Taktik-Nachlese zum Spiel SSV-FCK

Die DBB-Analyse: Ohne Boyd keine Freud

Die DBB-Analyse: Ohne Boyd keine Freud


Zur "Attacke" bliesen nur die Betze-Fans auf den Rängen. Ihr 1. FC Kaiserslautern dagegen hielt sich im Spiel bei Jahn Regensburg nach vorn weitgehend zurück. Am Ende stand ein 0:0 - und wieder mal die Frage: War da nicht mehr drin?

In einem seiner bekanntesten Lieder fragt der große amerikanische Songwriter Bob Dylan, über wie viele Meere eigentlich eine weiße Taube fliegen muss, bevor sie im Sand ruhen kann. Gute Frage, aber hier geht’s um Fußball. Also fragen wir mal: Wie viele Flanken müssen eigentlich in einen Strafraum segeln, bevor sie mal auf dem Schädel oder dem Fuß eines Mitspielers landen? In Regensburg wurde die Antwort zwar nicht vom Wind weggeblasen, die Frage jedoch mutet ähnlich rhetorisch an wie bei Bob Dylan. Weder gibt es jemals wirklich Frieden auf der Welt, noch hat in Regensburg irgendjemand das Tor getroffen.

Insgesamt 15 Mal versuchten die Gastgeber, den Gegner mit Flanken zu knacken, lediglich vier Mal bekam ein Mitspieler einen Körperteil ans Leder. Die Gäste wiederum droschen 21 Flanken, doch nur drei Mal erwischte einer der ihren mehr oder weniger erfolgversprechend den Ball (Quelle: sofascore). Damit lagen insbesondere die Lautrer deutlich über dem Durchschnitt, den ihr Flügelspiel in dieser Saison bislang aufweist. In der Regel flanken sie 13,09 Mal pro Partie, und ihre Flanken kommen mit einer Genauigkeit von 37,4 Prozent, das ist der fünftbeste Wert der Klasse (Quelle: Wyscout). Diesmal aber war von dieser Präzision nichts zu sehen.

Hercher: Ganz nah dran, wieder zum Joker zu werden

Die ungewöhnlich hohe Zahl der Flanken mag zum Teil dadurch bedingt sein, dass der FCK über eine Viertelstunde in Überzahl spielte. Der Regensburger Benedikt Saller war in der 74. Minute nach einem Foul an Jean Zimmer des Feldes verwiesen worden. In dieser Phase galt es, das Spiel in die Breite ziehen, bis der freie Mann gefunden ist. Und da der Gegner sich in einer solchen Situation auf die Spielfeldmitte konzentriert, findet der sich normalerweise auf dem Flügel.

Die größte Torchance des gesamten Spiels ereignete sich dann auch in diesem Spielabschnitt. Sie bot sich dem eingewechselten Philipp Hercher in der 87. Minute. Sechs Meter mittig vorm Kasten vollkommen frei und der Ball fliegt auf ihn zu: Solche Dinger hat Hercher schon öfter eingenickt. Dieses aber nicht. Ist eben auch nur ein Mensch, und ist eben auch nur Zweite Liga, da lassen sich hundertprozentige Erfolgsquoten nun mal nicht einfordern. Geflankt hatte der ebenfalls eingewechselte Erik Durm von der linken Seite. Ein Verteidiger, der kurz zuvor für den offensiven linken Flügelmann Ben Zolinski gekommen war. Und das beim Stand von 0:0 in Überzahl.

Warum nicht mehr Mut zum Risiko?

Hätte Hercher getroffen, es wäre der 16. Saisontreffer des FCK durch einen Einwechselspieler gewesen. Und FCK-Trainer Dirk Schuster wäre einmal mehr als der Mann mit dem goldigsten Händchen in ganz Fußball-Deutschland gefeiert worden. So aber gilt der Wechsel Durm/Zolinski vielen als bezeichnend dafür, was insbesondere in den Fanforen dem Trainer zuletzt immer wieder bei den Auswärtsauftritten vorgehalten wird: Warum so destruktiv, warum so defensiv, warum so zurückhaltend im Spiel nach vorne? Seit nunmehr sechs Partien in der Fremde sind die Roten Teufel ohne eigenen Torerfolg. Und gerade jetzt, wo 44 Punkte auf dem Konto stehen, in der Tabelle nach unten nichts mehr passieren kann und nach oben nichts mehr geht, da könnte man doch mal was riskieren, oder nicht?

Tja. Man wird sich wohl damit abfinden müssen. Dirk Schuster wird seinem Stil, mit dem er seine Mannschaft unterm Strich bislang äußerst erfolgreich durch die Saison geführt hat, bis zum Rundenende treu bleiben. Und nach seiner Auffassung ist für einen Aufsteiger nun einmal nicht angezeigt, in gegnerischen Stadien dominant aufzutreten. Erst recht nicht, wenn der Kontrahent unter Druck steht und gezwungen ist, selbst das Spiel zu machen, da ist eine Konter-Taktik nunmal erfolgversprechender.

Und auch wenn es "uncool" ist, Schwächen mit diversen Ausfällen zu erklären, in diesem Fall sollte es nicht übersehen werden. Die Offensivspieler Kenny Redondo und Nicolas de Préville waren sehr kurzfristig ausgefallen, Terrence Boyd fehlte ohnehin gelbgesperrt. Da war es nicht unbedingt zu erwarten, dass nach dadurch bedingten Umstellungen nach vorne viel zusammenläuft.

Lobinger als Boyd-Ersatz: Kein guter Versuch

Zumal sich eine Personalie schon nach wenigen Minuten als problematisch herausstellte. Tyger Lobinger, der als Einwechselspieler in dieser Saison schon öfter für Belebung im FCK-Spiel gesorgt hat, durfte erstmals von Beginn ran. Und das als Keilspitze in einer 4-2-3-1-Formation, also als Boyd-Ersatz. Die Rolle lag ihm gar nicht. Er hätte sie vielleicht besser ausfüllen können, wären ihm ab und an mal Bälle steil und flach in einen möglichen Laufweg gelegt worden, auf dem er mit etwas Anlauf seine Schnelligkeit hätte ausspielen können - das ist nämlich seine Stärke. Aber da Philipp Klement erneut zunächst auf der Bank saß, war 57 Minuten lang niemand da, der ihm solche Bälle hätte servieren können.

Hohe Bälle festmachen oder den Mitspielern entgegenkommen, sich ihnen als zentrale Anspielstation anbieten - das wiederum liegt Lobinger gar nicht. Dass "Sky" den Regensburger Innenverteidigern Steve Breitkreutz und Jan Elvedi im Lauf der ersten Hälfte einhundert Prozent gewonnene Zweikämpfe attestierte, spricht für sich.

Fragt sich halt, warum Schuster Lobinger nicht spätestens zur Halbzeit auswechselte. Wirkliche gute Alternativen für Boyd standen ihm angesichts des Ausfalls von de Préville zwar nicht zur Verfügung, aber doch einige denkbare: Daniel Hanslik, der erneut auf der Zehn angeboten war, ist sicher kein 1:1-Boyd-Ersatz, aber gelernter Stürmer und verfügt durchaus über das taktische Verständnis, sich vorübergehend auch mit einer solchen Rolle anzufreunden. Und mit Muhammed Kiprit saß auch ein echter Neuner auf der Bank. Der steht zwar schon die gesamte Spielzeit über auf dem Abstellgleis, doch ist Schuster eigentlich Pragmatiker genug, ihn dennoch ins Feuer zu werfen, wenn er es für angezeigt hält.

Doch warum er es nicht tat - und Lobinger sogar als einzige Offensivkraft durchspielen ließ? Womöglich, dass der 24-Jährige sich bei seinem ersten Startelfeinsatz einfach mal durchbeißt. Kann mal halt auch mal machen in dieser Phase der Saison - und kurz nach der Pause gelang ihm ja sogar mal ein Torabschluss, auch wenn dieser SSV-Keeper Jonas Urbig nicht wirklich erschreckte.

Mehr Ballbesitz = bessere Mannschaft? Das alte Lied

Ansonsten war’s wieder mal so ein Spiel, in dem mehr Ballbesitz nicht unbedingt die Siegchance erhöhte. Dass beide Mannschaften es damit ohnehin nicht so haben, war schon vorher bekannt. Doch der Jahn war, wie von Schuster kalkuliert, gezwungen, ihn anzunehmen, was er auch tat: 62 Prozent Ballbesitz verzeichneten die Regensburger in der ersten Hälfte, 57 Prozent in der zweiten - die fünf Prozentpunkte Nachlass sind dem Platzverweis geschuldet.

Was die lokalen Medien in der Oberpfalz mehrheitlich zu der Einschätzung führte, dass der Jahn über 90 Minuten die bessere Mannschaft gewesen sei. Naja - da trügt die augenscheinliche Dominanz wieder mal ein wenig. Obwohl natürlich festgehalten werden muss: Die beiden spektakulärsten Toraktionen verzeichneten die Gastgeber. Einmal durch Sarpreet Singh in der 30. Minute, als dieser eine Kopfverlängerung von Prince Osei Owusu - wie um Himmels willen konnte Boris Tomiak diese derart teilnahmslos geschehen lassen? - formvollendet annimmt und aus 18 Metern abfeuert. FCK-Keeper Andreas Luthe, der etwas zu weit vor seinem Kasten steht, bekommt die Hand gerade noch an den Ball, der über ihn hinweg ins Tor zu fliegen droht, und lenkt ihn so noch auf die Torlatte.

Und dann hätte Owusu in der Schlussminute beinahe noch getroffen, als er aus 18 Meter einen Linksschuss in den Torwinkel zirkelt - aber auch da bekommt Luthe noch die Hand dran. Ansonsten verzeichnete der Jahn noch zwei Kopfballchancen in den ersten 20 Minuten nach der Pause: Eine recht gute durch Benedikt Gimber, eine eher halbgare durch Saller.

So geht Umschaltspiel: Kevin Kraus zeigt’s wenigstens einmal

Die meiste Zeit aber hatte der FCK nicht wirklich Mühe, dem Passspiel der Ballbesitz-orientierten Regensburger im hinteren Drittel ein Ende zu bereiten. Mitte der ersten Hälfe demonstrierte Kevin Kraus wenigstens einmal, wie "Umschaltspiel" aussehen kann. Und zwar richtig gut: Abfangen eines gegnerischen Zuspiels in die Spitze, exakter langer Ball auf den rechts startenden Aaron Opoku. Der flankt gar nicht mal schlecht, doch in der Mitte verpassen Lobinger und Hanslik knapp.

Und da keiner der beiden an den Ball kam, verursacht diese Aktion keinen Ausschlag in der xG-Timeline. Und da es von diesen Aktionen einige gab, weist diese ein Endergebnis von 1,28 : 0,53 für Regensburger aus. Leider ist die Grafik der Gastgeber wieder mal weiß auf weiß gezeichnet, so dass sich keine Details erkennen lassen - das wird schon langsam ärgerlich.

xG-Plot Regensburg-FCK

Die Postions- und Passgrafik belegt die eher schwächlichen Offensivbemühungen der Roten Teufel. Demnach war Lobinger sogar noch ein bisschen besser im Spiel als Hanslik. Auch Opoku war rechts wesentlich schlechter eingebunden als Zolinski links. Das nennt man wohl verschenktes Potenzial.

Passmap FCK

Zum Vergleich die Positions- und Passgrafik der Gastgeber: Ist, was Offensivspiel angeht, jetzt auch nicht so berühmt. Von wegen "bessere Mannschaft".

Passmap Regensburg

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer

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