch 0:2 hinten. Und kurz vor Schluss hat Guido Hoffmann freie Schussbahn aufs leere Tor …
Hotic: Ja, ich hatte mich sogar schon abgedreht, als ich sah, dass er am Torwart vorbei war, so sicher war ich mir, dass der drin ist. Dann seh' ich die Reaktion der anderen, guck wieder hin - und kann es einfach nicht glauben: Der hat vorbeigeschossen. Hinterher haben wir noch bis drei oder vier Uhr zusammengesessen. Aber niemand hat Guido einen Vorwurf gemacht, so war das damals bei uns. Stattdessen ist uns klar geworden: Wir haben gut gespielt, wir können die packen, auch mit dem 0:2 im Rücken. Am Betze geht das. Stefan Kuntz hatte in den Tagen danach große Probleme mit dem Knöchel, hätte eigentlich gar nicht spielen dürfen, aber er wollte, unbedingt. Und Kalli Feldkamp hat ihn rangelassen. Auch das war damals noch so: Wenn der Kapitän spielen wollte, dann durfte er auch.
Der Betze brennt: In der 35. Minute schlug Kuntz dann eine Ecke. Mit dem linken Fuß, von der rechten Seite auf den kurzen Pfosten. Bis heute diskutieren Fans, ob du den Ball überhaupt mit der Stirn berührt hast, ehe er einschlug.
Hotic: Klar hab ich! Wenn ich nicht dran gewesen wäre, wäre der viel weiter hinten runtergekommen. Aber das ist ja nicht alles, über das zu diesem Tor diskutiert wird. Zubizarreta, der Torwart, ist heute Sportdirektor bei Olympique Marseille und behauptet immer noch, dass ich ihn vorher gefoult hätte. Stimmt aber auch nicht. Ich hatte mich nur mal kurz an ihn angelehnt, aber nicht gerempelt und auch nicht geschoben.
Genauso legendär wie das Spiel: Die brennende Westkurve gegen Barcelona; Foto: Imago Images
Der Betze brennt: Mit diesem 1:0 ging es dann in die Pause. Wie hast du die Minuten in der Kabine erlebt?
Hotic: Ach, bei uns ging es da eigentlich nie so hektisch zu. Du kommst rein, bist erst einmal erschöpft und pitschnass, ziehst dein Trikot aus. Du versuchst, mal für einen Moment runterzukommen, andere werden kurz behandelt. Natürlich sagt dann auch der Trainer ein paar Worte, aber die hätte es in diesem Spiel eigentlich nicht gebraucht. Wir wussten, jetzt spielen wir auf die Westkurve, auf unsere Wand, auf unser Tor. Wir gehen jetzt raus und nehmen alles mit.
Der Betze brennt: Vier Minuten nach Wiederanpfiff gibts wieder Ecke. Diesmal stehst du am langen Pfosten.
Hotic: Ja, das war damals eigentlich auch eher mein Platz. Am kurzen Pfosten standen immer die langen Kerls: Reinhard Stumpf, Kay Friedmann, Wolfgang Funkel oder Tom Dooley. Ich lauerte am langen Eck auf die Kopfball-Verlängerung. Warum ich beim ersten Treffer auf den kurzen Pfosten gegangen war, weiß ich auch nicht mehr. Instinkt wahrscheinlich. Ich hab in meiner Karriere in 375 Spielen 89 Tore gemacht, in meinen 123 Spielen für den FCK 31 Mal, ich glaube, das schafft man nicht ohne eine gewisses Näschen für solche Situationen.
"Stoitchkov, Laudrup, Koeman, Witschge - das waren Weltklasse-Spieler"
Der Betze brennt: Diese Ecken auf den kurzen Pfosten galten damals als Eure Spezialität. Um mal kurz die Brücke in die Gegenwart zu schlagen: In dieser Saison verzeichnet der FCK endlich wieder mal eine vorzeigbare Trefferquote nach ruhenden Bällen, gerade auch nach Ecken auf den kurzen Pfosten. In den Jahren davor gelang nach Standards so gut wie nichts …
Hotic: Ja, da habe ich mir oft die Haare gerauft, die mit den Jahren immer weniger geworden sind. Ich verstehe das nicht: Das kann man doch trainieren! Unter Kalli haben wir das ohne Ende geübt: Wer steht am kurzen Pfosten, wer am langen, wer beim Torwart, wer schirmt nach hinten ab. Wir sind auch nie mit zwei Mann raus zum Eckball. Nur, wenn wir gemerkt haben, die anderen pennen, ist schnell mal noch ein zweiter rausgerannt. Mit Tempo, denn das war für uns die Hauptsache. Auch lange Einwürfe haben wir trainiert. Und zwar zunächst mit Medizinbällen, danach nämlich fühlte sich der normale Fußball ganz leicht an. Unser Spezialist damals war Uwe Scherr, der heutige Leiter unseres Nachwuchsleistungszentrums.
Der Betze brennt: Zurück zu Barcelona. Es steht 2:0. Damit war Gleichstand in der Gesamtwertung erzielt, und ihr wart am Drücker. Was ging in diesen Momenten in den Barca-Spielern vor? Habt Ihr denen mal in die Gesichter geschaut?
Hotic: Nö. Wir hatten uns vor dem Spiel intensiv mit unseren Gegenspielern befasst. Wir wussten, wie wahnsinnig schnell der Hristo Stoitchkov war, wenn er über die linke Seite kam, oder Michael Laudrup auf der anderen Seite. Was der Ronald Koeman konnte, der Richard Witschge, die galten ja alle zurecht als absolute Weltklasse-Spieler. Oder Pep Guardiola, das war so ein ganz schmächtiges Kerlchen, das Handschuhe trug, da wolltest du kaum glauben, dass der so gut ist. Aber während des Spiels haben die uns nicht mehr interessiert. Wir haben an uns geglaubt. Und in diesem Moment waren wir alle hundertprozentig überzeugt: Wir können alles schaffen!
Der Betze brennt: Wie habt Ihr Euch damals denn auf Eure Gegner vorbereitet?
Hotic: Zum einen haben uns natürlich die Trainer mit Informationen versorgt. Neben Kalli gab es da ja noch Reiner Hollmann. Der war Co-Trainer, Torwarttrainer und in gewisser Weise auch unser Analyst, auch wenn wir den damals so nicht nannten. Aber wir haben uns auch selbst über unsere Gegenspieler informiert. Vor Spieltagen haben wir damals oft im Hotel Blechhammer übernachtet. Da sind Gerry und ich oft vor allen anderen aufgestanden, haben uns einen Espresso gemacht, sind ein wenig spazieren gegangen und dabei gemeinsam das anstehende Spiel durchgegangen. Und jeden Gegenspieler.
"Ich spreche heute noch mit Gerry über die Szene in der letzten Minute"
Der Betze brennt: In der 76. Minute erzielt Goldbaek das 3:0. Damit seid ihr weiter, Barca ist draußen. Hättet ihr anschließend vorstellen können, dass jetzt noch was schiefgeht?
Hotic: Ach, woher denn, nicht eine Sekunde haben wir mehr daran gedacht. Wir hatten sogar noch Chancen, das vierte zu machen. Wie hätten die uns noch gefährlich werden sollen? Vielleicht, wenn der Schiedsrichter ihnen geholfen hätte. So, wie der Engländer ein Jahr zuvor, als wir im Europapokal der Pokalsieger auf Sampdoria Genua trafen. Das Hinspiel auf dem Betze hatten wir 1:0 gewonnen, das Rückspiel verloren wir 2:0, weil der einen Elfer pfiff, der eine Frechheit war. Sampdoria hat danach übrigens den Pokal geholt, so wie auch Barca damals zum Titel durchmarschierte. Das hätten genauso gut wir sein können, beide Male.
Der Betze brennt: Und dann kam die 90. Minute. Freistoß Koeman, Kopfball Bakero …
Hotic: Komm, hör auf. Diese Szene hab ich mir danach nie mehr angesehen. Aber, wie schon gesagt: Ich habe mit Gerry viel darüber gesprochen, immer wieder. Wir hatten danach übrigens sogar noch eine Chance, das 4:1 zu machen. Nicht auszudenken, wenn das geklappt hätte. Wir waren eben einfach die Besten damals.
Der Betze brennt: Wie habt Ihr die Tage danach erlebt?
Hotic: Wir waren erst einmal ein paar Stunden tot, danach musste das Leben eben weitergehen. Nach Niederlagen haben wir uns damals eigentlich drei Tage lang kaum aus dem Haus getraut, nicht mal zum Bäcker, Brötchen holen. Nach diesem Spiel aber war's anders: Alle haben uns auf Schulter geklopft, uns wieder aufrichten wollen, und drei Tage später haben wir Hansa Rostock 3:0 weggeputzt. Das war natürlich unheimlich toll, das zu erleben. Aber wirklich glücklich machen konnte es mich nicht. Wenn du so eine Weltklasse-Mannschaft an die Wand geknallt hast und dann trotzdem ausgeschieden bist - der Stachel sitzt einfach zu tief.
2021 wurde die Auswärtstor-Regel abgeschafft - auch wegen Kaiserslautern
Der Betze brennt: Anfang dieser Saison hat die Uefa die Auswärtstor-Regel, die Euch damals das Genick gebrochen hat, abgeschafft. Zu denen, die sich am stärksten dafür eingesetzt haben, zählt Wanja Greuel, heute CEO bei Young Boys Bern. Ein Lautern-Fan, der damals, als 14-Jähriger, auf dem Betzenberg war. Er sagt, er habe unter diesem Ergebnis so sehr gelitten, dass er später jahrelang für die Abschaffung der Auswärtstor-Regel kämpfte. Euer Spiel hat somit bis in die Gegenwart nachgewirkt. Nach den neuen Regeln hätte der 3:1-Heimsieg nicht das Ausscheiden bedeutet, sondern es wäre auf dem Betzenberg in die Verlängerung gegangen. Was sagst du dazu?
Hotic: Das ist schön zu hören. Aber für uns kommt diese Regeländerung leider 30 Jahre zu spät.
Im morgen Abend erscheinenden zweiten Teil unseres Interviews erzählt Demir Hotic, wie er zum FCK kam, weswegen ihm nach vier Jahren als Profi klar war, dass er aus der Pfalz nie wieder weg wollte - und was ihn heute an seinem Verein ärgert.
Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer, Thomas Hilmes
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- Teil 2 des Interviews: "Den FCK gibt’s noch, wenn wir alle tot sind" (Der Betze brennt)