Über' Tellerrand

Xamax Neuchatel - das vorläufige Ende eines Fußballclubs

Xamax Neuchatel - das vorläufige Ende eines Fußballclubs

Die Ersatzbank von Xamax Neuchatel bleibt vorerst leer, der Verein ist zahlungsunfähig und alle Spieler wurden freigestellt. Im Vordergrund: Das umgestaltete Vereinswappen mit Lorbeerkranz und tschetschenischer Symbolik. Foto: Imago

In unserer neuen Rubrik „Über'n Tellerrand“ blicken wir über die Grenzen des Betzenbergs hinaus und beleuchten Fan-Themen, den modernen Fußball oder einfach unsere Erlebnisse beim Groundhopping. Den Anfang macht ein Artikel von DBB-Redaktionsmitglied Altmeister über den erschreckenden Werdegang des Schweizer Erstligisten Xamax Neuchatel:

Die Meldungen drangen zu Jahresbeginn aus dem Nachbarland nach Deutschland. Xamax Neuchatel, ein international bekannter Verein aus der französischen Schweiz - immerhin Schweizer Meister der Jahre 1987 und 1988 unter dem legendären Präsidenten Gilbert Facchinetti und dem deutschen Ex-Nationalspieler Uli Stielike auf dem Rasen - musste mitten in der laufenden Saison einen Lizenzentzug hinnehmen und soll nächste Saison in einer unteren Liga spielen, falls man überhaupt noch den Konkurs und damit das endgültige Aus vermeiden kann. Ein Blick von außen auf diesen unrühmlichen „Fall“ Xamax.

In unserem Nachbarland Schweiz gibt es die 50+1-Regel nicht. So war es für einen (angeblichen) Milliardär wie den Tschetschenen Bulat Chagaev ein leichtes, mit verhältnismäßig wenig Geld - umgerechnet ca. eine Million Euro - im April 2011 die Aktienmehrheit des Vereins zu übernehmen. Kaum geschehen, kündigte er Großes an: die Schweizer Meisterschaft wolle er erringen und selbstverständlich auch in der Champions League für Furore sorgen. Das hörten viele Fans natürlich gerne.

Doch Chagaev etablierte schnell ein seltsames Geschäftsgebaren. Trainer und Spieler, auch andere Funktionäre, wurden schnell gefeuert, kamen und gingen in großer Zahl, ohne dass dahinter ein Konzept erkennbar gewesen wäre. Als seine Truppe im Pokalendspiel zur Pause mit 0:2 zurücklag, stürmte Chagaev die Kabine und bedrohte seine Spieler laut Medienberichten mit den Worten: „I kill you all!“ Obwohl er dabei durchaus glaubwürdig gewirkt haben soll, verloren seine Mannen. Selbstverständlich wurde der Trainer sofort entlassen.

Auch abseits des Sportlichen kratzte Chagaev an der Identität des Klubs: Im Vereinswappen wurden auf Initiative des Investors ein Lorbeerkranz sowie ein Symbol aus seiner Heimat Tschetschenien integriert. Auf der Anzeigetafel wurden sämtliche Inhalte neben französisch ab sofort auch auf tschetschenisch wiedergegeben. Und so weiter.

Nach einer Niederlage im ersten Spiel der neuen Saison entließ Chagaev den Torwart fristlos, später auch noch Kapitän Besle und weitere Spieler. In acht Monaten verschliss er vier Trainer, brachte zwischendurch mal Diego Maradona als neuen Coach ins Gespräch. Nach einem Ligaspiel kreuzte er nach Spielerangaben mit mehreren bewaffneten Leibwächtern in der Kabine auf und schüchterte sein kickendes Personal ordentlich ein. Journalisten, die es wagten, kritische Fragen zu stellen, bedachte er auch öffentlich nur mit einem „Fuck you.“ Dennoch erweckte Chagaev, gut befreundet mit dem tschetschenischen Staatsoberhaupt Ramsan Kadyrow, dem Menschenrechtler Folter, Entführungen und die Beauftragung mehrerer Morde vorwerfen, weiterhin den Eindruck, alles im Griff zu haben. Er erläuterte seine Visionen und blieb bei seinen großspurigen Plänen.

Doch den Beweis, wirklich milliardenschwer zu sein, erbrachte er nie - vielleicht auch aufgrund eines zwischenzeitlichen Zerwürfnisses mit Kadyrow. Spätestens seit Herbst 2011 häuften sich die Ungereimtheiten rund um das Stadion de la Maladière, das idyllisch direkt am Neuenburger See liegt. Doch die Idylle war längst Vergangenheit. Gelder blieben aus, Spieler klagten über erhebliche Gehaltsrückstände. Gläubiger forderten Zahlungen von knapp sieben Millionen Euro ein, erhielten ihr Geld aber nie. Ermahnungen seitens des Ligaverbandes verpufften zunächst noch, bevor der Verband den Neuenburgern kurz vor Jahresende wegen unlauterer Machenschaften zunächst eine Geldstrafe aufbrummte und bald darauf vier Punkte abzog. Trotzdem belegte Xamax im Winter noch Platz 4.

Inzwischen ist die Seifenblase jedoch geplatzt. Der Verein wurde suspendiert, gegen Chagaev wird wegen untreuer Geschäftsführung, Geldwäsche, Verdacht auf Betrug und Urkundenfälschung ermittelt. Ein angebliches 35-Millionen-Dollar-Depot bei der Bank of America, mit dem er unter anderem ausstehende Spielergehälter begleichen wollte, existierte überhaupt nicht. Entsprechende Unterlagen stellten sich als plumpe Fälschung heraus. Um von sich abzulenken, reichte Chagaev mittlerweile Klage wegen Misswirtschaft gegen seine Vorgänger ein, die ihm alles eingebrockt hätten...

In diesem Fall spielt es fast schon keine Rolle mehr, ob nun alle Vorwürfe stimmen oder nur ein Teil davon. Der Begriff „unseriöses Geschäftsgebaren“ wäre noch eine Untertreibung für solche Machenschaften von Leuten wie Bulat Chagaev. Leidtragende sind wieder einmal die Spieler, andere Angestellte des Vereins und vor allem die Fans. Dabei war Xamax über viele Jahrzehnte ein angesehener Verein in der Schweiz. Nun war binnen weniger Monate alles kaputt.

Bei einer Demonstration am 21. Januar 2012 wurde Alt-Präsident Facchinetti, mittlerweile 75 Jahre alt, von den Fans gefeiert und gleichzeitig aufgefordert, das Amt wieder zu übernehmen. Er scheint auch wieder einspringen zu wollen. Aktuell sieht es aber danach aus, dass Xamax in die vierte Liga absteigen und dort ganz neu beginnen muss. Der Einspruch gegen den Lizenzentzug wurde vergangenen Donnerstag endgültig abgelehnt, alle Spieler und Vereinsangestellte freigestellt. Und: Chagaev wurde mittlerweile verhaftet und muss in Untersuchungshaft bleiben, da das Gericht Fluchtgefahr erkannt hat.

Welche Konsequenzen hat der „Fall“ Xamax für den Fußball in Deutschland? Mindestens die, dass Fans und Vereinsmitglieder auch in Zukunft Augen und Ohren offen halten sollten für den Fall, dass die 50+1-Regelung fällt. Dass dies eines Tages geschehen wird, daran zweifeln nur noch die wenigsten Experten.

Dann sollte man hier darauf vorbereitet sein, alternative Modelle zu präsentieren, damit man nicht irgendwelchen Investoren blind die Vereinsmehrheiten überschreibt und Fans und Vereinsmitglieder am Ende so wie nun bei Xamax das Nachsehen haben. 1860 München hat im Umgang mit seinem 49-%-Investor bereits erhebliche Probleme, auch wenn der zumindest tatsächlich Geld fließen ließ und die Lizenz rettete. Dennoch sollte man ganz genau hinschauen, ob man solchen Leuten eines Tages wirklich seinen Verein ganz übergeben möchte.

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Altmeister

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