Über’n Tellerrand

Die Erfolgsformel des VfL: Zur Nachahmung empfohlen?

Die Erfolgsformel des VfL: Zur Nachahmung empfohlen?

Simon Zoller und der VfL Bochum lassen diese Saison die Muskeln spielen; Foto: Imago Images

Nach elf Jahren Abstinenz steht der VfL Bochum vor der Rückkehr in die Bundesliga. Was hat der Ruhrpott-Klub besser gemacht als zuletzt - und was könnte der 1. FC Kaiserslautern daraus lernen? DBB-Autor Eric Scherer hat mal nachgeforscht.

Beide sind Traditionsklubs, beider Namen stehen für die gute alte Zeit der Fußball-Bundesliga: Zwischen 1971 und 1993 waren der 1. FC Kaiserslautern und der VfL Bochum gemeinsam ausschließlich im Oberhaus präsent. Erst dann war es vorbei mit dem Nimbus der "Unabsteigbaren", den sich die Bochumer selbst angedichtet hatten. Drei Jahre später musste auch der FCK erstmals runter ins Unterhaus.

Die Ruhrpott-Kicker hatten in den 22 gemeinsamen Erstliga-Jahren meist hinter den Pfälzern rangiert. Hoch-Zeiten, wie sie Lautern unter den Trainern Kalli Feldkamp, Friedel Rausch und Otto Rehhagel erlebte, genossen sie nur einmal kurz, als der ehemalige FCK-Stürmer Klaus Toppmöller auf Bochums Trainerbank saß. Und nach diesem ersten Abstieg stieg der VfL noch fünf Mal wieder auf, der FCK noch zwei Mal.

Von 2012 bis 2018 traf man sich regelmäßig in der 2. Bundesliga, dann verabschiedete sich Lautern in die Drittklassigkeit. Dort kämpfen die Betze-Buben aktuell um den Klassenverbleib. Die Bochumer dagegen führen heuer die Tabelle der 2. Bundesliga an, mit zehn Punkten Vorsprung auf Rang 4. Der VfL steht mit einem Mittelklasse-Etat vor den Klubs aus Hamburg, Düsseldorf, Hannover oder Nürnberg - und damit unmittelbar vor der Rückkehr ins Oberhaus.

Das macht hellhörig. Was hat da auf einmal funktioniert, was jahrelang nicht gelingen wollte?

VfL-Blogger: Corona ließ zusammenwachsen, was zusammen gehört

"Ach, das sind eigentlich immer nur Nuancen, aber die entscheiden nun einmal in dieser Liga Zwei", meint Tom MacGregor, VfL-Fan seit frühester Jugend und als Blogger seit Jahren aufmerksamer Beschreiber seines Herzensvereins. Auffällig sei, dass der Aufschwung im Grunde bereits nach der Corona-Pause in der Vorsaison einsetzte, vor den berühmten Geisterspiel-Wochen, in denen DFL und DFB ihre Profiligen regelrecht zum Abschluss prügelten: "Da haben Mannschaft und Trainer sich gefunden." Seither läuft’s nämlich.

Und: "Das Spielen ohne Publikum seither scheint manche Spieler sicherer gemacht zu haben. Unseren Torhüter Manuel Riemann etwa." Der allerdings nach einem Mittelhandbruch seit zwei Spieltagen von Patrick Drewes vertreten wird. Interessant: Acht Mal haben die Bochumer in dieser Saison bislang verloren - und danach jedes Mal die folgende Partie gewonnen. Krisenstimmung kann so nicht aufkommen, der "Spirit" stimmt also offenbar. Vergangenen Montag setzte es gegen Darmstadt die neunte Schlappe, am Sonntag geht’s nun gegen Regensburg. Mal sehen, ob der Tabellenführer sich treu bleibt.

Der Trainer: Mischung aus Talent, Erfahrung und Stallgeruch

Der Trainer? Thomas Reis, 47. Schon als Spieler lange Jahre in Bochum aktiv, aber auch in Frankfurt, Augsburg, Trier und Mannheim. Zuletzt Juniorentrainer beim VfL Wolfsburg. Seit September 2019 Cheftrainer beim VfL, Nachfolger von Robin Dutt, der, so Tom MacGregor, "am Ende einfach keinen Bock mehr hatte". In den Jahren davor hatten die Bochumer die gesamte verfügbare Bandbreite an Trainer-Charakteren durchprobiert.

Dem Wiederaufstieg am nächsten kamen sie mit dem Typ "alter Haudegen", in Person von Friedhelm Funkel und Gertjan Verbeek. Gar nicht funktionierte dagegen die Besetzung "aufstrebender Überflieger" in Gestalt von Ismail Atalan. Mit Reis scheint der Klub nun die richtige Mischung aus Talent, Erfahrung und Stallgeruch gefunden zu haben.

Der Kader: Gestandene Profis, kombiniert mit starkem Nachwuchs

Den mit Abstand spannendsten Aspekt bildet jedoch der Kader - und die Art, wie er zusammengestellt ist. Auf den ersten Blick stechen da Namen gestandener Zweit- und sogar Erstligakicker ins Auge: Da wären die auch auf dem Betzenberg noch bekannten Simon Zoller, der einstige FCK-Torjäger, und Danny Blum, dessen Bruder Shawn es aktuell wie einst er selbst in der Lautrer Jugend versucht. Außerdem Robert Zulj, Gerrit Holtmann, Robert Tesche, und Anthony Losilla - Typen, die’s drauf haben und es anscheinend nochmal wissen wollen, könnte man meinen.

Auf den zweiten Blick entdeckt man zudem einige starke Eigengewächse, die in dieser Spielzeit den Durchbruch schafften. Der Marktwert des 19-jährigen Innenverteidigers Armel Bella Kotchap etwa wird mittlerweile auf fünf Millionen Euro taxiert. Auf ungefähr die Hälfte kommt sein Nebenmann, der 22-jährige Maxim Leitsch, der im deutschen Kader für die U21-Europameisterschaft steht. Klar, dass mittlerweile auch Erstligisten ein Auge auf die beiden geworfen haben.

Exoten im Ruhrpott: Die Transfer-Coups des Sebastian S.

Für die größte Verblüffung sorgt jedoch ein dritter, noch genauerer Blick. Da findet sich auf der Kaderliste zum Beispiel ein Cristian Gamboa, ein Costa Ricaner, den der VfL ablösefrei von Celtic Glasgow verpflichtete. Oder ein stark gestarteter, mittlerweile aber verletzter Grieche namens Vasilios Lampropoulos, der ebenfalls für lau vom spanischen Zweitligisten Deportivo La Coruna kam und für AEK Athen schon Spiele in der Champions League-Spiele bestritt. Oder ein Soma Novothny, ein Ungar, der schon in Südkorea Tore schoss. Oder ein Raman Chibsah, ein Ghanaer, der zuletzt in der Türkei kickte, aber auch schon in Italiens Seria A aktiv war.

Wer um alles in der Welt kommt auf solche Exoten?

Als Leiter des Scoutingbereichs fungiert nach wie vor Uwe Leifeld, ebenfalls Ex-Profi des VfL, als Angestellter noch zu Zeiten eines Sportmanagers namens Stefan Kuntz installiert. Leifeld gilt jedoch nicht als der kreative Kopf hinter der ungewöhnlichen Transferpolitik, das ist ein anderer Ehemaliger: Sebastian Schindzielorz, 42, seit Februar 2018 als Geschäftsführer Sport im Amt. Aufgerückt für den seinerzeit freigestellten Christian Hochstätter. Zuvor offiziell dessen Assistent, eigentlich aber Chefscout, und in der Eigenschaft stets in ganz Europa unterwegs gewesen. Auf das Netzwerk, das er in diesen Jahren geknüpft hat, greift er nun zurück.

Deutsche Talente entwickeln und teuer verkaufen? Ist schwer geworden

Gamboa etwa fiel ihm das erste Mal im Oktober 2018 auf, bei einer Partie zwischen RB Leipzig und Celtic Glasgow. Da präsentiert sich normalerweise kein Personal, das für einen VfL Bochum erschwinglich werden könnte. Schindzielorz behielt Gamboa dennoch im Blick - und schlug zu, als der Costa Ricaner, nunmehr 31, in Glasgow keinen Anschlussvertrag mehr erhielt.

"Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich auch am liebsten einen 20-jährigen deutschen U-Nationalspieler verpflichten, weiterentwickeln und irgendwann mit Gewinn transferieren", erklärte Schindzielorz unlängst in einem Interview. So ist bis vor einiger Zeit so mancher kleine Verein zu Geld gekommen. Mittlerweile aber sei es schwierig geworden, auf diesem Weg Erfolg zu haben, erklärt der VfL-Manager. Was entwicklungsfähig und deutsch ist, werde von den finanzstarken Vereinen frühzeitig vom Markt gefegt. Der Blick ins Ausland sei daher vielversprechender.

Frankfurt und Mainz scouten schon lange in Westeuropa

Eine Idee, die längst nicht nur Zweitligavereine mit Mittelklasse-Etat verinnerlicht haben. Frankfurt und Mainz etwa scouten schon seit Jahren verstärkt in Frankreich, Belgien, den Niederlanden oder in Südeuropa nach Kickern im U23-Alter, die sich nach zwei, drei Jahren mit gutem Gewinn weiterverkaufen lassen.

Aus Ländern also, die auch Kaiserslauterns neuer Geschäftsführer Sport Thomas Hengen jahrelang beackert hat. Als Scout für Vereine wie PSV Eindhoven, FC Everton, West Ham United oder den Hamburger SV. Womit wir bei der entscheidenden Frage wären: Die Bochumer Erfolgsformel "Gestandene Spieler mit Liga-Erfahrung + Talente + gute Auslandstransfers" - ließe sie sich auch in der 3. Liga anwenden? Beim 1. FC Kaiserslautern vielleicht?

Schon klar, was jetzt kommt: Solche Überlegungen sind aktuell unangebracht, noch ist ja gar nicht geklärt, ob der FCK nächste Saison überhaupt noch im Profifußball spielt. Andererseits: Wann, wenn nicht jetzt? Es ist Ende April, die Zeit, in der allerorten die Personalplanungen für den Sommer anstehen. Und Gedanken über eine mögliche Kaderzusammenstellung für die Regionalliga können wir uns noch an anderer Stelle machen.

So oder so: Für den FCK-Kader steht der nächste Umbruch an

Doch auch, wenn der FCK drittklassig bleiben sollte, steht im Sommer wieder einmal ein Umbruch an. Von den insgesamt sieben Leihspielern dürften nur wenige weiterverpflichtet werden können, da in den meisten Fällen Ablösen fließen müssten. Dazu laufen die Verträge von Carlo Sickinger, Hendrick Zuck und Simon Skarlatidis aus.

Trotz der zu erwartenden Abgänge im zweistelligen Bereich steht jedoch noch einiges unter Vertrag, was das Kriterium "gestandener Profi" erfüllt: Avdo Spahic, Philipp Hercher, Kevin Kraus, Alex Winkler, Tim Rieder, Marlon Ritter, Nicolas Sessa, Kenny Redondo und Elias Huth. Dazu kehren die lange verletzten Hikmet Ciftci, Marius Kleinsorge und Dominik Schad zurück. Und vielleicht sogar, nach beinahe drei Jahren Abwesenheit: Lukas Spalvis.

Talente, die in der kommenden Spielzeit den endgültigen Durchbruch noch schaffen könnten, wären Anas Bakhat oder Anil Gözütok, vielleicht auch der zurzeit verliehene Mohamed Morabet. Aber auch den U19-Talenten Shawn Blum, Neal Gibs oder Robin Kölle wird einiges zugetraut.

Ist die 3. Liga für Auslandsprofis attraktiv genug? Aber ja doch!

Bleibt die Frage, ob der FCK nun beginnt, auf dem Transfermarkt mal in andere Regale zu greifen. Der ehemalige Sportdirektor Boris Notzon hatte immer betont, auf entwicklungsfähige deutsche Spieler setzen zu wollen. Dass Thomas Hengens Netzwerk es erlaubt, eher die Richtung einzuschlagen, die der VfL Bochum vorgegeben hat, scheint zumindest nicht ausgeschlossen.

Ob die 3. Liga für Spieler aus dem benachbarten Ausland attraktiv genug ist? Aktuell stehen immerhin schon rund 100 nicht-deutsche Profis bei den insgesamt 20 Klubs unter Vertrag. Aus den Flecken Europas, in denen Lauterns neuer Geschäftsführer einst scoutete, kommen allein sechs Niederländer, drei Franzosen, ein Belgier und ein Luxemburger. Unmöglich ist es also nicht, dort fündig zu werden.

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer

Weitere Links zum Thema:

- Warum Union Berlin für den FCK ein Quell der Inspiration ist (Der Betze brennt, 19.01.2021)

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