Im Blickpunkt

Der Unverstandene

Der Unverstandene


Philipp Klement bleibt beim 1. FC Kaiserslautern, aber auch außen vor. Zeit, sich dem Dilemma dieses feinen Fußballers ausführlicher zu widmen, bevor die mäßig witzigen Bildvergleiche zur "Bruchlandung" der "Boeing 747" überhand nehmen. Eine kom­men­tierende Analyse von Eric Scherer.

Abgezeichnet hatte es sich eigentlich schon früh. Im Grunde schon im ersten Spiel, das Philipp Klement für den FCK bestritt, unmittelbar nach seinem späten Wechsel im Sommer 2022 von Stuttgart. In die Partie gegen den 1. FC Magdeburg am 6. Spieltag der vergangenen Saison startete Lautern mit dem Mittelfeld-Triangel Klement, Mike Wunderlich und Marlon Ritter - spielerisch vielleicht das Beste, das die Zweite Liga zu bieten hat, glaubten viele. Das käme sogar hin, könnte man die technischen Fähigkeiten Einzelner einfach so zusammenzählen und Skills wie Tempo, Zweikampfverhalten und physische Präsenz außen vor lassen.

Doch es zeigte sich schnell: Die drei zusammen, das passte nicht so recht. Schon zur Halbzeit stand es 1:3 gegen den Mitaufsteiger, am Ende bescherte die Umstellung von einem 4-2-3-1 auf ein 3-4-1-2 dem FCK noch ein 4:4. Eine Woche später, in Sandhausen, ließ FCK-Coach Dirk Schuster das vermeintliche Toptrio noch einmal von der Leine. Diesmal allerdings setzte er Ritter links offensiv ein, in der Mittelfeldzentrale stellte er zu Klement und Wunderlich den robusten Sechser Julian Niehues, auf dass dieser die Zweikampfwerte erhöhe. Am Ende stand hinten die Null, also ein Fortschritt gegenüber Magdeburg. Vorne aber stand die Null ebenfalls, und es war "unser langweiligstes Spiel in der Vorrunde", wie Schuster später im DBB-Interview bilanzierte.

Und danach war bei ihm wohl die Erkenntnis gereift: Der 36-jährige Wunderlich, der altersbedingt immer mal ein Schritt zu spät kam, und Klement, der sich fürs Abspiel, aber auch in der Rückwärtsbewegung gerne Zeit lässt, können nicht zusammen starten, aller fußballerischen Klasse zum Trotz. Von nun an war Klement der Mann hinter den Spitzen, Wunderlich musste auf die Bank. Dahinter blieb neben Ritter stets ein Fighter eingebaut, meist Niehues.

Das lief bis zum Ende der Vorrunde gut. Zum Jahresabschluss in Düsseldorf startete noch einmal Wunderlich statt Klement, der kam später und markierte den Siegtreffer zum 2:1 per Elfmeter. Für den Trainer hätte es sicher so weiterlaufen können, doch Wunderlich hatte die Zeichen der Zeit erkannt und ging in der Winterpause zurück zu Viktoria Köln. Er wollte in seiner Abschiedssaison lieber Stammspieler in der 3. Liga sein statt Edeljoker eine Klasse höher.

Mit dem 0:2 in Darmstadt begann Klements Stern zu sinken

In der Rückrunde, als die Ergebnisse schlechter wurden, wurde dann nach und nach Kritik an Klement laut. Er könne aus seiner Zehner-Position hinter der einzigen Spitze Terrence Boyd diesen nicht so unterstützen, wie Wunderlich es konnte, hieß es. Mit Klement klappe auch das schnelle Umschaltspiel nicht so recht, weil er oft das Tempo rausnehme, und im Spiel gegen den Ball attackiere er nicht scharf genug. Unbestritten blieben seine guten Passquoten und starken Standards.

Am 25. Spieltag begann der Stern des Mannes, den Schuster als "Boeing 747" angekündigt hatte, die den FCK "spielerisch weiterbringen" sollte, endgültig zu sinken. In der Nachbetrachtung der 0:2-Niederlage in Darmstadt kritisierte ihn der Trainer, und das ist schon ungewöhnlich genug, namentlich. Er habe Klement eigentlich schon nach einer halben Stunde rausnehmen wollen, erklärte Schuster. Weil dieser nicht so aufgetreten sei, wie er sich das vorstelle. Doch nach Kenny Redondos früher, verletzungsbedingter Auswechslung habe er umdenken müssen.

Klement blieb in dieser Partie zwar 85 Minuten auf dem Platz, in den anschließenden sechs aber stand er nicht mehr in der Startelf, beim 2:0 gegen den Hamburger SV kam er gar nicht zum Einsatz. Erst in den drei Spielen zum Saisonfinale lief er wieder von Beginn an auf, alle drei gingen verloren.

In dieser Saison verzeichnet Klement erst zwölf Einsatzminuten, die sammelte er zum Saisonauftakt gegen St. Pauli. Selbst im Pokal bei Fünftligist Koblenz kam keine weitere dazu. In Paderborn stand er erstmals gar nicht im Kader, ebenso zuletzt gegen Nürnberg. Gegen den Gegner, gegen den er beim 3:3 am viertletzten Spieltag der vergangene Rückrunde zwei Treffer einleitete und einen selbst erzielte, mit einem direkten Freistoß in der Schlussminute.

Klement zählt jetzt 30 Lenze, ist seit zwölf Jahren Profi, und eigentlich müssten Schuster und FCK-Geschäftsführer Thomas Hengen gewusst haben, dass Klement ein sehr spezieller Spielertyp ist. Den ein bestimmtes Dilemma schon durch seine gesamte Karriere begleitet. Richtig eingeschlagen hat er erst einmal.

Nürnberg, Mainz, Stuttgart - richtig gut lief's nur in Paderborn

Als der gebürtige Ludwigshafener 2011 von den A-Junioren des FCK zum 1. FC Nürnberg wechselte, bekam er zwei Jahre lang keine Chance bei den Profis und wurde in die zweite Mannschaft abgeschoben. Auf seiner nächsten Station in Mainz wurde er in dreieinhalb Jahren nur dreimal eingewechselt. Danach erlebte er anderthalb Jahre lang in Paderborn seine bislang erfolgreichste Zeit. In dieser schraubte er seinen Marktwert auf die 2,5 Millionen Euro hoch, die der VfB Stuttgart 2019 nach Ostwestfalen überwies. In Schwaben kam er in drei Jahren auf 47 Einsätze, davon aber nur 19 von Beginn an. In den beiden Erstligajahren, die er ab 2020 mit dem VfB bestritt, waren es nur noch fünf. In der Rückrunde 2021/22 verliehen ihn die Stuttgarter für ein halbes Jahr zurück nach Paderborn, wo er zwar Stammspieler war, aber nicht mehr die gleiche Wirkung wie früher erzielte.

Und wo genau liegt nun sein Problem?

Den entscheidenden Hinweis hat Klement selbst bereits gegeben. Als er in einem DBB-Interview erklärte, dass er, auch wenn er diese Nummer trage, eigentlich gar kein Zehner sei und lieber weiter zurückgezogen spiele, auf der Acht oder der Sechs.

Allerdings, und da liegt der Hase im Pfeffer, repräsentiert er nicht unbedingt den Typus, den sich die meisten Trainer unserer Tage auf diesen Positionen vorstellen. Weder verfügt Klement über die Abräumer-Qualitäten einer Sechs noch über die Dynamik und das Box-to-Box-Laufpensum einer Acht. Klement ist ein Spielmacher, der gerne aus den hinteren Zonen des Mittelfelds dirigiert, wo es weniger schnell, hart und eng zugeht.

Kleiner Exkurs: Von Wohl und Wehe des "Regista"

"Deeplaying Playmaker" nennen die Engländer diese Spezies, "Regista" die Italiener. Und die wiederum unterscheiden den "Direktor" sorgfältig vom "Dreiviertler", dem "Trequartista", dem klassischen Zehner hinter den Spitzen. In der fußballerischen Neuzeit gilt der Milan- und Juve-Star Andrea Pirlo als Prototyp eines Regista, die römische Legende Francesco Totti als idealer Trequartista. In früheren Tagen war das natürlich Diego Maradona, der in Neapel bis heute gottgleich verehrte Argentinier.

Ein guter "Dreiviertler", der so genannt wird, weil er sich als Mittelfeldspieler zu 75 Prozent in der Offensive einbringt, kann sich in den engen Räumen vor und im Strafraum durchsetzen, ist schnell, wendig, dribbelstark und bereitet nicht nur vor, sondern trifft auch selbst. Mit diesen Fähigkeiten bekommt ein Trequartista auch keine Probleme, wenn ein Trainer andere Vorstellungen vom Auftritt seines Teams hat. Etwa, weil er dieses nicht mehr von einem zentralen Mann abhängig machen möchte, da es so zu leicht berechenbar ist. Doch ein derart starker Individualist funktioniert auch als Halbstürmer, als "weiche Spitze" neben einer Sturmkante, als "falsche Neun", gegebenenfalls auch auf den Flügeln.

Für den Regista dagegen ist es im modernen Fußball, in dem es immer schneller und immer direkter zugehen soll, schwerer geworden. Weil es zu seinem Spiel gehört, sich Zeit zu nehmen, Spielzüge mit Ruhe aufzubauen. Als Mann für den Pass aus der Tiefe sehen die Trainer heute lieber einen technisch starken Innenverteidiger. Natürlich gibt es Ausnahmen. Toni Kroos hat zuletzt noch sehr erfolgreich bei Real Madrid den Regista gegeben, allerdings in einem über Jahre eingespielten Mittelfeld.

Der Regista konnte es aber auch in früheren Zeiten schon schwer haben, wenn er nicht zu seinen Mitspielern passte. Der legendäre Zehner Günter Netzer etwa. Nach der italienischen Betrachtungsweise wäre auch er als Regista anzusehen gewesen. Denn wie Analyse-Nerd Tobias Escher in seinem Buch "Vom Libero zur Doppelsechs" aufzeigt, schlug Netzer seine genialsten Pässe aus der hinteren Zone des Mittelfelds. In der deutschen Nationalmannschaft aber erreichte er nie den Ausnahmestatus, den er bei Borussia Mönchengladbach innehatte. Weshalb? Weil in der Bundeself ein Libero namens Franz Beckenbauer für die Pässe aus der Tiefe sorgte. Bei der EM 1972 ließ Helmut Schön Beckenbauer und Netzer noch ein Wechselspiel praktizieren, bei der WM 1974 bevorzugte der Mann mit der Mütze den Trequartista Wolfgang Overath. Netzer saß auf der Bank, Deutschland wurde Weltmeister.

Guardiola und die Liebe zum Regista

Ob der Trainer Pep Guardiola heute noch auf den Spieler Guardiola setzen würde? In Marti Perarnaus Buch "Herr Guardiola" sagt der Startrainer über sich als Spieler, dass er mit seinen 1,80 Meter Körpergröße eigentlich immer zu klein gewesen sei für einen zentralen Mittelfeldspieler. Und auch nicht gut genug im Zweikampf, um vor der Abwehr abzuräumen. Und andererseits nicht schnell und dribbelstark genug, um auf den Flügeln zu bestehen. Trotzdem dirigierte der Spieler Guardiola in den 1990er Jahren den FC Barcelona, damals die beste Vereinsmannschaft der Welt. Weil sein Trainer Johan Cruyff um seine überragenden Fähigkeiten als Regista wusste.

Später selbst Barca-Trainer, schuf sich Guardiola mit Xavi eine Art Wiedergänger seiner selbst. Bei Manchester City vertraute er Ilkay Gündogan die Rolle an. Der ebenfalls über hohe technische Qualität verfügt, aber auch über eine stärkere physische Präsenz, wie sie heute nun mal verlangt wird. Und den Pep auch mal weiter nach vorne schob, wenn er eine entsprechende Eingebung hatte. Mittlerweile ist Gündogan nach Barcelona gewechselt. Und dient dort unter wem? Richtig: Xavi.

Wir sehen: Der Regista muss von seinem Trainer geschätzt werden, damit er glänzen kann.

2018/19 in Paderborn: Klements beste Tage

Spätestens hier sollte klar geworden sein, warum Klement als Wunderlich-Ersatz keine Lösung sein konnte. Pirlo übernimmt die Rolle von Totti eins zu eins? Das hätte auch auf dem Niveau dieser internationalen Topspieler nicht geklappt.

Warum es für Klement bei Paderborn 2018/19 so gut lief? Schauen wir uns das doch mal genauer an. Klement kam zur Rückrunde 2017/2018 nach Ostwestfalen, der Verein spielte damals noch Dritte Liga. Trainer Steffen Baumgart setzte ihn in dieser Halbserie fast durchweg auf dem rechten Flügel ein. Als Linksfuß konnte er so bevorzugt in die Mitte ziehen, hatte bei der Ballannahme aber mehr Zeit, als wenn er sich permanent vor dem Sechzehner hätte anbieten müssen.

In der Zentrale präsentierte sich in diesem ersten Halbjahr Marlon Ritter, der aber nicht unbedingt einen klassischen Trequartista darstellt, sondern gerne auch aus der Tiefe heraus marschiert. Tatsächlich pendelte die Formation zwischen einem 4-4-2 mit mal flachem und mal rautenförmig angeordneten Mittelfeld. Paderborn stieg im Sommer auf.

In der anschließenden Zweitligasaison variierte Baumgart sein 4-4-2. Klement spielte nun zentral, meist neben Klaus Gjasula, einem 1,90 Meter-Brocken, der fürs Abräumen zuständig war. Für seine Zuspiele hatte Klement stets zwei offensive Flügelspieler und zwei Stürmer als mögliche Adressaten vor. Dass er selbst mit vorne einrückte, war nicht zwingend notwendig. Klement traf in dieser Spielzeit zwar 16 Mal, aber meist aus der Distanz, per Elfmeter oder mit direkten Freistößen.

Und Ritter? In der vorangegangenen Runde noch überragend, kam er in dieser nur noch auf sechs Startelf-Einsätze. Dabei musste er entweder Klement ersetzen oder im Sturm ran. Gewissermaßen also hat Baumgart Ritter für Klement geopfert. Und in keiner anderen Spielzeit davor oder danach war das Spiel einer Mannschaft so auf den Ludwigshafener zugeschnitten wie in dieser.

Das 0:2 beim KSC: Guter Versuch, der ohne Fortsetzung blieb

Einmal durfte Klement übrigens auch für den FCK in einer eigens für ihn angepassten Formation spielen. In Karlsruhe, am 33. Spieltag der vergangenen Saison. Mit Julian Niehues neben sich und Daniel Hanslik vor sich auf der Zehn - kein zaubernder Trequartista also, sondern ein taktischer disziplinierter, laufstarker Spieler, der sowohl in die Spitze gehen als auch Wege nach hinten machen kann. Das sah gut aus, der FCK zeigte 70 Minuten lang ein gutes Auswärtsspiel, verpasste aber den Führungstreffer und geriet danach durch ein Karlsruher Knoddeltor auf die Verliererstraße. Und womöglich, weil sich dieses 0:2 in eine Reihe weiterer Niederlagen einreihte, wurde diesem an sich vielversprechenden Versuch keine weitere Bedeutung mehr beigemessen.

Hätten Schuster und Hengen an dieser Idee weiterfeilen wollen, hätten sie im Sommer einen anderen Typ als Tobias Raschl verpflichten müssen. Einen mit den oben beschriebenen Hanslik-Skills. So aber wird Klement nun warten müssen, bis entweder der Neuzugang oder Ritter ausfallen, ehe er wieder eine Chance erhält - und selbst in diesem Fall hat der Trainer noch einige Optionen mehr: Hanslik, Ben Zolinski oder die einer Doppelsechs mit Niehues und Neuzugang Afeez Aremu.

Die Zukunftsaussichten: Erstmal nicht gut, leider

Dass er am Betzenberg nicht aufgeben möchte, hat Klement bereits in einem weiteren DBB-Interview betont. Und Hengen und Schuster wären schön blöd gewesen, den Wechsel eines Spielers zu forcieren, der gar nicht weg will - wieso sollte man ohne Not auf einen Backup dieser Qualität verzichten? Beim kommenden Auftritt in Karlsruhe wird Klement aber wohl eher nicht auf dem Rasen zu sehen sein.

Schade. Wir jedenfalls würden ihm wünschen, dass er bis zum Ende seiner Karriere nochmal die Chance erhält, in einer Mannschaft aufzulaufen, die auf sein Spiel angepasst ist. Ob das zeitgemäß wäre, kann dahingestellt bleiben. Schön anzuschauen wäre es auf jeden Fall.

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer

Weitere Links zum Thema:

- Schuster über Klement: "Natürlich planen wir mit ihm" (Der Betze brennt, 28.08.2023)
- "Große Vorfreude": Philipp Klement bekennt sich zum FCK (Der Betze brennt, 21.07.2023)

Kommentare 173 Kommentare | Empfehlen Artikel weiter empfehlen | Drucken Artikel drucken