Nun, ich hab natürlich auch keine genaue Einsicht in Form, mentalen & physischen Zustand der Spieler usw. — aber wenn Du eine einfache Antwort auf die ersten beiden Fragen willst: Weil die Lücke die sie in ihren angestammten Positionen hinterlassen im Moment kleiner ist als die Lücke die sie jeweils auf der „neuen“ Position schließen sollen.
Oder etwas ausführlicher: Sickinger spielt in der IV weil a) Kevin Kraus schlecht in die neue Saison gekommen ist und b) Sickinger im Spielaufbau von ganz hinten (insbesondere wenn der Gegner presst) noch einmal ein gutes Stück stärker als Kraus ist — geschweige denn als Matuwila, der eher andere Qualitäten hat
D.h. der Vorteil ist dass der Gegner zum einen nicht mehr unser gesamtes Spiel (wie z.B. Halle als Frontzeck uns noch trainiert hat) zerstören kann indem gleich zu Beginn die Angreifer aggressiv unsere Verteidigung pressen. Zum anderen kommt der Ball über Sickinger einfach viel schneller und präziser ins Mittelfeld als über Kraus oder Matuwila — und das ist die Voraussetzung überhaupt mit schnellem Spiel in der Spitze was ausrichten zu können, denn Platz gibt es nur wenn der Gegner nicht vorher ewig Zeit hat sich zu sortieren. D.h. dass wir nun in manchen Spielen vorne offensiv deutlich besser aussehen als letzte Saison liegt meiner Meinung nicht (oder zumindest nicht primär) daran dass wir jetzt bessere „Laufwege einstudiert“, bessere Spieler oder „mehr Leidenschaft“ oder sowas sehen, sondern daran dass wir nun a) imSpielaufbau nicht mehr die große klaffende Lücke im OM umspielen müssen die für das flache 4-4-2 so typisch ist und (noch wichtiger) b) eben nach Ballgewinn den Ball viel schneller dahin bekommen wo man dem Gegner weh tun kann. Davon profitiert gerade jemand wie Pick ungemein — jetzt gibt es die Lücken, die ein schneller Dribbler braucht —, aber natürlich auch der Rest der Offensive.
Der Nachteil ist, dass Sickinger zwar sowohl über ein tolles Stellungsspiel, gute (für einen „8er“ fast schon überragende) Qualitäten im Stellen und Ablaufen, sowie die Übersicht für die Verteilung und Bewegung der eigenen Mannschaft im Raum verfügt, aber eben gegenüber einem gelernten IV doch deutlich Schwächen hat wenn es darum geht a) den Ballführenden Spieler nicht nur zu stellen sondern auch aggressiv
und erfolgreich in den Zweikampf zu gehen (sprich: den Ball auch mit Risiko zu erobern) oder b) auch die Übersicht über Verteilung und Bewegung der gegnerischen Offensivspieler zu behalten. Einfach gesagt: Sickinger verteidigt wie ein 6er mit guter Raumdeckung — da verteidigt man aber tendenziell anders weil man normalerweise noch die Verteidiger im Rücken hat. Die Kompromisslosigkeit eines IV fehlt ihm verständlicher Weise.
Deshalb wollte Hildmann vor der Saison ja Sickinger auf jeden Fall wieder auf die 8 schieben und einen schnellen IV. Ich schätze da hätte man gerne jemanden mit gutem Aufbauspiel gehabt, aber so jemanden findest Du normalerweise nicht ablösefrei, deshalb haben wir jetzt unser schnelles Mentalitätsmonster mit dem eher groben Passspiel.
Heißt: Kraus hat nicht die große Geschwindigkeit, starkes Zweikampfverhalten, passables Aufbauspiel; Hainault ist ebenfalls stark im Zweikampf, meiner Wahrnehmung nach deutlich schwächer als Kraus im Aufbauspiel und leider auch sehr langsam; Matuwila ist verhältnismäßig schnell, ebenfalls stark im Zweikampf aber auch eher schwach im Spielaufbau. In der Konstellation ist dann Matuwila aus Geschwindigkeitsgründen gesetzt (sonst muss die ganze Kette tief stehen, der Ball braucht wieder ewig in die Spitze, der Gegner ist gut sortiert und die Foren schreien Laufwege, Motivation usw. stimmen nicht, keine Eier bliblablub), Kraus eigentlich der natürliche Partner. Nur weil keiner von beiden überragend im Passpiel ist muss man dann wenn der Gegner früh attackiert wieder öfter langsam über die AV aufbauen (ein Problem das schon Runjaic hatte und zu dem „Ballgeschiebe“-Gemecker geführt hat) anstatt (so wie jetzt) schnell den direkten Ball ins offensive Mittelfeld spielen zu können.
Wenn man nicht gerade einen dem Rest der Liga haushoch überlegenen Kader hat ist die Aufstellung als taktisches Gebilde schnell so etwas wie ein Rubix-Würfel: Sobald Du an einer Stellschraube drehst schaffst Du woanders wieder ein neues Problem. In dem konkreten Fall löst Hildmann das aktuell darüber, den Spieler mit dem besten Verhältnis von Zweikampfstärke und Passspiel in die Kette zurückzuziehen. Allerdings kommen Sickingers Schwächen in der aggressiven Balleroberung in der Viererkette mit vielen 1 gegen 1-Situationen nun auch anders zum Tragen als in der letzten Saison, wo er gewissermaßen den „Libero“ mit zwei Kanten für die direkten Duelle an seiner Seite gegeben hat.
Am Ende läuft also alles darauf hinaus, dass uns ein Innenverteidiger fehlt, der neben der obligatorischen Zweikampfstärke auch über ein außergewöhnlich starkes Passspiel verfügt — womit wir wieder bei der Kaderplanung wären. Man kann sagen dass Matuwila für lau ne super Lösung ist, man kann sagen dass wir für nen (ablösepflichtigen) Mann mit dem gesuchten Profil das Geld nicht hatten — man kann aber auch diskutieren ob da wo wir richtig investiert haben die größte Not bestand. Bachmann macht für mich absolut Sinn, da waren wir komplett blank und der verfügt grundsätzlich über alles was wir da im aktuellen System brauchen — aber ob Bjarnasson (dem ich nur das Beste wünsche) auf der Prioliste nicht hinter einem wirklich spielstarken IV hätte stehen müssen, darüber kann man glaube ich ganz gut streiten.
Bei Kühlwetter ist es ähnlich, wenn auch vielleicht etwas weniger komplex. Ob Kühlwetter als einzige Spitze die Körperlichkeit die es da in Liga 3 braucht mitbringt darf man zumindest hinterfragen. Seine Auftritte auf Außen im letzten Jahr haben gezeigt dass er dann zwar für Gefahr sorgen kann wenn er aus dem Halbfeld in den Strafraum ziehen und dann dort als zusätzlicher Stürmer seine durchaus vorhandenen Qualitäten als Knipser zeigen kann — er hat aber weder die Geschwindigkeit noch die Pass- und Ballsicherheit für einen Außenbahnspieler. Da er in der Jugend oft als hängende Spitze / OM ausgeholfen hat liegt es für einen Spieler mit diesem Skillset — starker Schuss, gute Übersicht, gute lange Pässe aber eher schwaches Kombinationsspiel unter Tempo und fehlende „Brecherphysis“ — durchaus nah, ihn im aktuellen System mal auf eine der beiden 8er-Positionen zu stellen. Hat ja auch gut funktioniert, Starke macht die schnellen Weiterleitungen und Kühlwetter spielt mit Übersicht die starken Pässen in den freien Raum.
Das Problem ist hier also weniger dass Kühlwetter komplett falsch eingesetzt wird, sondern dass ihn nun alle vorne vermissen weil Thiele (leider) wieder ohne Fortune ist. Nur dass Kühlwetter (Stand jetzt) eh nur bedingt Kandidat in einem Ein-Stürmer-System ist, besser mit einem physisch stärkeren Partner agiert — wir aber wenn wir auf 4-4-2 gehen das nun funktionierende schnelle Spiel durch die Mitte wieder kaputt machen und im 3-5-2 wieder offensive Außenspieler opfern müssten um die AVs vorziehen zu können. Womit wir wieder a) beim Rubix-Würfel und b) der Kaderplanung wären. Nicht nur dass Thiele für Drittligaverhätnisse echt teuer war und wir jetzt von Frontzecks Edeljoker verhältnismäßig wenig haben. Die Verletzung von Bjarnasson macht es derzeit unmöglich zu beurteilen wie der sich als einzige Spitze machen würde. Insgesamt haben wir einfach ganz vorne letztes Jahr den Kader zu sehr nach der Devise zusammengestellt dass im 4-4-2 auch ohne den einen Brecher schon irgendwie zwei Stürmer aus den vorhandenen 4-5 Kandidaten eine gute Kombination abgeben werden. Jetzt wo wir (richtigerweise) das Mittelfeld gestärkt haben und aus einem Pool von Leuten die einen Partner gewöhnt sind nur eine richtige Spitze bringen bleibt‘s dann halt immer bei maximal halbgeil (nix gegen die Jungs, die können ja nichts für unsere taktische Kurzsichtigkeit).
Ich weiß also gar nicht ob Kühlwetter als Einzelspitze überhaupt so viel besser abschneiden würde als Thiele — aber klar, im Moment wäre es natürlich schön Alternativen auf der 8 zu haben damit man das wenigstens mal probieren kann. Aber da fehlen eben gerade Sickinger (wird woanders gebraucht, s.o.) und Bergmann (der angesichts seiner sporadischen Einsätze letzte Saison in einer nicht funktionierenden Mannschaft aber auch immer noch schwer einzuschätzen ist), evtl. könnte Skarlatidis da auch seine Position finden wenn er mit Tempo abspielt und nicht allzu sehr aufs Dribbeln festgelegt ist.
Aber natürlich kann man trotz all dieser Überlegungen auch was anderes als nächsten Schritt probieren — z.B. im Aufbau den Ball über Hercher oder Schad schnell ins OM zu bringen. Dann geht zwar etwas Zug verloren, dafür könnte aber Kraus wieder rein, Sickinger auf die 8 (wo er im aktuellen System eine richtige Pressingwaffe sein könnte, wenn er dann hinten nicht mit seiner Geschwindigkeit fehlen würde — Ach, I hate you, Rubix-Würfel) und man könnte Kühlwetter zumindest mal als einzige Spitze versuchen. Wenn die AVs im Aufbau wieder tiefer aushelfen könnte man evtl. auch für Heimlein mal eine offensivere Alternative (für die sich aktuell allerdings auch keiner so richtig aufdrängt, Skarlatidis würde ich eher auf einer der beiden Halbpositionen im OM mal sehen wollen) ausprobieren.
Aber letztlich wären auch das wieder Experimente. Durchaus vernünftig, vielleicht sogar notwendig — aber mit Blick auf unseren Kader ist das eben unser aktueller Stand: Wir müssen schauen was grundsätzlich gut geht (was ich aktuell für das 4-1-4-1 bejahen würde) und dann mal Schritt für Schritt an den Details arbeiten — was immer auch Trial and Error bedeutet. Da sind Rückschläge Teil der Rechnung. So funktioniert Freiburg, so funktioniert Mainz, so funktioniert Heidenheim.
So lange uns niemand in den nächsten paar Tagen einen spielenden IV, einen Top-Ein-Mann-Stürmer sowie am besten gleich noch einen gelernten LV und einen zweiten Pick spendiert werden dieses Rubix-Spiel und viel Geduld meiner Meinung nach unsere besten Optionen für diese Saison sein. There’s no other way.
Bei Deiner letzten Frage — warum in der Halbzeit angeblich nicht reagiert wird —würde ich vorsichtig darauf hinweisen dass da von außen schnell eine Fehlwahrnehmung entstehen kann. Zum einen gibt es viele Wege zu reagieren, Spieler auszuwechseln ist dabei nur eine Möglichkeit und bei weitem nicht immer die beste/naheliegendste. Zum anderen machen Wechsel bevor Müdigkeit als Faktor dazukommt eben nur Sinn, wenn dadurch entweder a) die Taktik klar in einem positiven Sinne geändert werden kann (aber die Taktik ist wie gesagt meiner Meinung nach im Moment eher selten unser Problem, die greift) oder eben b) der Spieler der kommt zumindest im Moment deutlich besser ist als der der geht. Für letzteres ist aktuell unsere Bank zu leicht besetzt. Wenn man schon alles zusammenkratzen muss um eine balancierte Elf auf den Platz zu bringen kann es durchaus Sinn machen, eher an den kleinen Schrauben zu drehen als “abzustrafen”.
Und um es nach all dem Geschwafel noch einmal kurz zu sagen:
Eigentlich ist die Antwort auf all Deine drei Fragen die Gleiche: Weil unser Kader letztes Jahr überhaupt nicht funktionieret hat — und deshalb auch der nun lediglich punktuell ergänzte Kader bei weitem nicht so stark ist, wie er angesichts des großen Vereinsnamens gerne gemacht wird. Damit will ich nicht den Stab über die Mannschaft brechen und sagen dass die einfach zu schlecht sind und wir wieder aktionistisch die Hälfte austauschen sollten — meiner Meinung nach verdient dieser talentierte, aber eben aktuell allenfalls leicht überdurchschnittliche Kader eher
mehr Unterstützung als
weniger.
Das ist das Team das wir haben, damit muss man arbeiten. Auch wenn einige schon resignieren und Hildmann eh bereits auf Abruf sehen, logisch wäre es da Kontinuität walten zu lassen wo sich etwas positiv entwickelt und da den Hebel anzusetzen wo es in die andere Richtung geht. Die Entwicklung von Einzelspielern und Spielansatz ist meiner Meinung nach der aktuell mageren Punkteausbeute zum Trotz positiv. Wenn es um die planerische Kernkompetenz in Liga 3 geht — das wenige Geld dass man hat optimal und ohne große Streuverluste für sportliche Weiterentwicklung einzusetzen — fällt die Bilanz der letzten 15 Monate deutlich durchwachsener aus.
P.S.: Aus den oben genannten Gründen vermag Beccas nachdrücklicher Stürmer-Wunsch bei mir eher Skepsis als Begeisterung auszulösen. Wenn Bjarnasson was taugt wäre ein spielstarker Innenverteidiger um ein Vielfaches wertvoller. Dann wären mit Sickinger, Starke, Skarlatidis und bald auch wieder Bergmann (plus bei Bedarf Kühlwetter) mehrere gute Kandidaten für die Doppel-8 da, vorne mit Bjarnasson, Thiele und Kühlwetter auch genug Auswahl für eine Position. An zweiter Stelle dann ein Pick-Double, im RM ist auch noch richtig Luft nach oben. Ein Stürmer würde unsere Kaderprobleme eher zementieren und wäre die Fortsetzung des „viel hilft viel“-Ansatzes vom Sommer 18.