Kummt Senf druff

Der Schulterschluss

Der Schulterschluss


Der 1. FC Kaiserslautern stemmt sich gegen den Abstieg in die 3. Liga. In bemerkenswerter Einigkeit gehen Mannschaft und Fans ihr Schicksal an - und verwundern damit Beobachter von weiter außen. Worauf basiert der Schulterschluss?

Ein kleines Grinsen konnte sich Michael Frontzeck nicht verkneifen. Keine Stunde lag der Abpfiff im Kellerduell zwischen der SpVgg Fürth und dem 1. FC Kaiserslautern zurück, da erklärte der Cheftrainer in kleiner Runde, wieso er einige Minuten nach dem Abpfiff noch einmal zu den Fans gegangen war. "Ich muss hier gar keinen beruhigen. Ich glaube, die Fans sind mit sich und der Mannschaft im Reinen", sagte Frontzeck. Es sei ihm lediglich darum gegangen, den rund 3.000 mitgereisten Lautrer Anhängern einen guten Weg in die Heimat zu wünschen und sich für den Support am Ronhof zu bedanken. "Das ist jetzt ziemlich wenig für die 'Bild'", fügte der 53-Jährige mit einem Augenzwinkern in Richtung des entsprechenden Reporters an.

Ein kleiner als Scherz gemeinter Seitenhieb, der aber einen wahren Kern enthält: Denn mit Erstaunen wird weiter weg von der Pfalz registriert, wie positiv sich Mannschaft und Fans trotz prekärer Tabellensituation begegnen. Das obligatorische Lauern auf Skandale, das Suchen nach Beschimpfungen, geschmacklosen Drohungen und blanker Wut - es ist momentan nicht mehr als vergebliche Sensationslust, die in Achselzucken übergeht.

Die Emotionen sind bereits übergekocht

Der 1. FC Kaiserslautern liefert nicht die typischen Geschichten eines Absteigers, wie sie in anderen Ligen zu beobachten sind. In Köln wird die jahrelang überzeugende Arbeit innerhalb weniger Wochen regelrecht gesprengt. Der Hamburger SV tauscht Trainer und Vereinsverantwortliche im Wochentakt und liefert mittlerweile auch abseits des Rasens die klassischen Aufregerthemen. In der 3. Liga kann der designierte Absteiger Erfurt nicht einmal mehr die Miete für seine Geschäftsstelle bezahlen und denkt über eine Planinsolvenz nach. Ähnliche Turbulenzen drohen in Chemnitz.

Es ist nicht so, dass die Emotionen im Laufe dieser Spielzeit nicht auch in Kaiserslautern übergekocht wären. Der Leistungsverweigerung in Regensburg folgten in der Hinrunde Szenen wie 2008 gegen Hoffenheim, als Jeff Strasser seine Spieler vor dem schäumenden Gästeblock aufstellen ließ. Nach dem mageren 0:0 gegen Bochum erzwangen rund hundert Fans eine Aussprache am Tor zur Nordtribüne. In Heidenheim lieferten sich Spieler, Betreuer und Schlachtenbummler noch ganz unter dem Eindruck des bitteren Last-Minute-Knockouts teils hitzige Wortgefechte.

Fans und Mannschaft kämpfen um das Wunder

Mittlerweile ist die 3. Liga nicht mehr nur eine ferne Bedrohung, sie ist eine reale Option. Doch gemessen daran geht es rund um den Betzenberg inzwischen fast schon beschaulich zu. Strittige Themen wie die angepeilte Reduzierung der Stadionpacht werden - abgesehen von einzelnen Verlautbarungen aus Frankfurt und Mainz - wenig hysterisch von Fans und Medien begleitet. Auf den Rängen und am Trainingsplatz sucht man Plakate und Gesänge mit Unmuts- oder gar Hassbekundungen vergeblich. Im Gegenteil: Fast schon in Einigkeit kämpfen Mannschaft und Fans Woche um Woche um das Wunder, das wohl der Klassenerhalt in der 2. Bundesliga wäre. Worauf basiert dieser Schulterschluss, der auch nach der zweiten Niederlage in einem Sechs-Punkte-Spiel innerhalb von zwei Wochen Bestand hat?

Es sind viele Puzzleteile im aktuellen Gebilde und eines der größten fügte sich wohl an einem dramatischen Januar-Abend am Darmstädter Böllenfalltor ein. Nach einem vorgezogenen Endspiel, einer "Alles-oder-nichts"-Partie, stand nicht die Frage im Raum, ob der FCK nun schon abgestiegen sei oder nicht. Alles überlagerte die Erkrankung von Jeff Strasser, der unfreiwillig vorführte, dass es - so abgedroschen es auch klingt - doch noch Wichtigeres gibt als dieses Spiel auf dem Rasen.

Strassers Erkrankung eint

Die Sorge um den Trainer einte die Fangemeinde und auch wenn das Spiel gegen Düsseldorf wenige Tage später verloren ging, stand die FCK-Familie eng zusammen. Und wer einmal eng zusammensteht, der prügelt nicht gleich aufeinander ein.

Ohnehin müsste sich die Frage stellen, gegen wen denn ausgeteilt werden sollte. Schon im Dezember begann ein wichtiger Prozess der Erneuerung. Der fünfköpfige Aufsichtsrat erhielt vier neue Mitglieder, auf Vorstandsebene ersetzte der erfahrene und geradlinige Martin Bader den glücklosen Thomas Gries. Das Traineramt übernahm Michael Frontzeck, der der angesichts seiner mageren Punkteausbeute bei vergangenen Stationen aufgeflammten Ironie mit einem bisherigen Punkteschnitt von 1,71 die Grundlage entzog.

Die Ergebnisse reichen noch nicht

Und nicht zu vergessen: Frontzecks Fußball mit klarer Struktur und klaren Vorgaben nimmt das Publikum mit. Die Jungs müssen "alles auf dem Platz lassen", gilt bei dem Coach als Devise. Die Ergebnisse reichen zwar momentan noch nicht aus, um sich nach Wochen wieder vom letzten Platz zu lösen. Doch sie öffnen zumindest die Möglichkeit, an diese Mannschaft noch zu glauben. Anders als beim Bundesliga-Abstieg 2012, als Demütigung auf Demütigung folgte, nimmt man den Spielern Einsatz und Leidenschaft ab - auch wenn nicht wenige die unfassbar schlechte Hinrunde mit verschuldet hatten.

Der Aufschwung im neuen Jahr wird hauptsächlich mit den Neuzugängen - allen voran dem neuen Abwehrchef Jan-Ingwer Callsen-Bracker - erklärt, die endlich die passende Antwort auf quälende Fragen nach Mentalität und Einstellung gaben. Inzwischen spielten sich aber auch Brandon Borrello, Christoph Moritz, Phillipp Mwene oder Osayamen Osaswe in den Vordergrund. Akteure, die vor noch nicht einmal einem halben Jahr Zweifel an ihrer Qualität und Professionalität ließen. Fast schon unbemerkt spielte der FCK beim rasanten 4:3-Sieg gegen Union Berlin, der Blaupause eines echten Betze-Spiels, rund 80 Minuten in "Sommer-Besetzung", also mit jenen Spielern, die in den ersten Spielen unter Norbert Meier noch als zu schlecht abgestempelt wurden.

Der frische Wind auf und neben dem Platz wird registriert. Mit klaren Aussagen und der Bereitschaft zur zweigleisigen Planung bieten Bader und Finanzvorstand Michael Klatt kaum Angriffsfläche. Jeder weiß, was diesem Verein blühen könnte. Jeder sieht aber auch die Möglichkeit, einen der größten Unfälle der Vereinsgeschichte schnell korrigieren zu können - oder eben noch zu verhindern. Vertrauen und Glaubwürdigkeit, seit Jahren oft gefordert, scheinen momentan keine dahingesagten Floskeln.

Und so klettern auch die Zuschauerzahlen langsam, aber konstant wieder über die 20.000er-Marke, feuert der Betze-Anhang seine Mannschaft auch nach dem x-ten Rückstand an und muntert die Spieler nach dem Schlusspfiff auf, die ihrerseits auch rege den Kontakt zur Fankurve suchen. Wohin das führt, wird sich schon bald zeigen. Der Schulterschluss in Erwartung des Schicksals hat aber Bestand.

Quelle: Der Betze brennt | Autor: paulgeht

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