Herrliche Anekdoten und kritische Worte
Es gibt viele Bücher über Fritz Walter und „seinen“ 1. FC Kaiserslautern. Darin wird meist über die Spiele der Walter Elf berichtet, Statistiken werden gewälzt und Erfolge aufgelistet. Alles schon da gewesen. In den meisten Büchern wie auch in Zeitungsartikeln stellen professionelle Autoren ihre Recherchen zur damaligen Zeit zusammen. Anders im Buch „Mythos Fritz Walter“ von Gerhard Ahrens - der heute 75-jährige war „mittendrin, statt nur dabei“!
Als junger Spieler kam der gebürtige Niedersachse Ahrens im Jahr 1953 zum 1. FC Kaiserslautern. Ein Engagement von dem er spätestens seit dem Sommer 1949 träumte, als er zum ersten Mal aus der Nähe von Hannover mit dem Fahrrad (!) bis in die Pfalz fuhr. Nach seiner Lehre schrieb er einen Brief an Fritz Walter: „Mein Ziel ist es, in der Walter Elf zu spielen! Was auch immer ich als Antwort erhalte, ich werde kommen und es schaffen.“ Er erhielt eine persönliche Antwort samt Einladung zum Probetraining. Dort schlug er sich so gut, dass er fortan für den FCK, damals auch „die Schnääker“ genannt, spielen durfte. Zunächst nur bei den Amateuren eingesetzt rückte Ahrens in der Saison 1954/55 in die erste Mannschaft auf und machte so seinen Traum wahr, ein Mitglied der Walter Elf zu werden.
In seiner „Autobiografie aus der großen Zeit des 1. FCK“ plaudert Gerhard Ahrens aus dem Nähkästchen. Es sind sehr viele Anekdoten zu lesen, die einem Bücher von Sport-Historikern nicht bieten können. Die vielen nationalen und internationalen Freundschaftsspiele, arrangiert vom Spielvermittler Julius Ukrainczyk, werden ebenso beleuchtet wie Ahrens' weiterer sportlicher Werdegang bei den Sportfreunden Saarbrücken („Ich wurde aus finanziellen Gründen verkauft, gegen meinen Willen“) und dem SV Alsenborn oder auch die Lage des FCK in den turbulenten Jahren um 2003. Im Mittelpunkt steht aber Fritz Walter, der große Kapitän des FCK und der deutschen Nationalmannschaft, dessen Namen das Stadion auf dem Betzenberg trägt. Besonders zugesetzt hat Ahrens der Verkauf des Stadions im Jahr 2003: „Der Verein verliert ein Stück seiner Identität. Dieses prächtige Stadion gab dem Verein Entscheidungsfreiheit und ich kann einfach dafür kein Verständnis aufbringen, es zu verkaufen. (...) Eine Änderung des Namens wird für keinen FCK'ler in Frage kommen.“
Zur heutigen Zeit findet Ahrens durchaus lesenswerte und teilweise sehr kritische Worte. Das Schreiben des Buches fiel genau mit dem Niedergang des FCK zusammen, so dass die Monate ab Sommer 2002 hier auch ausführlich kommentiert werden. Besonders schlecht kommen hierbei Jürgen Friedrich („der Präsident“) und Mario Basler („der Schwager“; mit Verweis auf Spielervermittler Roger Wittmann) weg, doch auch René C. Jäggi wird mit eindeutiger Kritik bedacht. Solche Worte wiegen aus dem Mund eines Mitglieds der Walter Elf noch viel schwerer als die Kritik eines einfachen Fans. Besonders erschreckend sind hierbei die zahlreichen wahr gewordenen Zukunftsprognosen, die Ahrens in seinem Buch formuliert - die Erscheinung des Buches ist zwar auf 2007 datiert, das Schreiben beendete der Autor aber bereits Ende 2003. Eine der vielen eingetretenen Prognosen: „Nach 2006 wird nur noch Chaos herrschen, unser Verein kaum noch von Erinnerungen leben können, da alles so traurig ist.“
Gerhard Ahrens veröffentlicht in seinem Buch viele Details. Durch Beziehungen als Spieler der Walter Elf wie auch durch persönliches Engagement sind viele Hintergrundinformationen zu finden, die „normale“ FCK-Fans blass werden lassen. So etwa die Details zu heutigen Spielertransfers, an denen nach Ahrens' Recherchen stets nicht nur der Vermittler, sondern auch Vereinsverantwortliche verdienen - auch nach der Ära Friedrich noch. Oder die Vertragsgestaltung mit Ex-Vorstand Jäggi, bei der neben einem hohen Grundgehalt auch noch zahlreiche Provisionen enthalten waren. Jäggis Gewinnbeteiligung laut Vorvertrag soll demnach bei 5-10% gelegen haben, von den Sponsorverträgen des FCK soll er sage und schreibe 12,5% erhalten haben, und das sogar über sein Ausscheiden hinaus. Und wenn der Euro gegenüber dem Schweizer Franken an Wert verliert, hätte der Verein sogar noch einen Wertausgleich leisten müssen. Dies sind nur einige der vielen brisanten Details, die der interessierte FCK-Fan in dem Buch finden kann.
Den Mittelpunkt von „Mythos Fritz Walter“ bildet aber die große Zeit der Roten Teufel in den 1950er Jahren. Hier werden viele Unterschiede zur heutigen Zeit deutlich, die Kameradschaft innerhalb der Mannschaft wurde nicht nur durch „stundenlanges Zusammensitzen auch nach den Spielen“ gefördert. Dank der sehr großen Popularität zur damaligen Zeit absolvierte der FCK sehr viele Freundschaftsspiele, von den „Kartoffelspielen“ nach dem Krieg (hier gab es als Antrittsprämie einige Zentner Kartoffeln) bis hin zu internationalen Auftritten. Höhepunkte waren dabei sicher das „Spiel der Deutschen Meister“ 1956 gegen Wismut Aue vor über 120.000 Zuschauern in Leipzig und die Amerika-Reise im Sommer 1957. Für das Spiel im Zentralstadion lagen damals sage und schreibe 300.000 Kartenanfragen vor, beim 5:3-Sieg des FCK schoss Fritz Walter sein legendäres Hackentor. In den USA trat die Walter Elf zwei Mal in New York sowie in Detroit, St. Louis, Chicago und Philadelphia an, es gab fünf Siege aus sechs Spielen.
Doch auch die Zeit vor Gerhard Ahrens' aktivem Mitwirken in der Walter Elf wird ausführlich gewürdigt. Den wenigsten FCK-Fans dürfte bekannt sein, dass im Sonderzug nach Berlin am 21. Juni 1953 nur 60 statt der erwarteten 2.500 Anhänger mitreisten. Grund hierfür waren die Berliner Aufstände um den 17. Juni, welche die meisten Lautrer zu sehr verängstigt hatten. Dennoch: „Wo die Pfälzer Schlachtenbummler sind, herrscht Stimmung pur.“ Diese wurde auch nach der Rückkehr der Deutschen Meister, die das Berliner Endspiel gegen den VfB Stuttgart mit 4:1 gewannen, in Kaiserslautern deutlich. „Es konnte einem kalt und heiß den Rücken runter laufen, wenn aus tausenden von Stimmen das 'Walter Lied' erklang.“
Überhaupt sind es die Anekdoten und Details, die das Buch so lesenswert machen. Wer weiß schon von Fritz Walters Flugangst, die ihn die Reise in die USA mit dem Schiff antreten ließ? Zurück in die Pfalz flog er dann doch mit der Mannschaft, da er ansonsten den Start der Meisterschafts-Endrunde verpasst hätte. Oder kennt jemand die Details zum Freundschaftsspiel 1957/58 beim FC Brügge, in dessen Rahmen mehrere FCK-Spieler wegen Fahrraddiebstahls in Polizeigewahrsam genommen wurden?
Besonders ergreifend sind die Kapitel über die letzten Jahre Fritz Walters geschrieben. Das abschließende gemeinsame Treffen der Walter Elf fand 1997 statt, im November 2001 sah Gerhard Ahrens Fritz Walter bei der Beerdigung von dessen Frau Italia zum letzten Mal: „Ich spürte es deutlich, Fritz hatte sich aufgegeben. Ich fühlte mich leer und ohnmächtig.“ Ein halbes Jahr später starb Fritz Walter und hinterließ eine nicht zu schließende Lücke. Ahrens: „Welches Phänomen beim Fritz überwiegte, dass des Fußballspielers oder des Menschen, ist schwer zu beurteilen, da die Grenzen fließend waren.“
Das Buch „Mythos Fritz Walter“ bietet eine willkommene Abwechslung zu den vielen vorhandenen - und ebenfalls lesenswerten - Büchern über den 1. FC Kaiserslautern. Da der Autor Gerhard Ahrens hautnah dabei war, sind viele Informationen enthalten, die man sonst nirgendwo findet. Hierdurch wird auch das kleine Manko ausgeglichen, dass einzelne Passagen ohne ein gewisses Hintergrundwissen nur schwer verständlich sein dürften.
Neben dem Buch, das auf 214 Seiten noch viele weitere Details enthält, ist auch ein Blick auf die Internetseite des Autors empfehlenswert: Nur wenige 75-jährige haben wohl einen so umfangreichen Web-Auftritt wie Gerhard Ahrens' www.wo-was-wie-hilft.de. Hier sind auch noch ergänzende Infos zur Walter Elf und vor allem sehr viele historische Fotos zu finden, die im Buch leider aus Kostengründen nicht abgedruckt werden konnten. Auch einige Leseproben sind auf der Internetseite veröffentlicht.
„Mythos Fritz Walter“ ist zum Preis von 16,95,- Euro Euro bei Books on Demand (www.bod.de/index.php?id=296&objk_id=108177) oder oder per E-Mail direkt bei Autor Gerhard Ahrens (waltermannschaft@web.de) erhältlich. Wer per E-Mail bestellt erhält auf Wunsch außerdem eine persönliche Widmung und eine zusätzliche CD mit den nicht abgedruckten Fotos. Auch Lesungen für FCK-Fanclubs können unkompliziert per E-Mail organisiert werden.
Quelle: Der Betze brennt | Autor: Thomas