Spielbericht: 1. FC Kaiserslautern - Bayern München 2:0

 Der Mythos kehrt zurück

Der Mythos kehrt zurück


Ein erstes Erdbeben erschütterte das Fritz-Walter-Stadion gegen 21:07 Uhr, als ein heftiger Torschrei aus fast 50.000 Kehlen erklang. Die Menge hatte sich noch nicht beruhigt, da wackelte der Betzenberg ein zweites Mal. Und diesmal noch lauter und heftiger, vielleicht wie seit dem 18. Mai 2008 nicht mehr. Der 1. FC Kaiserslautern führte nach 37 Minuten mit 2:0 gegen den amtierenden Deutschen Meister und Pokalsieger Bayern München. Spätestens jetzt, am 27. August 2010 um 21:08 Uhr, wusste es ganz Fußball-Deutschland: Ein Mythos kehrt zurück, der FCK ist wieder da!

Genau unter diesem Motto wurde der Fußballabend durch eine von der „Generation Luzifer“ organisierte Choreographie über die komplette Größe der Westkurve eingeleitet. Ein überdimensionales Vereinswappen mit einem Durchmesser von 30 Metern wurde eingerahmt von 15.000 rote und weiße Zetteln, die im Oberrang den Schriftzug „1. Liga“ bildeten. Passend dazu wurde am Fangnetz ein optisch sehr schönes, aber leider nicht optimal lesbares Spruchband mit dem Motto der Stunde hochgezogen. Die Westkurve war höllisch heiß, schon lange vor Spielbeginn gut gefüllt und stimmgewaltig bereits beim Einsingen.

Zunächst war jedoch schweigen angesagt, als dem völlig unerwartet verstorbenen FCK-Urgestein Hannes Riedl gedacht wurde. Zwei Spruchbänder wurden zu diesem Anlass präsentiert und jedem war klar: Heute spielen, schreien und siegen wir auch für Hannes! Während die rund 7.000 Bayern-Anhänger unter den insgesamt 49.780 Zuschauern nur ein paar Schwenkfahnen aufboten, wurden in der Westkurve noch weitere Spruchbänder zu verschiedensten Themen gezeigt. In Richtung Gästeblock beispielsweise: „Wisst ihr noch wie's damals war? Deutscher Meister wird nur der FCK!“

Während den Fans sämtliche Träume ausdrücklich erlaubt sind, ging es für die Mannschaft im Freitagsspiel immerhin um nicht weniger als die Tabellenführung nach dem zweiten Spieltag. Höllisch heiß war somit nicht nur die Stimmung, sondern auch die Roten Teufel aus Kaiserslautern. Trainer Marco Kurz schickte Adam Nemec, Leon Jessen und Ivo Ilicevic als neue Spieler aufs Feld. Und letztgenannter machte sein bestes Spiel im Trikot der Roten Teufel und sollte zum Helden des Abends werden.

Die Abwehrkette spielte also zum ersten Mal seit langem ohne Alexander Bugera, und Linksverteidiger Jessen nutzte seine verdiente Chance mit einer bravourösen Leistung gegen Bayerns Ivica Olic. Die Innenverteidigung mit Martin Amedick und Rodnei war bärenstark, der heimliche Matchwinner spielte jedoch auf rechts: Florian Dick, der unermüdlich rackerte und keinen Respekt vor großen Namen zeigte. Schwerstarbeit angesagt war für das Mittelfeld mit Abräumer Jiri Bilek, den sehr effektivem Christian Tiffert und Oliver Kirch, sowie Ilicevic auf links. Und auch vorne war Kampf von der ersten bis zur letzten Minute das Gebot, Nemec und Srdjan Lakic gingen früh auf jeden Ball.

Das Spiel startete dennoch mit dominanten Bayern, die einen überragenden Ballbesitz von 72 Prozent verbuchen sollten. Aber der FCK hielt gut dagegen. In den ersten 15 Minuten setzten die Lautrer ausschließlich auf Kampf und Konter, danach wurden die Bayern stärker. WM-Torschützenkönig Thomas Müller hatte nach 24 Minuten die größte Chance des Spiels, schoss jedoch freistehend vor Tobias Sippel neben das Tor und übersah dabei auch noch die mitgelaufenen Olic und Miroslav Klose. Jessen danach mit einer ersten Chance für den FCK, Bayern hielt aber jederzeit die Zügel in der Hand.

Die Heimelf blieb weiter auf der Lauer, suchte nun öfter den Weg nach vorne, die Westkurve lautstark im Rücken. Und einer dieser Nadelstiche sorgte dann für das erste Beben: Nach einem Befreiungsschlag von Holger Badstuber gewann Dick den Zweikampf gegen den mit besonders gellenden Pfiffen empfangenen Franck Ribery und passte sofort auf Tiffert. Dieser lief einige Meter, passte in die Mitte, wo Nemec geistesgegenwärtig auf Ilicevic durchließ. Der Kroate zog ohne großes Überlegen direkt ab, traf das Leder perfekt und zirkelte es aus 20 Metern in den rechten Winkel (36.). Was für ein Tor! Grenzenloser Jubel! Die Fans hatten sich noch nicht aufgerappelt, der Stadionsprecher gerade den Spielstand verkündet, da zappelte die Kugel schon wieder im Netz! Schneller Ballgewinn nach dem Anstoß der Bayern, erneut Ilicevic mit gutem Auge für den besser postierten Lakic - Pass, Schuss, Tor (37.)! Was für eine Lautstärke nun auf dem Betzenberg, absolute Tinnitus-Gefahr. Das ganze Stadion feierte, was für ein geiles Gefühl für jeden einzelnen Fan, nach vier Jahren zweite Liga! Nach achtminütiger Jubelorgie ging es dann mit der komfortablen Führung in die Pause.

In der zweiten Halbzeit waren die Bayern erwartungsgemäß weiter überlegen, doch Kaiserslautern ackerte und biss in jedem Zweikampf. Trainer Kurz lebte die Betze-Tugenden an der Seitenlinie leidenschaftlich vor, motivierte und dirigierte seine Mannschaft immer wieder aufs neue. Und nicht nur in der Westkurve blickten gestandene Männer mit ganz großen Kinderaugen aufs Spielfeld und fragten sich, ob das wirklich alles wahr sei.

Die Bayern blieben weiterhin ohne Präzision vor dem Tor, die beste Abwehrreihe der letzten Zweitligasaison ließ fast nichts durch und wenn doch, war Verlass auf U21-Nationaltorhüter Sippel. Die Roten Teufel legten alles in die Waagschale, was sie hatten, auch der eingewechselte Clemens Walch für Nemec fügte sich nahtlos ein. Der Kampf wurde härter, Bayern versuchte nun energischer, den Anschluss herzustellen. Die Lautrer Fans hielten ihrer Mannschaft mit großer Leidenschaft und Sangeskunst den Rücken frei, alte wie neues Liedgut wurde ohrenbetäubend zum Besten gegeben. Sogar die Südtribüne schmetterte die Lieder heraus, alle tanzten und schrien ihre Liebe zum 1. FC Kaiserslautern in die Nacht, was für ein großartiges Gefühl...

Bayern weiterhin mit einigen Chancen, doch keine sollte den FCK noch in wirkliche Not bringen. Im Gegenteil, beinahe wäre Rodnei 15 Minuten vor Spielende die endgültige Entscheidung gelungen, doch sein Kopfball strich links am Tor vorbei. In der Schlussphase schaukelten die Roten Teufel das Ergebnis souverän über die Zeit, auch der eingewechselte Jimmy Hoffer konnte mit seinem schon jetzt kultverdächtigen Kampfgeist für einige Akzente sorgen. In den letzten Minuten konnten der bevorstehende Sieg dann richtig ausgekostet und die mit knapp 500 Fans kontinuierlich singenden Münchner entsprechend verhöhnt werden. Beeindruckende Bilder und Lautstärke wurden bei „Wer auf Bayern scheißt, der klatsche in die Hand“ sowie dem obligatorischen „Schönen Gruß und auf Wiedersehen“ gezeigt, von „Ihr habt bezahlt, ihr könnt jetzt geh'n“ bis zu „So ein Tag, so wunderschön wie heute“ war alles mit dabei. Selbst der Ex-Lautrer Klose konnte bei seiner Auswechslung kurz gefeiert werden und auch die gelb-rote Karte für Ilicevic konnte in der Nachspielzeit wohl nicht einmal den Mann des Tages selbst noch schocken. Schiedsrichter Florian Meyer pfiff wenige Sekunden später ab, die Feierlichkeiten bis tief in die Nacht konnten endgültig beginnen.

Ja, liebe Bundesliga, die Roten Teufel sind zurück! Es bedarf keines besseren Beweises mehr. Sechs Punkte aus den ersten beiden Spielen, dazu die nächste Runde im DFB-Pokal - Traumstart für den FCK, und die Fans feierten dementsprechend: „Oh rot-weiß-rot, wir saufen bis zum Tod, wir holen den DFB-Pokal und wir werden Deutscher Meister!“

Der Betze bebte und die Mannschaft ackerte, teilweise unter Fritz-Walter-Wetter, wie zu besten Bundesligazeiten. Wie zu Zeiten von Hannes Riedl... Ruhe in Frieden.

Quelle: Der Betze brennt | Autor: connavar

Kommentare 292 Kommentare | Empfehlen Artikel weiter empfehlen | Drucken Artikel drucken