Jäggi: „Es kommt zu Wutanfällen“
2002 wurde René C. Jäggi Vorstandsvorsitzender des hochverschuldeten FCK. Heute ist der Verein saniert, doch sportlich am Ende. Wir sprachen mit dem Schweizer über Größenwahn, kriminelle Energie und sein Machtverständnis.
Herr Jäggi, welche Verbindung hatten Sie zum FCK, bevor Sie 2002 Ihr Amt als Vorstandsvorsitzender antraten?
Ich war Vorstandsvorsitzender von adidas gewesen und hatte von daher engen Kontakt zu Fritz Walter, dem Ehrenspielführer des DFB. Ich war also des öfteren auf dem Betzenberg zu Gast und fand es immer sehr beeindruckend, dort Spiele zu sehen.
Haben Sie bei den Altvorderen Nachhilfestunden in Geschichte genommen, bevor Sie Ihr Amt antraten?
Fritz Walter war leider schon verstorben. Aber ich war durch andere gewarnt, dass der FCK ein nicht ganz alltäglicher Fußballverein ist.
Dennoch dürfte das, was Sie dort erwartete, Ihre Erwartungen übertroffen haben.
Es ist, als wenn Sie zu einem Kapitän sagen: »Jetzt fahr’ mal mit diesem Kutter über den Ozean.« Sicherlich weiß er, was hoher Wellengang bedeutet, aber wenn er auf dem offenen Meer ist, stellt es sich doch anders dar, als er es in den Büchern gelernt hat. Der FCK hat schon ein hochexplosives Umfeld – gerade, wenn es nicht läuft.
Worin bestanden die Unterschiede zwischen Ihrer Mission beim FC Basel und der beim FCK?
In Basel bin ich ein Baseler. Da fällt also das Prädikat »Ausländer« weg. Zudem hatte ich beim FC Basel eine gewisse Anlaufzeit, die dann auch Erfolge zeitigte. Wenn Sie sich heute die Crew anschauen, so ist das immer noch meine Crew. Es ist eine reine Erfolgsgeschichte. Lautern hingegen war ein Verein, der vorm Ertrinken zu retten war.
Stimmt es denn eigentlich, wenn gesagt wird: „Wenn der FCK absteigt, stirbt die Region“?
Die Frage ist: Wohin steigt er ab? Wenn er in die Regionalliga absteigt, wird es natürlich schwer. Aber das betrifft auch andere Städte und ihre Vereine wie etwa Köln oder Saarbrücken, wo Abstiege ähnliche Schockwellen auslösen. In der Pfalz ist es so, dass es schlichtweg keine Alternativen zum FCK gibt, sowohl sportlich als auch kulturell. Von daher stirbt dort schon einiges ab, wenn der Verein nicht zumindest Zweitligafußball spielt.
Sind die exponierte Bedeutung des FCK und auch die Traditionen, die er verkörpert, eine Bürde?
Bei adidas (dort war Jäggi von 1987 bis 1992 Vorstandsvorsitzender, Anm d. Red.) habe ich einmal gesagt: »The heritage is our future.« Aber da gab es keine moderateren Zeugen der Vergangenheit mehr. Bei Lautern treten sie konzentriert auf. Auf dem Betzenberg sitzen ja zudem zwei alte Weltmeister von 1954 und verfolgen die Spiele. Oft heißt es: »Wenn der Fritz Walter das noch erleben würde, der würde sich im Grab umdrehen«, ist das für 19-, 20-jährige Spieler eine enorme Belastung
Auch in der jüngeren Vergangenheit gab es Erfolge zu verzeichnen. Waren die beiden Meistertitel 1991 und 1998 mehr Fluch als Segen?
Meistertitel nimmt man so, wie sie kommen. Man lehnt ja keinen Erfolg ab, weil man ihn nicht verarbeiten kann. Otto Rehhagel, der Meistertrainer von 1998, war eine außergewöhnliche Persönlichkeit, die in dieses Umfeld gepasst hat. Er war in Lautern sehr erfolgreich – trotzdem hat man ihn aus der Stadt gejagt. Das hat mit den handelnden Personen zu tun. Die standen unter einem enormen Druck, wollten die Geschichte duplizieren. Doch dann mussten sie feststellen, dass es nicht reicht, wenn man einem Pianisten beim Spielen zuschaut, um selbst Klavier spielen zu können. Doch genau das hatten Sie gedacht: »Jetzt haben wir dem Otto Rehhagel zwei Jahre lang zugeguckt, jetzt wissen wir, wie es geht.« Dann haben sie zu Maßnahmen gegriffen, die, wie man in der Zwischenzeit weiß, nicht rechtens waren.
Wo sehen Sie die gravierenden Ereignisse, die aus dem potenten Bundesligisten FCK einen Abstiegskandidaten in der 2. Liga gemacht haben?
Die Frage ist: Wohin gehört der FCK? Der Urfehler war, sich nach der Meisterschaft permanent unter Druck zu setzen – mit Leuten, die das Kaliber nicht hatten, damit umzugehen, wenn es nicht klappt. Sie haben versucht, mit allen möglichen Mitteln zu Erfolg zu kommen. Der zweite Fehler war – das sage ich jetzt mit einiger Distanz –, sich um die Weltmeisterschaft zu bewerben. Das hatte etwas Großspuriges. Wenn man sieht, wie viele Millionen in diesen Verein flossen und dann gleich wieder raus... Aus politischen Gründen dem Bauunternehmen Philipp Holzmann in Liquidation ein Bauvolumen über 90 Millionen Mark zu geben – das war grob fahrlässig. Es ist eine lange Kette von Fehlentscheidungen, von Irrläufern der Emotion. Das hat dazu geführt, dass das wirtschaftliche Umfeld im Prinzip null war, es gab keine Sponsoren mehr. Wenn der Dr. Pohl von der DVAG dem Verein nicht die Stange gehalten hätte, dann gäbe es diesen Verein nicht mehr. Es sind weit über 50 Millionen, die von ihm in den Verein geflossen sind.
Welche Fehler haben vor allem die Herren Wieschemann und Friedrich gemacht?
Ich richte nicht. Jeder in diesem Geschäft macht Fehler. Wenn man angesichts des Drucks, der von den Medien noch potenziert wird, nicht souverän über den Dingen steht und nur Dinge tut, die man sich auch leisten kann, dann macht man Fehler. Wenn es ins Kriminelle geht, dann sind das unverzeihliche Fehler. Wir haben drei, vier Jahre gebraucht, um das wiederaufzuräumen – und können von Glück reden, dass die Liga damals so großzügig mit uns war und nicht gleich den Zwangsabstieg veranlasst hat.
1999 wurde Weltmeister Djorkaeff geholt, der das sensible Gefüge sprengte.
Djorkaeff ist nur ein Name, Taribo West ein weiterer. Schon vorher gab es Fälle geringerer Größenordnung wie etwa Schjönberg, Sforza und andere. In dem Moment, in dem sie glaubten, sie hätten ein todsicheres System gefunden, in dem die Einkommenssteuer über den Verkauf von Persönlichkeitsrechten umgangen werden kann, war das Problem vorhanden. Obwohl in Frankfurt im Falle von Yeboah schon ein Urteil gesprochen worden war, hat man geglaubt, es gebe ein Pfälzer Modell. Das hat nicht langfristig funktioniert und zum Kollaps geführt.
Welche Transfers waren unter rein sportlichen Gesichtspunkten falsch?
Man hat zu oft auf Leute gesetzt, die im Verhältnis zu ihrem Einkommen nicht das gehalten haben, was sie versprochen hatten. Die erste Verpflichtung von Ciriaco Sforza war gut, die zweite vielleicht schon nicht mehr so gut, die dritte war falsch. Oder Basler: Bei Bremen fantastisch, bei Bayern schon nicht mehr so, bei Lautern ein Stehgeiger. Es gäbe weitere Beispiele von Spielern, die nicht gut genug waren, als der FCK ihre Leistung gebraucht hätte.
Basler, Sforza, Djorkaeff: Drei Namen die das übersteigerte Anspruchsdenken symbolisieren.
Die Stadt Freiburg hat 10.000 Einwohner mehr als Kaiserslautern. Dort lebt man damit, dass es mal hoch geht und mal runter – und trotzdem wird eine gute Jugend- und Aufbauarbeit geleistet. Beim FCK überdehnt man sich ständig, um oben zu bleiben. Nach dem Bosman-Urteil gingen die Spielergehälter in den zweistelligen Millionenbereich. Schon von daher ist es für einen Verein wie den FCK schwierig, sich langfristig in der ersten Liga zu etablieren. Wir hatten zum Schluss ein Budget von 13 Millionen Euro für Spielergehälter – das sind beim FC Bayern Gehaltskosten für zwei bis drei Spieler. Man hat beim FCK einen Zweitligaanzug an, will sich aber mit den ganz großen messen.
Sie bezeichneten Friedrich, Wieschemann und Herzog einmal, als »Scharlatane«. Ist der Pfälzer generell leichtgläubig und ein leichtes Opfer für solche Scharlatane?
Die Pfälzer sind sehr großzügige Menschen, gastfreundlich und haben ein riesiges Herz. Sie werden kaum einen Verein finden, der sich so auf seine Fans verlassen kann – auch in harten Zeiten. Es wird beim FCK ja seit Jahren hartes Brot gegessen. Sie hängen mit dem Herzen am FCK und sind natürlich sehr empfänglich für Heilsversprechen. Wenn man mit solchen Gefühlen so schamlos umgeht, dann muss man als Scharlatan bezeichnet werden.
Hat Ihnen die Begeisterungsfähigkeit der Pfälzer die Arbeit zuweilen selbst erleichtert? Sie gelten als brillanter Rhetoriker.
Kann sein, ich weiß es nicht. Mir ist es geglückt, die Leute zu überzeugen, weil ich dort keine Wurzeln hatte. Einem Kaiserslauterer wäre es bestimmt schwerer gewesen, die Leute von dem dringend notwendigen Stadionverkauf zu überzeugen, zu diesen Summen, in dieser Schnelligkeit. Wenn man da aufgewachsen ist, muss man politische Gepflogenheiten und Seilschaften berücksichtigen. Ich als Auswärtiger konnte relativ schnell und ohne Emotion an die Sache herangehen.
Sie sagten 2002 vorausschickend: „Mich reizt der FCK, aber ich bin ungern der Messias.“ Dennoch: Die Hoffnungen, die auf ihnen ruhten, müssen einen enormen Druck ausgeübt haben.
Keiner wusste, wie schlimm es war. Ich habe von Herrn Kirsch, der damals in der Opposition war, einen Brief bekommen, in dem Dinge erwähnt wurden, die ich dann zusammen mit Dr. Schickhardt und Prof. Müller untersucht habe. Wir sind zu dem schrecklichen Ergebnis gekommen, dass alles noch viel schlimmer war, als Herr Kirsch vermutet hatte. Dann musste man den Leuten klaren Wein einschenken, und sie haben gesagt: »Gott sei Dank ist jetzt jemand da, auf den wir uns verlassen können.« Im Laufe der Zeit hat sich das Blatt zwar langsam gewendet, aber anfangs war enormes Vertrauen in meine Person da.
(...)Quelle und kompletter Text: 11 Freunde