Taktik-Nachlese zum Spiel FCH-FCK

Die DBB-Analyse: Von Fehlerteufeln und Wiedergutmachern

Die DBB-Analyse: Von Fehlerteufeln und Wiedergutmachern


Ohne Drama geht es nun mal nicht. Auch beim 1. FC Heidenheim holt der 1. FC Kais­ers­laut­ern mehrfach einen Rückstand auf, das zweite Mal sogar in Unterzahl. Am Ende steht wieder nur ein Punkt, aber ein moralischer Sieg.

Es gibt Momente, die tragen sich gar nicht mal in gefährlichen Zonen zu, und dennoch sind sie mehr "Schlüsselszene" als solche, die sich vor den Toren abspielen. In der 80. Minute dieser Partie etwa. Der FCH war in Ballbesitz, linke Abwehrseite, in Nähe der Eckfahne. Die Gastgeber wollten eigentlich den Ball nach vorne blasen, um endlich den Siegtreffer erzielen zu können. Schließlich spielten sie schon über 35 Minuten in Überzahl, hatten aber dennoch den 2:2-Ausgleich hinnehmen müssen. Diese Peinlichkeit wollte noch korrigiert werden.

Aber: Sie kamen einfach nicht hinten raus. Marlon Ritter und Jean Zimmer liefen den jeweils Ballführenden so scharf an, dass der weder ein langes noch ein kurzes Zuspiel nach vorne zustande brachte. Schließlich landete das Leder im Toraus, zuletzt berührt von einem Heidenheimer. Es gab Ecke. Für Lautern. Und der mitgereiste Anhang der diesmal in Weiß aufspielenden Roten Teufel jubelte, als hätte ihr Team gerade das 3:2 erzielt. An dem es in dieser zweiten Halbzeit ohnehin näher dran war. Und das mit einem Mann weniger.

FCK mit mehr Torschüssen im Strafraum

Denn die Pfälzer mauerten sich in Unterzahl nicht einfach nur über die Zeit, sondern rückten immer wieder klug auf, hielten so den Ball vom Tor weg und leiteten mit klugen Pässen mehr vielversprechende Aktionen vor Gegners Kasten ein als ihre Gastgeber. Auch nach 94 Minuten noch hatten sie innerhalb des Strafraums zwei Mal öfter (sieben Mal insgesamt) aufs Tor geschossen als die Heidenheimer. Für die ihr hoher Ballbesitzwert - 68 Prozent - ein Muster ohne Wert darstellt. Diese Erfahrung haben fast alle Gegner gemacht, auf die der FCK in dieser Saison traf.

Dabei hatte es zu Beginn der Partie noch so ausgesehen, als wollten die Feldspieler ihrem Keeper Andreas Luthe heute mal einen Gefallen tun. Hatte der 36-Jährige sich doch zuletzt beklagt, dass diese ständigen Drama-Spiele nichts für das Herz eines Mannes in seinem Alter seien. Die Schuster-Jungen versuchten erstmal die Ruhe zu bewahren, im Spiel gegen den Ball in ihrem 4-2-3-1 die Ordnung zu halten, auch mal "hintenrum" zu spielen, statt früh den langen Ball zu suchen.

In der Startelf hatte es die erwarteten Wechsel gegeben. Der angeschlagene Philipp Hercher saß nur auf der Bank, das Pärchen links bildeten Hendrick Zuck und Kenny Redondo, rechts Erik Durm und Jean Zimmer.

Schmidts überraschender Schachzug: Beste kam über rechts

Nach 17 Minuten war es mit dem kontrollierten Spiel allerdings vorbei. Warum? Weil der FCK, in persona Kevin Kraus, "Opfer" einer Umstellung wurde. FCH-Trainer Frank Schmidt, der mit dieser Partie die Vollendung seines 15. Trainerjahres an der Brenz feierte, hatte nach fünf Wochen zum ersten Mal wieder seine Startelf geändert. Für den zuletzt starken Kevin Sessa durfte der Ex-Lautrer Florian Pick ran. Damit verbunden war außerdem ein Positionswechsel, der noch überraschender war.

Schmidt riss seine linke Schokoladenseite auseinander. Jan-Niklas Beste und Jonas Föhrenbach hatten bis dato das Gros der zwölf Saisontore seiner Mannschaft eingeleitet. Diesmal sollte Linksfuß Beste über rechts kommen und gefährlich werden, wenn er in der Mitte zog, wie weiland Arjen Robben bei den Bayern. Und in dieser Minute ging der Plan auf.

Ballgewinn für den FCH auf der linken Seite, Seitenwechsel, Beste dringt halbrechts in den Strafraum ein. Jeder, der sich auch nur die Highlights der FCH-Spiele dieser Saison angesehen hat, ahnt nun bereits, dass Beste nun versuchen wird, sich das Leder auf den linken Huf zu legen. Kraus lässt es dennoch zu. Möglicherweise rutscht er ein bisschen weg, die TV-Bilder deuten es zumindest an. Beste visiert daraufhin das kurze Eck an, hart und humorlos. Luthe ist ohne Chance. 1:0 für den FCH.

Typisch FCK: Fehler passieren - und werden direkt wieder gutgemacht

Doch das Herzerwärmende an diesem FCK 2022/23 ist nun einmal: Dieses Team kommt nicht nur als Ganzes immer wieder zurück. Gerade die, die Fehler gemacht haben, hängen sich direkt wieder rein, um diese gutzumachen. Nur drei Minuten später ist es Kraus, der eine unsauber abgewehrte Ecke von Philipp Klement wieder vors Tor zurückschaufelt - und Terrence Boyd springt höher als sein nicht minder imposanter Gegenspieler Patrick Mainka. 1:1.

Danach schien es tatsächlich was zu werden mit einem ruhigeren Nachmittag für Keeper Luthe. Der FCK bekam das Spiel einigermaßen in den Griff, eine Viertelstunde passierte wenig bis gar nichts - bis zum nächsten Doppel-Aufreger: Erneut durfte sich Beste die Kugel halbrechts auf den linken Fuß legen, worauf er sie gegen die Torlatte zwirbelte. Im Gegenzug erlief Boyd sich einen Befreiungsschlag von Kraus, legte auf Kenny Redondo quer - und der scheiterte an FCH-Keeper Kevin Müller.

Dann aber kam es doch zu der Szene, die auch diesen Kick wieder zum Hochspannungsthriller machte. Wenigstens musste Luthe ihn nicht als aktiv Beteiligter miterleben. Er flog nämlich vom Platz. Über dessen Berechtigung muss hier nicht diskutiert werden.

Ritter halt: Oft genial und manchmal irre

Erwähnt werden muss stattdessen der Ausgangspunkt. Ritter versucht einen unendlich weiten Rückpass aus der gegnerischen Hälfte. Seine originelle Begründung in der Presserunde nach dem Spiel: "Ich wollte den Andi anspielen, um etwas Ruhe hineinzubringen, treffe den Ball aber nicht richtig." Dieser sei dann "ein Scheiß-Ball für den Torwart" geworden, diagnostiziert er sehr treffend. Ritter halt. Oft genial und manchmal irre. Wir erinnern uns: Auch vor knapp vier Wochen in Fürth hatte er einen gegnerischen Stürmer mit einem Wahnsinnsrückpass frei vorm Tor in Schussposition gebracht.

Diesmal stürzt Luthe dem einlaufenden Beste entgegen, räumt den Ball mit der Brust, den Spieler mit dem Fuß ab - und sieht Rot.

FCK-Trainer Dirk Schuster brachte daraufhin Reservekeeper Avdo Spahic für Philipp Klement, der bis dato gemeinsam mit Ritter im Mittelfeld schön zwischen Sechs, Acht und Zehn hin und her rotierte. Dieses Wechselspiel scheinen Spieler und Coach kultivieren zu wollen. Dass Klement nun raus musste, ist nachvollziehbar. Der Mann mit dem feinen linken Füßchen ist nicht gerade prädestiniert für laufintensives Spiel gegen den Ball. Und das war nun angesagt in dem 4-4-1, in dem Lautern sich jetzt formierte.

2:1 und Überzahl, das sah gut aus für den FCH. Aaaaber ...

Buchstäblich auf dem Fuß folgend dann der nächste herbe Schlag: FCH-Rechtsverteidiger Marnon Busch setzt den fälligen Freistoß unhaltbar für Spahic in die Maschen. So perfekt getreten, wie man es nur von den Größten ihres Fachs kennt. Überhaupt: Marnon Busch - auch so ein Name, den man außerhalb Heidenheims kaum schon mal gehört haben dürfte. Anscheinend einer, der total unter Wert gehandelt wird. Der könnte glatt auf einer Liste der "Moneyball"-Scouts des FC Midtjylland stehen.

Mit 2:1 und in Überzahl marschierten die Gastgeber in die Pause. Da konnte für sie eigentlich nichts mehr schiefgehen. Dachten sie vermutlich. Und hätten wohl auch recht behalten. Wenn nicht die Mentalitätsmonster aus Kaiserslautern ihre Gegner gewesen wären.

Das 2:2: Die richtige diagonale Linie, und Boyd ist da

Schmidt ließ Beste und Pick nun die Seite wechseln. Wohl, um das Spiel breit zu machen, um in langen Passstafetten die Lücke im nun erwarteten FCK-Abwehrbollwerk zu suchen. Eine Zeit lang sah es auch so aus, als würde die zweite Hälfte so laufen. Dann aber war es an Ritter, seinen Fehler aus Hälfte eins wiedergutzumachen.

58. Minute: Ritter schnappt sich in der eigenen Hälfte den Ball, marschiert los, spielt Doppelpass mit Redondo, dringt in den Strafraum ein, passt auf genau der diagonalen Linie in die Mitte, die es dem vor Boyd postierten Gegenspieler unmöglich macht, den Ball zu erreichen. Der Rest ist Geschichte, Lauterns Mittelstürmer erzielt seinen zweiten Treffer. Mal ganz abgesehen davon, dass Boyd auch in diesem Spiel wieder Herausragendes als Prellbock und Bällebehaupter leistete.

Trotz aller Freude dran denken: Viele Remis sind gefährlich

Danach probierte Schmidt, was sein Kader hergab. Er brachte mit dem zweiten Ex-Lautrer Christian Kühlwetter und Stefan Schimmer zwei weitere Stürmer, die die Keilspitze Tim Kleindienst unterstützen sollten. Doch die zielgerichteteren Aktionen Richtung Tor hatte der in Unterzahl aufspielende Gast. Erstaunlicherweise. Einmal mehr. Man könnte fast meinen, ein Mann weniger kitzelt beim Rest der Truppe die paar Grad mehr an Konzentration heraus, die sie sogar noch stärker macht.

So blieben die Roten Teufel auch im fünften Spiel in Folge ungeschlagen. Vier davon waren Unentschieden. Drum darf bei aller Freude über diese beherzten Auftritte nicht vergessen werden: Immer nur ein Zähler, das kann im Zeitalter der Drei-Punkte-Regel rasch tückisch werden. Zwei, drei Niederlagen kurz hintereinander, und man rutscht in den Tabellenkeller. Und die Erinnerung an die tollen Aufholjagden ist verblasst. Es muss mal wieder ein Sieg her.

So hoch stand Lautern trotz Unterzahl

Zu den Visualisierungen. Die xGoals-Timeline bestätigt das bislang Geschriebene. Für den FCK war durchaus ein Sieg drin, auch noch in Unterzahl.

xG-Plot Heidenheim-FCK

Die Positions- und Passgrafik des FCK. Auch die bedarf keines weiteren Kommentars. Schöne Ordnung, schöne Passvernetzung.

Passmap FCK

Zum Vergleich die Positions- und Passgrafik der Gastgeber. Einmal mehr bleibt für einen FCK-Gegner am Ende nur die Erkenntnis: Ballbesitz ist nicht alles.

Passmap FCH

Und hier noch eine Grafik aus den "Wyscout"-Visualisierungen. Die durchschnittliche Aufstellungslinie über den gesamten Spielverlauf betrachtet. Da ist zu erkennen, wie hoch die Betze-Buben trotz Unterzahl bis zur Schlussviertelstunde standen. Der FCK hat in den vergangenen Monaten ja schon einige legendäre Auftritte in Unterzahl hingelegt, erinnert sei nur an die Derbys gegen Mannheim und Saarbrücken in der vergangenen Drittliga-Saison. Dieser nun darf getrost mit diesen beiden denkwürdigen Partien in einem Atemzug genannt werden.

Durchschnittliche Aufstellungslinien Heidenheim-FCK

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer

Weitere Links zum Thema:

- Saison-Übersicht 2022/23: Die DBB-Analysen der FCK-Spieltage

Kommentare 301 Kommentare | Empfehlen Artikel weiter empfehlen | Drucken Artikel drucken