Ergebnistechnisch durchwandert der 1. FC Kaiserslautern derzeit eine Talsohle. Und in Teilen des Umfelds wird schon wieder gepoltert, als hätte man aus der Vergangenheit nichts gelernt. Muss das sein? Ein DBB-Kommentar von Eric Scherer.
Vergangenen Samstag, als die FCK-Fans im Darmstädter Gästeblock ihre niedergeschlagene Mannschaft anfeuerten und sie minutenlang wieder aufbauten, postete fast zeitgleich jemand auf Twitter: er habe "wegen der heutigen Leistung von Kaiserslautern" seinen 4K-32-Zoll-Fernseher eingetreten. Handyfoto vom zerdepperten Gerät war angehängt. Echt jetzt? Oder vielleicht doch nur ein "Trolltweet", wie ein Kommentator darunter vermutete? Doch auch andernorts wird seit ein paar Wochen wieder böse abgeledert übers FCK-Team und seinen Trainer. Da ist von "Nicht-Leistungen" die Rede, von "Verweigerung", "Angsthasenfußball" und davon, dass die Mannschaft gerade dabei wäre, mit dem Allerwertesten wieder einzureißen, was sie eben noch mit Kopf und Herz aufgebaut hätte. Spieler werden einzeln herausgepickt und ihnen wird die Eignung zum Profi abgesprochen. Zwischen konstruktive und berechtigte Kritik gesellt sich vermehrt auch "Bashing", also Draufkloppen aus Frust, aber ohne sachliche Argumente. Am härtesten wird der Trainer kritisiert: Er stelle falsch auf, bevorzuge seine angeblichen Lieblinge, wechsle zu oft und falsch ein, und überhaupt, wie er vor jedem Spiel den Gegner stark rede, das sei doch nicht mehr zum Aushalten. Sogar professionelle Fußball-Beschreiber hauen mit Schmackes in diese Kerbe.
In der ersten Saisonhälfte hatte sich das berühmt-berüchtigte "Umfeld" noch so entspannt gegeben wie seit Jahren nicht mehr. Was ist passiert?
Mal ärgern ist ja okay, aber gleich draufhauen?
Ja, die Roten Teufel haben von ihren letzten sechs Spielen vier verloren, allesamt auswärts. Und, ja, man darf sich nach der 0:2-Niederlage in Darmstadt über ihre miserable Zweikampfbilanz ärgern. Darüber, dass es gegen Sandhausen nicht gelungen ist, eine 2:1-Führung ein paar Minuten über die Zeit zu retten. Oder darüber, dass die Schuster-Elf beim 0:2 gegen Magdeburg aus Respekt vor den schnellen Angriffsspielern des Gegners selbst zu wenig nach vorn riskierte.
Aber diese Reaktionen? Leute, was ist los? Wo ist sie hin, die "Demut", mit der der Verein Fritz Walters seine erste Zweitliga-Saison nach vier Jahren im Armenhaus des deutschen Fußballs bestreiten wollte? FCK-Boss Thomas Hengen hatte sie zu Beginn der Saison eingefordert, und alle hatten doch anerkennend genickt, oder?
2023 bislang 1,25 Punkte im Schnitt - das würde sogar reichen
Werfen wir doch mal einen Blick auf die sogenannte "Rückrundentabelle", wie sie sich bislang präsentiert. Das ist insofern interessant, als dass sich die Halbserien-Tableaus gerade in dieser Liga selten gleichen. Eine komplette Runde auf durchgehend konstant hohem Level spielen seit jeher nur wenige Mannschaften. Und auch nach acht Spielen dieser zweiten Serie sieht es so aus, als punkteten nur Darmstadt und Heidenheim in der Frequenz weiter, die sie auch vor Weihnachten erreichten. St. Pauli, Ende der Hinrunde noch 15. in der akuter Abstiegsgefahr, hat nun acht Siege in Folge gelandet. Auch Magdeburg und Karlsruhe haben bereits ordentlich Zähler gesammelt. Der Hinrunden-Zweite HSV ist in der bisherigen Rückrunden-Tabelle nur noch Sechster. Hannover, in der Winterpause noch Fünfter, ist in selbiger Letzter, hat sich erst drei Punkte gesichert.
Und die Roten Teufel? Sind in der aktuellen Rückrundentabelle Zehnter. Haben verloren gegen den 1., den 3., den 7. und den 8. dieses Rankings, also ausnahmslos gegen Teams, die aktuell zu den formstarken gehören. Ist das so peinlich für einen Aufsteiger? Andererseits hat das Schuster-Team in den ersten acht Spielen 2023 auch schon zehn Punkte geholt. Das entspricht einem Schnitt von 1,25 Punkten. Wären auf 34 Spiele hochgerechnet 42,5 Zähler. Also der absolut sichere Klassenverbleib. Mehr war eigentlich doch auch nie angepeilt, oder?
Platz 4 nach der Hinrunde war nur ein Weihnachtsgeschenk
Der vorübergehende Sprung auf Platz 4, der offenbar schon wieder - auch von den Medien befeuerte - Durchmarschträume ins Kraut schießen ließ, kam in erster Linie durch den Neun-Punkte-Strike in der Englischen Woche zum Hinrundenfinale zustande. Unmittelbar davor hatte der FCK eine Serie mit nur einem Sieg aus neun Partien, was viele über die zehn Wochen lange Winterpause anscheinend vergessen haben. Dass am Schluss insbesondere die Siege in Bielefeld und Düsseldorf nur glückliche Zufallsprodukte waren, müsste eigentlich auch der forderndste Fan einräumen.
Nun zur Kritik, das Team könne durch die viele Wechselei des Trainers bei Personal und Grundordnung keine Linie mehr finden. Dass mehr Einwechslungen vorgenommen werden, wenn ein Team zurückliegt, ist ja wohl kein Wunder. Gleiches gilt für personelle und taktische Änderungen nach Niederlagen, aus denen man ja schließlich lernen soll. Soll heißen: Das Team hat nicht verloren, weil zu viel gewechselt wurde, sondern es wurde viel gewechselt, weil es am Verlieren war.
Zu viel geswitcht? Muss man lernen, wenn man nach oben will
Insgesamt hat Schuster in den acht Spielen 2023 übrigens erst 18 Spieler eingesetzt, Zwei weniger als zum gleichen Zeitpunkt der Hinrunde, wobei damals Aaron Basenach und René Klingenburg in der Tat nur Kurzeinsätze absolvierten. Doch wenn Avdo Spahic gegen Sandhausen nicht hätte den erkrankten Andreas Luthe ersetzen müssen, wären es sogar nur 17 gewesen. Der Trainer bewegt sich mit seinen Wechseln also in einem verhältnismäßig homogenen Spielerkreis.
Zwischen Viererkette- und Dreierkette geswitcht hat Dirk Schuster ebenfalls schon in der Hinrunde, und das mehrmals. Von Anfang an mit Dreierkette agieren ließ er etwa beim 1:1 in Hamburg, wo der FCK ein tolles Auswärtsspiel bot. In den Heimspielen gegen Magdeburg und Darmstadt hat er durch ein Umstellen während des Spiels entscheidende Veränderungen zum Positiven bewirkt. Dass er es im Rückspiel gegen Magdeburg von Beginn an mit Dreierkette versuchte, nachdem die "Micky Mäuse" des FCM der Viererkette im Hinspiel drei Tore binnen 22 Minuten eingeschenkt hatten, ist insofern verständlich. Dass er damit diesmal nicht erfolgreich war, ist eben Fußball.
Beim 0:1 auf St. Pauli verbesserte die Umstellung auf Dreierkette zumindest die defensive Stabilität, die Niederlage verhinderte sie nicht. In Paderborn behaupteten sich die Lautrer mit Dreierkette gegen einen zweifellos spielstärkeren Gegner über lange Zeit recht gut, ein möglicher Führungstreffer landete an der Torlatte - und am Ende verloren sie nur durch einen sicher nicht alltäglichen Sahne-Freistoß von Daniel Heuer.
Gegen Fürth mit Raute hat doch auch geklappt
Überhaupt: Ein Team zwischen verschiedenen Defensivordnungen wechseln zu lassen, muss nicht unbedingt für Unsicherheit sorgen, muss aber unbedingt Teil einer Weiterentwicklung sein, wenn ein Team perspektivisch wieder höhere Ziele anstreben soll. Beim 3:1 gegen Fürth hatte Schuster in den finalen 20 Minuten sogar mal auf ein 4-4-2 mit Raute umgestellt, damit das Kleeblatt nicht weiter ständig zu Torchancen kommt. Hatte das Team in dieser Saison noch nie gespielt, hat trotzdem geklappt. Taktisch unflexibel und eintönig zu sein, kann man Dirk Schuster jedenfalls wirklich nicht ernsthaft vorwerfen.
Fakt ist lediglich: Bei einer Dreierkette werden andere Flügelbesetzungen notwendig als in Formationen mit Viererkette. Und wenn einem Team ein Philipp Hercher, ein Kenny Redondo oder ein Aaron Opoku hundertprozentig fit zur Verfügung stehen, lässt sich zumindest darüber diskutieren, ob eine Dreierkette dann Sinn macht. Erst recht, wenn auch noch ein Zehner wie Philipp Klement in der Startelf stehen soll.
Von wegen "psychologische Barriere"
Gerade wird die nächste thematische Sau durchs Dorf getrieben: Die 40-Punkte-Hürde, die Trainer & Co. selbst aufgebaut haben und deren Übersprung die Roten Springteufelchen seit Wochen verpassen, soll sich zu einer "psychologischen Barriere" oder was in der Art ausgewachsen haben. Ja, nee, iss klar. Redet den Jungs diesen Unsinn nur lange genug ein, dann glauben sie ihn vielleicht ja tatsächlich irgendwann.
Warum es an der Zeit ist, dies alles mal einzuwerfen? Weil es insbesondere auch in den nächsten beiden Heimspielen gegen Heidenheim und Hamburg womöglich keine Punkte regnen wird. Und dieser Verein niemals zur Ruhe kommen wird, wenn Funktionäre, Mannschaft, Trainer und Anhang nicht langsam mal lernen, gemeinsam Talsohlen zu durchwandern, ohne dass gleich Köpfe rollen müssen. Oder Fernseher eingetreten.
Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer