Taktik-Nachlese zum Spiel SGD-FCK

Die DBB-Analyse: Ein Spiel wie Heavy-Metal-Konzert

Die DBB-Analyse: Ein Spiel wie Heavy-Metal-Konzert


Mal im Ernst: Hat in diesen Stunden irgendjemand Lust, sich das Aufstiegsdrama zwischen dem 1. FC Kaiserslautern und Dynamo Dresden nüchtern-sachlich erklären zu lassen? Allah gut, wir versuchen's mal.

Hätten Motörhead-Fans früher nach zwei Stunden Schwermetall-Beschallung darüber diskutieren wollen, welchen technischen Ansprüchen Lemmy Kilmisters Kunstfertigkeit am E-Bass nun tatsächlich genügt? Wohl eher nicht. Und dieses Spiel war, wie ein Kollege nach der Pause treffend formulierte, die fußballerische Entsprechung eines Heavy Metal-Konzerts. Da geht um Emotionen, nicht um Verstand, und nach den Aufstiegsfeierlichkeiten am Mittwoch ist heute auch noch Vatertag ... Wir bemühen uns dennoch um einen klaren Blick.

Wobei schon die grundsätzlichen Fragen müßig zu beantworten sind: Warum eigentlich hat der FCK dieses Spiel gewonnen? Und: War's "verdient"? Sagen wir mal so: Entschieden haben die Momente, in denen Lautern die besseren Individualisten am Start hatte.

Dergleichen ließ sich beispielsweise auch schon über das 1:0 der Roten Teufel beim VfL Osnabrück am 29. Spieltag sagen. Als ihnen in einer Partie, in der sie eigentlich unterlegen waren, dann doch der perfekte Angriff gelang, den die Gastgeber über 90 Minuten nicht zustande brachten: Hendrick Zucks perfekter langer Ball, Daniel Hansliks perfekt getimter Start von der Abseitslinie, die perfekte Flanke, Terrence Boyds perfekte Vollstreckung. Oder über den 2:1-Sieg bei Würzburger Kickers am 33. Spieltag, als der Abstiegskandidat seinem Gast eine halbe Stunde lang vehement zusetzte, ehe ihn Mike Wunderlichs technisch sauberer, präziser Schuss von der Strafraumgrenze auf die Siegerstraße brachte.

Der Magic Moment: Ritters langer Marsch durchs Mittelfeld

Diesmal war's Marlon Ritters langer Lauf durchs Mittelfeldzentrum, den ein vertikaler Wolfram-Wuttke-Gedächtnispass Richtung Strafraumgrenze abschloss, wo Routinier Wunderlich raffiniert auf Hanslik ablegte und dieser den Ball überlegt an Dresdens starkem Keeper Kevin Broll vorbeischob. Der Treffer fiel zu diesem Zeitpunkt insofern nicht "unverdient", als dass er Lauterns stärkste Viertelstunde des gesamten Spiel krönte. Denn in den 15 Minuten nach der Pause hatte der Gast die strukturierten Angriffe gefahren, und Boyd hatte nach Kopfball und Zuck-Ecke die bislang beste Tormöglichkeit der Partie geschaffen, die Broll mit schnellem Reflex abwehrte.

Wie stark der FCK in dieser Viertelstunde im Spiel war, zeigen auch diese "wyscout"-Grafiken. Die Roten Teufel fuhren deutlich mehr Angriffe pro Minute, verschoben sich geradezu brachial nach vorne, und auch die Pressing-Intensität war höher als die der Gastgeber.

Angriffe pro Minute

Durchschnittliche Aufstellungslinie, in Metern

Pressingintensität

Ansonsten gibt es kaum statistische Werte, die für den FCK sprechen. Außer ein paar wenigen, die möglicherweise aber entscheidend waren. Hier mal ein Blick auf die allgemeine Mannschaftsstatistik.

Allgemeine Mannschaftsstatistik

Wir sehen Dresden bei allen Werten vorne. Nur bei "Schüssen aufs Tor" und "innerhalb des Strafraums" liegt der FCK einen Tick besser. Zufall? Oder "Glück"?

Ebenfalls interessant die genauere Aufschlüsselung der Ballbesitz-Werte. Auch hier ist Dynamo überall besser, außer bei "Ballbesitze, bei denen der gegnerische Strafraum erreicht wird". Da liegen beide Teams gleich.

Ballbesitz

Die Intensität und die Dramatik des Spiels insgesamt betont am besten das x-Goals-Endergebnis: 3.52 : 2.98 für Dresden. Das Hinspiel endete 0.43 : 0.16. Das ist jeder weitere Kommentar überflüssig. Hier die xG-Timeline.

xG-Plot SGD-FCK

Dresdens Stärken: Die Ecken und die linke Seite

Torgefahr beschworen die Gastgeber in erster Linie nach Eckbällen herauf. So gestalteten sie die finalen zehn Minuten vor der Pause zu ihren Gunsten, so beschworen sie in der Schlussphase immer wieder Gefahr herauf, sieht man von der Großchance des eingewechselten Panagiotis Vlachodimos ab, die Matheo Raab bravourös vereitelte. Vor Ecken gingen die Dresdner ähnlich vor, wie es der FCK diese Saison häufig tat: Sie postierten ihre großgewachsenen Spieler am kurzen Eck und am Torhüter, um diesem die Bewegungsfreiheit zu nehmen. Raab, mit 1,86 Metern Körpergröße ohnehin kein Ungeheuer, bekam dadurch öfter Probleme beim Zupacken.

Und wie schon beim Hinspiel bekam der FCK seine rechte Abwehrseite wesentlich schlechter in den Griff als seine linke. Was an der Qualität der Gegenspieler gelegen haben mag. In der ersten Hälfte orientierte sich der hochtalentierte Ransford-Yeboah Königsdörffer über die Seite, in der zweiten der technisch starke Vlachodimos.

Keiner kritisiere den Capitano - "Man of the Match": Hanslik

Man könnte natürlich auch Jean Zimmers fehlende Spielpraxis anführen, aber mit Negativkritik wollen wir uns nach einem solchen Spiel zurückhalten. Nach so langer Pause und nur 14 Minuten Spielpraxis vor vier Wochen in Wiesbaden ausgerechnet in diesen beiden Hammer-Spielen über die volle Distanz ranzumüssen, war sicher keine optimale Wiedereingliederung für den "Capitano". Dass er sich der Verantwortung stellte und sich bis an die Grenzen seiner Belastbarkeit reinhaute, sagt genug über ihn aus.

Dass für Dresden über rechts weniger lief, lag aber auch daran, dass Hendrick Zuck auf diesem Flügel unser "Man of the Match" zur Seite gestellt war: Daniel Hanslik überragte nicht nur wegen seines Führungstreffers, sondern ebenso mit aufopferungsvoller Defensivarbeit. Unvergessen bleiben wird die Szene Mitte der ersten Halbzeit, als er sich nach einem gewonnenen Zweikampf an der eigenen Torauslinie selbst abfeierte. Das Symbolbild dieses Spiels.

Hanslik machte seinen Job auf der linken Seite so gut, dass Dirk Schuster ihn auf diesem Posten auch beließ, als er Kenny Redondo für Wunderlich brachte. In dem 4-4-2, in das der Trainer seine bis dato zwischen 4-2-3-1 und 4-1-4-1 chargierende Grundordnung ummodelte, hätte "von Haus aus" eigentlich der gelernte Stürmer Hanslik den Platz neben Boyd einnehmen müssen. Stattdessen übernahm Redondo diesen Part, der für ihn so ungewohnt nun auch nicht mehr ist. Was er bewies, in dem er Boyd die Großchance zum 2:0 auflegte und in der Nachspielzeit den möglichen zweiten Treffer nur knapp verpasste.

Den besorgte kurz darauf Philipp Hercher auf Vorlage des eingewechselten Simon Stehle. So dass sich die Leihgabe aus Hannover, für die die Zeit beim FCK äußerst unbefriedigend verlief, wenigstens noch einen unvergesslichen Saisonabschluss gönnte. Ein kleines Happy End inmitten des ganz großen.

Ebenfalls entscheidend: Das Dresdner Sechser-Pech

Eines wollen wir nicht vergessen: Dass der FCK mit Ritters perfekt vorgetragenem Angriff durchs Mittelfeldzentrum auf die Siegerstraße geriet, war auch einem ungeheuerlichen Pech der Dresdner geschuldet. Nach Michael Akoto und Paul Will, die bereits im Hinspiel verletzt raus mussten, musste Dynamo-Trainer Guerino Capretti nach nur 30 Minuten auch noch Yannick Stark vom Platz holen. Drei Ausfälle auf der Sechs in so kurzer Zeit lassen sich 1:1 kaum ersetzen, Capretti improvisierte, zog Zehner Patrick Weihrauch zurück und brachte den einstigen Lautrer Jugendspieler Oliver Batista Meier.

Dass es da zu Abstimmungsproblemen im Mittelfeld kam, ist kein Wunder. Kämpferisch hat sich das in diesem Jahr viel gescholtene Dynamo-Team zumindest in dieser Partie nichts vorzuwerfen.

Zweite Liga, wir kommen: Der Kern ist gut, auf jeden Fall

Dass der Drittligist in den entscheidenden Momenten die bessere individuellere Qualität auf dem Platz hatte als der Zweitligist, darf bereits Mut für die kommende Spielzeit machen. Natürlich braucht es noch die ein oder andere Verstärkung und es müssen mit dem bestehenden Personal noch etliche Vertragsangelegenheiten geklärt werden. Aber der Kern dieses Kaders ist durchaus zweitligareif. Sonst wäre er ja auch nicht aufgestiegen.

Für Komplettisten hier noch die Positions- und Passgrafiken, die unserer Meinung nach diesmal aber keine großen Aufschlüsse bieten. Hier die des FCK:

Passmap FCK

Und hier die der Gastgeber:

Passmap SGD

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer

Weitere Links zum Thema:

- Saison-Übersicht 2021/22: Die DBB-Analysen der FCK-Spieltage

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