Über’n Tellerrand

Erkenntnisse aus einem Klassenkampf

Erkenntnisse aus einem Klassenkampf

Foto: Imago Images

Aus weniger mehr machen als andere, darin war der 1. FC Kaiserslautern früher führend. Der ewige Kampf "Groß gegen Klein" tobt in der Bundesliga nun ohne ihn - bietet dabei aktuell aber durchaus lehrreiche Aufschlüsse.

Der Abstiegskampf in Deutschlands höchster Spielklasse ist heuer fast so spannend wie der Aufstiegskampf in der 3. Liga, nur dass das Zuschauen den FCK-Fan nicht so viele Nerven kostet. Was manchmal ja den klareren Blick auf das Geschehen ermöglicht. Und dabei fällt zunächst mal auf: Von den fünf Vereinen, aus denen sich in den nächsten Wochen aller Wahrscheinlichkeit nach mindestens zwei künftige Zweitligisten rekrutieren werden, hat nur einer in dieser Saison mal aufs Allheilmittel Trainerentlassung gesetzt. Zeichnet sich da etwa ein neuer Stil im deutschen Profifußball ab? Bleibt die "letzte Patrone" künftig öfter im Lauf?

Hertha BSC: Die alte Dame knatscht sich Richtung Untergang

Dieser eine Klub allerdings hat es in sich. Denn er leistete sich gleich zwei Übungsleiterwechsel. Von denen einer befremdlicher wirkte als der andere: Auf Pal Dardei folgte zunächst der ehemalige FCK-Trainer Tayfun Korkut, auf diesen schließlich Felix Magath. Der Oldie coachte bei seinem Debüt Hertha BSC aus der Corona-Quarantäne heraus immerhin zu einem ersten 3:0-Erfolg über die TSG Hoffenheim. Aber war das nun die Wende zum Besseren - oder doch nur die eine Schwalbe, die noch keinen Sommer macht? Egal. Denn davon abgesehen, spielen die Berliner schon seit Jahren auf jener großen Bühne, die auch den FCK bis in die 3. Liga führte: Keine Linie in der Klubführung, ständige Trainerwechsel, vogelwildes Agieren am Transfermarkt, permanenter Knatsch wegen und mit Funktionären oder einem Investor. Und nicht zuletzt ein Kommunikationsdesaster, das das nächste jagt. Auch der Hamburger SV und Schalke 04 lassen als Beispiele grüßen.

Der Erkenntnisgewinn für den FCK: Auch andere können sich mit Schmackes in die Gülle reiten - und selbst den 374-Millionen-Euro-Invest eines Lars Windhorst verbraten. Das ist zwar nicht lehrreich, aber doch irgendwie beruhigend zu wissen. Oder auch nicht.

SpVgg Fürth: Chancenlos - der kleinste Etat ist aber nicht das Problem

Ebenso kann der erste Blick trügerisch sein. Der Aufsteiger SpVgg Fürth zum Beispiel. Der steht auf Platz 18, wo er von vorneherein erwartet worden war, da er mit dem schmächtigsten Etat aller Bundesligisten in die Saison startete. Aber: Der ist gar nicht mal das Hauptproblem. Die Kleeblätter mussten vergangenen Sommer trotz Aufstieg vier Leistungsträger abgeben. Sebastian Ernst, David Raum und Paul Jaeckel gingen ablösefrei, nur für Anton Stach flossen 3,5 Millionen Euro aus Mainz, mit denen sich in der Beletage aber heute keinen großen Sprünge mehr machen lassen. Da beißt keine Maus ’nen Faden ab: Die Truppe, mit der sich Fürth nun durch die Bundesliga quält, ist schwächer als die, die sich vergangene Saison im Unterhaus nach oben schoss. "Hätte man all diese Spieler halten können, wäre es super spannend in Sachen Klassenerhalt geworden", schrieb der einstige FCK-Stürmer und ehemalige Fürther Trainer Bruno Labbadia im "kicker". Denn: "Dem Aufstieg ging eine sensationelle Arbeit über zwei, drei Jahre voraus, das sehen nur viele Menschen mit Blick auf die Tabelle nicht." Bezeichnend: Raum ist mittlerweile Nationalspieler, Stach gerade neu in Hansi Flicks A-Kader berufen worden.

Der Erkenntnisgewinn für den FCK: Gerade nach einem Aufstieg wäre es wichtig, die Leistungsträger zu halten. Und wenn das schon nicht geht, sollten wenigstens fette Ablösen fließen. Also zusehen, dass Matheo Raab und Philipp Hercher ihre Arbeitspapiere erneuern. Aber flott.

VfL Bochum: "Benchmark" in Sachen Aus-wenig-viel-Machen

Denn wie gut es auch ohne viel im Säckel laufen kann, wenn sonst alles passt, zeigt der VfL Bochum auch in dieser Saison - selbst wenn er mit dem Spielabbruch gegen Gladbach vergangenen Freitag gerade Negativschlagzeilen machte. Bereits im vergangenen Jahr haben wir dargestellt, wie gut dem kleinen Ruhrpott-Klub die Balance zwischen Talententwicklung, umsichtig getätigten Transfers und einem erfahrenem Kernteam geglückt ist. Und nach dem ersten Aufstieg nach elf Jahren Zweitklassigkeit pflegt der VfL diesen Stil nahtlos weiter. Die jungen Innenverteidiger Armel Bella-Kotchap und Maxim Leitsch konnten zur allgemeinen Überraschung gehalten werden - da waren wohl auch kluge Berater mit im Spiel, die wissen, dass Spielpraxis für solche Jungs wertvoller ist, als es Bankplätze bei besser zahlenden Vereine sein können. Geholt wurden ausnahmslos ablösefreie Kicker und Leihspieler. Sebastian Polter etwa, der vom Mainstream nie als "erstklassiger" Stürmer angesehen wurde, beim VfL aber bereits acht Treffer markiert hat. Oder die technisch und taktisch versierte Allzweckwaffe Eduard Löwen, der vor langer Zeit auch mal im FCK-Nachwuchs aktiv war. Zusammengehalten wird der Laden von Routiniers wie Anthony Losilla, Manuel Riemann und Danilo Soares, die in ihren Karrieren nie nach den Sternen griffen, dafür aber umso fester mit beiden Beinen auf der Erde stehen. Das Resultat: Der VfL rangiert aktuell auf Rang 11 - und ist nur "rechnerisch" noch nicht gerettet.

Der Erkenntnisgewinn für den FCK: Der VfL Bochum, der laut Marktwertranking von "transfermarkt.de" die zweitbilligste Mannschaft der Liga stellt, bleibt weiterhin "Benchmark", was das Aus-wenig-viel-Machen angeht. Okay, wir könnten auch Union Berlin anführen, das mit dem viertbilligsten Team sogar einen einstelligen Tabellenplatz behauptet, doch der VfL ist für den FCK gegenwärtig das besser kopierbare Vorbild. Außerdem haben wir auch die "Eisernen" schon gebührend gewürdigt. Und mit der Erkenntnis verbinden wir die Hoffnung, dass Raab und Hercher ähnlich umsichtige Berater haben mögen wie Bella-Kotchap und Leitsch.

Arminia Bielefeld: Konzept geht über Klassenerhalt - schön gesagt, schwer zu leben

Den drittgünstigsten Bundesligakader stellt Arminia Bielefeld. Die Ostwestfalen trennten sich im März 2021 von ihrem Aufstiegstrainer Uwe Neuhaus. Für ihn verpflichtete Sportchef Samir Arabi Frank Kramer, was selbst eingefleischte Fans fremdeln ließ: Kramer? Der hatte weder die gerne geforderte "Liga-Erfahrung" vorzuweisen, geschweige denn sich jemals irgendwo als "Retter" profiliert. Galt lediglich als Mann des Nachwuchses, der unter anderem Juniorenteams von RB Salzburg und des DFB betreut hatte und mit Fürth 2014 knapp am Bundesliga-Aufstieg gescheitert war. Aber: Der namenlose Kramer hob die Arminia über den Strich, schaffte mit dem DSC am Ende noch Platz 15. In dieser Spielzeit steht Bielefeld seit dem vergangenen Samstag und einer 0:4-Klatsche gegen Mainz auf Tabellenplatz 17 - also dort, wo die, die sowieso immer schon alles vorher wussten, sie bereits vor einem Jahr sahen. Dennoch: Noch ist nichts entschieden - und die Konsequenz, mit der die Bielefelder das Konzept verfolgen, für das sie Kramer geholt haben, verdient Respekt. Vor allem das Offensiv-Quartett Robin Hack, Masaya Okugawa, Patrick Wimmer und Bryan Lasme ist interessant. Alles Typen um die 23, die in ein bis zwei Jahren fette Ablösesummen generieren könnten. Ob es damit schon in dieser Saison reicht, Bielefeld zum Klassenerhalt zu schießen? Schau mer mal.

Der Erkenntnisgewinn für den FCK: Konzept über Klassenerhalt stellen? Das wäre in Kaiserslautern wahrscheinlich nur schwer zu vermitteln. Kann in einem Jahr klappen, im nächsten wiederum nicht. Dass man nach zwei Schritten nach vorne vielleicht auch mal wieder einen zurück in Kauf nehmen muss, lässt sich zwar schön sagen - aber leben?

VfB Stuttgart: Lässt sich mit den "jungen Wilden" weiter Kurs halten?

Vor diesem Hintergrund lohnt ein Blick auf den VfB Stuttgart. Der zählt zwar nicht zu den genannten "Kleinen", hat sich aber deren Jugendstil auferlegt - aus Gründen. Als der VfB vor drei Jahren das letzte Mal abstieg, hatte er acht erfahrene Nationalspieler in seinen Reihen. Half nichts. Vergangenen Sommer spülten die Verkäufe von Nicolás González und Gregor Kobel rund 40 Millionen Euro in die Kassen der Schwaben, doch Sportdirektor Sven Mislintat wollte nicht reinvestieren, sondern lieber auf Talententwicklung setzen. Einkäufe um und über der 20-Millionen-Marke seien beim VfB auch nach diesen Einnahmen nicht drin, erklärte er. Und ohnehin stimmten auf dem von Corona verwirbelten Transfermarkt die Verhältnisse zwischen Preis und Leistung nicht mehr. So blieb neben dem Mainzer Keeper Florian Müller der Däne Wahid Faghir der zweitteuerste Einkauf. Er war 4,5 Millionen Euro schwer und ist erst 18 Jahre jung. Bislang kommt er auf gerade mal sieben Einsätze, doch wird sein Transfer von Mislintat weiter glühend verteidigt: Faghirs Zeit komme noch. Nach dem viel umjubelten 3:2 Last-Minute-Erfolg über Augsburg vergangenes Wochenende stehen Stuttgarts junge Wilde nun auf Rang 14, sind aber noch lange nicht gerettet. Und die Ansprüche im Umfeld sind höher, strahlt der Klub doch unter einem automobilen Nobelstern. Vorstandschef Thomas Hitzlsperger, der das Konzept der jungen Wilden mittrug, hat gerade abgedankt. Ob Mislintat am Ruder bleibt, wenn sein Kurs in die 2. Bundesliga führt, darauf möchten wir lieber nicht hoch wetten. Gleiches gilt für Trainer Pellegrino Matarazzo. Im Unterhaus aber stünde direkt ein junges Kernteam bereit, das im Abstiegskampf gereift ist und um ein Vielfaches stärker zurückkehren kann. Zudem winkt mit dem Verkauf des gerade erblühten Jungstürmers Sasa Kalajdzic eine weitere Transfereinnahme über der 20-Millionen-Marke. Nicht der schlechteste Wechsel für die Zukunft.

Der Erkenntnisgewinn für den FCK: Eigentlich der gleiche wie aus dem Beispiel Bielefeld. Allerdings: Die "Kleinen" scheinen in sich gefestigter, wenn es darum geht, ein Konzept auch um den Preis eines Rückschlags durchzuziehen. Und der FCK wird auf jeden Fall ein "Kleiner" sein, wenn er tatsächlich mal in diese Höhen zurückkehren sollte. Und auf jeden Fall bitte Sven Mislintats besten Spruch ins Poesiealbum aufnehmen: "Nur in Krisen kommen die Jungs nach vorne, die automatisch führen können. Die kaufst du nicht ein."

FC Augsburg: Die soliden Kellerkinder brechen mit ihrem Image

Einer fehlt noch: Der FC Augsburg. Einer von so vielen Klubs, die in den vergangenen 20 Jahren langsam, stetig und dauerhaft an den Roten Teufeln vorbeigezogen sind. 2006 stiegen die Augsburger in die 2. Bundesliga auf, 2011 ging es noch eine Liga höher. 2014 uns 2015 schlossen sie unter Trainer Markus Weinzierl, der auch aktuell wieder an der Seitenlinie steht, zweimal hintereinander auf einstelligen Tabellenplätzen ab. Ansonsten war der FCA stets in der unteren Hälfte unterwegs, steckte dabei zumindest phasenweise auch im Abstiegskampf, hat sich aber stets behauptet. 2016 sahnte der Klub mit dem 26-Millionen-Transfer von Abdul Rahman Baba zum FC Chelsea richtig ab, in neue Dimensionen vorstoßen ließ sich damit aber auch nicht. Man blieb unspektakulär, aber solide. Auch in dieser Saison hat man im Abstiegskampf die Nase derzeit noch über dem Strich. Nun aber will der Klub zu neuen Ufern aufbrechen. Der amerikanische Finanzinvestor David Blitzer hat sich in die Hoffmann Investoren GmbH eingekauft, dem fast alleinigen Anteilseigner der ausgegliederten Profiabteilung. Gleichzeitig ist Hoffmann seit acht Jahren Präsident des Klubs. Dahinter lässt sich unschwer ein Aushebeln der 50+1-Regel erkennen, nach der ein Verein ja stets einflussreicher bleiben soll als seine Investoren. Schon im Winter durfte die Konkurrenz die neue Wirtschaftskraft der Fuggerstädter kennenlernen: Mit Ricardo Pepi wurde ein US-Amerikaner verpflichtet, der zunächst 13 Millionen Euro, mit diversen Zuschlägen bald 16 bis 20 Millionen Euro kosten wird. Pepi ist gerade mal 19 Jahre alt. Das sind für Augsburg in der Tat neue Dimensionen.

Der Erkenntnisgewinn für den FCK: Zugegeben, gar keiner. Ob mit Transfers wie dem von Pepi, die nach dem radikalen Kurswechsel nun drin sind, der sportliche Weg des FCA nun tatsächlich nach oben führt, wissen wir nicht. Ob solche Winkelzüge mit Investoren in dieser Größenordnung auch beim FCK möglich gemacht werden könnten, ebenfalls nicht. Sympathisch sind sie jedenfalls nicht. Kommentar von Dirk Zingler, Präsident von Union Berlin: "Augsburg ist jetzt schlimmer als Leipzig." Dem ist nichts hinzuzufügen.

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer

Weitere Links zum Thema:

- Die Erfolgsformel des VfL: Zur Nachahmung empfohlen? (Der Betze brennt, 29.04.2021)
- Warum Union für den FCK ein Quell der Inspiration ist (Der Betze brennt, 19.01.2021)

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