Über'n Tellerrand

Donchi Kubeba? KUBEBA!

Donchi Kubeba? KUBEBA!

Foto: Imago

Es war der Tiefpunkt einer Nation. Das Land lag in Trauer und die Menschen versammelten sich zu tausenden am Nationalstadion, um einer Beerdigung beizuwohnen. Mehrere Holzsärge rollten an, Fußballfunktionäre aus der ganzen Welt waren anwesend, natürlich auch der Staatspräsident, alle Minister und Personen des öffentlichen Lebens. An diesem Tag wurde eine Fußballnation begraben. Schwer vorstellbar, was damals in Lusaka los war.

Die Menschen umarmen sich, Fans weinen, Bierduschen in der Kneipe, wehende Fahnen im ganzen Land. Schwarz oder Weiß, egal. Alle feiern, schreien, singen miteinander. Paraden auf der Straße, Autokorsos. Trikothändler mit Rekordeinnahmen. Unbeschreiblich, was hier los ist.

Was 1993 begann, sollte 2012 enden. Die Geschichte von Trauer und Helden, einer stolzen Nation im zweimaligen Ausnahmezustand. Ich spreche von Sambia, einem Land im südlichen Afrika zwischen Simbabwe, Tansania und Angola.

1993 war die sambische Nationalmannschaft auf dem Weg zum WM-Qualifikationsspiel in den Senegal. Kurz nach einem Zwischenstopp in Gabun stürzte die Maschine in den Atlantik. Alle Insassen starben. Sambia stand damals vor der erfolgreichen Qualifikation für die WM in den USA - es wäre die erste Teilnahme bei einer Weltmeisterschaft gewesen. Der Traum von der WM und die Mannschaft mussten begraben werden. Sie wurden zu Nationalhelden und ein Denkmal erinnert an die schwärzeste Stunde des sambischen Fußballs.

„Wir haben es für die Jungs von '93 getan. Heute standen 22 Sambier auf dem Platz und elf Millionen dahinter.“

Der Fußball schreibt komische Geschichten. Manchmal sogar gerechte, und so sollten die „Chipolopolo Boys“ (die Gewehrkugeln) wieder nach Gabun fliegen. Diesmal zum Finale des Afrika-Cups. Zweimal war man bereits im Finale gescheitert, aber diesmal sollte es endlich gelingen. Die Fans waren zuversichtlich, stand doch das Schicksal auf der Seite der Sambier. In der Gruppenphase wurde der Senegal ausgeschaltet, nicht gerade eine kleine Hausnummer im afrikanischen Fußball. Im Halbfinale mit Ghana einer der Topfavoriten auf den Turniersieg. 1:0 für Sambia. Donchi Kubeba!

Nun warteten Didier Drogba und die Elfenbeinküste auf Sambia. Die Elfenbeinküste war der Anwärter auf den Turniersieg und eigentlich sollte es eine klare Angelegenheit werden. Sondermaschinen mit Fans flogen am Finalmorgen von Lusaka nach Libreville. Bereits zweieinhalb Stunden vor Anpfiff war in den Kneipen der Hauptstadt kein Platz zu finden. Die Straßen wie leergefegt. Es herrschte eine Stimmung, wie ich sie in den letzten zweieinhalb Jahren, seit ich hier bin, in diesem Land noch nicht erlebt hatte. Ich war mir ebenfalls sicher: Heute wird Geschichte geschrieben.

„Donchi Kubeba, pssst!“

Es war das Wahlkampfmotto der Oppositionspartei bei den Präsidentenwahlen im September 2011. In demokratischen Wahlen und ohne Ausschreitungen haben die Sambier den Regierungswechsel geschafft. Dies kann man an dieser Stelle ruhig würdigen, denn Afrika schreibt nicht gerade positive Schlagzeilen, wenn es um Politik geht. Die Sambier hatten bewiesen, dass sie ein demokratisches Verständnis haben und ein friedliebendes Volk sind.

Donchi Kubeba, pssst, war das Motto. Das ist Nyansha, eine lokale Sprache und bedeutet „Sagt nichts!“ Nach dem offiziellen Endergebnis der Wahlen und dem Regierungswechsel hieß es nur noch KUBEBA, frei übersetzt: Schreit es heraus!

Das Motto der Wahl und der neuen Regierung sollte auch der Slogan der „Chipolopolo Boys“ werden. Nach einem Tor und einem Sieg hieß es ganz einfach: Donchi Kubeba, sagt nichts. Bleibt ruhig bis zum Triumph.

Als der Kapitän Christopher Katongo (ehemals Arminia Bielefeld) nach dem Finale den Pokal in den afrikanischen Himmel hob, war es allen in Sambia lebenden Menschen klar. KUBEBA, schreit es heraus - und wie geschrieen wurde!

Das Wunder war vollbracht. Zum ersten Mal der Gewinn des Afrika-Cups für Sambia. Was 1993 begann, wurde 2012 beendet. Ein typisches Finale war es allerdings nicht. Von jedem Fan der „Chipolopolo Boys“ wurde Höchstleistung erwartet. Der Anpfiff verschob sich um 30 Minuten, African Time Factor. Also weiter warten und die Theke unsicher machen. Gott sei Dank hatten meine Freunde und ich noch einen Platz in der Sauna, äh Kneipe erhalten. Das Kondenswasser tropfte von der Decke, plötzlich Bildstörung… aaaahh. Mei Nerve! Drogba verschießt einen Elfmeter. 0:0 nach 90 Minuten. Verlängerung, Schuss an den Pfosten, Ende. Elfmeterschießen. Aber auch das sollte spannend werden. Ein Spieler der Elfenbeinküste vergab, Jubel im Land. Nein, der Elfmeter wurde wiederholt. Treffer. Der sambische Torwart trat an, Treffer. Am Ende war es ein 8:7 und ich glaube 00:20 Uhr sambischer Zeit. Den Rest des Abends kann man einfach nicht beschreiben.

Die nächsten Tage sollten Feiertage bleiben. Die Mannschaft kehrte in die Heimat zurück. Auf dem Messegelände der Hauptstadt fand die zentrale Feier statt, sozusagen der „Frankfurter Römer“ Sambias. Der Staatspräsident lud die Mannschaft in seinen Amtssitz ein. Die Namen der Spieler wird so schnell niemand vergessen.

Nicht unerwähnt sollte aber auch bleiben, dass bei allen Feierlichkeiten insgesamt 21 Menschen starben und mehrere verletzt wurden. In dieser emotionalen Ausnahmesituation kam die menschliche Vernunft auf allen Seiten manchmal zu kurz. Ein kurzer Blick auf den Pokal und das Team wurde manchem Fan leider zum Verhängnis.

Die letzten Tage waren einmalig und man darf ruhig behaupten, dass die letzten sechs Monate in Afrika klar Sambia gehören. Im Schatten der Revolutionen in Nordafrika fand hier ein demokratischer und friedlicher Regierungswechsel statt. Im Schatten der großen afrikanischen Fußballnationen trat der krasse Außenseiter ins Licht der Sportwelt. Es begann 1993 und wurde 2012 beendet.

Jetzt aber muss der Fußballgott Sambia verlassen und den Weg in die Pfalz finden, denn am Ende der Saison soll es auch im Fritz-Walter-Stadion vor lauter Freude heißen: KUBEBA!!!

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Goldie (Gastautor)

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