Heiko Herrlich - wie tickt der überhaupt, Teil 2:
Die Jungs hören zu, denn dieser Trainer erzählt keinen Schwank aus dem Leben, sondern das pure Leben.
Er kennt nicht nur oben und unten, nicht nur Höhen und Tiefen, er war schon darüber hinaus.
Herrlich, auch wenn es abgeschmackt klingt, hat den Himmel erlebt und die Hölle. Aus beiden ist er einigermaßen unbeschadet herausgekommen. Es ist ein weites Feld zwischen dem Gewinn der Champions League und dem Sieg über den Krebs. Dort ist seine Stärke gewachsen, sein Wissen, seine Nachdenklichkeit. Jetzt will er weitergeben, vermitteln und erziehen.
Natürlich steckt
Matthias Sammer dahinter. Mit dem hat er gespielt, bei dem hat er trainiert, die gemeinsamen Jahre in Dortmund verbinden, der DFB-Sportdirektor hat schon voriges Jahr bei Herrlich angeklopft. Seit 2005 hat der frühere Stürmer (258 Bundesligaspiele, 75 Tore) die A-Jugend von Borussia Dortmund trainiert, und es war Gutes zu hören über seinen Umgang mit jungen Menschen. Die Prüfung zum Fußballlehrer ist mit der Note 1,9 notiert. Doch viel mehr noch hat ihn die andere Prüfung des Lebens geprägt.
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„Die Krankheit begleitet mich jeden Tag“, das sagt Herrlich heute, wo alles vorbei ist, bis auf die jährliche Nachuntersuchung, der nächste Termin ist im Dezember. „Tumor im Mittelhirn, bösartig, inoperabel“, das war im November 2000 die Diagnose. Er war 28, seine Frau war schwanger, er wollte doch noch Weltmeister werden. Sein Leben stand Kopf, dass es bald vorbei sein sollte, damit wollte er sich nicht abfinden. Das Ergebnis der sechswöchigen Strahlentherapie war wie ein Wunder: geheilt.
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Den Tumorbonus wollte er nicht haben, kein Mitleid, keine Geschenke. Wollte an den üblichen Kriterien gemessen werden: an Toren, Punkten, sprich: an Leistung. Er spielte wieder, aber die Karriere war bald zu Ende, als ihm der Ellenbogen von Sunday Oliseh Joch- und Nasenbein zertrümmerte. Noch heute trägt er zwei Platten unterm Orbitalbogen im Gesicht.
Er wurde Trainer.
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Heiko Herrlich ist ein kluger Kopf. Er könnte leicht etwas anderes machen als Fußball. Aber er will nur Fußball. Vater Lehrer, Mutter Lehrerin, Ehefrau Lehrerin, Sonderpädagogen alle drei, es lag also ziemlich nahe, dass er Fußballlehrer werden würde. Und auch seine Schüler sind nicht ganz einfach. Nicht mehr Kinder, noch nicht Erwachsene, verwöhnte Talente, er sagt:
"Am Übergang zum lebendigen Statussymbol.“ Natürlich bringt er ihnen bei, wie sich im Spiel geschickt der Ball mitnehmen lässt. Wichtiger ist aber die Lektion: das Leben nehmen. Und das ist kein Spiel.
"Das Leben ist hart und es besteht aus Arbeit. Nicht aus Gucci und Prada.“
Der Weg ist oft qualvoll, aber nicht mit einem Porsche zu bewältigen. Die Verführer umzingeln die Talente schon in der Pubertät: Mädchen und Manager, Macher und Moneten, da heißt es aufpassen. „Vielen wird mit 15 eine große Zukunft vorausgesagt, aber nur wenige kommen oben an.“ Statt beim FC Bayern landen sie in Paderborn, was ja nichts Schlimmes ist. Aber auch auf diese Möglichkeit sollten sie vorbereitet sein. Er nennt das Frustrationstoleranz.
Herrlich erzählt ihnen also weniger über Spann und Spiel als über die Achterbahn des Lebens. Er ist sie lange genug gefahren. „Ich habe das doch alles durchgemacht: Hoch gelobt, dann doch nicht gut genug, nach Hause geschickt, gedemütigt, dann von Berti Vogts wieder zurückgeholt, der erste Vertrag mit 18, Hoffnung, Chancen, Angst. Daraus bestand mein Leben.“
Herrlichs Lebensschule hat ungewöhnliche Fächer, nicht bloß Sport. Motto: Der Einzelne ist nichts, das Ganze alles. Bei Herrlich heißt das: „Der Fußball ist groß, aber im Vergleich zum Leben ist er so was von klein.“
"Unbeschadet Himmel und Hölle überstanden", Porträt aus dem Jahr 2007
http://www.welt.de/sport/article943744/ ... anden.html
P.S. Denke Herrlich wurde unserem VV von
Sammer empfohlen. Kuntz und Sammer kennen sich ja von der EM in England. Sammer hält ganz große Stücke auf Herrlich, wollte ihn zum U21-Trainer machen.
"Ich verliebte mich in den Fußball, wie ich mich später in Frauen verlieben sollte: plötzlich, unerklärlich, unkritisch und ohne einen Gedanken an den Schmerz und die Zerrissenheit zu verschwenden, die damit verbunden sein würden." (Nick Hornby, "Fever Pitch") #Unzerstörbar