Im Blickpunkt: Lautern und sein Sechser-Problem

 Mehr Sechs schafft Balance

Mehr Sechs schafft Balance


Mit Almamy Touré hat der 1. FC Kaiserslautern den dringend benötigten Innenverteidiger verpflichtet. Womit sich auch eine Möglichkeit eröffnet, endlich eine nachhaltige Lösung für die Sechser-Position zu finden, meint DBB-Autor Eric Scherer.

Zugegeben, neu ist der Aspekt nicht. Dirk Schuster hat ihn den Medien schon im Sommer erläutert. Die meisten Chancen und Gegentore seiner Mannschaft würden "im zentralen Bereich vor der Viererkette eingeleitet", erklärte der FCK-Coach nach einer umfassenden Analyse der zurückliegenden Saison 2022/23. Womit nichts anderes gemeint war als: Es muss noch ein defensiver Mittelfeldspieler her, ein sogenannter Sechser.

Dass dieses Problem sogar schon mehr als ein Jahr lang identifiziert wurde, ist bekannt. Die letztjährige Winter-Leihgabe Nicolai Rapp, der wegen diverser Verletzungen nur andeutete, was er auf dieser Position wert sein könnte, kehrte im Sommer 2023 nach Bremen zurück Der Schalker Florian Flick heuerte lieber in Nürnberg an, der Paderborner Ron Schallenberg, den Schuster gerne gehabt hätte, war für die Roten Teufel unerschwinglich, wechselte für zwei Millionen Euro Ablöse nach Schalke. Geholt wurde schließlich Afeez Aremu vom FC St. Pauli, der aber zweieinhalb Monaten an einer rätselhaften Oberschenkelverletzung laboriert. Nächste Woche soll er vielleicht wieder ins Mannschaftstraining einsteigen.

Direkt thematisiert worden ist die weiterhin fehlende Sechs in den vergangenen Wochen nicht mehr. Doch angesichts der sich torreichen "Spektakel" gegen Düsseldorf (3:4) und den Hamburger SV (3:3) mit starken Offensiv- und schwachen Defensivleistungen seines Teams sprach der Trainer jüngst davon, dass sein Team wieder "die richtige Balance" finden müsse: "Die ist uns ein bisschen abgegangen zugunsten eines optisch besseren Fußballspiels." Und eben dafür sind im modernen Fußball nun einmal die Männer vor der letzten Linie zuständig: Angriff und Verteidigung im Gleichgewicht zu halten.

Mit Xhaka zu Stabilität: Leverkusen hat’s vorgemacht

Welchen Qualitätssprung ein starker Sechser bewirken kann, ist gerade eine Etage weiter oben zu erleben. Bayer Leverkusen überwies im Sommer 15 Millionen Euro nach London, um Granit Xhaka vom FC Arsenal an den Niederrhein zu lotsen. 15 Millionen für einen 31-Jährigen? So viel Geld investiert Bayer normal nur in junge Kicker mit Entwicklungspotenzial, zuletzt in Victor Boniface und Nathan Tella.

Okay, mit Offensivkraft Jonas Hoffmann leistete sich Leverkusen noch einen weiteren 31-Jährigen im zweistelligen Millionenbereich, der am gegenwärtigen Höhenflug nicht unschuldig ist. Als unbestritten gilt aber, dass Xhaka dem Team nun die Stabilität gibt, die es in den vergangenen Jahren vermissen ließ. Aktuell führt Leverkusen mit 31 Punkten aus elf Spielen die Bundesliga an.

Schlag nach im "Kicker": Sechser sind fußballernde Libellen

Der "Kicker" hat den Sechsern unlängst einen mehrseitigen Beitrag gewidmet. So einer müsse über einen "360-Grad-Blick defensiv und offensiv ohne Unterbrechung" verfügen, schreiben die Autoren Stephan Nocks und Thomas Böker. Oha. Das klingt mehr nach X-Men-Mutanten denn nach Fußball, denn ein 360-Grad-Sichtradius war uns bislang nur von Libellen bekannt.

Weiter heißt es: Der Sechser müsse "unter maximalem Druck stets Lösungen parat haben, möglichst beidfüßig, um keine wertvollen Sekundenbruchteile zu verlieren". Zudem sollte er "läuferisch extrem ausdauernd" sein, "im Idealfall auch schnell". "Spielerisch beschlagen" sowieso, um "bei Bedarf auch noch öffnende Pässe zu spielen. Strategisch schlau und mit einem guten Auge versehen, um das Spiel im Raum und bezüglich des Tempos zu strukturieren und ..." Ja, ist gut, wir hören ja schon auf.

Notieren wir stattdessen einfach: Ein richtig guter Sechser ist die eierlegende Wollmilchsau des modernen Fußballs.

Vom Premium-Segment zu Liga zwei: Sechs macht Laune

Was schon insofern nicht so ganz abwegig scheint, als dass sich die internationale Marktwerte für absolute Top-Sechser mittlerweile auf dem Niveau der Stürmerstars dieses Planeten eingependelt haben. Rodri (Manchester City), Aurélien Tchouaméni (Real Madrid), Declan Rice (FC Arsenal), Moisés Caicedo und Enzo Fernández (beide FC Chelsea) werden mittlerweile mit Beträgen um die 100 Millionen Euro taxiert, Tendenz steigend. Da waren die 15 Bayer-Millionen für Xhaka geradezu ein Schnäppchen. Selbst FC-Bayern-Trainer Thomas Tuchel verlangt nach einem Star dieser Größenordnung, wenn er sein Team in Europa wieder ganz nach oben führen soll. Ein Joshua Kimmich auf der Sechs ist ihm nicht gut genug.

Das mag ja alles sein, aber was hat das mit der Zweiten Liga zu tun? Natürlich kicken Spieler mit solchen Qualitäten nicht im deutschen Unterhaus. Es fällt aber schon auf, dass ambitionierte Zweitligisten gerade auf dieser Position gewisse Kaliber präsentieren, die zumindest im Rahmen dieser Klasse mit einigen der genannten Eigenschaften überzeugen.

Beim Auftritt des Hamburger SV im Fritz-Walter-Stadion etwa war zu sehen, dass ein Jonas Meffert eben mehr ist als nur ein "Abräumer vor der Abwehr", sondern auch Kontrolle im Aufbauspiel gewährleistet. Bei der 3:4-Niederlage in Düsseldorf überzeugte Yannik Engelhardt auf Seiten der Gastgeber - ob das ein Zufall ist, dass er im Sommer Fortunas einziger Neuzugang war, für den sie Ablöse zahlte? Beim Überraschungs-Tabellendritten Holstein Kiel, dem nächsten Gegner der Lautrer, sichert mit Marvin Schulz einer aus Gladbacher Fohlenstall, beim hochgelobten Tabellenführer der abgeklärte Jackson Irvine, nachdem Eric Smith, ebenfalls ein As auf der Sechs, sich nunmehr in die Dreier-Abwehrkette zurückgezogen hat, sich von da aus, wie zur Saisonpremiere auf dem Betzenberg war, im Spiel mit dem Ball immer noch vorne schiebt. Hannover 96 vertraut auf den Bundesliga-erfahrenen Fabian Kunze. Beim Karlsruher SC, der zurzeit hinter dem FCK steht, ist auf dieser Position schon seit Jahren der nunmehr 35-jährige Kapitän Jerome Gondorf eine Bank.

Niehues hat Talent, aber ...

Schaut man mal beim Datenanbieter wie "Sofascore" nach den herausragenden Stärken der genannten Spieler, wird bei nahezu allen "Positioning" genannt. Und was steht bei Julian Niehues, der die Sechser-Position bei den Roten Teufeln am häufigsten bekleidet? "No outstanding strengths."

Das soll nun nicht als scharfrichterliches Urteil über den 22-Jährigen verstanden werden, der seit dem Trainerwechsel Marco Antwerpen/Dirk Schuster eine feste Größe im FCK-Team darstellt. Der junge Mann aus Münster hat ohne Frage Qualitäten, ist mit seinen 1,95 Meter Körpergröße körperlich präsent und weist in der Regel ordentliche Zweikampfwerte auf. Er mag schlaksig rüberkommen, aber er hat auch fußballerisch was drauf. Erinnert sei nur an seinen Pass auf Aaron Opoku im HSV-Spiel, nach dem dieser beinahe noch auf 4:3 gestellt hätte.

Niehues fehlt Erfahrung - und "Positioning"

Aber: Mit Ausnahme von Engelhardt verfügen alle eben genannten Zweitliga-Sechser über mehr Erfahrung als Niehues, und die ist nun einmal sehr hilfreich für diese anspruchsvolle Position. Das wurde in der letzten Transferperiode übrigens auch als einer der Hauptgründe genannt, warum sich Bundesliga-Absteiger Schalke für Paderborns Schallenberg statt Lauterns Niehues entschied. Die Stellenbeschreibung im "Kicker" mag etwas überkandidelt formuliert sein, im Kern aber trifft zu: Der Sechser muss vor dem Sechzehner Bälle erobern, gleichzeitig mit präzisem Passspiel Spielkontrolle ausüben - und eben das schafft die "Balance", die Schuster im Spiel seines Teams zuletzt vermisste. Und, ganz wichtig: Der Sechser muss gemeinsam mit seinen Hinterleuten bei Ballverlusten in den vorderen Reihen Kontersicherung gewährleisten. Dazu braucht es Positionstreue, Stellungsspiel, "Positioning" eben.

Dabei muss er vor allem die Mitte halten, darf sich nur selten, am besten gar nicht zu Ausflügen nach vorne hinreißen lassen. Weshalb, erklärt der ehemalige Sechser und heutige "Sky"-Erklärbär Didi Hamann im Begleit-Interview des "Kicker"-Beitrags. Er zitiert seinen Mentor Giovanni Trapattoni: "Wenn ein Sechser die Mitte verlässt, macht er den Weg durch die Mitte zur Autobahn für den Gegner." Eine solche Autobahn stand zuletzt beispielsweise den Wiesbadenern offen, als sie den Angriff einleiteten, der zu Nikola Soldos Foul an Thijmen Goppel, einem Freistoß vorm Sechzehner und dem 2:1-Siegtreffer des SVWW führte.

Die starke Alternative: Boris Tomiak

Dieser unbedingte Wille, die Mitte zu halten, geht Niehues - noch - ab. Und dass er gegenwärtig nicht die optimale Lösung auf der Sechs darstellt, ist in den vergangenen Wochen offenbar auch Dirk Schuster bewusst geworden. Nach dem 3:4 in Düsseldorf, bei dem abermals zwei Treffer vor Lauterns Strafraum eingeleitet wurden, zog der Coach zum HSV-Spiel wieder Boris Tomiak vor die Abwehr.

Der 25-Jährige war dort in der vergangenen Rückrunde schon immer mal aufgetaucht. Seine Premiere hatte er bereits im November 2022 gefeiert, nach der Pause im Spiel bei Fortuna Düsseldorf. Mit dem zweikampfstarken Tomiak auf der Sechs drehte der FCK einen 0:1-Rückstand in einen 2:1-Sieg, Schuster erklärte hinterher DBB-Interview, Tomiak habe seinem Team in diesem Spiel "den Allerwertesten gerettet".

Der "Arschretter" wär einer - und könnte jetzt frei werden

Bekanntlich hagelte es auch gegen den HSV drei Gegentore. Zumindest phasenweise aber wirkte die Defensive durchaus stabiler. Die ersten 70 Minuten im anschließenden DFB-Pokal-Spiel gegen 1. FC Köln dürften im Spiel gegen den Ball die besten der bisherigen Spielzeit gewesen sein. Was natürlich nicht allein an Tomiaks Sechser-Spiel lag, sondern am konzentrierten, kompakten Auftritt der gesamten Mannschaft. Am Samstag danach, beim 0:2 gegen Fürth, flog Tomiak vom Platz, fehlte in Wiesbaden und wird auch gegen Kiel nicht dabei sein.

Und danach? Wird sich für Dirk Schuster die Frage stellen, wo Tomiak mehr gebraucht wird: Auf der Sechs oder ganz hinten? Nach der Touré-Verpflichtung könnte ihm die Entscheidung leichter fallen. Zwar darf der Trainer auch damit rechnen, dass sich nun auch Afeez Aremu endlich gesund meldet, aber ob dieser direkt diese wichtige Rolle ausfüllen kann?

Tomiak hat bereits nachgewiesen, dass er nicht nur über Schnelligkeit und Zweikampfstärke verfügt. Er verfügt in seinem nunmehr dritten Jahr als Stammspieler auch bereits über einiges an Erfahrung und hat sich eindrucksvoll zum Alphatierchen entwickelt. Wenn er diszipliniert in der Zentrale bleibt, ist er die nachhaltige Lösung für die Sechser-Position - und kann für die nötige Balance sorgen.

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer

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