Spielbericht: 1. FC Kaiserslautern - SV Sandhausen 2:1

Der Betze dreht das Spiel

Der Betze dreht das Spiel


Der FCK hat nach drei verlorenen Partien wieder einen Sieg gelandet. Dank Simon Zoller. Dank Florian Dick, der ein Tor erzwingt. Aber auch dank der Westkurve, auf der - wie Markys Spielbericht zeigt - gestern Erstaunliches passierte.

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Im modernen Fußball sind die Fans meist nur noch für eine Nebenrolle vorgesehen. Sie bilden den feierlichen Rahmen für die Hauptdarsteller auf dem Platz. Die Anhänger scheinen das wohl akzeptiert zu haben, beschäftigen sich mit sich selbst, verlieren sich in Dauergesängen, verstricken sich in Stimmungsdiskussionen.

Auch der Betzenberg hat seine mythische Macht eingebüßt, ein Spiel entscheidend zu beeinflussen. Weitestgehend. Hin und wieder aber knistert und glüht es in der einst so gefürchteten Fußball-Hölle.

Knapp 25.000 Tickets hat der 1. FC Kaiserslautern für das Heimspiel gegen Sandhausen absetzen können. Leibhaftig im Stadion waren wohl weniger als 20.000. Wenn man also von der Westkurve auf die anderen Tribünen schaut, hat man fast leere Ränge vor sich. Die riesige Osttribüne erscheint wie ein Mahnmal für die Großmannssucht der Vergangenheit.

Der Freitagabend hatte so fast etwas Privates, wie ein Konzert einer bekannten Band in einem kleinen Club. Spieler und Fans sind unter sich, man kann sich fast in die Augen schauen. Bekommt die Emotionen des anderen ungefiltert mit.

Beim Eintreffen der Betze-Band hatte es nur vereinzelt Beifall gegeben, eine klare Reaktion auf die jüngsten, ungenügenden Auftritte. Als die Mannschaften einliefen, prangte im Westen ein böses Banner, dass die FCK-Akteure daran erinnerte, dass man nicht vergessen sollte, noch sechs Punkte für den Klassenerhalt einzufahren. Eine klare Ansage, dass auch bei den Treuesten der Treuen der Geduldsfaden gerissen ist. Ein Vorgeschmack auf das, was folgen sollte.

Es waren zehn Minuten im Fritz-Walter-Stadion gespielt, als Florian Dick, Jan Simunek, und Karim Matmour fast auf Strafraumhöhe der Sandhäuser ein Dreieck bildeten. Ein probates Mittel, um über den rechten Flügel zum Erfolg zu kommen, um eine Abwehr auszuhebeln. Doch dafür braucht es Handlungsschnelligkeit, Auge und Mumm. Matmour aber ließ alles vermissen: Mit Blick nach unten auf den Ball drehte er sich im Kreis, den der Gegner immer enger zog. Jetzt machte es Klick in den Köpfen der SVS-Abfangjäger. „Wir haben das natürlich trainiert“, gab Trainer Alois Schwartz auf der Pressekonferenz nach dem Spiel zu. Was zu tun ist, wenn der Gegner hoch steht. Vor allem, wenn der FCK hoch steht!

Betze-Auswärtssieg für Dummies

Im Internet scheint ein Handbuch zum kostenlosen Download bereitzustehen: „Auswärtssieg auf dem Betze für Dummies“. Von Mannschaften wie Paderborn, Düsseldorf und Aalen mit fünf Sternen versehen. Zur Erfolgsformel gehört dabei auch, dass man nach jeder Berührung mit einem FCK-Spieler den sterbenden Schwan gibt und die tatsächliche Spielzeit so entscheidend verkürzt. Fast wirken die gewollten Spielunterbrechungen wie Auszeiten, die Gegner unter Druck beim Basketball nehmen, um den Spielfluss zu beeinflussen. Im Basketball muss der Trainer dafür nur ein Zeichen geben, im Fußball braucht man einen Schiedsrichter, der pfeift. Es kommt aber fast auf dasselbe raus, da die deutschen Profi-Schiris dem körperlosen Treiben auf dem Platz immer mehr abgewinnen können. WM-Fahrer Felix Brych machte da zunächst keine Ausnahme.

Aber als Matmour unter Druck auf Simunek zurück spielte, dem unter noch mehr Druck die Sicherungen durchbrannten, da war Brychs Pfeife nicht im Spiel. Dass Simunek auf Höhe der Mittellinie - im Wissen, dass Abwehrkollege Dick ebenfalls sehr sehr weit vom eigenen Kasten wegsteht - einen Hackentrick ansetzte, wurde zu Recht mit dem Tor von Sandhausens Danny Blum bestraft. Da muss von den FCK-Verantwortlichen keiner mit der self-fulfilling prophecy kommen, dass der erste Schuss des Gegners wieder ein Treffer war...

Und täglich grüßt das Murmeltier

Der gefrustete Anhang fühlte sich erneut wie Bill Murray beim Gucken auf den Wecker und in der privaten Club-Atmosphäre des Betze wurde es nun ungemütlich für die Band. Jedes Quergeschiebe, jedes Zögern, jede Unkreativität, jedes Zurückpassen wurde mit wütenden, gellenden Pfiffen begleitet. Jede Flanke ins Nirgendwo mit höhnischem Applaus versehen. „Wir woll'n Euch kämpfen sehen“ wechselte sich mit „Wir ham die Schnauze voll“ ab. Und mitunter war es gespenstisch leise. Stille als Strafe.

Marcel Gaus gab nach dem Spiel Einblick in das, was in der Kabine in der Halbzeit vor sich ging. Natürlich war dort die Fan-Wut ein Thema. Aber man habe sich gesagt, dann müsse man es eben allein schaffen, den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Und man tat gut daran.

Es lässt sich nicht genau sagen, wer der Auslöser war. Vielleicht geschah es auch gleichzeitig. Die Band auf der Bühne stimmte auf einmal Lieder an, die jeder mitsingen kann und mag. Und die Zuschauer hatten auf einmal Lust mitzumachen und anzufeuern. Weil das Vorsängerpodest verwaist war - Kempf fehlte aus beruflichen Gründen - dauerte es eine Weile, bis es immer lauter und lauter wurde. Der 600 Mann starke Anhang aus Sandhausen lauschte dem ungewöhnlichen Treiben auf der Gegenseite bewegungslos, fast ehrfürchtig. Der sagenumwobende Geist des Betze, da war er wieder. Und die viel beschworene Einheit.

Freilich trafen die Musikanten in Rot auch in der zweiten Halbzeit viele falsche Töne. Aber es wurde mal etwas gewagt, das Eins gegen Eins gesucht und leidenschaftlich gekämpft (der FCK lief 120 km, drei mehr als der Gegner). Erfahrene Betzegänger spürten, hier und heute geht was. Dieses Spiel konnte noch gedreht werden. Es lag förmlich in der Luft. Und kein anderer als Simon Zoller, der nach neunwöchiger Verletzungspause endlich wieder mitmischen konnte, konnte gestern natürlich den Anfang machen. Zoller und der Betze, das hat von der ersten Sekunde an gepasst. 60. Minute, der Ausgleich. Auf Kopfballvorlage von Mo Idrissou. Kollege Chris Löwe sagte später: Mo sei endlich wieder der Alte gewesen. Mit Wut im Bauch war der stolze Stürmer in der Pause gekommen, genauso wie Will Orban, für die indisponierten Simunek und Matmour. Auffällig die Körpersprache von Idrissou, dem fast sein erstes Tor nach Monaten gelang.

Runjaic und der Glaube an den Turnaround

Sinnbildlich wie die Lautrer schließlich auf die Siegesstraße einbogen: Florian Dick rafft sich, schon am Boden liegend, wieder auf, erkämpft den Ball, hat noch die Chuzpe, seinem Gegenspieler durch die Beine zu spielen, biegt in den Strafraum ein, sein Pass oder Schuss wird abgefälscht und landet im Netz. Ein erzwungenes Tor, ein Treffer des puren Willens, von Dick mit einem Urschrei gefeiert.

Die Erleichterung sei groß, sagten die FCK-Protagonisten nach dem Abpfiff immer wieder. Zu einer Siegesfeier mit der Westkurve kam es nicht. Warum auch? Beide Lager klatschten sich zu, dann ging man seiner Wege. Große Liebesbekundungen gab es von den Fans nur für Simon Zoller, der nach seiner Auswechslung als „bester Mann“ gefeiert wurde. Zoller verglich das mit einem Gefühl des Verliebtseins. Er kann den FCK aber nicht im Alleingang in die erste Liga schießen. Sturmkollege Lakic könnte ihm helfen, kann es aber derzeit zumindest mit Toren noch nicht. Er kämpft sich leidenschaftlich zurück. Das Timing und die Sicherheit werde von Mal zu Mal besser, so der Kroate. Trainer Runjaic scheint ihm die Zeit geben zu wollen. In guten Phasen sei es keine Kunst, eine Mannschaft wie den FCK zu trainieren. Jetzt sei er gefordert und er nehme die Herausforderung gerne an, so Runjaic, der in der oben immer noch erstaunlich engen Tabellenhälfte den „Turnaround“ schaffen will. Die Aues und Aalens hat man nun hinter sich. Es folgen mit Köln und 1860 große Aufgaben und große Gegner. Und gegen die hat der FCK bislang immer gut ausgesehen.

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Marky

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