Nach fünf Remis in Folge reist der 1. FC Kaiserslautern zu Tabellenführer Hamburger SV, der in dieser Saison noch nie Unentschieden gespielt hat. Eine Serie wird also reißen. Und es muss nicht die der Lautrer sein.
Ist das Warten auf die Wende zu Ende? Im Sommer scheiterte der HSV erst in der Relegation am Wiederaufstieg in die Bundesliga, aber: Er scheiterte. Und enttäuschte somit im wievielten Jahr hintereinander die Hoffnungen seines Anhangs? Das können wohl nur ältere HSV-Fans beantworten. Überhaupt gibt es einige Parallelen, was den Niedergang des norddeutschen Traditionsklubs und eines gewissen anderen im Südwesten angeht. Beide aber scheinen aus den Fehlern der Vergangenheit endlich gelernt zu haben. Zur neuen Spielzeit ließ HSV-Sportvorstand Jonas Boldt mit Ausnahme des Talents Josha Vagnoman keine wirkliche Stammkraft ziehen und verstärkte den Kader nur punktuell mit Qualitätsspielern wie László Bénes und Ransford-Yeboah Königsdörffer. Auch Trainer Tim Walter durfte bleiben. Das Resultat: Ein Saisonstart mit acht Siegen und zwei Niederlagen. Und das, obwohl es in der Führungsetage der Hanseaten weiterhin rumpelt und kracht wie in schlechten alten Zeiten. Die Mannschaft auf dem Rasen wirkt davon bislang unberührt, sodass die Fans derzeit mit einiger Berechtigung davon träumen, dass der Aufbruch in bessere Zeiten geschafft ist.
Die beste Defensive der Liga: Daniel Heuer Fernandes ist einer der besten "mitspielenden" Keeper der Liga, der linke Innenverteidiger Sebastian Schonlau einer der besten für den "ersten Pass", der rechte Innenverteidiger Mario Vuskovic ein aktueller Shootingstar und der rechte Verteidiger Moritz Heyer der Spieler, der auf seiner Seite zu den meisten "progressiven Läufen" ansetzt - ja, da kann man Respekt bekommen. Und nach erst sechs Gegentreffern in zehn Spielen - was Liga-Spitze ist - können wir diese sogar mal einzeln im Schnelldurchlauf betrachten. Das Gegentor beim 2:1-Sieg gegen Hannover fiel nach einem Ausrutscher von Linksverteidiger Miro Muheim, dem dergleichen sicher nicht oft passiert. Der erste Gegentreffer beim 3:2-Sieg gegen Kiel fiel nach einer Rechtsflanke, die Rechtsverteidiger Heyer selbst reinmachte. Der zweite ebenfalls nach Rechtsflanke durch den Kieler Fin Bartels. Die zwei Gegentreffer beim 1:2 gegen Darmstadt ereigneten sich innerhalb der ersten sechs Spielminuten: Ein Kopfball nach einer Ecke von links und ein satter Rechtsschuss von der halblinken Strafraumgrenze nach einem schlecht verteidigten Flügelangriff. Der Gegentreffer beim 0:1 gegen Rostock fiel nach einem Flügelangriff über links, der halblinks am Fünfer abgeschlossen wurde. Sind da Muster zu erkennen? Über die Flügel könnte was gehen. Und unter Druck gesetzt leisten die Hamburger vorm eigenen Tor ihren Gegnern gerne auch mal Unterstützung.
Vorne ist Luft nach oben: Nur 16 Treffer haben die Rothosen bislang erzielt. Das ist für einen Tabellenführer nicht gerade berauschend. Sieben Teams in der Liga haben öfter getroffen, darunter auch der FCK, der 19-mal netzte. Respekt vor den vorderen Drei in Walters 4-3-3 ist dennoch geboten. Erinnert sei nur an das kraftvolle Solo Königsdörffers, mit dem der frischgebackene ghanaische Nationalspieler vergangenen Freitag den Hamburger Siegtreffer zum 2:1 in Hannover besorgte. Auf dem rechten Flügel ist Bakery Jatta das gelungen, was Lauterns Last-Minute-Verpflichtung Aaron Opoku nicht schaffte: sich als Eigengewächs in der Stammelf des HSV zu etablieren. Neuzugang Jean-Luc Dompé fällt verletzt aus, daher ist der erfahrene Sonny Kittel derzeit die erste Alternative auf den offensiven Außenbahnen. Ach ja, und in der Mitte lauert einer, den man in der Pfalz noch gut kennt: Robert Glatzel hat sich in seinem zweiten Jahr beim HSV als Torjäger etabliert und hat auch in dieser Saison schon sechs Mal getroffen. Ihn 2017 nicht auf dem Betzenberg gehalten zu haben, war ein großer Fehler. Denn er selbst wäre einer Weiterverpflichtung nicht abgeneigt gewesen, wie er mal in einem Interview verriet.
Der X-Faktor: Okay, für viele mag es Nerd-Kram sein, aber vor einem Auftritt beim Tabellenführer muss man auch mal Datenbänke quälen, um sich Mut zu machen. Der HSV mag mit 24 Punkten Tabellenführer sein, aber nach "expected Points" hat er bislang "überperformt". Heißt: Nach den Punkten, die er aufgrund der Ergebnisse hätte holen müssen, die "Wyscouts" Computersoftware anhand ihrer Bewertung der eigenen und gegnerischen Torgelegenheiten errechnete, müsste er sieben Punkte weniger haben. Damit wären die Hamburger nur Tabellen-6. Die Roten Teufel dagegen haben 1,9 Punkte weniger geholt, als der virtuelle Rechenmaschine für möglich gehalten hätte - und wären nach xPoints sogar Vierter. Ursächlich für das maue Abschneiden der Norddeutschen in diesem Ranking sind nicht die "xGoals", also die erwarteten eigenen Treffer - von denen haben sie exakt so viele erzielt wie berechnet, 16 nämlich. Ihr Problem sind die "xGoals against", also die erwarteten Gegentore. Da steht sechs tatsächlichen Gegentreffern ein Wert von 12.54 gegenüber. Was nichts anderes heißt als: Den Torchancen zufolge, die sie zulassen, hätten die Hamburger mehr als doppelt so viele kassieren müssen als in der Tabelle bislang zu Buche schlagen. Es ist nun also an den Schuster-Jungen, für die "Regression zur Mitte" zu sorgen, an die Statistik-Nerds glauben.
Fazit: Nach dem phasenweise recht dominanten Auftritt beim 1:1 gegen Braunschweig ist der FCK nun nicht mehr Letzter in "Wyscouts" Ballbesitz-Ranking. Dennoch: 39,2 Prozent Ballbesitz im Schnitt gegen 59,9 Prozent der Hamburger - dem zweithöchsten Wert der Liga - das lässt ein Spiel erwarten, das aussehen könnte wie Kaninchen gegen Schlange. Das zu verhindern, sollte für die Betze-Buben oberstes Gebot sein. Den Gegner über die Mittellinie kommen lassen, aber konzentriert und geschlossen ins Pressing gehen, bevor er das Angriffsdrittel erreicht - so haben sich die Roten Teufel in dieser Spielzeit schließlich schon einige Male gut gegen Teams behauptet, die ebenfalls sehr ballbesitzorientiert auftraten: gegen Hannover, gegen Freiburg im DFB-Pokal, gegen Magdeburg und, ja, trotz der Niederlage, auch gegen Paderborn. Zu beachten ist aber: Gegen Hannover galt es, einer spielstarken Mittelfeldraute zu begegnen, was den Lautrern über weiter Strecken taktisch hervorragend gelang. Die Hamburger spielen flügelbetont, ähnlich wie die Magdeburger, und die knackten die FCK-Defensive bekanntlich gleich vier Mal. Da sind vor allem die Außenverteidiger gefragt, es diesmal besser zu machen. "Die Lilien agierten sehr bissig gegen den Ball und setzten immer wieder Nadelstiche", schrieb der "Kicker" zum Erfolg der Darmstädter in Hamburg. Klingt ein bisschen zu banal für einen Matchplan, kommt als grobe Richtungsvorgabe aber hin.
Quelle: Der Betze brennt
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