Taktik-Nachlese zum Spiel FCK-H96

DBB-Analyse: Emotionen und Effekte - so geht großes Kino

DBB-Analyse: Emotionen und Effekte - so geht großes Kino


Der Lauf des 1. FC Kaiserslautern hält an. Aus einer starken Leistungssteigerung in der zweiten Hälfte resultiert ein 3:1 gegen Hannover 96. Wichtigster Faktor diesmal: Die Qualität, an der der Kader der Roten Teufel in der Breite gewonnen hat.

Unter der Woche war an den Betze-Stammtischen eifrig diskutiert worden. Routinier Kevin Kraus, eigentlich ein Muster an Zuverlässigkeit, hatte zuletzt in Osnabrück einen schlechten Tag erwischt. Schon zur Pause war der "Schnorres" ausgewechselt worden und sein Nachfolger Nikola Soldo hatte sich blendend geschlagen. Würde Dirk Schuster gegen Hannover nun den Kölner Leihspieler von Anfang an seinem verdienten Abwehrchef vorziehen? Viele konnten es sich nicht so wirklich vorstellen. Doch als eine knappe Stunde vor Spielbeginn die Mannschaftsausstellungen die Runde machten, war klar: Schuster würde.

Wie schon in Osnabrück übernahm Soldo die linke Position in der Dreier-Abwehrkette, Boris Tomiak wechselte in die zentrale. Und er machte seine Sache gut. Vor allem spielerisch vermag auch von hinten raus zu glänzen, was bekanntermaßen nicht gerade Kraus' Stärke ist. Soldo überzeugte mit einer Passquote von 88 Prozent. Und von neun langen Bällen, die er schlug, kamen fünf an (Quelle: Sofascore). Dazu war er Lauterns bester Balleroberer, wie diese "Wyscout"-Aufstellung zeigt:

Balleroberungen FCK

Gleiche Grundordnung, aber 96 beginnt durchdachter

Nach Ache/Boyd, Puchacz/Zuck, Krahl/Luthe könnte sich mit Soldo/Kraus somit nun bereits der vierte Generationswechsel in dieser Saison abzeichnen. Altersschnitt gesenkt und gleichzeitig an Qualität gewonnen, was wäre das für eine Personalentwicklung. Wobei zu beachten bleibt: Timo Puchacz und Nikola Soldo sind lediglich Leihspieler.

Zudem war Marlon Ritter in die Startelf zurückgekehrt. Und wie in den Spielen zuvor liefen die drei Offensivspieler in Schusters 3-4-3 die Hannoveraner Abwehrspieler bereits in deren Hälfte an. Diesmal aber gab Ritter eher den Mann in der Mitte als den auf der rechten Seite, was sich aber nur als marginale Änderungen erwies. Bei eigenem Ballbesitz zog es Ragnar Ache sofort in die Mitte, wohin auch sonst.

Die Gäste setzten im Prinzip auf die gleiche Grundordnung. Trainer Stefan Leitl hatte seine zuletzt erfolgreiche Startelf nur auf einer Position verändert. Für Louis Schaub, der unter der Woche nur eingeschränkt trainieren konnte, spielte Andreas Voglsammer. Insgesamt aber wirkte das Spiel der 96er in der ersten Hälfte überlegter.

Dèjá-vu: Gegners Führungstreffer fällt über linke Abwehrseite

Was einerseits dem Schuster-Stil geschuldet ist, sehr schnell vertikal zu werden. Den FCK-Aktionen fehlte es aber auch an Genauigkeit. Puchacz etwa setzte immer wieder zu seinen unwiderstehlichen Dribblings an, die anschließenden Zuspiele aber gelangen ihm nicht so recht. Auf der rechten Seite wiederum hatte Jean Zimmer seine stärkste Aktion, als er nach knapp einer Stunde in der Mitte auftauchte. Nach starker Ballannahme eines gelungenen Puchacz-Zuspiels zog er mit links ab, doch 96-Schlussmann Ron-Robert Zieler parierte. Ansonsten waren die Roten Teufel in der ersten Hälfte vornehmlich nach ruhenden Bällen gefährlich.

Die Niedersachsen nutzten vor allem die rechte Seite für ihre Angriffe. Hatten wahrscheinlich korrekt analysiert, dass ihr Gegner über diese zuletzt öfter verwundbar war. Und über diese bereiteten sie auch ihren Führungstreffer vor. Tomiak ließ Voglsammer nach einem langen Ball in die Tiefe laufen, nachdem er ihn bereits geklammert hatte, er wollte wohl keinen Elfmeterpfiff riskieren. Voglsammer passte flach in den Rückraum und Harvard Nielsen vollstreckte kalt wie ein Eisbärenrektum, in dem er sich den Ball am herausstürzenden Julian Krahl vorbeilegte und sich dann seelenruhig seine Schussbahn suchte.

Turbulenzen in der Nachspielzeit sorgen bei 96 für Wut und Frust

In der Nachspielzeit der ersten Hälfte überschlugen sich die Ereignisse. Bei einem Treffer, der eigentlich jedem einigermaßen objektiven Zuschauer im mit 43.017 Besuchern gefüllten Fritz-Walter-Stadion korrekt erschien, erkannte das Schiedsrichtergespann auf Abseits. Enzo Leopold hatte eine Freistoßflanke geschlagen, Voglsammer in die Mitte geköpft, Phil Neumann eingeschoben. Zu aller Überraschung bestätigte der VAR die Entscheidung. Doch da der "Kölner Keller" beim Studium der Bilder präzisere Möglichkeiten hat als die TV-Anstalten und Software mit kalibrierten Hilfslinien einsetzt, muss sie wohl korrekt gewesen sein.

Für die Hannoveraner begann damit eine Serie von Schiedsrichter-Entscheidungen, die sie bis zum Abpfiff zur Weißglut bringen sollten. In der Tat waren diese zum Teil knapp und hätten auch anders angezeigt werden können. Eine hundertprozentige Fehlentscheidung aber war nicht dabei. Und ein "Heimschiedsrichter" war Michael Bacher ebensowenig. Das zeigten seinen frühen Gelben Karten gegen Julian Niehues und Puchacz, die sich für FCK auch ungünstig hätten auswirken können. Zwingend notwendig waren beide nicht. Und Niehues musste deswegen schon nach 58 Minuten ausgewechselt werden, weil er sich laut Schiedsrichter allerhöchstens noch ein "kleines Foul" - wie auch immer das definiert sein soll - hätte leisten dürfen, wie Trainer Schuster später verriet. Ansonsten wollte der Mann an der Seitenlinie lieber nichts zum Mann an der Pfeife sagen.

Unmittelbar nach dem nicht gegebenen Abseitstor pfiff Bacher Elfmeter für Lautern. Nach einer Freistoßflanke Ritters trifft Marcel Halstenberg beim Hochspringen FCK-Innenverteidiger Jan Elvedi mit dem Ellbogen im Gesicht. Hätte der ein oder andere Unparteiische vielleicht als ungewollter Zufallstreffer im Eifer des Gefechts durchgehen lassen. Man kann da aber durchaus auch pfeifen.

Der neue Elfmeterschütze heißt Tomiak - und macht's richtig gut

Womit die nächste Frage beantwortet werden musste, die unter der Woche eifrig diskutiert wurde: Wer würde den nächsten Elfmeter für die Roten Teufel schießen, nachdem vergangenen Sonntag in Osnabrück Kraus und Terrence Boyd vom Punkt vergeigten? Die Antwort lautete: Boris Tomiak. Der hätte laut interner Rangfolge übrigens schon an der Bremer Brücke antreten sollen, wenn er in der Nachspielzeit nicht selbst der Gefoulte gewesen wäre. Und er verlud Zieler dermaßen was von lässig. Überhaupt: Welche Entwicklung Tomiak in seinem nunmehr dritten Jahr beim FCK genommen hat - Wahnsinn. Er ist ein echter Leader geworden.

In der zweiten Halbzeit bekamen die Gastgeber die Partie zunehmend besser in den Griff. Den Ausschlag gab ein Wechsel, den Schuster in der 58. Minute vornahm. Für den wie schon erwähnt seit der 2. Minute gelbbelasteten Niehues kam Aaron Opoku. "Noch ein Offensiver, der Schuster will also unbedingt gewinnen", lautete daraufhin ein oft geäußerter Kommentar. Was nicht so ganz stimmte. Grundsätzlich offensiver richtete der Coach sein Team mit Wechsel nicht aus. Denn Ritter rückte nun neben Tobias Raschl auf Niehues' tiefe Mittelfeld-Position.

Ritter war von nun an wichtiger, Opoku spektakulärer

Und dadurch wurde das Vertikalspiel fortan deutlich effektiver. Womit dieser Schachzug für das, was nun folgte, eigentlich der wichtigere war. Wobei Opokus Auftritte natürlich die spektakuläreren waren. Gekrönt von einem überragenden Solo in der 79. Minute. Nach einem Ballgewinn vor dem eigenen Strafraum marschierte der 24-Jährige über den gesamten Platz spielte vor dem gegnerischen Strafraum Doppelpass mit Richmond Tachie - und schloss zum 2:1 ab.

Die Szene schloss eine ganze Reihe von gelungenen Offensivaktionen der Roten Teufel ab. Unter anderem hatte Zieler bei einem 16-Meter-Schlenzer von Ritter ins lange Eck sein ganzes Können aufbieten müssen. Der schönste Angriff aber war in der 62. Minute zu sehen. Nach einem langen Ball von Soldo verlängerte zunächst Ragnar Ache - mit solchen Aktionen macht sich Mittelstürmer auch dann immer wieder wertvoll, wenn er im Strafraum mal nicht in Erscheinung tritt. Opoku spielte daraufhin Doppelpass mit Ritter, wobei er sich gleichzeitig auf der linken Seite freilief, passte dann flach in die Mitte zu Tachie, und der schoss freistehend vorm Tor Zieler an.

Und das alles lief in toller Geschwindigkeit ab. Was macht dieser FCK, was macht diese Zweite Liga in dieser Saison doch für einen Spaß.

Rot für Nielsen, Tomiak erneut vom Punkt

Die finalen Aufreger: Nielsens Platzverweis nach Nachtreten gegen Elvedi, der ohne Frage selbst gelbwürdig gefoult hatte. So hart der Schiedsrichter die Gäste auch damit traf: Dieses Rot geht ebenfalls in Ordnung.

Und zum Abschluss nochmal Elfmeter. Der Schiri hatte zunächst eine Schwalbe des eingewechselten Daniel Hanslik gesehen, diesem sogar Gelb gezeigt. Doch der Kölner Keller korrigierte: Nee, war Foul. Was die TV-Bilder auch ohne Hilfssoftware bestätigten. Tomiak verwandelte genauso cool wie beim ersten Mal.

Dass der FCK die Phase zwischen dem 2:1 und 3:1 schadlos überstanden hatte, war nicht zuletzt den weiteren Wechseln zu verdanken. Nach Puchacz´ verletzungsbedingtem Ausscheiden machte Hendrick Zuck mit seiner ganzen Routine die linke Seite dicht. Und kurz vor Schluss kam Kraus für Ritter, um der Defensive die Lufthoheit zurückzugeben, die ihr nach Niehues' Ausscheiden genommen worden war.

Das sind schon Kaliber, die Schuster da mittlerweile von der Bank bringen kann. Und die belegen, wie dieser Kader auch in der Breite verstärkt worden ist. Ein Vorteil, der sich im weiteren Saisonverlauf sogar noch deutlicher auswirken könnte.

Und zum Schluss noch was fürs Herz

Wirklich großes Kino lebt aber bekanntlich nicht nur von Effekten und gekonnt inszenierten Spannungsbögen, sondern auch von Emotionen. Die bot dieser Freitagabend ebenfalls. Etwa, als Puchacz in der 67. Minute verletzt vom Platz musste und bitterlich weinte. Denn wie für ihn damit nicht nur dieses Spiel zu Ende, sondern wohl auch seine Reise zur polnischen Nationalmannschaft passé, für die er unter der Woche erstmals nach langer Zeit wieder eine Einladung erhalten hatte. Da musste man gar nicht mal unbedingt ein rotes Teufelsherz haben, um mitzufühlen.

Und noch was fürs Gemüt: Die Geste, mit der Tomiak Raschl um Entschuldigung bat, nachdem er seinen zweiten Elfmeter verwandelt hatte. Der nämlich hätte ebenfalls gern geschossen. Dabei war es gar nicht mal Tomiak selbst, der darauf bestanden hatte, erneut anzutreten. Der Trainer hatte dies mit unmissverständlichen Gesten von der Seitenlinie aus angeordnet. Doch Tomiaks Geste, dass es in diesem Team offenbar auch menschlich stimmt.

Fußball als Kampfsport: Ache musste 38 Mal in den Infight

Die xG-Timeline weist abermals ein deutliches Ergebnis zugunsten des FCK aus. Wobei auch diesmal angemerkt werden muss: Ist kein Wunder angesichts zweier Elfmeter.

xG-Dynamik FCK-Hannover

Die Positions- und Passgrafik der Roten Teufel: Zuck stand um einiges tiefer als Vorgänger Puchacz. Ist auch nicht so überraschend, beide interpretieren die Rolle des linken Schienenspieler nun mal recht unterschiedlich. Trotzdem gut, einen Vertreter wie Zuck in der Hinterhand zu haben, falls Puchacz jetzt länger ausfällt.

Passmap FCK

Die Positions- und Passgrafik der Gäste: Wie oben schon gesagt, ganz schön rechtslastig. Könnte Absicht gewesen sein.

Passmap Hannover

Die Überkreuz-Übersicht über die geführten Duelle (wie immer: Anklicken zum Vergrößern). Diesmal weisen die FCK-Innenverteidiger keine so überzeugenden Bilanzen auf, aber einen wie Nielsen auszuschalten, ist auch kein Ferienjob. Fast schon gruselig, wie oft Ache in den Infight muss. Und an alle, die immer gerne mit Zimmer rummeckern - einfach mal hier draufschauen.

Zweikampf-Duelle FCK-Hannover

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer

Weitere Links zum Thema:

- Saison-Übersicht 2023/24: Die DBB-Analysen der FCK-Spieltage

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