Taktik-Nachlese zum Spiel VfL-FCK

Die DBB-Analyse: Tomiak stoppt die Grill-Party

Die DBB-Analyse: Tomiak stoppt die Grill-Party


Zwei Elfmeter verschossen, in letzter Sekunde dennoch gepunktet. Nachdem Herzschlag und Blutdruck sich nun wieder eingependelt haben, heißt es, Bilanz zu ziehen. Und die fällt dann doch recht positiv aus.

Das nächste Spiel, die nächste Achterbahnfahrt. Wer zum Fußball geht, um extreme emotionale Erfahrungen zu suchen, der ist diese Saison nirgendwo besser aufgehoben als beim 1. FC Kaiserslautern. Doch was sieht der, der, so schwer es auch fällt, sich in erster Linie für den fußballerischen Entwicklungsstand dieser Mannschaft interessiert? Tobias Schweinsteiger, Trainer des VfL Osnabrück, sieht im FCK bereits ein "Top-Team" der Liga.

Ein Etikett, das dessen Coach Dirk Schuster sich keinesfalls anheften lassen möchte. Eine Spitzenmannschaft würde bei Gegentreffern nicht so tatkräftig mithelfen, wie seine Jungs es gerade getan hätten, lautet seine einfache, aber einleuchtende Begründung. Davon abgesehen, wäre es auch nicht seine Art, auf dicke Hose zu machen. Auch nicht nach nunmehr sechs ungeschlagenen Partien mit vier Siegen, auch nicht angesichts eines sechsten Tabellenplatzes mit nur zwei Zählern Abstand zur Spitze.

Ein Top-Team? Das vielleicht noch nicht, aber ...

Was sich nach nunmehr acht Liga-Partien aber durchaus sagen lässt: Die Zeichen, dass sich die Mannschaft im dritten Jahr hintereinander gegenüber der Vorsaison weiter steigert, mehren sich. Nicht nur, dass in der aktuellen Startelf permanent fünf Neuzugänge stehen, von denen vier - Jan Elvedi kam für den abgewanderten Robin Bormuth - Spielern vorgezogen werden, die im vergangenen Jahr noch Stammkräfte waren. Nicht nur, dass Flankengeber Tymo Puchacz und Mittelstürmer Ragnar Ache eine Kopfballqualität gewährleisten, die so in der vergangenen Spielzeit noch nicht vorhanden war. Diese Mannschaft ist auch spielerisch gereift.

Das wurde in Osnabrück in der noch unaufgeregten ersten Viertelstunde deutlich: Die Schuster-Elf hat keine Probleme mehr damit, das Heft des Handelns zu übernehmen, wenn ihr der Gegner den Ball überlässt, weil er sich, ungeachtet seiner Gastgeberrolle im proppenvollen eigenen Stadion, selbst lieber aufs "Umschalten" verlegt.

Vom Start weg dominant

Schon in der Startphase schob sich die Lautrer Verteidigungslinie im Schnitt 56 Meter vom eigenen Tor weg, beanspruchte die Elf 51 Prozent Ballbesitz für sich - und wusste damit auch was anzufangen. Als Beleg dafür dient die 10. Minute, als sich Ache nach einer Rechtsflanke von Jean Zimmer eine erste Einschusschance aus sechs Metern bot. Zuvor war das Leder fast eine Minute lang durch FCK-Reihen gelaufen, über insgesamt dreizehn Stationen - solche Szenen hat man vergangene Saison allenfalls mal gesehen, wenn die Mannschaft einem Rückstand hinterherrannte.

Danach aber begannen die Ereignisse sich zu überschlagen. Strafstoß für die Roten Teufel, VfL-Keeper Lennart Grill hatte den durchgebrochenen Kenny Redondo gelegt. Kevin Kraus, der gegen die SV Elversberg am 3. Spieltag noch den perfekten unhaltbaren Elfer geschossen hatte, versuchte es diesmal flach - und machte es schlecht. Grill durfte zu seiner ersten Großtat schreiten. Quasi im Gegenzug markierte der Gastgeber das 1:0.

Wie schon gegen Rostock: Hinten links stimmt was nicht

Klar, jetzt kann man die üblichen Phrasen bringen. Selbst schuld, wenn man den Gegner auf diese Weise stark macht, oder auch: Dummheit gehört nun mal bestraft. Bleiben wir sachlich: Die Lautrer Hintermannschaft wurde bei diesem Treffer keinesfalls überrumpelt. Sie hatte nach dem Osnabrücker Ballgewinn genug Zeit, sich zu ordnen. Und in Ballnähe war ausreichend Personal unterwegs - wie schon beim Gegentor in der Vorwoche, als die Roten Rostock 3:1 schlugen.

Und ebenfalls wie beim Kick gegen die Kogge kam das Unheil über die linke Abwehrseite. Darüber gilt es nachzudenken. Erwähnt werden darf aber auch: Jannes Wulff bewies sich in dieser Szene als genialer Doppelpass-Partner für Erik Engelhardt, und der schloss mit einem ganz feinen linken Füßchen ab.

Redondo kam für Ritter, aber dessen Rolle übernahm Tachie

Danach schraubten die Gäste ihre Ballbesitzanteile weiter in die Höhe, fanden zunächst aber keinen Weg zum Tor. Gegenüber der Vorwoche präsentierte sich die Startelf übrigens nur auf einer Position verändert. Redondo spielte für den erkrankten Marlon Ritter. Dessen Rolle im Mannschaftsgefüge übernahm allerdings Richmond Tachie. Gegen den Ball versuchte er, hinter den Spitzen Pässe in den Sechser-Raum zu unterbinden, bei Ballbesitz wechselte er auf die rechte Angriffsseite.

Als die Betze-Buben noch nach der nächsten Lücke suchten, schlug der VfL ein zweites Mal zu. Schiri Daniel Schlager pfiff nach kurzer Ansicht der Videobilder Elfmeter, als Redondo im Strafraum Wulff attackierte. Das sah zwar nicht heftig aus, aber der Kontakt war nunmal da. Außerdem griffelte Redondo mit den Händen an seinem Gegenspieler herum, was dessen Fall zwar nicht verursachte, aber immer ein Russisch Roulette ist, wenn man’s im Strafraum macht.

Michaël Cuisance traf vom Punkt eine Klasse besser als Kraus. 2:0 für Osnabrück. Immerhin kam der FCK vor der Pause noch zum Anschlusstreffer. Julian Niehues köpfte eine Ecke von Tobias Raschl ins Netz.

Rätselraten in der Pause - Soldo und Opoku kommen

In der Pause durfte der Gäste-Anhang erst einmal rätseln. Wie würde Schuster auf diese erste Halbzeit reagieren? Kommt Terrence Boyd vielleicht schon direkt zur zweiten Halbzeit? Gegen die bei Flanken anfällige VfL-Abwehr wäre mit einer Doppelspitze Ache/Boyd doch was zu machen ...

Wie so oft überraschte der Trainer. Aaron Opoku und Nikola Soldo kamen. Für Redondo und Kraus. Das mutete im ersten Moment wie eine Strafaktion gegen die Spieler an, die als Hauptschuldige für den Rückstand angesehen werden könnten. Zumindest bei Kraus dürfte das zutreffen, er sah neben dem schlechten Elfer sowohl beim Gegentor als auch einigen anderen Aktionen nicht glücklich aus.

Soldo rückte jetzt auf die linke Seite der Dreier-Abwehrkette, Tomiak übernahm die Mitte. Vorne war das FCK-Spiel nun klarer im 3-4-3 angeordnet. Ex-Osnabrücker Opoku, der sich schnell als belebendes Element erwies, wirbelte rechts, Tachie links.

Im Einzelnen zu sezieren, was sich den Gästen nun an den Torchancen bot, wäre einfach nur müßig. Und die emotionalen Höhen und Tiefen, die dieses Spiel bot, können wir hier eh niemanden nacherleben lassen. Wer als FCK-Anhänger diese Partie verpasst hat, muss irgendwie sonst damit klarkommen.

Der Sturmlauf beginnt, die Kiste bleibt vernagelt

Insbesondere Ache boten sich immer wieder Möglichkeiten, auf 2:2 zu stellen. Doch wer würde den schon sechs Mal erfolgreichen Stürmer nun als "Chancentod" diffamieren wollen? Es gibt halt Tage, da bleibt die Kiste selbst einem ausgewiesenen Torjäger vernagelt. Außerdem hielt der Ex-Lautrer Grill einfach bravourös.

An der Spielanlage der Pfälzer während dieser Druckphase gibt es grundsätzlich nicht viel auszusetzen. Immer wieder wurde der Weg über die Flügel gesucht, zum Teil nach wirklich gut anzuschauenden Flankenwechseln. Hier und da ärgerte auch ein vermeidbarer Stockfehler. Insgesamt aber blieb die Passqualität während des gesamten Spiels konstant hoch und gut, wie auch diese Wyscout-Visualisierung zeigt:

Passgenauigkeit Osnabrück-FCK


Fast die Entscheidung: Ein Niemann(d) läuft Elvedi davon

Dass sich mit zunehmender Spieldauer auch Konterchancen für die schnellen VfL-Stürmer bieten würden, wundert allerdings ebenso wenig. Wer dachte, dass Trainer Schweinsteiger seinem Team den gefährlichsten Pfeil genommen hatte, als er nach 64 Minuten den rasend schnellen Christian Conteh vom Platz holte, sah sich alsbald getäuscht: Dessen Nachfolger Noel Niemann war genauso flink unterwegs - und hätte in der 77. Minute alles klar machen können, als er Elvedi abkochte und völlig frei vor Julian Krahl auftauchte. Zur Überraschung aller strich sein Schuss aber am langen Eck vorbei.

Eine Minute zuvor war Boyd für Tachie gekommen. Womit Trainer Schuster mit seinem Latein aber noch lange nicht am Ende war. Mit Tyger Lobinger und Philipp Klement für Niehues und Zimmer warf er anschließend noch zwei Offensivkräfte in die Schlacht, die zuletzt von manchem Skeptiker nur noch als Kaderleichen angesehen worden waren. In der Schlussphase tummelten sich dann mit Ache, Boyd und Lobinger drei Stürmer in der Mitte, Puchacz und Opoku versuchten diese von den Flügeln aus zu bedienen. Aber Grill wollte und wollte einfach keinen reinlassen.

Wie irre darf’s denn sein? Wieder Elfer, wieder hält Grill

In der 94. Minute kam es zum - vermeintlichen - Showdown. Wieder Elfmeter für die Betze-Buben. Diesmal war Tomiak, den hinten nichts mehr hielt, gelegt worden. Klement hätte gern geschossen, doch Boyd fühlte sich gut und bekam den Ball - und zielte noch schlechter als zuvor Kraus. Grill faustete anschließend sogar noch den Kopfball-Return über die Latte. Was für ein Triumph für den einstigen Gerry-Ehrmann-Schüler. "Ich war froh, dass Boyd schoss. Auf Klement wäre ich nämlich nicht vorbereitet gewesen", erzählte er später vorm "Sky"-Mikrofon.

Doch als sich die Bremer Brücke bereits anschickte, nach dem Abpfiff die große Grill-Party zu feiern, schwang sich Boris Tomiak zum Partykiller auf. In buchstäblich letzter Sekunde köpfte er, am ganz langen Eck stehend, eine Puchacz-Ecke ins Netz. Wie irre darf Fußball eigentlich sein?

Für Lautern war’s ein Drama, für den VfL eine Tragödie

Womit für die Schuster-Elf ein Drama endete, für den VfL aber eine Tragödie. Entscheidend abgefälscht worden war Tomiaks Kopfball ausgerechnet von Oumar Diakhite. Dem Spieler, der kurz zuvor eine schmerzhafte Schulterverletzung erlitten hatte. Der sein Team aber nach bereits fünf vollzogenen Wechseln auf keinen Fall im Stich lassen wollte. Sich daher den linken Arm an den Oberkörper tapen ließ und sich zurück auf den Platz quälte. Und dann das.

Unfassbar. Wie eigentlich das ganze Spiel. Dem FCK-Team bleibt ein Erfolgserlebnis für die Moral, verbunden mit Erkenntnis: Niemals aufgeben, egal, was kommt. Aber auch: Wir brauchen einen neuen Elfmeterschützen, dringend. Die Treffsicherheit aus dem Spiel heraus dagegen wird zurückkehren, wenn das Selbstvertrauen weiterhin stimmt.

6,69 : 1,39 - ein xG-Ergebnis wie noch nie

Zum Schluss wie immer noch ein paar Grafiken. Die xG-Timeline weist ein 6,69 : 1,39 für Lautern aus. Selbst wenn man die beiden Elfer abzieht, erhält man noch einen Wert nahe der 5. Hammer!
xG-Dynamik Osnabrück-FCK

Die Position- und Passgrafik der Lautrer. Schön zu sehen, wie weit sich die beiden Schienenspieler Zimmer (8) und Puchacz (15) nach vorne schoben. In der zweiten Hälfte blieb ihnen auch nichts anderes übrig.

Passmap FCK

Die Positions- und Passgrafik des VfL: Da ging’s im Ganzen wesentlich vertikaler nach vorne. Wo Conteh (17) immer an der Abseitslinie lauerte. Insgesamt aber war der Flügelpfeil längst nicht so gefährlich wie in der Vorwoche beim 2:1-Sieg gegen den HSV.

Passmap Osnabrück

Und noch die Überkreuz-Übersicht über die geführten Duelle. Wie immer gute Bilanzen bei den Innenverteidigern. Gute Ergebnisse weisen auch die zentralen Mittelfeldspieler Raschl und Niehues auf. Und was immer die Gründe für die derzeit schwächelnde linke Abwehrseite sind: An Puchacz’ Zweikampfbilanz kann’s eigentlich nicht liegen.

Zweikampf-Duelle Osnabrück-FCK

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer

Weitere Links zum Thema:

- Saison-Übersicht 2023/24: Die DBB-Analysen der FCK-Spieltage

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