kh-eufel hat geschrieben:System erkenne ich nicht.
Stellvertretend für viele andere: Ich schätze ja grundsätzlich realistische, bescheidene Menschen sehr — aber warum ist das das Problem von Markus Anfang?
Das Problem ist dass die meisten hier einfach gerne Fußball gucken, nicht mehr und nicht weniger. Und am Betze heißt das dass Spiele & Verantwortliche nach ganz genau drei Kriterien bewertet werden: Ergebnis, Dominanz (verstanden als Sturmlauf auf den gegnerischen Strafraum) und Emotion (also das was man selbst als Laie über Rhythmus, Tempo und Explosivität „spüren“ kann) — und zwar genau in der Reihenfolge. Das taugt nur leider alles nicht um Leistungen zu bewerten — besonders wenn sich der Kontext Woche für Woche ändert.
Glaub(t) mir, jeder der ein bisschen was von der Materie versteht kann da „inhaltlich“ bei uns aktuell eine vielleicht langsame, aber stetige Entwicklung zum Besseren sehen. Wir zeigen im Kleinen so langsam reihenweise Sachen, die weder Schuster, Grammozis, noch Funkel auf den Platz bekommen haben.
Beispiele:
- bei Ballbesitz haben wir jetzt von hinten weg durch eine immer besser werdende Mischung aus klaren Positionsspiel und Anpassung an Pressingverhalten des Gegners fast immer mindestens zwei Anspieloptionen; das geht natürlich nach vorne nur so weit wie ein Gegner (s. Jahn heute in der ersten Halbzeit) durch extrem tiefes stehen im Verteidigen Überzahl schafft (keine Mannschaft der Welt kann mit 9 Mann ins letzte Drittel des Gegners, Stichwort Restverteidigung). Aber die Situationen in denen hinten nix mehr außer einem hohen Ball nach vorne geht werden immer weniger.
- einzelne Spieler in Mittelfeld und Abwehr werden unter gegnerischem Pressing immer weniger hektisch, schaffen es immer öfter unter Druck den Ball wenigstens abzuschirmen oder sich aus dem pressenden Spieler „rauszudrehen“. Ein Gyamarah konnte das schon als er kam, Elvedi wird man nicht viel mehr als solides Abschirmen beibringen — aber Kaloc, Tomiak, Wekesser oder Heuer (der da auch schon gute Grundlagen aus Paderborn mitgebracht hat) werden tendenziell von Spiel zu Spiel besser.
- wenn der Gegner unseren Aufbau presst lernen die Jungs gerade nicht abzuschalten und die Position zu halten wenn der Ball gerade noch so zum freien Nebenmann gespielt wurde, sondern nutzen die Attacke des direkten Gegenspielers auf den Passweg um direkt nach dem eigenen Pass ein paar Meter vor zu rücken und gleich wieder im Raum
hinter der Pressingreihe als Anspielstation bereit zu stehen (Heuer hat das in Halbzeit 2 heute z.B. mehrmals großartig gemacht. Das ist eines der verbreitetesten und einfachsten Mittel um dem gegnerischen Pressing den Druck zu nehmen und dieses mit überschaubarem Risiko (im Vergleich zu flachen Ball durch die Ketten) zu überspielen.
- dadurch dass wir mehr und mehr in der Lage sind, in den ersten beiden Dritteln durchs Zentrum zu kommen haben die Außen mehr Platz, sich als Anspielstationen im letzten Drittel anzubieten und freie Wege Richtung 16er zu haben. Opoku profitiert davon enorm, Yokota könnte perfekt dafür sein (wenn er noch etwas „stabiler“ & weniger hektisch wird), Abiama macht das im Raum sehr gut (auch wenn ihm etwas Explosivität fehlt). Tachie fehlt ein wenig die Ballsicherheit, aber sein schönes Tor gegen den HSV fällt weil er genau diesen „Move“ ohne Ball von der anderen Seite machen kann während Opoku mit Ball kommt.
- Ragnar Ache wird immer besser darin, auch am Boden mit Rücken zum Tor eine taugliche Anspieltation zu werden. Natürlich ist der am besten wenn er schießen oder Köpfen kann — aber das Spiel geht eben jetzt auch weiter wenn nicht.
Anfang macht die Spieler besser indem er sie Dinge machen lässt die sie bisher nicht gemacht haben. Das geht nicht von heute auf morgen, aber die Fehler werden weniger je öfter die Spieler in diese Situationen kommen und man sieht langsam Früchte dieser Arbeit. Durch diese und andere kleinere Entwicklungen kriegen wir nach und nach mehr Struktur und Sicherheit mit Ball — und gerade wenn man hinten qualitativ nie sicher sein kann alles wegzuverteidigen ist es eben eine extrem effektive Lösung die eigenen Ballbesitz-Zeiten signifikant zu steigern.
Einfach gesagt:
- sowohl Schuster als auch Funkel hatten nur zwei Modi: Entweder hatten wir eine Struktur über das ganze Feld, das war dann aber eine Struktur die nur gegen den Ball gehalten hat; oder sie haben die Spieler vor der Abwehrreihe von der Leine gelassen — dann war alles mit Ball allein Chaos, Improvisation und Intensität. 0:0 oder Glücksspielautomat. Letzteres ist unterhaltsam, aber weder verlässlich noch nachhaltig.
- Grammozis wollte das Problem lösen in dem er eine kompakte Struktur sehr hoch gestellt hat, hat aber nie die Ballsicherheit in die Mannschaft bekommen (können?) die verhindert dass man dann regelmäßig überspielt wird.
- wir haben gerade (erstmals seit Runjaic) einen Trainer der eine grundlegende Struktur
mit Ball aufziehen kann und das auch resolut verfolgt.
Unser Problem ist gerade weder ein komplett schlecht zusammengestellter Kader noch ein Trainer der das Falsche will oder schlechte Entscheidungen trifft. Unser Problem ist dass wir ein Umfeld haben dass so gut wie keine Expertise in Sachen moderner Fußball hat (kein Problem, wo haben Fans das schon, warum sollten sie das haben müssen?) aber dafür zu großen Teilen viel Angst, eine niedrige Frustrationstoleranz und die fürchterlich toxische Art zu glauben dass man es ja schon so oft besser wusste als die professionellen Verantwortlichen (was nicht stimmt, aber abwertende Diskurse — despektierliche „Besserwisserei“ — haben halt in Branchen mit hoher Personalrotation die Tendenz sich Selbst zu bestätigen) und dass einfache Erklärungen stimmen so lange sie nur von möglichst vielen Leuten nachgeplappert werden. Da ist Abiama dann unfähig, da sieht man dann halt nicht welche Rolle Wekesser in unserem Spiel eigentlich spielt, wie gut er das macht, wie er seine defensive „Nebenrolle“ immer besser ausfüllt — und da kann einem dann halt der Ex-Trainer in Interviews in leicht abgewandelten Worten erzählen dass die Mannschaft das was er nie hinbekommen hat gar nicht kann.
Im Herbst/Winter 24 geht es beim FCK (wieder mal) nur um die Frage wie lange es dauert bis sich die Kette aus Investoren und Sportdirektor von den Stimmungen und Allgemeinplätzen einer lauten Fraktion im Umfeld anstecken lässt — und ob die klar ersichtliche Entwicklung schnell genug sein wird diesem ewigen Wunsch nach Selbstmord aus Angst vor dem Tod was entgegen zu setzen. Können wir Magdeburg? Aktuell würde sich Geduld (und das kann heißen auch mal ne längere Saison mittelmäßige Ergebnisse hinzunehmen um was aufzubauen) wirklich mal lohnen. Let‘s hope for the best.