Im Blickpunkt: Die FCK-Winterbilanz

Kein Häuptling und keine Krieger

Kein Häuptling und keine Krieger

Auf Cheftrainer Franco Foda und die FCK-Verantwortlichen wartet in der Winterpause viel Arbeit, ehe es ab Februar richtig um die Wurst geht.

Was läuft schief beim 1. FC Kaiserslautern? Von einer verkorksten Hinrunde zu sprechen, wäre übertrieben - dennoch ist es unübersehbar, dass auf dem Betzenberg auch in der Winterpause noch einige Baustellen offen sind.

Es gibt dieses eine Spiel, das so bezeichnend für die bisherigen 19 Auftritte des 1. FC Kaiserslautern in der Zweitligasaison 2012/2013 ist. Eigentlich sind es nur drei Minuten: Der FCK dreht nach feinen Einzelleistungen von Mo Idrissou, Albert Bunjaku und Hendrick Zuck ein 0:2 in ein 3:2. In der 89. Minute stürmt Ilian Micanski mutterseelenallein auf das Tor von Union Berlin zu und verzieht. Der Micanski, der nach einer starken Halbserie als Leihspieler des FSV Frankfurt mit markigen Sprüchen und hohen Ansprüchen an den Betzenberg zurückgekehrt war. Dann sind nur noch zwei Minuten zu spielen: Union hat längst einen Riesen eingewechselt, der am Strafraum des FCK auf den einen langen, hohen Ball lauert. Ein erster Freistoß wird auf ihn platziert. Doch Tobias Sippel vereitelt die Chance und schlägt den Ball auf Idrissou ab, dem leichtfertig der Ball verspringt - zum Gegner. Ariel Borysiuk sucht im Mittelfeld den Zweikampf, aber nicht das Foul. Auch Kostas Fortounis probiert - mit Sicherheitsabstand - den Ball zu stibitzen. Danach legen der Grieche und seine Mittelfeldkollegen den Rückwärtsgang ein, warten auf den langen, hohen Ball. Und der kommt - auf den Turm aus Köpenick, der Florian Dick überspringt. Abwehrkollege Alexander Bugera versucht die Kopfablage technisch sauber zu verarbeiten. Das misslingt und ein „Eiserner“ nimmt sein Herz in beide Hände und haut drauf...

Man braucht gar nicht so viel Betzenberg-Erfahrung, um zu wissen, dass, wenn der FCK zuhause einmal ein 0:2 in ein 3:2 gedreht hat, nix mehr anbrennen kann. Zu hoch ist dann die Betriebstemperatur auf dem Spielfeld und auf den Rängen. Meist getraut sich der Gegner nicht einmal mehr an den Ball, er sieht nur noch rot. Und wenn er an den Ball kommt, wird er kollektiv weggeräumt. Man stelle sich vor, der FCK hätte damals gegen den KSC, als Stefan Kuntz & Co. aus einem 0:2 ein 3:2 machten, noch den Ausgleich kassiert. Oder in den vielen anderen legendären Aufholjagden...

Nun hat der FCK die verlängerte Zweitligahalbserie auf Platz drei abgeschlossen, hat 32 Punkte geholt, war 16 Spiele ungeschlagen, aber die Gesichter der Fans nach dem gruseligen Schlussakt gegen Aalen waren so leer, so emotionslos, als hätte man ihnen den Teufel ausgetrieben. Nur knapp über 20.000 waren überhaupt noch gekommen.

Was läuft schief in unserem Verein?

Stefan Kuntz hat es vor ein paar Tagen in einem „Rheinpfalz“-Interview so ausgedrückt: „Ich hatte - auch nach den Erfahrungen, die einige unserer Spieler in der letzten Saison gemacht haben - die Erwartung, dass Teamgeist, Laufbereitschaft, unbedingter Drang, schnell wieder in der Bundesliga spielen zu wollen, der Wille über den inneren Schweinehund zu gehen, stärker wären.“ Jeder habe vor Anpfiff der Zweitligasaison erzählt, dass er aufsteigen wolle. Zwischen Reden und Handeln gebe es da allerdings „eine große Diskrepanz“, so Kuntz. Alle Spieler müssten sich jetzt „zu 100% auf ihre Leistung und Aufgabe konzentrieren und nicht auf andere Dinge“. Und auch die Ansage des Ober-Teufels an seinen neuen Trainer Franco Foda ist bemerkenswert: Dieser arbeite ja auch gerne mit schwierigen Typen zusammen - „da gilt es jetzt, durch klare Ansagen und Grenzen Grundlagen zu finden, damit auch die ihre Leistung wieder komplett abrufen und der Teamgeist stimmt“.

All das erinnert an ein Gespräch von Kuntz mit der „Rheinpfalz“ vom August 2011, als der FCK-Boss vor dem ersten Heimspiel der Bundesligasaison gegen Augsburg seine Profis daran erinnern musste, den Kampf gegen den Abstieg anzunehmen. Es folgte eine katastrohpale Spielzeit, die auf „Der Betze Brennt“ deftig, aber treffend mit „Pussy-Fußball“ umschrieben wurde. Die Distanz zwischen Fans und Mannschaft war nie größer. Und jetzt, nach dem großen Schnitt und Umbruch (neuer Trainer, mehr als ein Dutzend frische Spieler), muss Stefan Kuntz schon wieder Grundlagen des Profifußball einfordern und die Anhänger sind desillusioniert. Was läuft schief beim FCK?

Die großen Fußstapfen des Martin Amedick

Der Mannschaft fehlt ein Häuptling, es fehlen Krieger und es fehlt eine Spielphilosophie, die dem Anspruch der Fans gerecht wird. All das war in der Aufstiegssaison 2009/10 gegeben, als die Stimmung euphorisch war und 36.000 Zuschauer im Schnitt ins Stadion strömten - jetzt sind es rund 29.000. Der FCK hatte damals einen Leader auf dem Platz, der in kniffligen Phasen voranging, der aber auch außerhalb des Spielfeldes eine gute Figur machte: Martin Amedick. Die große Lücke, die er hinterließ, hat der FCK bis heute nicht schließen können. Von Christian Tiffert, Amedicks glücklosem Nachfolger, stammt sinngemäß der Satz, dass mit dem Abgang des großen Blonden auch das letzte Quentchen Teamgeist entwichen wäre. Foda hat vor dieser Saison überraschend Neuzugang Albert Bunjaku als Kapitän auserkoren. Viel Verantwortung für einen Mann, der Bundesliga-Erfahrung mitbringt, aber sehr schwer und lange verletzt war. Bunjaku hat anfangs im FCK-Trikot seine Qualität und Entschlossenheit gezeigt, nicht nur vom Elfmeterpunkt oder aus spitzem Winkel. Aber neuerliche Muskelleiden haben ihn außer Tritt gebracht. Seine Gesundheit hängt an einem seidenen Faden. Und darunter leidet auch seine Ausstrahlung. Dazu hat Bunjaku mit Altlasten des Vereins zu kämpfen: Nach den jüngsten drei Niederlagen in Folge sei eine etwas ungewöhnliche Stimmung im Team zurückgekommen, viele seien sehr schnell wieder verunsichert gewesen. „Da merkt man noch den Stachel aus der vergangenen Saison“, so der Schweizer.

Jemand, der den Abstieg noch im Kopf hat ist Florian Dick. Ihn hatten die meisten FCK-Beobachter als neuen Kapitän auf dem Zettel. Der Publikumsliebling spielt bislang seine schwächste Serie im rot-weiß-roten Dress, wirkt mitunter fahrig und kraftlos, als würde er nach der Dauerpower seiner Anfangsjahre nicht mehr aus dem Energiesparmodus kommen. Dick hätte das Amt des Spielführers sicher gerne übernommen, genauso wie Sippel, der gereift und gleichzeitig zu alter Klasse zurückgekehrt ist. Nach der ersten Niederlage der Saison, in St. Pauli, platzte dem Torhüter der Kragen, er sprach von „Hallo-Wach“, vom viel zitierten Boden der Tatsachen, von Mutlosigkeit und Sterben in Schönheit. „Vielleicht spielen wir zu viel, ein Pass zu viel, anstatt einfach mal drauf zu schießen.“

Sippels- Ex-Mannschaftskameraden Sidney Sam und Ivo Ilicevic waren so zwei, die einfach mal aufs Tor schossen. Auch im Training, wo ihr Wettkampf „Wer trifft öfter die Latte“ Legendenstatus erhielt. Mit Sid und Ivo, den Gebrüdern Gift und Galle, konnte man ebenso einen Krieg gewinnen - beispielsweise im Pokal gegen Leverkusen - wie mit Erik Jendrisek, Srdjan Lakic und dem noch von Führungsaufgaben unbelasteten Tiffert. Sie alle hatten die Augen des Tigers und einen festen Platz im vom Amedick angeführten Rudel. Gemeinsam gingen sie auf die Jagd, ihr Hunger war unstillbar. Betrachtet man die aktuelle Erfolgsgeschichte von Eintracht Braunschweig, finden sich große Parallelen.

Indianer ohne Giftpfeile und verkehrte Betze-Welt

Für die jetzige FCK-Mannschaft verwendete ein Schreiber im DBB-Forum folgendes Bild: Sie erinnere ihn an hoch talentierte Schüler, die nur das Nötigste machen würden, um durchzukommen. 16 Spiele ging das mehr oder weniger gut. Mit Alexander Baumjohann und Mo Idrissou wurden Fußballer verpflichtet, die den Unterschied machen können. Aber von Erstgenanntem kann man nach seiner Vorgeschichte (noch) nicht verlangen, andere zu führen bzw. mitzureißen (siehe „Der Betze Brennpunkt: Alexander Baumjohann - und die Angst vor dem Flop“) und Idrissou ist immer noch ein Klasse-Torjäger, aber er funktioniert wie eine Ich-AG, verfolgt seine eigenen Ziele. Eine traumatische Anfangszeit in Lautern durchlebte Ariel Borysiuk. In Polen wurde er wegen seiner Kompromisslosigkeit gefürchtet und gefeiert, in Deutschland flog er nach nicht mal 45 Minuten vom Platz und wurde von seinem Kapitän an den Pranger gestellt. Borysiuk muss sich als Hauptverantwortlicher für eine entscheidende Niederlage im Abstiegskampf gefühlt haben - und bis heute hat er die Handbremse nie wirklich lösen können. Große Hoffnungen hat man in Lautern in Fortounis gelegt - und wohl mehr auf winkende Transfererlöse, als auf den Charakter des Spielers geschaut. Kaiserslautern ist für den hoch gehandelten Jung-Nationalspieler nur ein Sprungbrett. Beweisen musste er sich und anderen hier nur wenig, seine Leistung stagniert. Immerhin kann man Fortounis zu Gute halten, dass er in all seinen FCK-Tagen keine feste und funktionierende Hierarchie in der Mannschaft vorfand. In Dortmund könnte er auf die bauen, wo ihn Jürgen Klopp dem Vernehmen nach als Ersatz für den scheidenden Ivan Perisic auf dem Zettel hat.

Ein gesundheitlich angeschlagener Häuptling, Indianer ohne Giftpfeile - und es ist noch etwas anderes, was beim FCK die Kluft zwischen denen auf dem Platz und denen auf den Tribünen (Verantwortliche auf der Nordtribüne eingeschlossen) schon wieder so groß hat werden lassen: das Spiel selbst. „Wir wollen Fußball spielen, und die Gegner versuchen oftmals, durch taktische Fouls im Mittelfeld unseren Spielfluss zu unterbrechen“, analysierte Franco Foda zum Jahresende. Die Spieler müssten nun beherzigen, dass es nicht genüge, nur Fußball zu spielen. Sie müssten künftig die entsprechende Aggressivität zeigen. Das sei ein Prozess. In der Praxis sah das bislang so aus, dass aufopferungsvoll kämpfende Regensburger vom Lautrer Publikum viel Anerkennung bekamen, während die eigene Mannschaft, die alle FCK-Tugenden schuldig blieb, mit Unmut bedacht wurde. Verkehrte Fußballwelt am Betzenberg. Nicht nur in diesem Heimspiel. Foda will Tempofußball mit viel Laufbereitschaft und Leidenschaft sehen. Als Zuschauer erinnert man sich vor allem an passives, folgenschweres Fehlverhalten nach Führungstoren und Querpässe frei vor dem gegnerischen Kasten.

„Wir werden in der Vorbereitung weiter am technisch-taktischen Bereich arbeiten, um noch schwerer auszurechnen zu sein“, kündigt Foda an - und meint damit hoffentlich auch Standards und Laufwege. Die Matrix des FCK ist vom Gegner längst entschlüsselt. Foda nahm im finalen Spiel 2012 seinen Regisseur zur Pause vom Platz. Ein Wink mit dem kompletten Zaun. Von frechen, gelernten Flügelspielern wie dem blutjungen Mitchell Weiser und (wohl auch) Christopher Drazan könnte in dem von Foda propagierten 4-2-3-1 nicht nur die Spitze profitieren, könnte das bisherige Spiel durch die Mitte variabler gestaltet werden - auch Baumjohann würde Luft zum Atmen bekommen, müsste sich nicht mehr so oft ins defensive Mittelfeld zurückfallen lassen. Ein Millionen-Transfer von Fortounis würde die Suche nach einem Sechser, der wohl wichtigsten Schachfigur im modernen Fußball, erleichtern. Der Zweitliga-Zweitplatzierte Hertha hat hier mit dem erfahrenen Peer Kluge einen Volltreffer gelandet. Bitter, dass sich der vom FCK favorisierte Enis Alushi das Kreuzband riss. Viel Arbeit also für Kuntz und Foda in der Winterpause, die alles überprüfen und hinterfragen wollen. Aus Fehlern kann man lernen und Fehler sind in den letzten 18 Monaten reichlich passiert.

Heintz ist der Gewinner

Ausnahmslos erfreulich ist die Entwicklung der jungen Spieler unter Foda. Denis Linsmayer, Steven Zellner, Hendrick Zuck, Dominique Heintz - Foda hat ihnen vom ersten Trainingstag an das Vertrauen geschenkt. Sucht man einen Gewinner des Kalenderjahres 2012 so kann man Zuck und muss Heintz nennen, dessen zweiter und dritter Vorname Leidenschaft und Wille sind. Hier wachsen glaubwürdige Identifikationsfiguren heran, die der FCK so dringend benötigt. Gerade, wenn das in diesem Verein so wichtige Band zwischen Fans und Mannschaft belastet ist. Vielleicht wird die Relegation, die bei diesem Berg voll Problemen, ein Erfolg wäre, alle wieder zusammenschweißen. Für solche Schlachten ist der 1. FC Kaiserslautern doch gemacht. Eigentlich.

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Marky

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