Taktik-Nachlese zum Spiel FCK-FCM

Die DBB-Analyse: Der alte Betze-Geist geht wieder um

Die DBB-Analyse: Der alte Betze-Geist geht wieder um


Vier Tore, jede Menge Tempo und am Ende Gerangel: Das 2:2 des 1. FC Kaiserslautern gegen den 1. FC Magdeburg war ein echtes Spitzenspiel, das Erinnerungen an große alte Zeiten weckte, taktisch wie emotional.

Irgendwann in einer Saison müssen sie ja mal aufeinandertreffen: die beste Abwehr auf den besten Angriff. Wer da im Vorteil ist? So drei, vier Etagen höher ist eine Partie dieser Konstellation legendär geworden.

Barca gegen Milan, 18. Mai 1995. Athen, Olympiastadion, Finale der Champions League. Johan Cruyffs Spanier, angeführt von Ballzauberern wie Hristo Stoitchkov und Romário, stellen die anerkannt stärkste Offensive Europas. Fabio Capellos Italiener, organisiert von Abwehrchef Paolo Maldini, gelten als das am besten verteidigende Team auf dem Kontinent. Denn es beherrscht wie kein anderes das geschlossene Verschieben gegen den Ball über den gesamten Platz. Pressing, wie es Capellos Vorgänger Arrigo Sacchi einst bei den Mailändern perfektionierte.

Und wer gewann?

Die Barcelonesen? Haben fast 70 Prozent Ballbesitz und verzeichnen mehr als doppelt so viele Torabschlüsse wie ihre Gegner. Die Mailänder? Gewinnen 4:0. Brauchen nicht einmal eine Stunde, um das Endergebnis herauszuschießen. Die beste Abwehr setzt sich gegen den besten Angriff durch. Ordnung und Struktur schlagen Improvisationskunst. Strategen besiegen Individualisten.

Gewagte These: Magdeburg war mehr Barca als der FCK Milan war

27 Jahre später, Kaiserslautern, Fritz-Walter-Stadion, 3. Liga, 26. Spieltag. Auch hier heißt es: Die beste Abwehr gegen den besten Angriff. Diesmal aber endet die Sache unentschieden, 2:2. Weshalb hat sich die bessere Defensive diesmal nicht durchgesetzt?

Weil solche Vergleiche hinken, werden manche jetzt knoddern. Kann man so sehen, muss man aber nicht. Um im Bild zu bleiben, ließe sich antworten: Weil Christian Titz’ Magdeburger näher am FC Barcelona waren als Marco Antwerpens Lautrer am AC Mailand.

Bleiben wir jetzt aber näher am Geschehen in der Gegenwart. Um zu gewinnen, hätte der FCK das erste Tor schießen müssen. Oder Marlon Ritter seinen Elfmeter verwandeln. Oder als beste Abwehr der Liga eben auch diese beiden Gegentreffer verhindern müssen.

Alle drei "oder" zusammen genommen, lässt sich der Schluss ziehen: Es war durchaus ein Sieg drin für die beste Abwehr. Und das gegen einen Gegner, der sie im eigenen Stadion phasenweise in einer Art und Weise hinter dem Ball her hecheln ließ, wie es der FCK-Anhang in der Drittliga-Geschichte seines Klubs noch nicht erlebt hat.

Der Messi-Kopie zum Trotz: Lautern kommt besser ins Spiel

Und den man durchaus mit dem FC Barcelona vergleichen darf. Allerdings eher mit dem sogenannten "Dream Team 2.0", mit dem Pep Guardiola um 2010 Furore machte. Seit Titz auf seinen pfälzischen Sturmtank Luca Schuler verzichten muss, passt der Vergleich sogar noch besser. Seither präsentiert sich Magdeburg nämlich in einer 4-3-3-Formation, die vorne in der Mitte komplett auf eine Kante verzichtet. Stattdessen wirbelt ein Trio schmächtiger Tempodribbler die gegnerischen Abwehrreihen schwindelig. Und in deren Mitte bewegt sich mit Baris Atik tatsächlich eine Art wie ein Messi für Arme. Seine Sympathiewerte analysieren wir hier allerdings nicht.

Dennoch: In der ersten halben Stunde kamen die Roten Teufel besser rein in dieses Spitzenspiel, das in jeder Sekunde eines war. Und das gar nicht mal, weil sie gegen den spielstarken Gegner auf Konter lauerten. Sie verteidigten entschlossen nach vorne, waren griffiger im Zweikampf und lösten enge Situationen immer wieder spielerisch - etwas, von dem man erwartet hatte, dass es eigentlich die Magdeburger besser können.

Und hätten sie den ersten Treffer dieser Partie markiert ... Der FCK hat in dieser Saison erst zwei Mal nach einer Führung noch einen Punkt abgegeben, gegen Zwickau und in Duisburg.

Viele Chancen zur Führung: Der VIP-Sturm hätte es besser gemacht

Die Chancen waren da. Besonders kurios: die Freistoßszene nach sechs Minuten. Die Magdeburger rechnen mit einem hohen Ball und wollen die Lautrer Kopfballriesen lieber auf Abseits stellen, statt sich auf einen Luftkampf einzulassen. Also rennen sie vor dem Ballkontakt des Freistoßschützen geschlossen aus dem Sechzehner. Zurück bleiben gleich vier verdutzte Rote Teufel. Die Flanke kommt aber gar nicht, sondern Philipp Hercher geht auf der rechten Seite steil. Jetzt müsste er nur ein flaches Zuspiel in die Mitte hinbekommen, das als Rückpass durchgeht ... Aber offenbar war Hercher selbst von der Situation überrascht.

Kurz darauf erkämpft sich Redondo an der gegnerischen Auslinie den Ball, schafft es aber ebenfalls nicht, direkt einen der freien Kollegen vorm Kasten anzuspielen. Und dann geht Terrence Boyd nach einem feinen Pass von Hikmet Ciftci auf und davon, wird im letzten Moment aber von FCM-Innenverteidiger Alexander Bittroff im Strafraum gestoppt.

Die Experten auf der VIP-Tribüne haben es erkannt: Boyd hätte, als er noch Vorsprung vor seinem Gegenspieler hatte, Bittroffs Laufweg kreuzen müssen. Dann wären dem Abwehrspieler nur zwei Optionen geblieben: Entweder den Stürmer laufen lassen oder Notbremse und Rot. Wir notieren: In Kaiserslautern sitzen die cleversten Angreifer auf der VIP-Tribüne.

Magdeburgs Offensivwirbel: Zweiter Versuch, erster Treffer

Nach diesen 30 Minuten aber kamen die Magdeburger besser in die Partie und zeigten prompt ihre sehr speziellen Qualitäten. Das Trio in der Lautrer Abwehrkette, insbesondere der zentrale Kevin Kraus, ließ sich vom ständig auspendelnden Mittelstürmer Baris Atik nicht hinten raus locken. Dadurch aber schufen sich die Gäste immer wieder eine zusätzliche Anspielstation zwischen den Linien, während in der besten Defensive der Liga zu viele Kicker lediglich den freien Raum deckten.

So durfte Atik unmittelbar hintereinander zwei exquisite Torgelegenheiten einleiten. Beide gemeinsam mit den beiden klassischen Flügelstürmern, die Titz stets aufzubieten pflegt - echte Eyecatcher, wie sie in dieser Liga sonst nirgends zu sehen sind.

Erst setzt Atik mit Weltklasse-Pass Rechtsaußen Sirlord Conteh ein, der im Zusammenspiel mit Linksaußen Tatsuya Ito nur knapp an Matheo Raab scheitert. Kurz darauf steckt Atik Ito auf der anderen Seite durch. Der lässt Kraus aussteigen und passt zu dem in die Mitte eingelaufenen Conteh. Und diesmal ist der Ball drin.

Damit war der Tabellenführer in Führung. Und Lautern hat diese Spielzeit erst einmal einen Rückstand noch egalisiert, in Braunschweig.

Nach der Pause erwacht der gute, alte Betze-Geist

Doch nun zeigten die Roten Teufel, um wie vieles reifer sie im Verlauf dieser Saison geworden sind. Spielerisch, aber auch mental. Nach der Pause ging’s Richtung Westkurve, und zeitweise fühlte sich ihr Auftritt vor leider nur 10.000 Zuschauern an, als sei endlich wieder der gute alte Betze-Geist erwacht, mit dessen Hilfe einst etliche Gegner noch in den Schlussminuten in die Knie gezwungen wurden, selbst wenn sie 2:0 führten.

Solange musste der Anhang gar nicht mal warten. Bereits in der 50. Minute traf Hercher den Pfosten. Und nur vier Minuten später war es schon soweit. Wieder mal nach einer Freistoßflanke, diesmal von Hendrick Zuck hereingegeben. Boris Tomiak vollstreckte nach mehr oder weniger ungewollter Kopfballverlängerung. Wie sehr dem FCK Erfolge nach Standardsituationen in den vergangenen Jahren fehlten, weiß man nicht erst, seit sie wieder regelmäßig gefeiert werden.

Ritters Elfer-Technik versagt, Götze wird zum belebenden Element

Die turbulenten Minuten danach haben wir bereits in unserem Spielbericht ausführlich geschildert. Atik verwandelt Elfmeter, Ritter verschießt Elfmeter, Ausgleich fällt trotzdem.

Daher nur zwei Anmerkungen. Dass Ritter mit seiner verwackelten Elfmeter-Schusstechnik nach zwei erfolgreichen Versuchen mal scheitern würde, war abzusehen. Irgendwann bleibt der Torwart halt einfach mal stehen. Denn dass sich FCM-Keeper Dominik Reimann bei seiner Spielvorbereitung angesehen hat, wie Ritter die Strafstöße gegen Wiesbaden und in Braunschweig verwandelt hat, davon ist auszugehen.

Und: Einmal mehr wurde Felix Götze nach seiner Einwechslung zum belebenden Element. Schon beim Heimspiel gegen Wehen am 16. Spieltag war er nach längerer Verletzungspause von der Bank gekommen und hatte den spielentscheidenden Treffer eingeleitet. Diesmal bereitete Götze, von Hercher über die rechte Seite des FCK eingesetzt, den Ausgleichstreffer vor. Flache Flanke, Boyd kreiselt sich in bester Mittelstürmermanier frei, scheitert an Reimann, Zuck staubt ab, so werden Tore gemacht. Hoffentlich kann die Augsburger Leihgabe Götze jetzt bis zum Saisonfinale durchspielen.

Nur zwei Wechsel: Warum kam Schad nicht?

Ansonsten waren in der Schlussphase dann die Magdeburger wieder am Drücker, so richtig zurückgekehrt ist die Wucht der guten, alten Betze-Zeit also doch noch nicht. Und zogen ein Positionsspiel auf, wie es sonst in dieser Liga niemand beherrscht. Die Roten Teufel dagegen lauerten auf Umschaltsituationen. Die ein oder andere ließ sich auch vielversprechend an, doch war nicht zu übersehen, dass bei einigen Spielern, Hercher und Mike Wunderlich etwa, die Beine schwerer wurden.

Marco Antwerpen beließ es dennoch bei nur Einwechslungen: Neben Götze, der in der Halbzeit für René Klingenburg gekommen war, kam nur noch Muhammad Kiprit für Redondo. Ist ein bisschen schwer verständlich. Zumindest Dominik Schad, stark im Sprint wie im Mittelstreckenlauf, hätte in dieser ungeheuer intensiven Partie noch helfen können.

Hikmet Ciftci: Die Entdeckung als linker Innenverteidiger

Und noch eine Personalie: Hikmet Ciftci überzeugte diesmal als linker Innenverteidiger der Dreierkette. Ersetzte den kurzfristig erkrankten Alex Winkler. Also ein notgedrungener Wechsel. Der sich aber, auch das gibt es, sogar als die bessere Lösung erwies. Gegen die leichtfüßigen Magdeburger wäre Winklers Kopfballkompetenz eh nicht so gefragt gewesen. Ciftci dagegen ist am Boden der bessere Zweikämpfer, und über die bessere Spieleröffnung verfügt er sowieso. Der Ad-hoc-Ersatz könnte auf dieser Position durchaus zur Dauerlösung werden.

Die Magdeburger haben nun weiterhin zwölf Punkte Vorsprung auf den Tabellenzweiten. Wenn sie diese Form und ihren Stil nur einigermaßen bewahren, kommt keiner mehr an sie heran. Die Roten Teufel dürfen nach dieser Leistung aber weiterhin mit Fug und Recht den zweiten Aufstiegsplatz für sich beanspruchen.

Ergänzung, 14.02.: Der alte Herr Wunderlich war aktivster Ballschlepper

Zu den xG-Plots. Nach qualitativ bewerteten Torchancen siegt Lautern 2.91:2.20. Daraus muss man jetzt nicht unbedingt ableiten, dass ein FCK-Sieg "verdient" gewesen wäre. Sehen wir es lieber so: Beide Teams überschreiten die 2.0-Marke, das bestätigt, dass vor beiden Toren was los war. Und dass es nicht nur ein fußballerisch hochwertiges, sondern auch ein spannendes Spitzenspiel war.

xG-Plot FCK-FCM

Die Positions- und Passgrafik: Sieh an, die linke Seite war diesmal die aktivere. Zuck hat die meisten Pässe nach vorne gespielt, Wunderlich generell die meisten. Zudem war Älteste im Team auch der aktivste Ballschlepper. Dass er nicht mehr der Schnellste ist, vermag die Grafik allerdings nicht auszudrücken.

Passmap FCK

Zum Vergleich die Positions- und Passgrafik der Magdeburger. Viele dicke Spots - so sieht "Ballbesitzfußball" aus. Aber: Keine Passlinie zwischen Atik und Conteh? Da sei dran erinnert: Passlinien werden erst ab drei Abspielen und mehr eingezeichnet. Das eine, mit dem Atik Conteh vor Magdeburgs erster Großchance nach 30 Minuten einsetzte, findet daher keine Berücksichtigung. Das muss man schon selber gesehen haben, um zu wissen, wie genial es war.

Passmap FCM

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer

Weitere Links zum Thema:

- Saison-Übersicht 2021/22: Die DBB-Analysen der FCK-Spieltage

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