Rezension: Buch "100 Jahre Betzenberg"

Hooked on holy Betze

Hooked on holy Betze


Wie viele Fakten, Emotionen und Bilder passen auf 176 Seiten? Die Neuerscheinung zum runden Geburtstag des Fritz-Walter-Stadions setzt in dieser Beziehung neue Maßstäbe: "Betzenberg - 100 Jahre zwischen Himmel und Hölle". Wir haben das Buch gelesen und verlosen drei Exemplare.

"Das einzige Stadion, in dem ich jemals und wiederholt so was wie Panik spürte." - Paul Breitner

Ideell gesehen gehört dieses Stadion den Fans des 1. FC Kaiserslautern. Faktisch natürlich der Stadt, beziehungsweise der Stadiongesellschaft, seit der Verein sein Stadion im Frühjahr 2003 an diese verkaufen musste. Wer aber hat dies gewusst: Bis zum Jahr 1979 gehörten 577 Quadratmeter Fläche zwischen Ostkurve und Strafraum gar nicht dem Verein, sondern einer Erbengemeinschaft, die selbst erst 1968 von diesem ungewöhnlichen Besitz erfahren hatte. Einer ihrer Vorfahren hatte die Parzelle, die Teil des neuen Stadiongrunds werden sollte, dem FCK bereits im Jahr 1919 zur Nutzung überlassen, einfach so, ohne Pachtvertrag. Nicht auszudenken, wie sich die Verkaufsverhandlungen im Jahr 2003 verkompliziert hätten, wären die Vereinsverantwortlichen damals mit den Erben nicht zügig und ohne großen Medienrummel ins Geschäft gekommen.

Fast vergessenes Detailwissen wie dieses findet sich zuhauf in "100 Jahre Betzenberg", dem 176 Seiten starken Band über "de Betze", über das stolze Fritz-Walter-Stadion hoch oben über den Dächern der Stadt, der jetzt im Verlag Die Werkstatt erschienen ist. Corona-bedingt mit einem halben Jahr Verzögerung, denn offiziell wird der Geburtstag des Stadions auf den 13. Mai 1920 datiert. Zur Premiere kickte der FCK, der damals als "FVK" firmierte, gegen den FC Pfalz Ludwigshafen - und verlor 1:3.

Es gibt nicht die eine Betze-Geschichte - jeder hat seine eigene

Der Rest ist Geschichte, möchte man sagen. Was aber nicht so ganz hinkommt. Denn eigentlich sind es Hunderte, eher Tausende Geschichten, die sich auf oder rund um den bedeutendsten Berg der Pfalz zugetragen haben. Triumphe und Tragödien, Possen und Politthriller, "de Betze" hat einfach alles erlebt. Im Grunde hat jeder, der diesen Berg einmal hinaufgestiegen ist, eine, seine eigene Geschichte zu erzählen. Und eben das dachte sich auch das Autorenteam Dominic Bold, Eric Lindon und Ingo Konrad, als sie ihr Buch konzipierten.

Drum dokumentiert ihr Werk nicht nur in Wort und Bild die baulichen Veränderungen, die der Betzenberg in den vergangenen hundert Jahren erfuhr und serviert dazu eine Unmenge, zum Teil kaum noch bekannte Hintergründe. Es lässt vor allem Menschen zu Wort kommen, für die der Betzenberg Schicksals- oder Sehnsuchtsort war und ist. Ehemalige sowie noch aktive Spieler und Trainer, ehemalige sowie noch aktive Funktionäre und jede Menge Fans, mal älter, jünger, mal bekannter, mal weniger bekannt, aber niemals "ehemalige". Auch Journalisten, die nicht verhehlen können, dass sie im Lauf der Jahre selbst Fans geworden sind, wenn sie es nicht sowieso vorher schon waren.

"In der 57. Minute fiel das erlösende 1:0. Ekstase pur, es gab kein Halten mehr. Alle stürzten ein paar Treppenstufen nach unten. Und plötzlich konnte ich nichts mehr sehen. Meine Brille war weg. Als sich der Jubel etwas gelegt hatte, streckte jemand ein paar Reihen vor mir etwas in die Höhe. Es war meine Brille." - Udo Eckhardt

Vom Professor bis zum Fußball-Rowdy

Exakt 100 "Stimmen" solcher Berg-Begleiter haben die Autoren gesammelt - und gerade weil die Auswahl so willkürlich erscheint, muss sie ungeheuer schwer gewesen. Da kommt der Geograph Prof. Dr. Hans-Joachim Fuchs zu Wort, der den Betzenberg mal rein erdkundlich unter die Lupe nimmt, aber auch der als solcher vorgestellte "ehemalige Fußballrowdy" Harry Eberle. Jens Zundel, der die FCK-Fahne heute, wie passend, am Kap der Guten Hoffnung, in Südafrika, hochhält. Der Radprofi Udo Bölts. Die Bahnrad-Olympiasiegerin Miriam Welte. Annemarie Liebrich, die Witwe von FCK-Ikone Werner Liebrich. Der Tenor Shin Nishino, der in seiner japanischen Heimat nie ein Fußballspiel gesehen hatte, dann aber ans Lautrer Pfalztheater wechselte und vom Betze-Fieber gepackt wurde.

"Was mich immer noch antreibt, viele Tausend Kilometer anzureisen, ist die Sehnsucht nach diesem Erlebnisort. Es ist der Wunsch, meinen Kindern die Faszination, den Mythos Betze nahezubringen". - Jens Zundel

Weiß eigentlich noch jemand, wie die einzige weibliche Fußballnationalspielerin heißt, die der FCK jemals hatte? Margret Kratz. Sie erzählt unter anderem von dem Trainerpraktikum, das sie nach ihrer aktiven Karriere bei Meistertrainer Kalli Feldkamp absolvierte. Und mittendrin, auf Seite 97, taucht plötzlich ein Typ namens Jürgen Kohler auf…

Häh? Was macht der Waldhof-Bub im Betze-Buch?

Kohler? Ein Waldhöfer? In einem Buch über den "Betze"? Doch, doch: Der 105-fache Nationalspieler stammt aus pfälzischen Lambsheim und hat dem FCK immer die Daumen gedrückt, wie er erzählt. Und in den 1990er Jahren war der damalige Lautern-Manager Reiner Geye nahe dran, ihn von Juventus Turin an den Betzenberg zu lotsen. Noch so eine der ungezählten Randgeschichten, die sich in dem Buch entdecken lassen.

Die jüngsten 20 Jahre - das schwerste Kapitel

Die weiter zurückliegenden hat Eric Lindon zusammengetragen, ein ehemaliger Offizier der US Airforce, der schon seit Jahren mit Leidenschaft als Sporthistoriker aktiv und "Hooked on Holy Betze" ist, wie er als einzig englischsprachige Stimme im Buch verlautbart. Dominic Bold, der unter anderem bereits die monumentale FCK-Chronik aus dem Jahr 2013 im gleichen Verlag veröffentlicht hat, und DBB-Autor Ingo Konrad konzentrierten sich auf die Darstellung der zweiten Jahrhunderthälfte.

Ingo Konrad schultert dabei die schwere Aufgabe, die jüngsten beiden Jahrzehnte zusammenzufassen. Stichworte: WM-Bewerbung, Stadionausbau, Kostenexplosion, Beinahe-Pleite, Finanzamt, Stadionverkauf, ungestaffelte Pachtverträge, Zinsstundung und, und, und. Dies alles gelingt ihm wertungsfrei, faktenreich und dennoch kompakt.

"Es kostet dich erst einmal Anstrengung, den Berg hochzusteigen, gleichzeitig wächst die Vorfreude mit jedem Schritt, das Gefühl, das jeder Meter es wert ist." - Jessica Libbertz

So dass man vor allem jenen, die den Niedergang des FCK so gerne und so simpel am "Größenwahn" der damaligen Vereinsverantwortlichen festmachen, künftig nur dieses Buch in die Hand zu drücken braucht, sofern sie das Thema einmal in seiner ganzen Komplexität erfassen möchten. Den WM-Stadionausbau und seine fatalen Folgen haben viele zu verantworten - und alle haben Fehler gemacht: Vereinsbosse wie Politiker, ebenso aber vermeintliche Bau- und Finanzfachleute sowie wohl zu Unrecht hochgehandelte "Sanierer".

Geopfert für "lausige WM-Spiele" - oder "Alibi für Fehlentscheidungen"

Natürlich beschäftigt dieses Dilemma auch etliche der "Stimmen" im Buch. In vielen klingt Melancholie an. Mit zunehmender Größe sei auch die Seele verloren gegangen, heißt es öfter. "Es gibt keine Entschuldigung dafür, den Charakter dieses Stadions für ein paar lausige WM-Spiele zu opfern", sagt einer, der für klare Worte immer bekannt war: Kalli Feldkamp.

"In Kaiserslautern immer auf die übertriebene Erwartungshaltung zu verweisen, ist vollkommener Quatsch. Ich vermisse es, dass man die Fans als Faktor begreift, mit dem Erfolg zu schaffen ist." - Kalli Feldkamp

"Der positive Effekt, den dieses großartige Ereignis auf die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt und des Umfelds hatte, wird gerne übersehen", meint dagegen ein gewisser Kurt Beck. "Ich habe den Eindruck, dass die Stadionkosten allzu gerne als Alibi benutzt werden, um eigene Fehlentscheidungen zu kaschieren", schreibt der ehemalige Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz.

Eine der 100 Stimmen des Buches ist in der Zeit, in der es auf seine Veröffentlichung wartete, verstummt: Lauterns langjähriger Stadionsprecher Udo Scholz starb am 01. Juli im Alter von 81 Jahren. Hier darf er noch erzählen, wie er zu seinem ersten Mikrofon-Einsatz auf einem Polizei-Motorrad ans Stadion chauffiert wurde. Somit wird "Betzenberg - 100 Jahre zwischen Himmel und Hölle", auch die Erinnerung an dieses Original bewahren - in einem Buch, das eines von den seltenen ist, die man im Lauf der Jahre immer wieder in die Hand nimmt.

Das Buch "Betzenberg - 100 Jahre zwischen Himmel und Hölle" ist im Werkstatt Verlag erschienen und für 24,90 Euro unter anderem bei Amazon und überall im gut sortierten Buchhandel erhältlich.

Gewinnspiel: Drei Exemplare von "Betzenberg" werden verlost

Der Betze brennt verlost in Zusammenarbeit mit dem herausgebenden Werkstatt Verlag drei Exemplare des Stadionbuchs "Betzenberg - 100 Jahre zwischen Himmel und Hölle" von Dominic Bold, Eric Lindon und Ingo Konrad. Zur Teilnahme muss folgende Frage beantwortet werden: In welchem Jahr wurde das Betzenberg-Stadion in Fritz-Walter-Stadion umbenannt?

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer

Weitere Links zum Thema:

- Buchvorstellung am Betze: 100 Jahre voller Emotionen (Der Betze brennt, 15.10.2020)

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