Taktik-Nachlese zum Spiel Hertha-FCK

Die DBB-Analyse: Elvedi zerstört den Berliner Traum

Die DBB-Analyse: Elvedi zerstört den Berliner Traum


Die Hertha hatte sich das so schön vorgestellt. Ein "Finale daheim" schien möglich. Doch die Roten Teufel bescherten der Alten Dame ein böses Erwachen. 1:3 hieß es am Ende. Weil die Gäste taktisch und mental das bessere Team stellten.

Seit dieser Saison ist Hertha BSC nur noch Zweitligist. Hatte es jedoch ins Viertelfinale des DFB-Pokals geschafft, in dem heuer nahezu alle Schwergewichte bereits eliminiert sind. Kein Wunder, dass dieser Umstand in der Hauptstadt Hoffnungen auf ein "Finale daheim" in Berlin schürte, denn eine solche Chance wird sich vielleicht so schnell nicht wieder auftun.

Und: Die Berliner hätten damit einen großen Herzenswunsch ihres kürzlich verstorbenen Präsidenten Kay Bernstein erfüllt. Kann es eine ehrbarere Verpflichtung geben zu siegen? Zuhause, vor eigenem Publikum, im ausverkauften Olympiastadion, vor 74.275 Zuschauern, von denen über 60.000 den gleichen großen Traum träumen? Unter diesen Voraussetzungen musste der doch einfach Wirklichkeit werden.

Doch wie formulierte der große Philosoph Jean-Paul Sartre es einst für die Ewigkeit? "Im Fußball verkompliziert sich alles durch die Anwesenheit der gegnerischen Mannschaft."

Die gegnerische Mannschaft war in diesem Fall der 1. FC Kaiserslautern. Doch dass der irgendwas "verkompliziert" hätte, lässt sich, streng genommen, so gar nicht sagen. Die Roten Teufel zerstörten den großen Berliner Traum, weil sie entschlossener waren, mit mehr Zielstrebigkeit nach vorne spielten und den besseren Matchplan hatten. Oder auch mit mehr "Belief and Intensity", wie Schalke-Trainer Karel Geraerts sagen würde. Also ganz einfach eigentlich.

Torschütze, Torverhinderer und diesmal auch spielstark: Jan Elvedi

Sicher, ein bisschen Glück war auch dabei. Als Tymo Puchacz in der 5. Minute nach einer zu kurz abgewehrte Freistoßflanke von Marlon Ritter mit seinem starken linken Fuß gegen den Ball tritt, will er wohl das Tor treffen. Das leicht verzogene Leder landet jedoch vor den Füßen von Jan Elvedi - und der netzt ein.

Ein solcher früher Treffer stellte natürlich Weichen. Die gewaltige blau-weiße Kulisse wirkte bedrückt - und für ihre Elf bedrückend: "Die vielen Zuschauer haben uns blockiert", erklärte Hertha-Trainer Pal Dardai hinterher. Dafür waren die 10.000 FCK-Fans im Olympiastadion umso lauter.

Am stärksten stimuliert hatte das frühe Tor jedoch den Schützen selbst. Jan Elvedi machte sein bislang bestes Spiel im FCK-Dress. Mindestens genauso wichtig wie sein Treffer war seine Rettungstat in der 40. Minute gegen Florian Niederlechner. Herthas Offensivspieler ist nach einem Steilpass durch und steht unmittelbar davor, elf Meter vor Florian Krahls Kasten abzuschließen - doch Elvedi setzt in letzter Millisekunde seine Grätsche so sauber und präzise wie ein Chirurg sein Skalpell bei einer Operation am offenen Herzen.

Auch spielerisch war der Schweizer diesmal gut unterwegs. Mit 88 Prozent Passquote präsentierte er sich ballsicherer als seine Nebenleute Boris Tomiak und Almamy Touré. Normalerweise wird dem Schweizer nachgesagt, dass er der grobmotorischste dieses Trios ist. Auch im Schlagen von Langholz war er diesmal der beste Innenverteidiger. Von seinen sieben langen Bällen kamen fünf an. Am dritten Lautrer Treffer war Elvedi ebenfalls beteiligt. Er attackierte den eingewechselten Andreas Bouchalakis, worauf dieser sich einen haarsträubenden Fehlpass in der eigenen Hälfte leistete.

Dass Elvedi auch Fabian Reeses späten Gegentreffer ermöglichte, weil er eine weite Flanke unglücklich mit dem Kopf verlängerte und so ein Abseits aufhob - geschenkt.

Krahl, Tomiak, Kaloc/Niehues, Ritter: Die Achse überzeugte

Herauszuheben sind jedoch noch einige andere Betze-Buben: Marlon Ritter etwa, der mit einem schnellen Diagonalpass das 2:0 durch Richmond Tachie. Ohnehin eine Aktion, die - simpel, aber zielgerichtet - symptomatisch fürs Spiel des FCK war: Hertha-Keeper Marius Gersbeck schlägt ab, der Ball wird an der Mittellinie abgepflückt, direkt in die gegnerische Hälfte retourniert, landet bei Ritter, Pass auf Tachie, Tor.

Ritter war auch sonst wieder der umtriebigste Dampfmacher, hätte schon kurz nach der Pause auf 3:0 stellen können. Im Halbzeit-Interview mit "Sky" empfahl der gebürtige Lautrer und heutige Wahl-Berliner Mark Forster "MR7" sogar der Deutschen Nationalmannschaft. War vielleicht gar nicht so scherzhaft gemeint, wie es sich anhört. Wobei Ritter später darauf angesprochen souverän lächelnd antwortete: "Mark sollte bei der Musik bleiben, von Fußball hat er nicht so viel Ahnung."

Oder Keeper Julian Krahl, der die wenigen Torschüsse, die die Hertha aufs Tor brachte, souverän parierte, vor allem deren einzige Großchance vereitelte - in der 48. Minute gegen Haris Tabakovic. Ein Gegentreffer zu diesem Zeitpunkt, beim Stand von 2:0 - wer weiß, was der nochmal an Kräften beim Gastgeber freigesetzt hätte.

Oder, wie schon vergangenen Freitag beim 4:1-Sieg gegen Schalke, das neue zentrale Mittelfeldduo Filip Kaloc/Julian Niehues. Beide überzeugten mit Kampfstärke, Kaloc markierte den Treffer zum 3:0, im Gegensatz zum Schalke-Spiel aber war diesmal Niehues mehr "ordnendere Hand" als der Tscheche. Mit 75 Prozent Passgenauigkeit übertraf er seinen Nebenmann (56 Prozent) deutlich.

Oder Boris Tomiak, erneut als zentraler Innenverteidiger der Dreierkette unterwegs. Ein echter Abwehrchef. 23 Ballgewinne hat "Wyscout" für ihn verzeichnet, zehn mehr als im Durchschnitt seiner letzten fünf Spiele.

Kompakt, konzentriert und mit Mut zur frühen Attacke

Trotz all des Sonderlobs aber war es eine geschlossene Mannschaftsleistung, die diesen Viertelfinalsieg möglich machte. Im wahrsten Sinne des Wortes. So kompakt und konzentriert gegen den Ball verschoben hatte sich ein FCK-Team zuletzt Ende Oktober noch unter Dirk Schuster beim 3:2 im DFB-Pokal gegen Bundesligist Köln, allerdings nur 70 Minuten lang. In dieser Partie hielt die Elf auf dem Platz die kurzen Abstände bis zum Schluss.

Gewackelt hat in der ersten Hälfte lediglich die linke Abwehrseite mit Puchacz und Touré. Und in der zweiten Hälfte die rechte, als Dardai Flügelstürmer Fabian Reese brachte und seine Elf in ein 4-2-3-1 umformierte. Dass er mit Dreierkette begonnen hatte, stieß ohnehin bei vielen regelmäßigen Hertha-Beobachtern auf Kritik, denn in dieser Grundordnung waren die Berliner schon öfter nicht zurechtgekommen. Auch Dimitrios Grammozis gab an, davon überrascht geworden zu sein.

Die Pfälzer bekamen die Partie jedoch auch nach dem Wechsel wieder in den Griff. Zum einen, weil der angeschlagene Frank Ronstadt hinausging und Nachrücker Jean Zimmer Reese energischer, wenn auch nicht immer erfolgreich bekämpfte. Zum anderen, weil der FCK sein 3-4-1-2 in ein 5-4-1 verschob, um die Seiten besser dicht zu bekommen. Von daher machte auch die Einwechslung des linken Flügelmannes Aaron Opoku für Ritter Sinn. Außerdem kamen Filip Stojlkovic für Tachie und kurz vor Schluss Dickson Abiama für Ragnar Ache. Der diesmal ohne Treffer blieb, aber als Teil eines funktionierenden Mannschaftsgefüges ordentlich mitackerte.

Im Vorwärtsverteidigen hatten die Roten Teufel gegenüber dem Schalke-Spiel ebenfalls nochmal zugelegt. Trotz der frühen Führung jagten sie die Berliner Abwehrspieler bisweilen auch am eigenen Strafraum. Da wird immer mehr die Handschrift eines neuen Trainers erkennbar.

Die Daten täuschen: Es war ein verdienter Sieg

Von der "Ballbesitzquote" sollte man sich da nicht auch nicht täuschen lassen. Die wird diesmal mit nur 32 Prozent angegeben, was selbst für Grammozis-Vorgänger Dirk Schuster ein Tiefstwert gewesen wäre. Was aber nicht an einer zurückgezogenen Spielweise liegt, sondern daran, dass der neue Coach noch direkter und vertikaler spielen lässt. Im Schnitt dauerte ein Lautrer Ballbesitz diesmal nur acht Sekunden - das ist nochmal eine Sekunde weniger als im Schalke-Spiel.

Andere statistische Werte könnten ebenso den Eindruck erwecken, dass der Auswärtssieg ein wenig glücklich war. War er aber nicht. Selbst wenn die xG-Timeline Hertha als wahrscheinlicheren Gewinner ausweist:

xG-Timeline Hertha-FCK

Oder die Positions- und Passgrafik: Die sieht so aus, als hätten manche Rote gar nicht miteinander gespielt. Haben sie aber. Nur halt mit wenig Ballkontakten, schnell nach vorne. Und keinesfalls defensiv.

Passmap FCK

Zum Vergleich die Berliner Passmap: So richtiges Flügelspiel fand da erst nach der Pause statt. Warum's Dardai damit nicht gleich versuchte, muss man ihn fragen.

Passmap Hertha

Und zum Schluss die Überkreuztabelle der geführten Duelle. Okay, die Berliner gewannen unterm Strich mehr Zweikämpfe. Aber die Roten Teufel gewannen ihre auf den zentralen Positionen: Elvedi, Tomiak, Kaloc, Niehues, Ritter.

Zweikampf-Duelle Hertha-FCK

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer

Weitere Links zum Thema:

- Saison-Übersicht 2023/24: Die DBB-Analysen der FCK-Spieltage

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