Interview des Monats: NLZ-Leiter Uwe Scherr, Teil 1/2

"Der Wille muss immer stärker sein als die Angst"

"Der Wille muss immer stärker sein als die Angst"

Vier Torvorlagen beim legendären 6:2 in Köln: Uwe Scherr (links); Foto: Imago Images

Meisterspieler Uwe Scherr ist im Sommer 2020 zum 1. FC Kaiserslautern zurückgekehrt und seither auf einer Schlüsselposition tätig. Der Leiter des Nachwuchs­leistungs­zen­trums gewährt im DBB-Interview einen Blick in seine tägliche Arbeit - und einiges mehr.

Der Betze brennt: Uwe Scherr, Sie waren Teil der Meistermannschaft des 1. FC Kaiserslautern von 1991. Letzten Sommer jährte sich dieser Titelgewinn zum 30. Mal. Wie oft sind Sie damit konfrontiert worden? Kam es zu nostalgischen Ehemaligen-Treffen?

Uwe Scherr (55): Keine, bei denen ich dabei war. Ich habe nur die ehemaligen Mitspieler getroffen, die mir auch sonst immer mal begegnen. Ich weiß, was dieser Erfolg den Menschen dieser Region bedeutet, aber mir persönlich hilft er heute nicht mehr weiter. Ich lebe lieber in der Gegenwart.

Der Betze brennt: Aber wollen die Jungs hier im NLZ nicht manchmal alte Geschichten von damals hören?

Scherr: Ab und zu greife ich tatsächlich mal auf meine eigene Vita zurück, um deutlich zu zeigen, wie man Profi werden, aber auch, wie sich eine Mannschaft entwickeln kann. Wir sind damals innerhalb von 16 Monaten vom Abstiegskandidaten zum DFB-Pokal-Sieger und schließlich zum Deutschen Meister gereift. Manchmal hilft es, auf ein ein solches Beispiel zu verweisen.

"Ich habe am eigenen Leib erfahren, dass es länger dauern kann"

Der Betze brennt: Sie hatten in ihrer eigenen Karriere ja alles andere als einen Traumstart. Sie wurden erst mit 23 Jahren Profi, kamen aus der damals noch drittklassigen Oberliga, vom FC Augsburg.

Scherr: Ich hatte von der U17 bis zur U21 beim 1. FC Nürnberg gespielt, musste aber in dieser Zeit aber auch schon fünf Knieoperationen über mich ergehen lassen. Irgendwann wurde ich aussortiert. Also wechselte ich zum FC Augsburg, wo ich auf überragende Trainer traf, die an mich glaubten, unter anderem die FCA-Ikone Helmut Haller. In der Saison 1988/89, vor meinem Wechsel zum FCK, galt ich als der beste Amateurspieler Deutschlands. Ich habe also am eigenen Leib erfahren, dass es manchmal länger dauern kann, bis es klappt mit der Profikarriere. Entscheidend ist: Der Wille, es zu schaffen, muss immer stärker sein als die Angst, es nicht zu schaffen.

Der Betze brennt: Wie sind Sie damals beim FCK gelandet?

Scherr: Ich hatte schon Anfang 1989 Gespräche mit dem damaligen Manager Reiner Geye und Präsident Norbert Thines geführt. In den Monaten danach bekam ich noch 14 Angebote von anderen Bundesliga-Klubs, aber ich stand bei den beiden schon im Wort. Als sicher war, dass Gerd Roggensack ab Sommer Trainer am Betzenberg sein würde, hat sich auch der immer mal bei mir gemeldet.

Der Betze brennt: Der Rest ist Geschichte, wie es so schön heißt. Auf Roggensack folgte im Winter 1989/90 Kalli Feldkamp und mit ihm der Durchmarsch vom Abstiegsplatz über den Pokalsieg zur Deutschen Meisterschaft. Welches Spiel aus dieser Zeit ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Scherr: Das Saisonfinale 1991 in Köln. Da ging es um alles. Schon die Tage davor waren überragend, die Interaktion zwischen der ganzen Mannschaft und den Trainern. Wir gingen top vorbereitet in die Partie - und im festen Glauben, Berge versetzen zu können. Wir gewannen 6:2, vier Treffer habe ich aufgelegt. Ich glaube, allein in diesem Spiel habe ich in meiner Entwicklung noch einmal einen riesigen Schritt nach vorn gemacht.

Der Betze brennt: 1992 wechselten Sie dann zu Schalke 04. Damals ging auch das Trainerteam, die Meistermannschaft insgesamt brach auseinander. War das auch der Grund für Ihren Abschied?

Scherr: Ganz ehrlich? Bei einem Lehrgang der Nationalmannschaft verletzte ich mich, da kam heraus: Ich hatte immer noch Probleme mit meinen Knien, und die würden mir auch weiterhin noch Sorgen machen. Da sagten mir die Ärzte: Wenn du im Fußball-Geschäft noch ein wenig Geld verdienen willst, dann sieh' zu, dass du es bald tust. Ich bin in einer Familie mit 14 Kindern aufgewachsen, war selbst das 13., da lernt man, was es bedeutet, finanziell abgesichert zu sein. Und, ja, auch in Kaiserslautern liefen die Dinge damals nicht mehr optimal.

"Im Fußball-Geschäft wird alles irgendwann oberflächlich"

Der Betze brennt: Hatten Sie in den Jahren, in denen Sie dem Betzenberg den Rücken gekehrt hatten, immer noch Kontakte in die Pfalz?

Scherr: Eigentlich nicht. Ich stamme aus einem kleinen Ort in Bayern, aus der Zeit stammen noch einige Freundschaften, die ich schon seit über 50 Jahre pflege. Aber im Fußball-Geschäft wird alles irgendwann oberflächlich. Und irgendwann drehte sich alles nur noch ums Geld.

Der Betze brennt: Nach Ihrer Zeit auf Schalke wechselten Sie noch zum 1. FC Köln und als Ausklang zum Wuppertaler SV. Und nach Ihrer aktiven Karriere kehrten Sie nach Gelsenkirchen zurück, in den Nachwuchsbereich.

Scherr: Ich hatte das Glück, das zwischen mir und der Schalker Manager-Legende Rudi Assauer eine sehr enge Bindung entstanden war. Er hat mich wie einen Sohn behandelt - und in den Trainerstab des FC Schalke eingebaut. Später leitete ich die Scouting-Abteilung eines Champions-League-Klubs, eine Wahnsinnsaufgabe. Auch wenn es mir auch da schon zu viel ums Geld ging.

Der Betze brennt: Und Sie haben mit Norbert Elgert zusammengearbeitet, die Institution schlechthin unter Deutschlands Jugendtrainern ...

Scherr: Was Besseres kann Dir doch gar nicht passieren, als jeden Tag von morgens bis abends mit dem vielleicht besten Jugendtrainer Europas zusammenzuarbeiten. Da habe ich viel mitgenommen. In dieser Zeit haben wir auf Schalke auch die "Knappenschmiede" etabliert. Die Idee für den Namen war von mir.

Der Betze brennt: In dieser Zeit haben die Schalker einige Nationalspieler hervorgebracht: Manuel Neuer, Mesut Özil, Julian Draxler, Benedikt Höwedes. Haben Sie zu einigen von denen noch Kontakt?

Scherr: Nein. Und wenn, würde ich es nicht sagen. Ich bin keiner, der rumerzählt, ich kenne den und den ... Ich freue mich, dass die Jungs diesen Weg genommen haben, bin froh, wenn ich ihnen dabei ein wenig helfen konnte, und gönne ihnen das viele Geld, das sie verdienen.

Der Betze brennt: Im Jugendbereich lässt sich doch langfristiger und ruhiger arbeiten als im Profigeschäft. Wieso ging es bei Schalke ab 2012 für Sie da nicht mehr weiter?

Scherr:. Ab 2009 begann meiner Meinung nach der schleichende Abstieg von Schalke 04, und das hatte auch mit den handelnden Personen zu tun. Irgendwann wurde mehr übereinander gesprochen als miteinander. Da habe ich mich entschlossen, mich neu zu orientieren. Mit dem Netzwerk, das ich mir über die Jahre geschaffen hatte, wollte ich es dann mal im Erwachsenenfußball versuchen.

"Meine Rückkehr zum FCK erfüllt mich mit großer Dankbarkeit"

Der Betze brennt: Sie sind aber immer im Ruhrpott geblieben. Zog Sie nichts in den Süden zurück, etwa zu Ihrem Karriere-Sprungbrett nach Augsburg?

Scherr: Meine Frau stammt aus Recklinghausen, daher hat meine Familie dort Wurzeln geschlagen.

Der Betze brennt: Sie wechselten 2012 als Sportdirektor zu Alemannia Aachen. Auch da ging es viel ums Geld, allerdings eher darum, dass keines da war ...

Scherr: Was mir aber erst hinterher klar wurde. Ich kam im Juni. Im September erfuhr ich, dass der Verein eigentlich schon über ein Jahr zahlungsunfähig war. Anschließend über viele Monate einen Verein zu begleiten, der insolvent ist, ist sehr, sehr anstrengend. Aber mit zehn Jahren Abstand kann ich sagen, dass auch diese Erfahrung sehr lehrreich war.

Der Betze brennt: Als Sie im Sommer 2020 zum FCK wechselten, steckte der ebenfalls gerade in einem Insolvenzverfahren. Das muss Ihnen doch wie ein Déjà Vu erschienen sein. Wie konnten Sie sich darauf nochmal einlassen?

Scherr: Ich hatte schon vor dem Insolvenzantrag Kontakt zum damaligen Sportdirektor Boris Notzon. Da hatten wir das Thema bereits durchgesprochen - und ich dabei den Eindruck gewonnen, dass da noch genug Menschen am Werk sind, die dafür sorgen, dass es weitergeht beim FCK. Und im Jugendbereich wäre es ja sowieso weitergegangen. Ich glaube nicht an Zufälle, drum war ich überzeugt, dass dies alles zum richtigen Zeitpunkt geschieht. Dass ich wieder für den FCK tätig bin, erfüllt mich mit sehr großer Dankbarkeit.

Der Betze brennt: Dazwischen haben sie allerdings noch auf zwei weiteren Karriere-Stationen gestoppt, einmal als Sportdirektor beim TSV Marl-Hüls, der ebenfalls insolvent ging ...

Scherr: Das kam in den Medien nicht ganz richtig rüber. Ich war da nicht in Vollzeit engagiert, sondern habe das nur aus Freundschaft gemacht. Immerhin sind wir in die Oberliga aufgestiegen. Dann aber sprang der Hauptsponsor ab.

Ghana, Brasilien, Ungarn: Viele Stationen in der Karriere von Uwe Scherr

Der Betze brennt: Anschließend ging es nach Ungarn, zum Traditionsklub Honved Budapest.

Scherr: Zwischenzeitlich war ich noch in Ghana aktiv, wo der Ex-Schalker Gerald Asamoah jetzt eine Fußball-Akademie betreibt Und dank meines Netzwerks durfte ich auch mal kurze Zeit in Brasilien arbeiten, in Porto Alegre. Auch das waren tolle Erfahrungen. Die drei Jahre in Budapest allerdings waren mit die schönsten meines Lebens. In Ungarn wird seit ein paar Jahren richtig gut in Nachwuchsarbeit investiert, und ich durfte beim Aufbau einer komplett neuen Akademie mithelfen. Der Kontakt war über Bernd Storck zustande gekommen, der damals ungarischer Nationaltrainer war. Ich hab mit meiner Art, alle mitzunehmen, in kürzester Zeit viele Sympathien gewinnen können. Das hat unheimlich Freude gemacht.

Der Betze brennt: Und wie konnte Boris Notzon Sie da zum Betzenberg zurück lotsen?

Scherr: Wie es halt so geht: Dann kam Corona, Honved installierte einen neuen Sportdirektor, mit dem ich weniger gut harmonierte. Der Verein wollte zwar weiter mit mir arbeiten und mir neue Zuständigkeitsbereiche zuteilen, aber die waren nicht nach meinem Geschmack. Also war ich bereit für einen neuen Schritt. Dadurch habe ich zwar auf viel Geld verzichtet, aber das ist mir nicht mehr so wichtig.

Morgen im zweiten Teil unseres Interviews des Monats: NLZ-Leiter Uwe Scherr über verwöhnte und gescheiterte Jugendspieler, seine Zusammenarbeit mit Thomas Hengen und die Bedeutung der U21-Mannschaft für den FCK.

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer, Thomas Hilmes

Weitere Links zum Thema:

- Teil 2 des Interviews: "Die U21-Mannschaft ist ein Muss" (Der Betze brennt)

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