Interview mit Hans-Peter Briegel, Teil 1/2

"Weil ich ein Lautrer bin"

"Weil ich ein Lautrer bin"

Foto: Imago

In der Südpfalz wird am Sonntag ein runder Geburtstag gefeiert: FCK-Legende Hans-Peter Briegel wird 60 Jahre alt. Im zweiteiligen Interview mit Der Betze brennt blickt die Walz von der Pfalz auf seine Karriere zurück und erzählt, was er heute macht.

Der Betze brennt: Hans-Peter Briegel, geboren am 11. Oktober 1955 in Kaiserslautern. Und wahrscheinlich von Anfang an auch FCK'ler, oder?

Hans-Peter Briegel (59): Na klar, anders geht es hier doch gar nicht. Wir haben als Kinder schon immer Fußball gespielt und waren da natürlich die Spieler vom FCK. Mit acht Jahren war ich das erste Mal auf dem Betze, zusammen mit meinem Vater, das war 1963.

Der Betze brennt: Weißt Du noch, gegen wen der 1. FC Kaiserslautern damals gespielt hat?

Briegel: Nein, das weiß ich nicht mehr. Meine erste lebhafte Erinnerung ist ein Heimspiel gegen Duisburg, da ist Torwart Wolfgang Schnarr eine Rückgabe durch die Beine gerutscht. Später hat er noch so ein krummes Ding kassiert. Dann hat er zum Trainer "Auswechseln" signalisiert und ist auch tatsächlich raus in der Halbzeit.

Der Betze brennt: Wie war die Reaktion des Publikums? Wurde da gepfiffen?

Briegel: Klar. Früher wurde sowieso viel mehr gepfiffen als heute. Es ist eine Legende, dass die Fans damals ihre Mannschaft immer nur nach vorne peitschten, bei schlechten Spielen ging es oft auch von den Tribünen härter zur Sache.

Der Betze brennt: Auch Du bekamst zu Deinen Anfangszeiten öfter Pfiffe und böse Worte zu hören: "Was will der Zehnkämpfer denn hier auf dem Fußballplatz? Der kann ja nichtmal den Ball stoppen", wurde geraunt.

Briegel: Das ist auch so eine Mär, dass ich früher nur Leichtathletik gemacht hätte und erst spät mit Fußball angefangen hätte. Und Zehnkämpfe habe ich sowieso nur zwei Stück in meinem Leben absolviert. In Wirklichkeit haben wir schon in der Schule immer Fußball gespielt und nachmittags dann auf dem Bolzplatz oder bei uns im Garten, schon mit acht, neun Jahren. Mit 16 Jahren habe ich dann in der B-Jugend beim SV Rodenbach angefangen, war aber vorher auch schon mit der Schulmannschaft immer und überall unterwegs. Natürlich habe ich aber auch Leichtathletik gemacht und das hat mir später im Profifußball dann auch sehr geholfen. Das vergleiche ich aus heutiger Sicht gerne mit Miroslav Klose.

Der Betze brennt: Wieso Klose?

Briegel: Der ist ja auch erst relativ spät Profifußballer geworden und hat als Jugendlicher noch andere Sportarten gemacht. Wenn du dir darüber Koordination, Kraft und Schnelligkeit erarbeitet hast, so wie ich aus der Leichtathletik, dann hast du schon gute Voraussetzungen auch für den Fußball. Das ist übrigens auch heute noch so.

Der Betze brennt: Vom Dorfverein SV Rodenbach bist Du dann direkt zum FCK gewechselt.

Briegel: Ja, aber erstmal zu den Amateuren. Mit Rodenbach spielten wir in der A-Klasse, das war damals die fünfte oder sechste Liga, da hat mich Erich Ribbeck (FCK-Trainer von 1973-1978; Anm. d. Red.) entdeckt. Mein erstes Spiel für die Profis war dann 1976 bei Bayern München, ich wurde in der 66. Minute eingewechselt. Wir lagen 1:3 zurück und haben noch 4:3 gewonnen, Klaus Toppmöller hat drei Tore geschossen. Das war im April 1976, bis zum Saisonende kam ich dann noch zu sechs weiteren Einsätzen.

Ehe er mit 17 Jahren seine Leichtathletikkarriere beendete, war Hans-Peter Briegel Deutscher Jugendmeister im Weitsprung und im Dreisprung geworden. Als Fußballer begann er seine Laufbahn im Mittelfeld, war zeitweise sogar Stürmer, ehe er dann seinen Platz in der Abwehr fand. Seine Karriere beim FCK begann nicht kometenhaft, sondern steigerte sich stetig: Nach den Anfängen bei den Amateuren kam er am Saisonende 1975/76 zu seinen ersten sieben Spielen als Profi, im Jahr danach waren es 15 und nochmals eine Saison darauf 22.

Der Betze brennt: Solch ein Karrierebeginn ist heute kaum noch vorstellbar, wo die meisten Spieler schon nach ein, zwei Jahren zum nächsten Verein geschickt werden, wenn sie nicht sofort einen Stammplatz ergattern. Gab es bei Dir auch mal einen Moment des Zweifelns?

Briegel: Natürlich. 1976/77 wäre ich fast zu Eintracht Trier in die zweite Liga gewechselt, das war eine ganz schwere Saison für mich. Der absolute Tiefpunkt war ein Heimspiel gegen Rot-Weiß Essen, da habe ich kein Bein vor das andere gekriegt und wurde zur Halbzeit beim Stand von 1:1 ausgewechselt. Ohne mich hat der FCK das Spiel dann noch 7:1 gewonnen und ich machte danach monatelang kein Spiel mehr. Eintracht Trier ist dann auf mich zugekommen und ich hätte auch fast dort unterschrieben. Dann haben wir aber mit dem FCK noch ein Freundschaftsspiel gemacht, ich habe zwei Tore geschossen und doch noch mal einen Einjahresvertrag bekommen.

Der Betze brennt: Wann, würdest Du sagen, hast Du beim FCK den Durchbruch geschafft?

Briegel: In seiner letzten Saison in Lautern kam Erich Ribbeck auf die Idee, mich Linker Verteidiger spielen zu lassen. Ab dann war ich Stammspieler – dafür hatte ich drei Jahre gebraucht, also alles andere als von Null auf Hundert. Und dann kam Kalli Feldkamp...

Der Betze brennt: Das war 1978. Unter Feldkamp wurde der FCK von der grauen Maus zum Spitzenteam in der damals stärksten Liga der Welt – und zum Stammgast im UEFA-Cup.

Briegel: ... Feldkamp hat mich dann später noch zum Innenverteidiger umgeschult, wobei es dann auch manchmal wieder nach vorne ging: Wenn ein Spiel eng wurde, habe ich auch mal Mittelstürmer gespielt, oder gegen Real Madrid zum Beispiel im offensiven Mittelfeld. Der Kalli hatte immer so seine Ideen gehabt, und diese Ideen waren auch meistens sehr gut.

Mit 34 Spielen und 12 Toren ist Hans-Peter Briegel noch heute der Lautrer Rekordspieler im Europapokal und mit 53 Länderspielen (3 Tore) "für" den FCK außerdem der zweiterfolgreichste Internationale nach Fritz Walter. Vor allem unter Trainer Karlheinz Feldkamp erlebte er unvergessene Schlachten im Trikot der Roten Teufel.

Der Betze brennt: Ebenso unvergessen wie Dein Spiel ohne Schienbeinschoner oder Dein durchtrainierter Körper sind Deine Sturmläufe in die gegnerische Hälfte, bei denen das Publikum tobte: "Briegel, Briegel, Briegel!"

Briegel: Ich war zwar Abwehrspieler, aber ich konnte auch mit nach vorne, und zwar mehr als nur einmal. So bin ich in einer Halbzeit gefühlt 20, 25 mal nach vorne gegangen. Und ab und zu ist dann auch mal ein Ball reingegangen.

Der Betze brennt: Ab und zu klingt ein bisschen untertrieben, in 298 Pflichtspielen hast Du immerhin 61 Tore geschossen – und das als Abwehrspieler. Einen großen Titel hast Du mit dem FCK aber leider nicht gewonnen.

Briegel: Wir hatten eine starke Mannschaft und waren oft vorne mit dabei in der Bundesliga, aber auch international. Aber andere Mannschaften waren halt noch stärker. Im Halbfinale des UEFA-Cups waren in einem Jahr mal vier deutsche Vereine, eine Runde davor kamen fünf von acht aus der Bundesliga – und wir hatten das Pech, im einzigen innerdeutschen Duell gegen die Bayern anzutreten und schieden aus. Dazu kamen als Gegner noch zig Topvereine aus dem Ausland, weil ja nur die Landesmeister in der heutigen "Champions League" spielten. Viertelfinale und Halbfinale waren da für uns schon ein riesiger Erfolg, genau wie die dritten und vierten Plätze in der Bundesliga.

Der Betze brennt: Deinen ersten nationalen Titel feiertest Du dann 1985 bei der Meisterschaft mit Hellas Verona. Wie kam der Wechsel nach Italien zustande?

Briegel: Ich bin damals vom FCK weg, weil ich nur noch scheiße gespielt habe. Die Fans haben gepfiffen und hatten recht damit. Aber es war auch für den Verein ein gutes Geschäft: Der steckte damals in finanziellen Schwierigkeiten und so kam die Ablösesumme von 2,5 Millionen D-Mark plus zwei Freundschaftsspielen nicht ganz ungelegen. Zwei Jahre vorher hatte ich übrigens auch schon ein Angebot von Real Madrid, nachdem wir die vom Berg geschossen hatten – aber damals fehlte mir noch der Mut für den Schritt ins Ausland. Lautern war mein Verein, die Pfalz meine Heimat. Das abgelehnte Angebot von Real bezeichne ich heute noch als einen von zweieinhalb Fehlern in meiner Karriere.

Der Betze brennt: 1984 wollte Dich dann nicht nur Verona, sondern vorher auch schon der SSC Neapel holen.

Briegel: Die hatten wir im UEFA-Cup auch mal rausgeschmissen und ich habe das entscheidende Tor geschossen (lacht). Aber bei den Verhandlungen haben die Italiener mich verarscht und hingehalten, ehe sie dann Diego Maradona verpflichteten – damals waren ja nur zwei Ausländer pro Team erlaubt und ich war somit raus. Letztendlich bin ich aber auch froh, dass ich bei Hellas Verona gelandet bin.

Der Betze brennt: Das erste Saisonspiel mit Hellas war dann gleich gegen Napoli...

Briegel: ... und meine Aufgabe war ausgerechnet die Bewachung von Maradona. Das Spiel ging 3:1 für uns aus und nicht Maradona traf, sondern ich.

Der Betze brennt: Es folgte eine noch heute legendäre Saison, an deren Ende Du mit Hellas Verona die italienische Meisterschaft errungen hattest und als erster "Legionär" in Deutschland zum Fußballer des Jahres gekürt wurdest.

Briegel: Das ist für mich heute noch unbegreiflich: Wir sind Meister geworden mit einer Truppe von 16 Spielern – inklusive Torhüter. Osvaldo Bagnoli leistete als Trainer eine unglaubliche Arbeit, aber auch eine anstrengende, zwei Mal drei Stunden Training am Tag waren nichts ungewöhnliches. Mit der Mannschaft von damals treffen wir uns heute noch zwei Mal pro Jahr und schwelgen in Erinnerungen.

Die Meisterschaft von Hellas Verona in der Saison 1984/85 war eine riesige Sensation, vergleichbar mit den Titeln des FCK 1990/91 oder 1997/98. Mit dem dänischen Stürmer Preben Elkjaer Larsen bildete Briegel nicht nur eine kongeniale Achse auf dem Fußballplatz, sondern auch eine Fahrgemeinschaft: "Der fuhr wie eine gesenkte Sau, viel zu schnell und auch mal auf der Gegenfahrbahn, wenn auf unserer Seite Stau war. Einmal landeten wir mit seinem Sportwagen in Verona in einem Vorgarten – Preben hatte nicht auf mich hören wollen, dass es auf der kurvigen und engen Straße knapp wird, wenn uns mal jemand entgegen kommt." In der Halbzeitpause wunderte sich Briegel immer, warum Larsen bei wirklich jedem Spiel auf Klo musste, bis er ihm einmal folgte und den Dänen mit dem Spitznamen "Crazy Horse" beim Rauchen erwischte. Auf dem Platz war das aber alles egal: Von den 42 Saisontoren Veronas erzielte Stürmer Larsen acht und Abwehrspieler Briegel sogar neun – ein Treffer mehr, und er hätte vom Vereinspräsidenten einen brandneuen Maserati als Prämie bekommen. Trotzdem verzichtete "Die Walz aus der Pfalz" im letzten Spiel auf einen angebotenen Elfmeterschuss: "Ich wollte keine geschenkten Tore."

Der Betze brennt: Wie war das damals, die Meisterfeier in Italien?

Briegel: Das war schon gigantisch. Fritz Walter, der ja wirklich alles erlebt hatte, war während des ganzen Wochenendes bei uns zu Gast und sagte, dass er so etwas noch nie gesehen hätte. Auf den 30 Kilometern von meinem Wohnort bis zum Stadion war jedes, wirklich jedes Haus gelb und blau beflaggt, in den Farben von Hellas Verona. Sogar die Straßen waren gelb-blau angestrichen (lacht). Und es waren auch einige FCK-Fans mit dabei, die uns da unten immer wieder besuchen kamen. Übrigens habe ich noch heute den Geruch der Rauchbomben von damals in der Nase, beim Einlaufen vor jedem Heimspiel war da eine riesige Show auf den Tribünen.

Der Betze brennt: 1986 bist Du dann zu Sampdoria Genua gewechselt, mit denen Du 1988 noch den italienischen Pokal gewinnen konntest, ehe Du dann Deine aktive Karriere beendet hast. Warum bist Du nicht noch mal zum FCK zurückgekehrt?

Briegel: Ich hatte zu diesem Zeitpunkt tatsächlich noch mal eine Anfrage aus Kaiserslautern, außerdem von Werder Bremen und Espanyol Barcelona. Aber ich war schon 33 Jahre alt, meine Karriere ging langsam zu Ende, auch der Körper hat nicht mehr so mitgespielt. Ich hätte zwar in Spanien viel Geld kassieren und meinen Vertrag absitzen können – aber das ist nicht meine Art. Entweder mache ich etwas richtig oder gar nicht.

Der Betze brennt: Und Werder Bremen, damals immerhin Deutscher Meister, kam nicht in Frage, weil Du in Deutschland für keinen anderen Verein als den FCK spielen wolltest – stimmt das?

Briegel: Ja, das stimmt. Wenn ich noch fit gewesen wäre, wäre ich vielleicht noch mal zum FCK gegangen, das war für mich in Deutschland der einzige Verein. Als Otto Rehhagel mich mit Werder Bremen angesprochen hatte, sagte ich: "Ich kann nur für Kaiserslautern spielen, weil ich ein Lautrer bin." Darauf antwortete er mir: "Peter, dafür interessiert sich danach kein Schwein mehr." Irgendwo hatte er schon recht damit.

Der Betze brennt: Aber hängt mit dieser Identifikation nicht auch Deine nach wie vor große Beliebtheit bei den FCK-Fans zusammen? Viele rechnen es Dir hoch an, dass Du in Deutschland für keinen anderen Klub gespielt hast.

Briegel: Das weiß ich nicht. Klar, ich bin von Kaiserslautern, habe 53 Länderspiele für Kaiserslautern gemacht, wurde für den FCK Europameister, wie man es damals noch formuliert hat. Vielleicht halten mir das manche Fans wirklich heute noch zugute.

Am Sonntag blicken wir im zweiten Teil unseres großen DBB-Interviews mit Hans-Peter Briegel auf die Zeit nach seiner Spielerkarriere zurück: Woran ist eine längerfristige Rückkehr zum FCK gescheitert? Welche (Trainer-)Stationen außerhalb der Pfalz sind ihm besonders im Gedächtnis geblieben? Was waren die erwähnten zweieinhalb Fehler in seiner Karriere? Und natürlich: Wie bewertet er die heutige sportliche Situation bei "seinem" FCK?

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Redaktion

Weitere Links zum Thema:

- Zu Teil 2 des Interviews: "Für den FCK ist alles möglich"

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