Neues vom Betzenberg

Thines: „Es tut mir so weh“

Bis 1996 war Norbert Thines Präsident des FCK. Dann übernahmen andere das Ruder, zunächst Atze Friedrich, später René C. Jäggi – und versenkten den Kahn. Thines sagt bitter: „Das hätte auch eine Putzfrau machen können.“

Herr Thines, Sie sind ein Pfälzer Junge. Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Stadionbesuch?

Ich erinnere mich noch, als wäre es gestern gewesen. Als Kinder haben wir auf den Bäumen gehockt und uns die Spiele angeguckt. Damals war ja noch keine Tribüne um das Feld herum, das Stadion war völlig offen.

Hatte der FCK bei Heimspielen damals schon die gesamte Pfalz im Rücken?

Nein, die Walter-Elf mit dem Bekanntheitsgrad über die Grenzen Deutschlands hinaus spielte erst Ende der 40er Jahre. In den Anfangsjahren sind sie aus der näheren Umgebung noch mit dem Fahrrad gekommen, aber in dieser Zeit spielte sich der 1.FC Kaiserslautern eigentlich nur in der Stadt selbst ab. Als es den Menschen nach dem Krieg dann wieder gut ging, kam die ganze Pfalz - und weit darüber hinaus. Ich weiß noch genau, es muss so `77 gewesen sein, als der damalige Präsident Müller zu mir kam: »Da sind Briefe von unseren Fans, die wollen Klubs machen und so! Das machen wir nicht! Wenn die erst einmal die Gewalt haben, dann ist es vorbei.« Und dann habe ich ihn wochenlang genervt und bekniet und versuchte, ihm klar zu machen, was für ein Potenzial dahinter stünde. Irgendwann schnauzte er nur: »Thines, machen Sie doch was Sie wollen - das machen Sie ja eh!« Mit den ersten Fanklubs ist dann die ganz große Euphorie ausgebrochen.

Sie haben Fritz Walter noch spielen sehen - in der ganz großen Epoche des 1.FC Kaiserslautern.

In dieser Zeit kamen die Spieler gerade nach und nach aus Kriegsgefangenschaft zurück, wenn sie nicht gefallen waren. Fritz Walter war damals schwer verletzt, er hatte ja heute noch Splitter im Körper. Dann ist es so langsam wieder mit dem Fußball los gegangen. 1951 sind wir Deutscher Meister geworden, da war hier alles Fußball.

Das Bild von Fritz Walter strahlte auf die ganze Mannschaft, das gesamte Umfeld ab.

Fritz Walter war das große Aushängeschild des Vereins. Seine Bescheidenheit und Zugänglichkeit waren auch mir ein großes Vorbild. Unsere Stärke war die Bodenhaftigkeit, die Bindung zwischen allen Volksgruppen. Es war immer unser Ziel, dieses Familienhafte zu bewahren, die Menschen zu akzeptieren. Ich denke nur an die Einsätze damals im Stadion: Wir haben alles selbst repariert und gepflegt! Aus solchen kleinen Erfolgserlebnissen wachsen Freundschaften, wächst ein großes Zusammengehörigkeitsgefühl. Mit allen Mitteln versuchte ich während meiner Präsidentschaft, die Abgehobenheit zu verhindern.

Ein gutes Beispiel dafür ist die Meistermannschaft von 1991.

Das war noch Kameradschaft! Heute schnappt sich jeder seine Sporttasche nach dem Training und ist weg. Auch die ganzen Jahre zuvor. Unsere ausländischen Spieler waren die besseren Pfälzer. (lacht) Hellström, Nielsen, Kuka, Kadlec - wir haben immer versucht, aus einem Land gleich zwei Spieler zu holen, um von Beginn an kein Heimweh aufkommen zu lassen und das Heimatgefühl für die Pfalz zu stärken. Das hat funktioniert! Ein Beispiel: Benny Vent und Ronny Hellström sind mit mir an Fastnacht aufgetreten. Wir haben gesungen. Die haben pfälzisch gelernt für diesen Auftritt! Ja, wo gibt es denn sowas? Und wir haben auch - jeder Sportarzt täte sich überschlagen - Schlachtfeste gefeiert, mit selbst gebrannten Schnaps vom Bauern. Da sprechen die Spieler heute noch von. Es wurde getrunken, gesungen, zusammengesessen. Das war eine Gaudi!

Sie kümmerten sich als Präsident noch um jeden einzelnen Spieler.

Selbstverständlich! Wir haben Patenschaften organisiert, Wohngemeinschaften gegründet. Niemand sollte sich beim 1.FC Kaiserslautern allein fühlen. Die älteren Spieler standen den jüngeren mit Rat und Tat zur Seite. Diese Mentalität ist mit den Jahren jedoch verloren gegangen. Heute wird von Vereinsseite nur noch das Geld gezahlt und dann heißt es: Vogel, friß oder stirb!

Haben Sie eine Ahnung, warum diese Mentalität - nicht nur in Kaiserslautern - verloren gegangen ist?

Ich weiß es nicht. Bequemlichkeit, Dummheit, Zeitgeist - wie auch immer. Da kommen viele Faktoren zusammen. Die Mannschaft bestand damals aus vielen Persönlichkeiten. Heute sind das nur noch... (überlegt) Ich weiß auch nicht. Die Spieler von damals konnten nicht nur Fußball spielen, die konntest du auch überall mit hinnehmen, die konnten sich artikulieren. Die haben auch uns gegenüber Front gemacht, wenn sie meinten, sie seien im Recht. Das war noch eine Mannschaft, eine Einheit.

Wer war nach Fritz Walter die bedeutenste Persönlichkeit hier auf dem Betzenberg, Ihrer Meinung nach?

Briegel! Das war ein unglaublicher Siegertyp, jemand, wie ich ihn nie wieder kennengelernt habe. Und ein Sportsmann: Der hat einmal eine ganze Stange Bier getrunken und ist dann auf den Platz zum Spielen - und du hast ihm das gar nicht angemerkt. Ein unglaubliches Arbeitstier! Bei einem 1:2-Rückstand hat er in der 88. Minute gesagt: »Kommt Jungs, das drehen wir jetzt noch rum!« Und dann haben sie noch 3:2 gewonnen. Peter Briegel ist für mich das zweite Denkmal nach Fritz Walter.

Peter Briegel wurde unter Jäggi schließlich vom Betzenberg gejagt.

Es tut mir so weh, wenn ich das sehe! Jeder Verein würde sich die Finger danach lecken, den Peter Briegel in seinen Reihen zu haben. Wir haben es jedoch fertig gebracht, mit einem Herrn Jäggi einen solchen Mann zu demontieren. Selbst wenn man Gründe dafür hätte, würde man es aus Klugheit nicht tun - über der Wahrheit gibt es immer noch eine Klugheit. Peter Briegel war Sportler des Jahres, Europameister - das ist doch ein Juwel! Den musst du pflegen und hegen! Wenn Ottmar Walter und Horst Eckel einmal weg sind, dann haben wir hier keinen mehr, den man noch zum Vorbild haben kann. Die heutige Generation Fußballer hat keinen Vorbildcharakter mehr, so dass Jugendliche ihnen nacheifern sollten.

An dem Punkt, als Sie Ihr Amt als Präsident zur Verfügung stellten, begann in Kaiserslautern eine neue Zeitrechnung.

Alles Engagement wurde als sozialer Quatsch abgetan und verschwand gänzlich aus dem Ideal unseres Vereinslebens. Ich habe immer wieder gesagt: »Wir müssen bleiben, wo wir hingehören, und uns nur das zumuten, was wir auch schultern können.« Plötzlich hieß es dann aber, wir müssten uns auf eine Stufe mit Bayern München stellen.

(...)

Quelle und kompletter Text: 11 Freunde

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