Im Blickpunkt: Das Vorwort zur Rückrunde

Alles wieder auf Null

Alles wieder auf Null


Stefan Kuntz hat auf die Neustart-Taste gedrückt. Sechs Spieler sind beim 1. FC Kaiserslautern in der Winterpause dazu gekommen. Die Fans sehnen sich nach Identifikation und Beständigkeit...

Als im April 2012 der Abstieg aus der Bundesliga praktisch feststand und die „Versager“ auf dem Platz von ihren eigenen Fans mit Taschentüchern verhöhnt wurden, sagte ein konsternierter Stefan Kuntz: „Die Mannschaft zusammenhalten möchte ich gar nicht. Ich denke, dass wir einen sehr großen Schnitt machen müssen.“ Neun Monate später kann man sagen, der Vorstandsvorsitzende des 1. FC Kaiserslautern hat Wort gehalten. Kein Stein ist auf dem Betzenberg auf dem anderen geblieben. Auch in der aktuellen Winterpause laufen die Bauarbeiten auf Hochtouren: Säulen wie Tobias Sippel und Florian Dick wackeln, die aus fremder Züchtung stammenden Kostas Fortounis und Ariel Borysiuk verwurzeln nicht. Kuntz selbst ist mit einem großen Einkaufswagen in den Baumarkt gefahren und kam mit Christopher Drazan, Markus Karl, Benjamin Köhler, Chris Löwe, Mitchell Weiser und Erwin „Jimmy“ Hoffer wieder heraus. Als kleine Gedächtnisstütze: Im vergangenen Sommer wechselten neun Spieler zum FCK, fünf waren es in der Winterpause vor einem Jahr. Ähnlich hoch ist in dem Zeitraum die Zahl der Abgänge.

Ob das Aufrüsten des Konkurrenten ihm Sorge bereite, wurde Jos Luhukay gerade gefragt: „Überhaupt nicht. Ich kenne deren Strategie nicht“, antwortete der Trainer des Tabellenzweiten der zweiten Liga, Hertha BSC. Luhukay ist glücklich, dass er keinen Neuzugang hat. „Das zeigt, dass unser Team gut besetzt ist und funktioniert.“ Sicher hat der Holländer gut Reden, konnte er doch jüngst ein halbes Dutzend Langzeitverletzte und -gesperrte (u.a. Lasogga und Kobiashvili) wieder im Training begrüßen, aber er trifft den Nagel auf den Kopf. Genauso wie BVB-Coach Jürgen Klopp, der anlässlich des Nuri-Sahin-Transfers sagte: „Wir fangen doch nicht an, nach einer Woche alles auf den Kopf zu stellen, was vorher auch nicht so schlecht war.“ Er wunderte sich zugleich über das von den Medien gewünschte Tempo, mit dem neue Leute integriert werden sollten und legte Wert auf „Weiterentwicklung“. Klopp fährt diese Strategie seit langem: Auch wenn Angeschlagene zurückkehren, egal wie prominent, müssen sie sich zuerst hinten anstellen.

Beim FCK wurden zuletzt Neue zu oft ins kalte Wasser geworfen, mussten Verantwortung übernehmen, bevor sie sich integrieren konnten. Kein Netz fing sie auf. Bestes Beispiel sind Borysiuk und Fortounis. Beide gehören - wie in unserer FCK-Winterbilanz: Kein Häuptling und keine Krieger prophezeit - nun zu den Verlierern der Vorbereitung. Das Können der Jungnationalspieler ist unbestritten. Aber in der Pfalz bescheinigt man ihnen fehlende Kommunikation und mangelhafte Ausstrahlung. Es ist kein Zufall, dass bei der Vorstellung des Neuzugangs Markus Karl dessen Präsenz auf dem Platz und Dirigier-Kunst betont wurde. Der „Eisen-Karl“, der bei Union Berlin so vorzüglich die gegnerischen Offensivreihen abräumte, soll beim FCK zur Schlüsselfigur werden. Ein Leader, an dem sich andere in schwierigen Phasen des Spiels aufrichten können, wird in Lautern seit dem Abgang von Martin Amedick sehnsüchtig gesucht. Kein Anführer im klassischen Sinn ist Benjamin Köhler. Aber dafür einer, der nach dem Spiel wild pumpend auf den Rasen sinkt. Einer, auf den immer Verlass ist, der in seinen vielen Jahren bei Eintracht Frankfurt fast durchgespielt hat, kaum verletzt war. Und wohl deswegen jetzt den Weg von der Bank im Riederwald an den Betzenberg gewählt hat.

FCK-Trainer Franco Foda hatte sich zu Weihnachten einen Kader gewünscht, mit dem er taktisch flexibler auf Gegner und Spielsituationen reagieren könne. Es ist fest davon auszugehen, dass das bislang praktizierte 4-2-3-1-System einer 4-4-2-Anordnung weicht, genauer gesagt einer flachen Vier, wie es im Taktik-Jargon heißt. Im Härtetest gegen Salzburg wurde so gespielt: Karl auf der 6 und Köhler auf der 8. Einen Spielmacher (10), wie ihn Alexander Baumjohann gerne mimen würde, gibt es in diesem System nicht. Baumjohann musste deshalb auf den linken Flügel weichen. Er könnte aber künftig jederzeit mit Köhler die Positionen tauschen.

Flügelspiel ist Pflicht beim 4-4-2. Vor der Winterpause gab es Flügel höchstens auf den Tellern in den VIP-Logen. Jetzt sollen die gelernten Außen Mitchell Weiser und Christopher Drazan die Lücken schließen. Weiser kennen die FCK-Fans vom Pokalspiel bei den Bayern, ein forscher Kurzeinsatz und eine auffällige Frisur blieben in Erinnerung. Ein frecher Draufgänger ist auch der Wiener Drazan. Man sollte das Jung-Geflügel nicht gleich mit Ivo Ilicevic und Sidney Sam vergleichen, aber vom Typ her sind sie sich nicht unähnlich. Fortounis dürfte in Fodas Überlegungen (weiter) keine erste Wahl sein: Nicht wenige haben seinen Abgang im Winter erwartet und nicht den von Hendrick Zuck. Fortounis rückt so zumindest zur ersten Alternative für Weiser auf. Die Zentrale ist für ihn verbaut.

Wenn man an Fortounis und Baumjohann denkt, schießen einem schmerzlich deren Strafraum-Querpässe gegen St. Pauli und Aalen ins Gedächtnis. Man kann an „Jimmy“ Hoffer bekritteln, dass er oft neben dem Geschehen her trabt, aber dass er eine ähnliche Option vor dem Kasten wählen würde, ist ausgeschlossen. Lieber schießt er das Netz kaputt (wie in seiner ersten FCK-Saison gegen Freiburg), geht mit dem Kopf durch die Wand (Pokal in Osnabrück) oder macht ein Kung-Fu-Tor (wie in Stuttgart). Rückkehrer Hoffer wird sich mit Albert Bunjaku um einen der beiden Sturmplätze streiten müssen. Mo Idrissou ist im 4-4-2 als „Wand“ und Anspielstation im Aufbauspiel unverzichtbar; zudem ist sein Kopfballspiel eine team-exklusive Waffe.

In der Abwehrmitte sind Marc Torrejon und Dominique Heintz gesetzt. Für die linke Problemseite heißt die Meister-Lösung Chris Löwe. Rechts tobt der Konkurrenzkampf zwischen den beiden Florians, Dick und Riedel, heißer als noch vor der Runde. Dick war einer der Erfahrenen, die Boss Kuntz vor Weihnachten öffentlich an den Pranger stellte. Überraschend bekam auch Tobias Sippel etwas ab, den der „kicker“ in seiner jüngsten Rangliste als „herausragend“ einstufte. Dass Foda beim abschließenden Test David Hohs zur Nr. 1 machte, ließ die Fangemeinde erst recht aufhorchen. Und es ist wohl tatsächlich möglich, dass Hohs statt Sippel gegen 1860 das Tor hütet.

Beim 1. FC Kaiserslautern steht also vor der Rückrunde alles wieder auf Null. Auf dem Papier kann die Neu-Aufstellung Eindruck machen. Aber eine Mannschaft braucht Zeit zu wachsen. Dass Löwe, Drazan, Weiser und Co. auf Knopfdruck in den Rhythmus kommen und zu Leistungsträgern werden, kann niemand erwarten. Vier Wochen Vorbereitung ersetzen keine Spielpraxis.

Es erscheint so ausgeschlossen, dass der FCK mit seinem fragilen Gebilde die gefestigten Burgen in Braunschweig und in der Hauptstadt angreifen kann. Die Verteidigung des dritten Platzes wird allein schon ein Kraftakt, der ohne die Unterstützung der Fans nicht zu stemmen ist. Und der Zusammenhalt und das Vertrauen, da braucht man sich nichts schönzureden, haben schwer gelitten. Man kann fast sagen, weniger Betze war noch nie. Wie arg die Nerven blank liegen, und wie groß die Verunsicherung an der Basis ist, zeigen die heftigen Reaktionen auf den Wechsel von Zuck nach Freiburg. Der Anhang sucht nach Identifikation, nach Beständigkeit, nach einem Plan. Und er will endlich Taten sehen. Vor allem auf dem Platz.

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Marky

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