Stadionverbote - kaum ein Thema außerhalb des sportlichen Bereichs beschäftigte die bundesweite Fanszene in den letzten Jahren mehr. Mit unzähligen Aktionen, Spruchbändern und Gesprächen forderten die Anhänger eine fairere Regelung, die Anfang des Jahres schließlich, wenn auch mit Abstrichen, durchgesetzt werden konnte. Auch in Kaiserslautern gibt es treue Fans mit Stadionverboten, denen damit ein wichtiger Teil ihres Lebens genommen wurde. Ein Mitglied des Fanclubs „Devil Corps“ aus Block 7.2, das 19 Monate lang kein FCK-Spiel besuchen durfte, gibt im Folgenden einen Einblick in die Gefühlslage eines Ausgesperrten.
Teil 1: Gebt uns unser Leben zurück! (14. März 2008)
Freitagabend, 29. September 2006, es ist kurz nach 20:00 Uhr. Unser geliebter FCK holt nur einen Punkt beim späteren Absteiger SpVgg Unterhaching, die Stimmung ist im Keller und kurze Zeit danach finden sich fünf Fans aus der Barbarossastadt in Haft.
Zwei Wochen später: ein Oktobertag wie jeder andere. Vorfreude auf das DFB-Pokal-Spiel am folgenden Tage beim verhassten FC Bayern; wieder gemeinsam nach München fahren, alles für den Verein geben, mit Freunden feiern und die Atmosphäre genießen. Man kommt von der Schule nach Hause, gut gelaunt, die Ferien stehen vor der Tür, es ist tolles Wetter...
... und plötzlich ändert sich DEIN Leben von der einen auf die andere Sekunde! Der schmerzhafteste Niederschlag seit langer Zeit, womöglich der schwerste Schicksalsschlag im Leben eines Fans:
BUNDESWEITES STADIONVERBOT BIS ZUM 30. Juni 2009!
Tausende und abertausende Bilder fliegen am geistigen Auge vorüber, Millionen Gedanken schießen durch den Kopf, Tränen rinnen aus den Augen, der letzte Versuch aus dem Albtraum aufzuwachen. Telefonate mit allen anderen Betroffenen zeigen jedoch die Realität.
Dieser Text soll in keinem Fall als Diskussionsgrundlage über Schuld, über Gerechtigkeit oder Beamtenwillkür dienen, sondern lediglich Leben und Gefühlslage eines, vom Stadionverbot betroffenen, fanatischen Fußballfans beschreiben, der mit ganzem Herzen Lautrer ist!
Wie fühlt man sich, wenn man Wochenende für Wochenende anderen zusehen muss, wie sie freudestrahlend und voller Leidenschaft ins Stadion ziehen, um den Verein, für den sie leben, mit aller Gewalt zu unterstützen? Wie gestaltet man die Zeit während des Spiels, die man ALLEINE oder mit den Jungs, welche das gleiche Schicksal traf, verbringt? Warum ausgerechnet jetzt, in dieser Zeit, in der die Mannschaft jede Unterstützung benötigt?
Der Zeitpunkt, zu welchem ich diesen Text verfasse, könnte die Situation kaum besser beschreiben, denn derzeit läuft das wichtige „Heimspiel“ in Wiesbaden (März 2008, Anm. d. Red.). Ich sitze zuhause vor dem Fernseher. ALLEINE. Alleine, weil es niemand mit mir aushält, während ich Fußball schaue. Viel zu emotional reagiere ich auch weit entfernt vom eigentlichen Geschehen. Alle anderen, die mit annähernd so viel Leidenschaft die Spiele ihres Vereins verfolgen, stehen nun in der Kurve und geben alles, um der Mannschaft so viel Kraft und Mut wie möglich einzuhauchen.
Das Spiel ist wenige Minuten alt, die Atmosphäre in der Kurve kommt heute besser denn je rüber, alle wissen, um was es geht. Es läuft mir eiskalt den Rücken runter. Es lässt sich kaum beschreiben, wie sehr es schmerzt, nicht mit im Stadion sein zu können. Das Herz schlägt von Minute zu Minute schneller, mir kommt es vor als stünde ich kurz vor einem Infarkt.
Schon als ich von der Arbeit heimfuhr und der Zug der Fanszene in Ludwigshafen am gegenüberliegenden Gleis stand, überkam mich dieses Gefühl der Sehnsucht wieder.
Unser FCK spielt auf fremden Platz nach vorne, erzielt etwas glücklich das 1:0, aber die Art und Weise wie Fußball gekämpft wird erinnert an alte Zeiten. An Zeiten, als ich Spiele noch hautnah miterleben konnte. Enttäuschung kommt auf. Man begreift wieder einmal, wie sehr man für diese Momente lebt, wie abhängig man von diesem einen Tag in der Woche ist. Wie sehr es schmerzt, wie sehr das Feuer in meiner Seele auch zuhause vorm TV brennt.
Kurz vor der Pause folgt noch das 2:0 - die Emotionen schon lange nicht mehr im Griff laufen Freudentränen, Tränen der HOFFNUNG und Tränen der ANGST, dass man seinen Verein vielleicht doch nie mehr im Profifußball sehen wird. Noch eine weitere Saison mit Stadionverbot nähert sich.
Die VERZWEIFLUNG wird von Tag zu Tag größer. Die Momente voller Emotionen und Leidenschaft im Stadion, die Stunden, in denen man mit den Jungs alles für die Mannschaft gibt, fehlen einfach zu sehr. Es wird immer härter. Das eigene Freunde auf dem Platz stehen, die man gerne unterstützen würde, macht das ganze Thema noch schwerer.
Was ich zu Beginn noch ganz gut verkraftet habe, ist mittlerweile unerträglich. Die Motivation gegen das vorzugehen, was geschah, fehlt mittlerweile gänzlich. Anstatt dessen versucht man sich damit abzufinden, vor und nach den Heimspielen seine Jungs zu treffen, ihnen bei Vorbereitungen für Spruchbänder oder ähnliches zu helfen.
Das einzige Trostpflaster, das bleibt, sind die Spiele der FCK-Amateure: Kampfgeist, Siegeswille und teilweise guter Fußball muntern ein wenig auf, täuschen aber nicht über die Tatsache hinweg, dass man ansonsten als Krimineller abgestempelt und von der Gesellschaft am Spieltag abgegrenzt wird.
An dieser Stelle möchte ich mich dann bei den Jungs aus der Gruppe bedanken, die durch Aktionen und Banner auf das aufmerksam machen, was uns widerfahren ist.
IHR BEI UNS - WIR BEI EUCH!
Man erfährt, dass man nicht vergessen wird, man ist weiterhin Teil der Szene, auch wenn man in den 90 Minuten, die für die Mannschaft wichtig sind, nicht dabei sein kann. Der dauerhafte Kontakt zu den Jungs ist das, was einem wirklich am Leben hält und diese schweren Zeiten erleichtert.
Teil 2: Die unerwartete Rückkehr ins Stadion (13. Mai 2008)
Sommer, Sonne, Sonnenschein ... oder zumindest so ähnlich lässt sich die Wetterlage in der Region beschreiben. Wir schreiben den 13. Mai 2008. Der Tag der Entscheidung nähert sich, das letzte Saisonspiel gegen den 1. FC Köln wird über den Verbleib unseres FCK im Profifußball entscheiden. Hoffentlich lachen wir am Ende, so wie die Sonne heute. Hoffentlich schlägt das Herz der Pfalz, unser Herz, weiter!
Nur noch wenige Tage bis zum vielleicht wichtigsten Spiel aller Zeiten. Alles, was in dieser Saison misslungen ist, kann nun gerettet werden. Wird man sich seinen Stärken bewusst, kann das Unmögliche, das Wunder vom Betze eintreffen, könnt IHR, können WIR zu Helden werden.
Seit Tagen wird keiner mehr ruhig schlafen, durch dessen Körper das Lautrer Herzblut strömt. Jetzt gilt es. Mit einem Zusammenhalt zwischen Mannschaft und Fans muss es geschafft werden. Der Einsatz auf dem Platz und die gnadenlose Unterstützung von den Rängen sollen es möglich machen. Die Hoffnung lebt, wird jedoch wieder einmal von der Angst überschattet - und wieder einmal kann man selbst ABSEITS vom Geschehen nichts für die Mannschaft leisten.
Als ich an dem besagten Dienstag zur Arbeit fahre, ahne ich noch nicht, dass sich mein Leben zum zweiten Mal von der einen auf die andere Sekunde verändern wird. Kurz vor 10 Uhr erhalte ich den überraschenden Anruf eines Freundes, der das gleiche Schicksal erlitten hat wie ich. Ermittlungsverfahren, bundesweites Stadionverbot und so weiter. Was wie ein normales Telefonat beginnt, soll sich später jedoch als die beste Nachricht seit langer, langer Zeit entpuppen: das Verfahren all unsrer Stadionverbotler vom Spiel in Unterhaching ist nach mehr als eineinhalb Jahren eingestellt worden!
So entsteht plötzlich ein überwältigendes Glücksgefühl in mir. Soll der Albtraum etwa endlich vorüber sein? So plötzlich wie er gekommen ist? UNVORSTELLBAR!
Sofort rufe ich meinen Anwalt an. Und tatsächlich: das Verfahren ist eingestellt. Wir haben es geschafft.
Wird es nun doch möglich sein, sonntags die Mannschaft im Stadion zu unterstützen, sein altes Leben zurückzubekommen und endlich wieder mit den Jungs zum Fußball zu gehen? Und das bei diesem Spiel, in dem es um alles geht, was einem am Herzen liegt? Nach vielen Telefonaten und der Unterstützung des Vereins war es möglich!
Lasst mich also endlich zum zukunftsentscheidenden, finalen Spiel in unserer Festung kommen. Der Betze scheint wieder erwacht zu sein - über 40.000 Lautrer wollen die Mannschaft zum Sieg schreien, den Verein vorm Ruin retten, den Kampfgeist unsrer Jungs in den letzten Wochen würdigen. Diese Unterstützung hätte man sich schon zu einem früheren Zeitpunkt gewünscht!
Jeder einzelne Spieler hat sich in den letzten Spielen den Arsch aufgerissen, alles gegeben, nahezu Blut gekotzt. Was von uns vor wenigen Wochen gefordert worden ist, ist also von vielen Spielern beherzigt worden. Dem sollen wir Tribut zollen.
Früh morgens trifft man sich am Messeplatz in Kaiserslautern zur Gedenkfeier der First Class Crew und stärkt sich bei dem ein oder anderen Bier und 'ner Bratwurst für die kommenden Stunden. Gegen zwölf Uhr macht man sich gemeinsam auf den Weg Richtung Betzenberg.
Sonntagnachmittag, 14 Uhr, es schlägt die Stunde der Wahrheit: das Spiel beginnt! Sind es die letzten 90 Minuten Profifußball in Kaiserslautern oder kommt die Wende und vielleicht sogar der Beginn einer neuen Ära?
Die Choreographie steht für all das, was in unseren Köpfen umherwirbelt: UNZERSTÖRBAR! Wir werden niemals untergehen und dafür werden wir noch einmal alles geben, um unsere Liebe weiterhin im Profifußball zu sehen.
Die erste Halbzeit verläuft ohne nennenswerte Ereignisse, die Mannschaften gehen mit einem 0:0 in die Pause. Kampfgeist und Siegeswille sind bei unseren Jungs deutlich erkennbar, allein das Glück fehlt uns wie bereits so oft in dieser Saison. Der Fußballgott ist scheinbar auch heute kein Lautrer. Warum sollte er auch?
Als die Mannschaften zurück aus der Kabine kommen wird im unteren Teil der Westkurve plötzlich ein Spruchband ausgerollt mit einer für mich bis heute unglaublichen Aufschrift. Die Jungs klopfen uns auf die Schulter: „Geht hoch auf die Stangen - das ist für EUCH!“. Erst dann realisieren wir, was auf diesem weißen Spruchband mit roter Schrift, den Farben, die unser Leben bestimmen, geschrieben steht: „Willkommen zurück Devil Corps, Sektion Stadionverbot!“,
ÜBERWÄLTIGEND! Man ist wieder zurück und war nie in Vergessenheit geraten! Selbst als ich diesen Text schreibe, überkommt mich eine Gänsehaut! Dies soll das erste Highlight des Tages für uns sein, Tränen der Freude beschreiben meine Gefühlslage zu diesem Zeitpunkt treffend. Das Herz schlägt schnell, der Beifall von den Jungs unten macht mich persönlich sprachlos. DANKE! Wofür man zwei Jahre ausgeharrt hat, wird einem in solchen Momenten erst richtig bewusst. Es tut so verdammt gut!!!
Zurück zum Spiel: die 2. Halbzeit wird angepfiffen, unsere Spielanteile nehmen zu. Wir kommen zu ersten deutlichen Torchancen, bleiben allerdings erfolglos, die Hoffnung lebt weiter. Plötzlich ein Kölner Konter - Pfosten, Helmes, es läuft mir eiskalt den Rücken runter.
Kurz danach: der Lautrer Angriff über die linke Seite rollt, die Flanke wie immer zu kurz in den Strafraum, der Kölner Abwehrspieler kann nicht richtig klären und da steht er, stehen WIR! Das erlösende 1:0 durch Josh Simpson, der Betze bebt, die Stimmung ist am Kochen, tausende liegen sich in den Armen, jubeln, weinen vor Freude, sehen unser Ziel direkt vor den Augen. Es beginnt zu regnen - wir haben FRITZ-WALTER-Wetter. Von da an ist es jedem klar: Wir schaffen es!
Unsere klare Überlegenheit auf dem Feld führt binnen zehn Minuten zu einer deutlichen 3:0-Führung durch zwei Tore von Marcel Ziemer. Allen ist es klar: Wir siegen, wir haben es geschafft! Unser aller Traum ist Realität geworden! Einziger Wermutstropfen ist die schwere Verletzung von Josh Simpson kurz nach seinem Führungstreffer, aber selbst er lässt sich das Feiern mit den Fans nicht nehmen, viel zu groß die Freude über das Erreichte. Wir sind wieder zurück!
Um 15:47 Uhr pfeift Schiri Stark das Spiel ab. SIEG! Wir bleiben drin! „Oh wie ist das schön“! Ähnlich wie vor zwei Jahren in Wolfsburg am 34. Spieltag laufen auch heute bei Tausenden Tränen. Doch diesmal ist alles anders. Es sind Freudentränen. Wir alle sind emotional überwältigt, jedem fällt ein riesiger Stein vom Herzen!
Die Tore der Kurve werden geöffnet, die Fans stürmen auf den Platz, huldigen dem Trainer Milan Sasic, huldigen dem neuen Vorstandsvorsitzenden Stefan Kuntz und huldigen der Mannschaft! Der FCK hat die Misere abgewendet! Totgesagte leben eben doch länger!
Was an diesem Sonntag in Kaiserslautern zusammengewachsen ist, zwischen den einzelnen Beteiligten auf und um den Platz, zwischen Mannschaft und Fans und auch in der Fanszene selbst macht Lust auf mehr! Es geht aufwärts und das ist überall zu spüren. Der Betze, der FCK, wir sind UNZERSTÖRBAR!
An dieser Stelle noch einmal ein dickes und vor allem herzliches DANKE an die ganze Szene, an alle, die sich für unser Schicksal interessiert haben, an alle, die uns auf diesem langen Weg außerhalb des Stadions immer wieder begleitet und unterstützt haben. Ihr seid die Besten! Danke für den Willkommensgruß, diese Aktion war emotional für uns kaum zu überbieten.
Die neue Saison kann kommen! Wir sind wieder da und werden weiterhin alles für den Verein geben, denn es lohnt sich am Ende doch immer wieder!
Dass wir über eineinhalb Jahre aus reiner Schikane ausgesperrt waren, soll an anderer Stelle kommentiert werden.
ALLES FÜR LAUTERN - GEMEINSAM FÜR LAUTERN
(Der Text stammt vom FCK-Fanclub „Devil Corps“, dem nach dem Auswärtsspiel in Unterhaching mehrere Stadionverbote auferlegt wurden. Er ist auch unter www.devil-corps.de abrufbar.)
Quelle: Der Betze brennt | Autor: Gastautor