Über'n Tellerrand: Datenscouting im Fußball (2/2)

Datenscouting: Vom "Moneyball" und anderen Mythen

Datenscouting: Vom "Moneyball" und anderen Mythen

Brad Pitt als Billy Beane im Hollywood-Film "Moneyball"; Foto: Imago Images

Spielt der 1. FC Kaiserslautern zukünftig "Moneyball"? Die Investoren der "Pacific Media Group" sind doch mit dessen Erfinder Billy Beane verbandelt ... Im zweiten Teil seiner Betrachtung zu Datenscouting spürt Eric Scherer diesem Mythos nach.

Erst mal zum Upgrade für alle, die mit diesem Namen nichts anfangen können: Billy Beane ist eine amerikanische Manager-Legende, die in "ihrem" Sport, dem Baseball, Geschichte geschrieben hat. Unter Beanes sportlicher Leitung qualifizierten sich die Oakland Athletics ab dem Jahr 2000 mit einem im Wettbewerbsvergleich lächerlich geringen Etat viermal in Folge für die Playoffs zur nationalen Meisterschaft.

Beane scoutete sein Personal mit Hilfe neuer statistischer Auswertungen, den "Sabermetrics", die der Baseball-Nerd Bill James erfunden hatte. Beane identifizierte damit Spieler, die auf dem Markt deutlich unter Wert gehandelt wurden, aber bestimmte Leistungskriterien erfüllten, die der Manager für die Rolle, in der er sie einplante, als entscheidend erachtete. Bei einigen entdeckte er sogar Eignungen für Positionen, auf denen sie noch nie eingesetzt worden waren - und auf denen ihre Leistungen förmlich explodierten, nachdem Beane sie geholt hatte.

Seine revolutionäre Personalpolitik wurde "Moneyball" getauft - und so populär, dass Hollywood seine Geschichte 2011 unter diesem Titel verfilmte und seinen Part mit Weltstar Brad Pitt besetzte. Der nunmehr 60-Jährige Beane übt auch heute noch eine Funktionärstätigkeit bei Oakland aus, ist zudem Direktor des Cloud-Computing-Unternehmens NetSuite und trat im Jahr 2020 dem Investmentfonds "RedBall Acquisition Corp" bei.

Lassen sich "Sabermetrics" auf den Fußball übertragen?

Und, ja, Billy Beane ist auch Fußball-Fan. Er ist Anhänger des englischen Erstligisten Tottenham Hotspurs, besuchte 2006 die Fußball-WM in Deutschland und sah dort womöglich das 1:1 zwischen Italien und den USA in Kaiserslautern. Darüber hinaus ist Beane seit 2017 Anteilseigner des englischen Klubs FC Barnsley. Und das wiederum scheint bereits sein einziger Berührungspunkt mit der "Pacific Media Group" (PMG) zu sein, deren Gesellschafter als "Platin 2180 GmbH" im Frühjahr letzten Jahres als Neben-Investor auch beim FCK eingestiegen sind. Außerdem engagiert sich Beane beim niederländischen Erstligisten AZ Alkmaar, in dem die PMG aber keine Aktien hat.

Ob und wie Billy Beane seine Expertise, die er sich im Baseball erworben hat, auch im Fußball einbringt? Im Gegensatz zu Baseball ist Fußball ungleich komplexer, kein "Start-Stop-Sport”, der sich analytischer Betrachtung in viele kleine Elemente zerlegen lässt. Drum fragte Autor Christoph Biermann bei seinen Recherchen zu seinem 2011 erschienenen Buch "Die Fußball-Matrix” Beane genau dies. Der aber antwortete nur sehr allgemein: "Ein richtiger Mathematiker wird angesichts hoher Komplexität nicht aufstecken."

Checken wir daher mal Fakten. Tabellarisch kickt Alkmaar in der Eredivisie regelmäßig im oberen Drittel mit, war da aber schon auch vor Beane zuhause. Allerdings erzielte der Klub zuletzt am Spielermarkt beachtliche Transfer-Saldi. Allein in der Saison 2021/2022 machten die Niederländer 45 Millionen Euro Plus - da könnte in der Tat "Moneyball" im Geiste Beanes dahinterstecken.

FC Barnsley: Toller Start mit Beane und PMG, aber dann ...

Ob wiederum PMG von auf Fußball übertragenen "Sabermetrics” profitiert? Beim FC Barnsley starteten Beane und die PMG sportlich vielversprechend. Barnsley schaffte den Sprung von der dritten Liga in die zweite Liga, qualifizierte sich zwei Jahre später für die Playoffs zur Premier League, verlor diese aber - dieses Scheitern auf den letzten Metern war seinerzeit übrigens auch für die Oakland Athletics typisch. Und in diesem Sommer stieg Barnsley wieder ab, als Tabellenletzter.

Transfererlöse nach "Moneyball"-Art? Der Klub veräußerte Innenverteidiger Ethan Pinnock 2020 für 3,35 Millionen Euro an den FC Brentford, nachdem er 2017 für lediglich 570.000 Euro eingekauft worden war. Mittelstürmer Kieffer Moore wechselte für 2,70 Millionen Euro zu Wigan Athletic, angeschafft worden war er für 850.000 Euro. Abwehrspieler Liam Lindsay ging für 2,25 Millionen Euro zu Stoke City, verpflichtet wurde er für 400.000 Euro. Okay, die Zahlen lesen sich nicht schlecht. Aber sie hauen auch nicht gerade um.

Fette Marktwertsteigerungen funktionieren auch ohne "Moneyball"

Zum Vergleich: In seinen Zweitliga-Jahren zwischen 2012 und 2018 erwirtschaftete der FCK mehrmals Transfergewinne in durchaus vergleichbaren Höhen, ohne dass ihm ein "Moneyball"-Etikett anhaftete - erinnert sei nur an Simon Zoller oder Jón Dadi Bödvarsson. Zoller kam 2013 für 400.000 Euro aus Osnabrück und ging 2014 für drei Millionen Euro nach Köln, Bödvarsson kam im Januar 2016 für lau aus Norwegen und ging im August schon wieder für 3,2 Millionen Euro nach Wolverhampton. In nachhaltigen sportlichen Erfolg, auch das ist bekannt, ließ sich mit diesen Gewinnen nicht investieren.

Dass dieser sich auch bei allen übrigen PMG-Klubs bislang nicht einstellte, hatten wir beim Einstieg der Investorengruppe bereits erörtert. Ebenso halten sich die Transfererlöse beim AS Nancy, dem FC Thun, KV Ostende oder Esbjerg fB bislang in Grenzen. "Moneyball" á la Billy Beane wird da offenbar nirgends gespielt.

Der "Moneyball"-Mastermind im Fußball heißt Matthew Benham

Im Fußball-Geschäft wird der Begriff gegenwärtig ganz woanders strapaziert - und hat dort grad mal gar nix mit Billy Beane zu tun. Der Mastermind hinter den Erfolgsgeschichten des englischen FC Brentford und des dänischen FC Midtylland heißt Matthew Benham. Der Physiker mit Oxford-Abschluss entwickelte Rechenmodelle fürs Finanzwesen und im Sportwetten-Business, ehe er sich den genannten Klubs zuwandte. Jetzt setzt er von ihm entwickelte Programme ein, um in aller Welt Spieler zu identifizieren, deren Marktwert unter ihrem tatsächlichen Leistungsvermögen liegt. Die transferiert er zu seinen Klubs und verkauft sie irgendwann gewinnbringend weiter.

Die Gewinne, die Benham und seine Computer-Fahnder erzielen, sind in der Tat beachtlich: Laut "Transfermarkt.de" hat Brentford in den vergangenen Jahren rund 76,5 Millionen Euro in Spielerkäufe investiert und 193,8 Millionen Euro durch Verkäufe eingenommen. Bei Midtjylland stehen 32,2 Millionen Euro an Zu- etwa 63,7 Millionen Euro aus Verkäufen gegenüber.

Beispiele mit deutschem Bezug: Den heutigen Schalker Dominik Drexler verpflichtete Midtjylland im ersten Halbjahr 2018 von Holstein Kiel für 2,5 Millionen Euro und verkaufte ihn bereits im Sommer des gleichen Jahres an den 1. FC Köln weiter - für 4,5 Millionen Euro. Drexler hatte für die Dänen nicht ein einziges Mal gespielt. Zu Brentfords Leistungsträgern zählt aktuell der deutsche U21-Nationalspieler Vitaly Janelt, den die Engländer 2020 für 600.000 Euro von Zweitligist VfL Bochum holten. Mittlerweile wird der Marktwert des 22-Jährigen auf 14 Millionen Euro taxiert. Den Sprung auf den deutschen WM-Zug hat er verpasst, sonst wäre er noch teurer.

Sportlich zufrieden sein kann Benham mit seinen Klubs ebenfalls. Brentford ist 2021 mit einem im Wettbewerbsvergleich bescheidenen Etat in die Premier League aufgestiegen, hat im ersten Jahr den Klassenverbleib geschafft und rangiert aktuell auf Rang 10. Midtjylland hat seit 2015 vier Mal die dänische Meisterschaft gewonnen und ist aktuell amtierender Vizemeister.

Beispiel Liverpool: Es geht nicht nur um die höchste Gewinnspanne

Guten "Moneyball" kann aber auch spielen, wer das Etikett für sich gar nicht in Anspruch nimmt. Für Buchautor Escher etwa beherrschen ihn auch die Liverpooler Analytiker perfekt. Dabei machen die Reds mit ihren Transfers Miese. 700 Millionen Euro gaben sie in der Ära Klopp bislang für Transfers aus, nahmen aber nur rund 500 Millionen Euro ein. Das irritiert zunächst, doch verglichen mit den anderen englischen Großinvestorenklubs stellen 200 Millionen Euro Minus eine beinahe ausgeglichene Bilanz dar. Manchester United bescherte sich in den vergangenen Jahren ein Transferminus von 900 Millionen Euro, Manchester City blieb mit 650 Millionen Euro im roten Bereich und der FC Arsenal mit rund 600 Millionen Euro.

Im Übrigen sollten Gewinnmargen nicht der alleinige Gradmesser für erfolgreichen "Moneyball” sein, so Escher. 2017 etwa verpflichtete Liverpool den Niederländer Virgil van Dijk vom FC Southampton für 80 Millionen Euro. Der Verdienst der Datenscouts lag darin, die Verantwortlichen zu überzeugen, dass ihnen diese gewaltige Investition tatsächlich die Dienste des besten Abwehrspielers der Welt sicherte. Was schon bald nach dem Wechsel niemand mehr bezweifelte. Und vor dem Transfer von Mohamed Salah wiesen die Analyse-Nerds anhand ihrer Datensammlungen nach, dass er ein idealer Angreifer für die Reds sein könnte, obwohl er zwei Jahre zuvor beim FC Chelsea gescheitert war. Womit sie ebenfalls goldrichtig lagen.

Außerdem sollten Datenscouts nicht nur an den Transfererlösen gemessen werden, die mit ihrer Hilfe erzielt werden. Sondern auch an den Ausgaben, die sie vermeiden - weil sie rechtzeitig ein Veto gegen eine Verpflichtung einlegen. Und daran, ob sie die Potenziale im eigenen Verein erkennen und korrekt bewerten, vor allem im Nachwuchsbereich.

Beispiel Frankfurt: Auch mal Mut zum Problem-Profi

Erfolgreichen "Moneyball", ohne den Begriff zu benutzen, hat in der jüngsten Vergangenheit auch Eintracht Frankfurt gespielt. Sebastian Haller kam für sieben Millionen Euro, ging für 50 Millionen Euro. Luka Jovic wurde nach einer Leihe für 20 Millionen Euro verpflichtet, später für 60 Millionen Euro an Real Madrid verkauft. André Silva kostete drei Millionen Euro, brachte 23 Millionen Euro. Und sportlich passte es auch. Nach etlichen grandiosen Europapokal-Auftritten gewannen die Hessen im Frühsommer die Europa League.

Der Erfolg eines Scouting-Systems, das Fredi Bobic, bis 2021 Sportvorstand der Eintracht, und sein Chefscout Ben Manga etablierten. Deren wichtigste Ideen: Auch mal auf Spieler vertrauen, deren Marktwert im Keller ist, weil sie als schwierig gelten oder aus anderen Gründen anderswo nicht zurechtkommen, Beispiele: Kevin-Prince Boateng, Martin Hinteregger, Filip Kostic. Bei Beurteilungen, ob sich solche angeblich schwierigen Charaktere bei einem Wechsel in die Erfolgsspur führen lassen, können Daten-Scouts freilich nur bedingt behilflich sein. Außerdem scheuten sich die Frankfurter nicht, auch in weniger starken Ligen Europas zu scouten. Und sie vermochten gut einzuschätzen, inwieweit dort gezeigte Leistungen auch in der Bundesliga zu erwarten und sogar noch zu steigern wären - eben daran war der damalige FCK-Coach Erik Gerets bei Stijn Vreven und Mika Nurmela gescheitert. Vor allem aber erkannten die Hessen Potenzial früher als andere und waren mit unterschriftsreifen Verträgen zur Stelle, ehe Ablöseforderungen ins Uferlose wuchsen.

Das übrigens sieht auch Klemens Hartenbach als das wichtigste Erfolgsrezept seiner Freiburger an: Entscheidungen fallen schnell, weil auf kurzen Wegen. Der Chef ist für seine Scouts jederzeit erreichbar. Hartenbach, Cheftrainer Christian Streich und Sportvorstand Jochen Saier ticken schon seit ewigen Zeiten im absoluten Gleichtakt. Und frühzeitiges, effektives Datenscouting kann einen zusätzlichen Beitrag leisten, Transfer-Entscheidungen zu beschleunigen.

Und am Betzenberg? Ist Billy-Beane-Expertise wohl nicht in Sicht

Dass es an der gegenwärtigen Transferpolitik des FCK nichts zu meckern gibt, dürfte außer Frage stehen. Obwohl da augenscheinlich keine "Moneyball"-Aspekte eine Rolle gespielt haben. Andreas Luthe, Philipp Klement, Erik Durm, Ben Zolinski oder der bereits im vergangenen Winter geholte Terrence Boyd sind bereits im fortgeschrittenen Alter und bestimmt nicht geholt worden, weil der FCK für sie in absehbarer Zeit abkassieren will.

Um das langfristige Ziel in Angriff zu nehmen, sich wieder in der Bundesliga zu etablieren, muss der Kader jedoch schon bald mit Personal aufgefüllt werden, das Marktwertsteigerungen und fette Transfererlöse verspricht. Denn ohne die kann sich ein Klub, der nicht regelmäßig mit Konzern-Millionen gespeist wird, schon lange nicht mehr dauerhaft im Oberhaus halten.

Und da wird die internationale Expertise gefragt sein, die sich Geschäftsführer Thomas Hengen in seiner Zeit als Scout verschiedener europäischer Vereine wie dem FC Everton, dem Hamburger SV oder Feyenoord Rotterdam aneignete. Denn Talente mit erstklassigen Perspektiven, die auf dem deutschen Markt heranreifen, werden schon lange früh von den finanzstarken Vereinen einkassiert. Und Hengen muss wiederum auf flache, stabile sowie gut und schnell funktionierende Hierarchien vertrauen können, wie sie Eintracht Frankfurt und den SC Freiburg erfolgreich gemacht haben. Darauf, dass am Betzenberg demnächst Billy Beane aufschlägt und mit ihm "Moneyball" spielen will, sollte er sich allerdings auf keinen Fall verlassen.

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer

Weitere Links zum Thema:

- Datenscouting, Teil 1: Am Ende zählt immer der "Live"-Eindruck (Der Betze brennt)

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