Taktik-Nachlese zum Spiel FCK-Köln

DBB-Analyse: Die Nacht des stinkenden Stiefels

DBB-Analyse: Die Nacht des stinkenden Stiefels


Auf das "Prime Time"-Spektakel am Samstag folgt eine rauschende Pokalnacht zu Hallo­ween. Der große Horror blieb dem 1. FC Kaiserslautern bei seinem 3:2-Sieg über den 1. FC Köln am Ende jedoch nur knapp erspart.

Soso. Marlon Ritter ist also ein "Stinkstiefel". So werden beim FC Bayern öfter Teile des eigenen Personals bezeichnet. Karl-Heinz Rummenigge hat Ciriaco Sforza einmal so genannt, und zuletzt tauchte die Schmähung im Zusammenhang mit dem mittlerweile nach Mailand verscherbelten Benjamin Pavard auf. Nett ist sie eigentlich nicht gemeint.

Steffen Baumgart aber ist Trainer des 1. FC Köln und nicht des FC Hollywood. Drum meine er es ausdrücklich positiv, versicherte er nach dem dramatischen 3:2-Pokalerfolg des 1. FC Kaiserslautern über sein Team. Ritter sei "der richtige Stinkstiefel, den du brauchst auf dem Platz. Weil er nicht nur gute Aktionen hat, sondern auch das gewisse Etwas, um solche Spiele auf die Seite zu ziehen. Was das Provozieren angeht, was Leistung angeht, was Pässe angeht - auch seine Freistöße sind durchweg gefährlich." Aha. Baumgart darf übrigens mit Fug und Recht als Sachverständiger in Ritter-Fragen gelten, er hat mit Lauterns Mittelfeldmotor vor Jahren in Paderborn zwei Aufstiege hintereinander gefeiert.

Dass man mit einer Mannschaft aus lauter netten Kerlen nicht gewinnen kann, darauf hat auch der große Johan Cruyff schon hingewiesen, als er einst den niederländischen Nationalspieler Edgar Davids zum FC Barcelona lotste, der nicht gerade als umgänglicher Zeitgenosse galt. Aber um Charakterfragen soll’s hier nicht gehen. Marlon Ritter darf auch ganz objektiv betrachtet als der große Gewinner dieser fantastischen Pokalnacht gelten, war er doch an allen drei Treffern seines Teams beteiligt, und alle drei offenbarten verschiedene seiner vielen Qualitäten.

Ritter: Drei Treffer offenbaren viele Qualitäten

Beim ersten war's die Passschärfe: Kevin Kraus fängt nach 18 Spielminuten kurz hinter der Mittellinie einen langen Ball aus der Kölner Abwehr ab, spielt sofort Ritter an. Der passt sofort in die Tiefe, aber eben nicht "gefühlvoll", sondern mit einer gewissen Wucht, so dass keine wertvollen Zehntelsekunden verloren gehen. Der Ball findet Richmond Tachie aber so präzise, dass dieser das Leder annehmen und kurz vorm Sechzehner abziehen kann. Dann hat der Stürmer, wie schon bei seinem Treffer unlängst in Düsseldorf, Glück, dass das Leder abgefälscht wird, und es steht 1:0 für den FCK.

Beim zweiten Treffer kurz nach der Pause sticht Ritters Handlungsschnelligkeit heraus. Diesmal ist’s ein langer Ball aus der Abwehr. Terrence Boyd kann ihn ungefähr an der Mittellinie behaupten, auf Ritter weiterleiten, und der besorgt direkt den Flankenwechsel auf den durchgestarteten Kenny Redondo. Der dringt halblinks in den Strafraum ein und zieht ab. 2:0.

Der dritte Treffer in der 65. Minute offenbart Schussgenauigkeit und gleichsam typisch "ritterliche" Unberechenbarkeit. Jeder dachte, der Siebener würde versuchen, den Ball gefühlvoll über die Mauer und ins kurze Ecke zu lupfen, als er sich halblinks am Strafraum den Ball zum Freistoß vorlegte - FC-Innenverteidiger Timo Hübers hatte Tachie gelbwürdig gefoult. Ritter aber peilt frech das lange Eck an, die Torwartecke eigentlich. Doch selbst Keeper Marvin Schwäbe ist von soviel Chuzpe überrascht, zwei FCK-Spieler in der Kölner Mauer hatten ihm zudem clever die Sicht eingeschränkt. 3:0.

3:0 - und wieder kommt der Bruch

Damit hatte nach knapp über einer Stunde kaum noch jemand Zweifel, dass für den FCK eine rauschende Pokalnacht einem unvermeidlichen Happy End entgegenging. Nicht nur, weil die Roten Teufel mit 3:0 in Front lagen. Sondern weil ihre Defensivarbeit bis dato so kompakt und konzentriert wirkte, wie es den beiden vorangegangenen Pflichtspielen gegen Hamburg und in Düsseldorf mit insgesamt sieben Gegentreffern nicht der Fall gewesen war.

Dann aber kam er doch noch, der Bruch.

Nach einem Freistoß von Florian Kainz spitzelt der eingewechselte Jan Thielmann am kurzen Eck den Ball ins Netz. Zehn später köpft der ebenfalls eingewechselte Markus Uth einen Flankenball von FC-Rechtsverteidiger Benno Schmitz ins Netz. Und wären die Kölner drei Minuten später nicht durch eine Rote Karte für Kainz dezimiert worden - der FCK hätte innerhalb von zwei Wochen gut und gerne ein weiteres Mal eine Drei-Tore-Führung verspielt, nachdem er vergangenen Sonntag bereits einen 3:1-Vorsprung nicht über die Zeit brachten.

Augenscheinlich traten die gleichen Fehlerbilder wie in den Spielen zuvor zutage. Der Gegner fand aus dem Zentrum immer Anspielstationen vor und sogar im Sechzehner, auch lief einfach zu viel über die linke Lautrer Abwehrseite.

Wenn's im Kopf "rattert" und die Frische nachlässt

Die Aufarbeitung des Trainers hinterher bezog sich indes nur auf dieses Spiel. Beim ersten Gegentreffer sei die "Positionierung unsere Abwehrspieler anders geplant gewesen", analysierte Schuster hinterher. Danach habe gerade vor dem Hintergrund der jüngsten Erfahrungen in der Tat "der Kopf zu rattern" begonnen. Und, ja, gegen Ende habe seiner Mannschaft auch die Frische gefehlt, nachdem sie 70 Minuten sehr intensiv gegen den Ball gearbeitet habe. Schlussendlich aber habe man dem Druck standgehalten, nicht zuletzt dank der Einwechslung laufstarker Spieler wie Daniel Hanslik und Tyger Lobinger. Und diese "wertvolle Erfahrung", hofft Schuster, werde helfen, Vorsprünge künftig wieder souveräner über die Zeit zu bringen.

Da darf man gespannt sein. Dass die Teufel nach dem 3:1 vorübergehend vollkommen die Spielkontrolle verloren, belegt diese Visualisierung zur Zweikampfführung über die gesamte Spielzeit sehr eindrucksvoll - und ist aufschlussreicher als etwa die Betrachtung der Ballbesitzanteile, die sich auf 73 Prozent zugunsten der Kölner hochschraubten.

Zweikampf-Quote FCK-Köln

Baumgart: Besonnene Worte zu einer harten Entscheidung

Außer mit seinen bemerkenswerten Worten über Marlon Ritter fiel FC-Trainer Baumgart durch seine besonnenen Worte zum Platzverweis auf. Von der Intensität her hätte auch Gelb für Kainz' Foul an Boris Tomiak gereicht, aber wenn Schiedsrichter Sven Jablonski argumentiere, die Attacke hätte erkennbar nur dem Mann, nicht dem Ball gegolten, müsse man Rot "akzeptieren". Das hätte so mancher Trainer sicher anders kommentiert, erst recht, da dieser Platzverweis den Kölnern mitten in ihrer finalen Druckphase den wohl entscheidenden Rückschlag verpasste.

Dass es für die Roten Teufel erneut ständig über die linke Abwehrseite gefährlich wurde, lässt sich auch dadurch erklären, dass diese von den Gästen gezielt gesucht wurde. Insbesondere in der ersten Hälfte nutzten sie fast ausschließlich ihren rechten Flügel für ihre Angriffe. Es war wohl Teil ihres Matchplans, nachdem sie die jüngsten Partien ihrer Gastgeber studiert hatten.

Redondo: Der andere große Matchwinner

An Kenny Redondo lag’s jedenfalls nicht, dass seine Seite als Schwachpunkt ausgemacht worden war. Im Gegenteil, er ist neben Ritter der FCK-Akteur, der am meisten Sonderlob verdient. Sicher gelang ihm nicht alles. Er verlor beispielsweise die meisten Bälle (laut "Wyscout" 14), doch stand er auch öfter unter Druck als seine Mitspieler. Andererseits zeichnet er nach Kevin Kraus (13) auch für die meisten Ballgewinne verantwortlich (11). Und er markierte das 2:0.

Zu den Grafiken. Die Kölner verzeichnen in der xG-Timeline die höheren Ausschläge, ist aber kein Wunder, ihre Tor-Aktionen ereigneten sich stets unmittelbar vor dem Lautrer Kasten.

Passmap FCK

Die Positions- und Passgrafik des FCK-Teams deutet nur an, was in echt besser zu erkennen war. Ritter schob sich nicht wie in den vorangegangenen Partien gegen den Ball durch die Mitte nach vorne, sondern bevorzugte die rechte Seite.

xG-Dynamik FCK-Köln

Zum Vergleich die Postion- und Passgrafik der Kölner: Mit der Einwechslung des zuvor lange verletzten Uth (13) für Ljubicic warf Baumgart schon in der 57. Minute alles nach vorne.

Passmap Köln

Und die Übersicht über die geführten Duelle. Zeigt ebenfalls, dass Redondo auf der für ihn eigentlich ungewohnten Position eine gute Figur machte. Insgesamt gestaltet sich die Zweikampfbilanz doch zugunsten des FCK, trotz der oben illustrierten Eindrücke.

Zweikampf-Duelle FCK-Köln

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer

Weitere Links zum Thema:

- Saison-Übersicht 2023/24: Die DBB-Analysen der FCK-Spieltage

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