Taktik-Nachlese zum Spiel FCSP-FCK

Die DBB-Analyse: Zwischen Alptraum und  Märchenstunde

Die DBB-Analyse: Zwischen Alptraum und Märchenstunde


0:2 beim FC St. Pauli. Siebte Pleite in Folge für den 1. FC Kaiserslautern. Trainer Gram­mo­zis will es mit Kritik an seinen Jungs dennoch nicht übertreiben. Das mag mensch­lich ver­ständlich sein. Die Augen vor der Realität zu verschließen, ist jedoch gefährlich.

Der Meistertrainer Otto Rehhagel, so ist es überliefert, hat die Pressekonferenzen nach dem Spiel hinter vorgehaltener Hand gerne als "Märchenstunden" bezeichnet. Weil Journalisten in seinem Weltbild keine sachlichen Einschätzungen des Geschehenen verdient hatten. Sie hatten eh keine Ahnung und waren von Natur aus böswillig. Seine Spieler dagegen waren König Otto stets "als Menschen heilig".

Was dagegen nicht überliefert ist: Hat der Meistertrainer seine Märchen selbst geglaubt? Wir wissen es nicht, doch seine Erfolge sprechen dafür, dass er zwischen Dichtung und Wahrheit gut zu unterscheiden vermochte.

Sein ehemaliger Spieler Dimitrios Grammozis hat im DBB-Interview unlängst erklärt, sich als Trainer "das Menschliche" Rehhagels zum Vorbild nehmen zu wollen. In der Tat erinnerte es an dessen, seine Spieler ewiglich schützende Hand, als er nach dem 0:2 auf St. Pauli erklärte, die "Art und Weise" seiner Mannschaft habe ihm "in vielen Phasen" gefallen. Ob er das selbst glaubte, wissen wir auch nicht, nur, dass Grammozis längst noch nicht so erfolgreich ist wie Rehhagel es war. Für die 3.000 mitgereisten Fans und die Anhänger an den Bildschirmen jedenfalls mutete der Auftritt ihrer Mannschaft über weite Strecken eher alptraum- als märchenhaft an.

Im 5-4-1, in der Mitte dicht, aber nicht tief - tatsächlich?

Dem Kollegen vom Sankt-Pauli-Blog "MillernTon" warf Grammozis auf der Pressekonferenz vor, "nicht richtig analysiert" zu haben, als dieser ihm vorhielt, einen sehr tief stehenden FCK gesehen haben. Seine Mannschaft habe keinesfalls defensiv agiert, wehrte sich der Coach, und dem Gegner "sehr starke Probleme bereitet, durch die Mitte zu kommen."

Interessant dabei: Was das "tief stehen" anging, hatte der Trainer gar nicht mal Unrecht. Seine Elf stellte sich von Beginn an bei gegnerischem Ballbesitz in einem defensiv anmutenden 5-4-1 auf, in dem die Abwehrreihe aber in der Tat mindestens 40 Meter vorm eigenen Tor weg stand. Allerdings präsentierte sich diese Fünferkette direkt so porös wie eine Säufernase in einem Manfred Deix-Cartoon. Schon nach 45 Sekunden fand ein erster Chipball von Aljoscha Kemlein den Kopf seines Mittelfeldkollegen Marcel Hartel, ein weiterer passierte bereits nach drei Minuten die Schnittstelle zwischen dem linken Innenverteidiger Jan Elvedi und Schienenspieler Tymo Puchacz. Und das nicht zum letzen Mal in dieser Partie.

Das 0:1: Wieder Chipball, und dann doch durch die Mitte

Die wieder mal in Augen verätzendem Gelbgrün angetretenen Roten Teufel wirkten wie Schulbuben, die ihrem Lehrer zeigen wollten, dass sie brav ihre Hausaufgaben gemacht haben, die eigentlichen Lerninhalte aber dennoch nicht so recht kapierten, weil der Papa ihnen daheim zu sehr zur Hand gegangen war.

Nach ungefähr zehn Minuten ging's allerdings ein wenig besser. Die Versuche der Gastgeber, hinter die Kette zu kommen, versandeten nun immer öfter im Nichts.

In der 32. Minute aber war damit Schluss: Wieder ein Chipball in die besagte Schnittstelle, Elvedi klärt mit dem Kopf zur Mitte, was immer schlecht ist. Der Ball landet bei Almamy Touré, der die Chance hat, diesen aus der Gefahrenzone zu passen. Und den wir seit seiner Verpflichtung im November so oft gelobt haben, weil er als Abwehrspieler so ein feines Passspiel hat. Diesmal aber wird sein Abspiel nach wenigen Metern von Hartel gestoppt. Und der darf nun doch aus der Mitte heraus, die Grammozis eigentlich dicht sehen wollte, auf Elias Saad passen. Der dringt halblinks in den Strafraum ein und vollstreckt. Steht völlig frei, da weder Touré noch Jean Zimmer in seiner Nähe sind.

Zu diesem Zeitpunkt stand die Fünferkette aber auch längst nicht mehr so hoch, wie der Trainer sie hatte sehen wollen. Insofern hatte auch der "MillernTon"-Kollege nichts Falsches gesehen. Diese Wyscout-Grafik veranschaulicht, wie sich die durchschnittlichen Aufstellungslinien während des Spiels verschoben.

Durchschnittliche Aufstellungslinien FCSP-FCK

Die Abwehr bleibt das große Problem

Somit ist schon nach halber Stunde offensichtlich: Das große Problem der Lautrer in dieser Saison ist und bleibt die Defensivformation. Ob Vierer-, Dreier- oder Fünferkette, nichts mag bislang funktionieren. Insbesondere die Abstimmung zwischen den äußeren Innenverteidigern und den Schienenspielern ist fatal. Das tritt insbesondere in der Schlussphase zutage, als St. Pauli 2:0 führt und im Umschaltmodus zu einer Einschussgelegenheit nach der anderen kommt. Da wirken Zimmer und Touré wie ein zerstrittenes Ehepaar, das sich nicht einig wird, wer die Kinder - sprich: den Ball - bekommen soll.

Keeper Julian Krahl wird bald noch nur noch mit Beruhigungsmitteln auf den Rasen geschickt werden können, wenn er weiter so oft Stürmer allein auf sich zulaufen sieht. Am Millerntor durfte er mit seinen Rettungstaten so zwar die Bestnote abstauben, doch auch bei ihm muss kritisiert werden: Seine Abschläge sind in der Mehrzahl einfach nur grausig.

Der Trainer will euch "brutaler" - dann seid's doch auch

Zutreffend ist ohne Frage die Erkenntnis des Trainers: "Wir müssen in den wichtigen Momenten brutaler sein". Festgemacht hat er dies an der wahnwitzigen Vierfach-Chance kurz nach der Pause, aber auch am zweiten Treffer nach 64 Minuten: "Wir können zweimal zupacken und machen’s nicht." So sieht’s aus. Wieder mal darf Saad über die linke Seite auf und davon gehen, in die Mitte ziehen, wo Kemlein aus dem Zehnerraum erst Mittelstürmer Johannes Eggestein anspielen darf. Dessen Schuss pariert Krahl, Hartel staubt ab.

Sieben Niederlagen in Folge, in der gesamten Saison noch nicht einmal zu Null gespielt. Wie es mit dieser Abwehr nun weitergehen soll? Vielleicht versucht's Grammozis ja doch nochmal mit Viererkette, aber mit vier gelernten Innenverteidigern. Hat ein gewisser Jogi Löw bei der WM 2014 mal probiert, weil er keine Außenverteidiger fand, die er als tauglich ansah. Die Ästheten waren entsetzt, aber hinten war dicht - und Deutschland wurde Weltmeister.

Überraschend war nur die Startformation

Kommen wir zur Offensivleistung der Gäste.

Dass Ragnar Ache doch nicht von Beginn an auflief, überraschte gar nicht mal so sehr, Grammozis hatte es bereits angedeutet. Eher schon, dass Daniel Hanslik als einziger Stürmer auflief, und nicht etwa Neuzugang Filip Stojilkovic. Die Überlegung dahinter mag gewesen sein, dass der taktische clevere Hanslik vielleicht eher die Kreise des zentralen FCSP-Innenverteidigers Eric Smith einengen kann, der sich immer wieder ins Aufbauspiel einschaltet. Faktisch zu sehen war davon nichts.

Stojilkovic kam auch während des Spiels nicht zum Zuge, ebenso wenig wie die Winterpausen-Neuzugänge Frank Ronstadt und Dickson Abiama. Abiama stand nach seinem Start-Einsatz in der Generalprobe gegen Dresden nicht einmal im Spieltagskader, musste wegen fehlender Fitness zuhause in Kaiserslautern bleiben. Stattdessen brachte Grammozis nach 63 Minuten Ache und Chance Simakala - und hatte Pech, dass sofort darauf das 2:0 fiel. Bei weiter anhaltendem knappem Rückstand hätte sich die Belebung seiner Offensive vielleicht eher ausgezahlt. In der 83. Minute brachte der Trainer dann Kenny Redondo und Aaron Opoku statt des zentraler auftretenden Stojilkovic - weil er der Ansicht war, dass eher über Außen eher noch was gegangen wäre, wie er nach dem Spiel erklärte.

Dass aus dem Spiel heraus so gut wie gar nichts ging, lag allerdings weniger am vorne postierten Personal, sondern an der Mittelfeldzentrale. Welche Rolle Tobias Raschl im Aufbauspiel spielen sollte, wurde nie so ganz klar. Seiner Heatmap zufolge hielt er sich vorzugsweise an der rechten Außenlinie auf:

Heatmap Tobias Raschl

Kaloc fehlt noch die Bindung - nur drei Toraktionen

Nebenmann Filip Kaloc agierte dagegen durchaus zentral. Kurioserweise stand er als einziger Neuzugang in der Startelf, obwohl er als letzter verpflichtet wurde, Freitag vor acht Tagen erst. Mit 12,5 zurückgelegten Kilometern stand er am Ende zwar als lauffreudigster FCK-Spieler in der Statistik, aber viel gelungen war ihm nicht. Nur 35 Ballberührungen, von 23 Pässen kamen 17 an, und das als zentraler Mittelfeldspieler. Nur mal so zum Vergleich: Der wichtigste Aufbauspieler der Gäste, Eric Smith, kam auf 57 Ballberührungen, und von 45 Pässen fanden 42 den Mitspieler.

Insgesamt verzeichnete die Grammozis-Elf nur drei nennenswerte Toraktionen. Eine bereits nach fünf Minuten, als Sankt Paulis linkem Schienenspieler Philipp Treu ein Seitenwechsel missglückte, Marlon Ritter sich den Ball schnappte und Schlussmann Nikola Vasilj prüfte. Da darf man den Lautrern durchaus zugute halten, dass Treu nur patzte, weil sie ihn ordentlich unter Druck gesetzt hatten. Es war einer der wenigen Versuche in der ersten Hälfte, mal situativ ins Angriffspressing zu gehen. Schön anzuschauen war auch ein Freistoß Ritters kurz vor Pause, aber seien wir ehrlich: Das war nicht mehr als ein sogenannter "dankbarer Torwartball".

Einfach nur kurios: Die Vierfach-Chance

In der ersten Viertelstunde der zweiten Halbzeit vermochten die Gäste dann mal sowas wie eine Druckphase aufzubauen. Richmond Tachie rückte nun mehr in die Spitze neben Hanslik, was den Gastgebern aber auch mehr Räume zum Kontern über ihre linke Angriffsseite eröffnete.

Nun kam es auch zu zwei für den Tabellenführer wirklich brenzligen Situationen, beide Male aber nach ruhenden Bällen, einer Freistoßflanke und einem Eckball Ritters. Die bereits erwähnte Vierfach-Chance mit zwei Alu-Treffern, einer Rettungstat auf der Linie und einem finalen Nachschuss-Aufsetzer Richmond Tachies über das Tor dürfte mittlerweile wohl jeder schon in einer TV-Aufzeichnung gesehen haben.

Eine der wohl kuriosesten Szenen der bisherigen Zweitliga-Saison, die wohl die Softwareprogramme der xG-Analysten durcheinander brachte. "Bundesliga.de" und die anderen auf Opta-Daten vertrauten Anbieter werten die Partie mit 3,45 : 2,56 zugunsten St. Paulis, Wyscout sieht ein 3,7 : 2,3 für Lautern, wohl aufgrund dieser Szene, die in vier Einzelchancen aufgelöst wurde, obwohl sie ja trotzdem zusammengerechnet nur einen Treffer hätte ergeben können. Auch kurz danach Elvedis und Tourés Einschusschance direkt vor der gegnerischen Torlinie sorgt für einen ordentlichen Ausschlag.

xG-Timeline FCSP-FCK

Natürlich lag der Ausgleich in diesen Momenten mehr als nur in der Luft. Aber ob er tatsächlich geeignet gewesen wäre, "das Spiel zu kippen, vielleicht sogar zu unseren Gunsten", wie Dimitrios Grammozis in der PK spekulierte? So porös, wie seine Hintermannschaft sich bis dahin immer wieder präsentiert hatte? So ideenlos, wie sein Team im Aufbauspiel agierte?

Schon klar: Es bringt nichts, in dieser Situation auf die Spieler weiter draufzuhauen. Aber ebensowenig, die Augen vor der Realität zu verschließen. Kommenden Freitag geht's gegen Schalke. Bis dahin muss sich noch viel tun. Der Gegner steht in der Tabelle zwar nur zwei Punkte entfernt, präsentierte sich zuletzt aber viel gefestigter als der FCK. Fast 50.000 Zuschauer werden im ausverkauften Fritz-Walter-Stadion dabei sein.

Die Duell-Übersicht: Zimmer, Kaloc, Tachie sehen schlecht aus

Den Abschluss einleitend noch die Positions- und Passgrafik der Lautrer:

Passmap FCK

Zum Vergleich: der FC St. Pauli.

Passmap FCSP

Und zu guter Letzt die Überkreuzdarstellung der geführten Duelle. Zimmer, Kaloc und Tachie sehen da gar nicht gut aus. Touré dafür besser, als er war. Denn eine "Kampfsau" ist er wahrlich nicht. Drum sollte er schleunigst als Passspieler wieder in die Spur finden.

Zweikampf-Duelle FCSP-FCK

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer

Weitere Links zum Thema:

- Saison-Übersicht 2023/24: Die DBB-Analysen der FCK-Spieltage

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