Kummt Senf druff

Der Würstchenbuden-Test

Der Würstchenbuden-Test


Wenn ihr am Samstag den Berg besteigt, dann werdet ihr in angespannte Gesichter schauen, ihr werdet nervöses Rumgestiefel sehen, Kopfgeschüttel, Sätze hören wie „Was 'ne scheiß Winterpause“, „Ich habe heute ein schlechtes Gefühl“, „diese Runde wird's sau eng“. Bitte kehrt dann nicht wieder um. Ihr könntet es schmerzlich bereuen.

Ich nenne es den Würstchenbuden-Test. Seine Ergebnisse sind verblüffend.

Erinnert ihr euch noch, mit welchem Gefühl ihr vor einem Jahr die Rückrunde angegangen seid? Mit 21 Punkten im Gepäck, mit der Aussicht auf rauschende Pokal-Feste und mit „Lakic unterschreib“ auf den Lippen. Jeder wird damals in den Bussen, den Autos oder am Bratwurst-Stand vor dem Spiel gegen Köln Sprüche wie „Ich bin total heiß“, „Die hauen wir weg“ und (den berüchtigsten von allen) „Wenn wir das heute gewinnen...“ aufgeschnappt haben. Was folgte, war ein 100 km/h-Rückpass von Rodnei an den eigenen Pfosten, die rote Karte für Lakic, ein 1:5 in München, das Duisburg-Trauma, das Trikot-Foto, ein 0:1 gegen Mainz, das 2:3 in Hoffenheim. In Summe sieben Spiele ohne Sieg. Die Pleiten-Pech-und-Pannen-Staffel endete mit mit der Folge „Lakic und das leere Tor in Frankfurt“.

20 Jahre früher, im Juni 1991, beobachtete ich das Phänomen zum ersten Mal. Damals schallte einem schon vor Betreten des Stadions eine Durchsage entgegen: „Bitte erst nach Schlusspfiff den Rasen betreten. Ihr könnt dann gemeinsam mit den Spielern feiern.“ Gerry Ehrmann machte ein Eigentor, nach 20 Minuten lagen wir 0:2 gegen Gladbach hinten. Als der Schiedsrichter abpfiff gab es Tränen statt Meisterschale.

Der 23. April 2010 sollte ebenfalls ein historischer Tag werden. 50.000 auf dem Betze, ja eine ganze Stadt bereitete sich auf die große Aufstiegs-Party vor. Auch hier wurde vor dem Spiel leidenschaftlich der Sturm aufs Spielfeld diskutiert. In der berüchtigsten Kurve des Vereins hörte man Mädels in Handys kreischen („ICH BIN HIER IN DER WEST“). Sam verschoss einen Elfmeter - am Ende musste sogar Stefan Kuntz vor die Tribüne. Es war kein Fest, es war ein „Tag zum Vergessen“, titelte „Der Betze brennt“.

In der Sommerpause der eben erwähnten (Aufstiegs-)Saison - es war die erste Vorbereitung unter Marco Kurz - war die Stimmung so im Keller, dass ich das Ergebnis der ersten Pokalrunde in Braunschweig bewusst erst am nächsten Morgen abrief. Weil ich abends auf einem Konzert war und mir meine Laune und die meiner Lieben nicht kaputt machen wollte. Auf DBB gab es zuvor die berühmten 1.000er-Threads. Trainerabsagen, grausige Vorbereitungsspiele, die Nerven lagen völlig blank. Was folgte war eine überragende Vorrunde mit 39 Punkten und durchgefeierten Heimspielen.

Betze-Feeling war am 25. April 2008 im Heimspiel gegen Alemannia Aachen nicht zu erwarten. Eigentlich war es nie weniger zu erwarten als an diesem Tag. Die Wut-Explosion gegen Hoffenheim lag nicht mal einen Monat zurück. Wir hatten begonnen, uns dem Worst-Case zu stellen. Waren ausgebrannt, leer, aber auch authentisch, ungeschminkt, empfänglich. Nach 90 Minuten, die der Legende des höchsten Fußball-Berges reichlich Nahrung gaben, tanzten die Menschen vor Glück. Stundenlang.

In allen Fällen hätte sich der Würstchenbuden-Test bewahrheitet. Aber warum kriegen wir, wenn wir überheblich sind, so dermaßen auf die Fresse? Der Größenwahn hat uns um ein Haar ja fast den Verein gekostet. Und warum können wir im anderen Extrem so durchstarten? Die Wurzeln dieses Phänomens führen zum Betzenberg. Dort, wo angeblich mehr Spiele gedreht wurden als in jedem anderen Fußballstadion der Welt. Es geht um Aufstehen, Aufholen, Aufbäumen, Anrennen, Aufdrehen und um aufeinander zugehen: Gegen die elf Solisten vom FC Bayern hatten wir immer nur als elf Freunde eine Chance - auf dem Platz und auf den Rängen. Uli Hoeneß hat uns mal „Tiere“ genannt; verletzte Tiere sind am Gefährlichsten. Als Babak Rafati den FCK gegen den VFB verpfiff, sahen wir Rot, sprangen wild umher, zeigten unsere Krallen, unsere Natur.

Vor der laufenden Saison sah man die Augen des Tigers nur selten. Platz sieben hatte uns träge und satt gemacht. Gegen Aufbaugegner Werder Bremen und Augsburg waren sechs Punkte fest eingeplant. Auf „Der Betze brennt“ las man zu oft das Wort UEFA-Cup - ohne Smiley. Am kommenden Samstag wird das ganz anders sein. Wir sind am Boden - und liegen auf der Lauer.

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Marky

Kommentare 51 Kommentare | Empfehlen Artikel weiter empfehlen | Drucken Artikel drucken