
Ärzte prophezeiten ihm in der Kriegsgefangenschaft das Karriereende, wenige Jahre später wurde Ottmar Walter beim Wunder von Bern Fußball-Weltmeister. Es sollte nicht der letzte Kampf im Leben des Pfälzers bleiben, den er gewann. Jetzt ist der Stürmer im Alter von 89 Jahren gestorben.
Dieses eine Fußballspiel hat Ottmar Walter ein Leben lang begleitet. Und immer, wenn er damit konfrontiert wurde, kamen ihm sofort die Tränen. "Wenn meine Frau ruft, da kommt im Fernsehen was von Bern 1954, da werden mir die Augen schon nass", so hat der jüngere Bruder von Fritz Walter seine starken Gefühlsregungen vor einigen Jahren beschrieben.
Bewegend zu sehen war auch, wie er im Jahr 2004 die Speyrer Ausstellung "Am Ball der Zeit" besuchte und fast ungläubig jenen Raum inspizierte, der ihm selbst gewidmet war. "Man wundert sich immer wieder", sagte er damals mit belegter Stimme - die Erinnerungen an das legendäre 3:2 im WM-Finale gegen den großen Favoriten Ungarn blieben lebendig.
Dass dem Wunder von Bern noch ein halbes Jahrhundert später eine solch kultische Verehrung zuteil werden würde, das hätte Ottmar Walter damals nicht für möglich gehalten. Dass er in der Schweiz insgesamt vier Tore zum WM-Triumph beisteuern würde, war auch nicht zu erwarten gewesen. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg schien Walter keine große Fußballkarriere mehr beschieden. Zu schlecht war sein körperlicher Zustand.
Granatsplitter im Knie
Im Krieg hatte sich der kopfballstarke Mittelstürmer, der am 6. März 1924 als vierter Spross der Walter-Familie in Kaiserslautern geboren wurde, während eines Gefechts im Ärmelkanal schwer verletzt; drei Granatsplitter drangen in sein Knie, weshalb die Ärzte eine Fortsetzung seiner Karriere für ausgeschlossen erklärten.
In den folgenden Jahren, die er in englischer und amerikanischer Gefangenschaft zubrachte, arbeitete der Marinesoldat Walter verbissen an seinem Fußball-Comeback. Ein herausragender Spieler war er, das hatte er schon 1943 bewiesen, als er mit Holstein Kiel, wohin es ihn im Krieg verschlagen hatte, den dritten Platz in der Deutschen Meisterschaft errang. Aber er wollte noch mehr.
Das damals formulierte Ziel, "irgendwann einmal besser zu werden als mein Bruder Fritz", verlor er nicht aus den Augen. Nicht nur auf dem Rasen war der vier Jahre ältere Bruder, zu dem er ein sehr enges Verhältnis pflegte, sein großes Vorbild. Sondern auch als Mensch. Kein Zufall, dass Ottmar Walter ähnlich bescheiden wie der Ehrenspielführer der Nationalmannschaft aufzutreten pflegte.
Herberger setzt auf den wuchtigen Stürmer
Und er schaffte sein Comeback tatsächlich: Schon bald spielte er wieder so stark, dass ihm englische Clubs sogar Angebote unterbreiteten, als Fußballprofi auf der Insel zu bleiben. Aber Walter, heimatlich verbunden wie sein Bruder, kehrte doch lieber in die Pfalz zurück. Dort trug er mit seinen vielen Toren zum sagenhaften Aufstieg des 1. FC Kaiserslautern bei.
Als der Provinzverein 1951 das erste Mal Deutscher Meister wurde, hatte Walter beim 2:1-Sieg im Endspiel gegen Preußen Münster beide Tore geschossen. Längst war Bundestrainer Sepp Herberger auf den technisch versierten und gleichzeitig wuchtigen Stürmer, der vielseitig einsetzbar war, aufmerksam geworden. Ottmar Walter enttäuschte die Hoffnungen Herbergers nicht: In der Schweiz gehörte er zu den besten Torschützen des WM-Turniers.
1956 beendete Walter seine DFB-Karriere, und er gehörte danach zu jenen Weltmeistern, die es schwer hatten, den Triumph von Bern zu verarbeiten. Vorher hatten sie ihn "Sigismund" genannt, nach dem schönen Hauptdarsteller in der damals beliebten Operette "Das weiße Rössl", aber sein modellhaftes Aussehen half ihm nach der Fußballerkarriere nicht weiter.
Mit der Tankstelle, die er jahrelang führte, wurde er nicht glücklich, und wie Werner Kohlmeyer, seinem schwermütigen Mannschaftskameraden beim FCK, versuchte er, die Probleme des Alltags mit Alkohol zu betäuben. Dass er, nach einem missglückten Suizidversuch, 1968 dem Alkohol völlig absprach und es schaffte, als städtischer Angestellter wieder ein geregeltes Leben zu führen, darauf war er im Alter genauso stolz wie auf seine sportlichen Erfolge.
Vor allem Fritz Walter, der große Bruder, personifizierte über Jahrzehnte hinweg das Wunder von Bern, dazu Torwart Toni Turek oder der zweifache Endspieltorschütze Helmut Rahn. Erst als diese Zeugen verstorben waren, hörte man auch Spielern wie Ottmar Walter zu.
Was dieser sympathische Mann aus dem einfachen Volk ("Wir gingen zur Arbeit wie jeder andere, von morgens halb acht bis abends um fünf") dann über eine andere Epoche der Fußballgeschichte zu erzählen hatte, war jederzeit interessant, anregend und bedenkenswert. Nun ist Ottmar Walter, der in 21 Länderspielen auf zehn Tore kam, im Alter von 89 Jahren gestorben.
Danke, Steffbert, für diese bewegenden und treffenden Zeilen!Steffbert hat geschrieben:Ruhe in Frieden!
Ottmar Walter hat hat an einem starken Stück Fußball- und Nachkriegsgeschichte mitgeschrieben. Er ist, obwohl seine aktive Zeit lange vor meiner Geburt vorbei war, mitverantwortlich dafür, dass sich die Geschichte dieses 1.FC Kaiserslautern mit meiner Geschichte untrennbar verbunden hat. Das gilt wahrscheinlich für sehr viele hier.
Den FCK, die Walterelf, habe ich quasi von meinem Großvater geerbt. Es gab bei uns nur den 1.FC Kaiserslautern - kein Verein der Welt hätte sich da reindrängen können, da gab es keinerlei Diskussionsbedarf. Das ist bis heute so geblieben.
Auch wenn's manchmal ganz schön Nerven kostet habe ich immer mit der Gewissheit gelebt, dass das Erbe der Walterelf ein für mich sehr bereicherndes Erbe ist. Den Sinn für Heimat, Identifikation, Gemeinschaft, Freundschaft, Treue - all dies hat uns Ottmar Walter weitervererbt, indem er uns den 1.FC Kaiserslautern in die Wiege gelegt hat. Was für ein schönes Geschenk!
Danke, Ottmar!!!
Weiter bei der SZVorbild für Generationen
Es ist der 22. November 1950, als es in Stuttgart zu einem sporthistorischen Moment kommt. Deutschland bestreitet gegen die Schweiz das erste Länderspiel nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Doch Bundestrainer Sepp Herberger hat ein Problem: Fritz Walter, der Spielmacher des 1. FC Kaiserslautern, fällt verletzt aus. Viele Beobachter fordern deswegen, auch auf Mittelstürmer Ottmar Walter zu verzichten.
Ohne den Bruder sei der "Ottes", wie sie ihn in der Pfalz rufen, nur die Hälfte wert; stattdessen solle der Fürther Horst Schade ran. Doch Herberger denkt anders, und Ottmar Walter dankt es mit einer fulminanten Leistung. Er ist der beste Mann auf dem Platz, und sein Einsatz führt zu dem Handelfmeter, den Herbert Burdenski zum 1:0-Sieg verwandelt.
Noch Jahrzehnte später konnte Ottmar Walter äußerst emotional über diese Partie berichten - nach Aussagen von Begleitern sogar emotionaler als über seinen größten Erfolg, das 3:2 gegen die Ungarn 1954 im Finale von Bern, mit dem Deutschland erstmals Fußball-Weltmeister wurde. Aber das war auch nachvollziehbar, schließlich stand die Partie gegen die Schweiz beispielhaft für das Leben eines großartigen Fußballers, der im brüderlichen Schatten eines noch großartigen Fußballers stand. Beide waren sie sehr sensibel, der Fritz war unbestritten der Chef, aber der antrittsschnelle Ottmar, geboren am 6. März 1924 in Kaiserslautern, ergänzte ihn aufs Beste - vor allem wegen seiner Torgefahr.
Schönes Zitat.herzdrigger hat geschrieben:Alles Gute Ottmar. Ruhe in Frieden.
"Als die Kraft zu Ende ging
war`s kein Sterben,
war`s Erlösung."
Mein herzliches Beileid den Angehörigen.
Die Helden sterben aus
Er war ein großartiger Fußballer, der im brüderlichen Schatten eines noch großartigeren Fußballers stand: Ottmar Walter gehörte nach dem Krieg zu den besten deutschen Fußballern - bei der WM 1954 erzielte er mehrere wichtige Tore für das DFB-Team.
Man kann über die Jungs von „Bild“ sagen, was man will, aber wo andere ein dickes Buch schreiben müssen, um einem großen Leben gerecht zu werden, genügt ihnen ein knapper Satz. Als die Fußball-Weltmeister von 1954 (also auf gut Deutsch gesagt: unsere Helden von Bern) einmal eines ihrer Jubiläen feierten (es war, wenn wir uns nicht völlig vertun, das Vierzigjährige), hat die „Bild“-Zeitung jeden Einzelnen samt seinem aktuellen Befinden zündend beschrieben. Und bei Mittelstürmer Ottmar Walter wusste der rasche Leser nach vier Sekunden alles – hören wir nochmals kurz rein: „Nach Selbstmordversuch 1969 heute gefestigt, lebt als Pensionär in Kaiserslautern, öfter Betzenberg-Gast.“
Das war ein Satz wie eine Frikadelle, alles war drin – nur wusste man nicht, ob man lachen oder heulen sollte. Heute wissen wir es. Ottmar Walter ist tot. In einem Pflegeheim in Kaiserslautern hat er die letzten Jahre verbracht, erkrankt an Alzheimer. Gestern ist er gestorben, mit 89 Jahren, und die Pfalz und der FCK flaggen halbmast: Er war ihr „Roter Teufel“, aber vor allem ein Fußballgott – das Eingangstor zur Nordtribüne des nach seinem großen Bruder benannten Fritz-Walter-Stadions wurde deshalb längst in „Ottmar-Walter-Tor“ umgetauft, anlässlich seines 80. Geburtstags.
Das ist ein rundes Alter, in dem selbst die Helden sich rarer machen, und der „Ottes“, wie die Pfälzer sagen, hat sich damals zurückgezogen vom Rummel. Nur einmal hat es ihn auf seine späten Tage noch mal an den Tatort seines Lebens getrieben – in das Stadion Wankdorf in Bern, kurz bevor die Schweizer es mit ein paar Stangen Dynamit in die Luft gesprengt haben. Die letzte Ehre wollte er diesem Ort erweisen, in dem das wichtigste Spiel des deutschen Fußballs stattfand – viele behaupten sogar, dass es die wahre Geburtsstunde der Bundesrepublik Deutschland war.
Wir sind wieder wer!
Jedenfalls war es 18.55 Uhr am 4. Juli 1954, als sich die Stimme des Radioreporters Herbert Zimmermann beim Blick auf die Stadionuhr überschlug: „Der Sekundenzeiger, er wandert so langsam. Wie gebannt starre ich hinüber. Geh doch schneller! Geh doch schneller! Aus! Aus! Aus! Aus, das Spiel ist aus!!!“ Die unschlagbaren Ungarn des Weltstars Puskas lagen fassungslos am Boden, und die wunden Nachkriegsdeutschen daheim rannten von ihren Radios auf die Straße und fielen sich mit dem Jubelschrei in die Arme: Wir sind wieder wer!
Ottmar Walter hat kein Tor geschossen an jenem Tag, dafür hat der „Kicker“ seine sonstigen Qualitäten gelobt: „Mühelos sein direktes Abspiel, riesengroß sein Laufpensum. Einige Male bereinigte er im eigenen Strafraum gefährliche Sachen.“ Auf dem Spielfeld und in den Schlagzeilen ist er immer der kleine Bruder vom großen Fritz geblieben. Der war der Künstler – und der Ottes der Handwerker, der da vorne den Kopf hinhielt. Alles in allem hat er es nur auf 21 Länderspiele und zehn Tore gebracht, doch vier davon hatte er sich für die WM 1954 aufgehoben – und sie haben gereicht für sein Denkmal. Er selbst sagte nur ganz bescheiden: „Es scheint doch so, dass wir damals etwas Besonderes geschafft haben.“
Die Probleme danach? Ja, es ist ihm eine Zeit lang eher dürftig ergangen. Ein Weltmeister ist damals mit 2000 Mark, einem Fernseher, einem Kühlschrank, einem Staubsauger und einem salamibestückten Geschenkkorb belohnt worden, also noch nicht automatisch im ewigen Reichtum gelandet, und als dem gelernten Automechaniker die Pacht einer Tankstelle über den Kopf wuchs, sah es vorübergehend so aus, als habe F. Scott Fitzgerald („Der letzte Tycoon“) wieder einmal recht mit seinem großen Dichterwort: Wer mir einen Helden zeigt, dem zeige ich eine Tragödie. Die Stadt Kaiserslautern hat ihren großen Sohn aber nicht vergessen, ihn in der Verwaltung beschäftigt, und er hat nicht nur die Kurve im Leben wieder gekriegt, sondern auch noch das große Bundesverdienstkreuz, und zwei Regionalzüge der Deutschen Bahn heißen heute „Ottmar Walter“ und „Horst Eckel“.
Horst Eckel ist nun der letzte FCK-Überlebende des Berner Wunders. Ansonsten ist jetzt nur noch der Kölner Hans Schäfer unter uns. Götterdämmerung.
Die Helden sterben aus.