Zum 25. Jahrestag der Deutschen Meisterschaft 1998

"... da war mir klar: Wir werden wirklich Meister"

"... da war mir klar: Wir werden wirklich Meister"

Foto: Imago Images

Heute vor 25 Jahren hat der FCK Einmaliges geschafft und als Aufsteiger die Deutsche Meisterschaft errungen. Zum Jubiläum haben wir uns mit Fans und Spielern unter­halten, die hautnah dabei waren. Eine emotionale Reise in die Vergangenheit.

Samstag, 02. Mai 1998, circa 17:15 Uhr: Schiedsrichter Jürgen Jansen pfeift die Partie zwischen dem 1. FC Kaiserslautern und dem VfL Wolfsburg im mit damals 38.000 Zuschauer ausverkauften Fritz-Walter-Stadion ab. Die Partie ist da schon längst entschieden, der FCK gewinnt durch zwei Tore von Olaf Marschall sowie je eines von Martin Wagner und Jürgen Rische mit 4:0. Der Betze bebt zwar, doch der Jubel ist noch etwas verhalten. Denn die Blicke - oder besser gesagt die Ohren, denn damals gab es noch keine internetfähigen Handys - gingen nach Duisburg, wo die Meidericher gegen den FC Bayern spielen. "Wie steht’s in Duisburg?", skandierten Zigtausende als Schlachtruf in der Kurve. Sollten die Zebras mindestens einen Punkt holen, dann wären die Roten Teufel vorzeitig Meister. Deutscher Meister. Sollte das Märchen tatsächlich wahr werden? Sollte der Aufsteiger aus der Pfalz, der sich vor zwei Jahren noch weinend in Leverkusen in den Armen gelegen hatte, zum vierten Mal in seiner Vereinsgeschichte die Bundesliga-Spitze stürmen? Beim Schreiben dieser Zeilen überkommt sie mich wieder, die Gänsehaut und der Stolz, Teil dieses wunderbaren FCK zu sein, der so viel mehr ist, als ein Fußballverein. Doch wenn es mir schon so geht, wie empfinden da wohl erst diejenigen, die damals auf dem grünen Rasen standen? Und ebenfalls warteten. Warteten auf Nachrichten aus Duisburg.

"Ich wollte eigentlich nach dem Abpfiff direkt in die Kabine gehen. Doch dann hat mich Otto Rehhagel zusammengefaltet und gerufen: 'Du bleibst hier!' Und auf einmal brach im Stadion ein Jubel aus und es wurde gerufen: '0:0! Das Spiel in Duisburg ist aus!' Da wusste ich, wir sind Deutscher Meister und bin Otto einfach nur noch in die Arme gefallen", erzählt ein hörbar bewegter Michael Schjønberg im Gespräch mit Der Betze brennt.

Schjønberg schwärmt: "Jeder hat alles für den anderen gegeben"

Dabei hatte der Däne am Märchenstück der Pfälzer einen ganz erheblichen Anteil. Nicht nur, dass er fast in jedem Spiel über 90 Minuten auf dem Platz stand, er erzielte auch im Auftaktspiel den 1:0-Siegtreffer - ausgerechnet gegen Titelverteidiger Bayern München, der FCK-Trainer Rehhagel 16 Monate zuvor auf demütigende Art und Weise rausgeschmissen hatte - auswärts im Olympiastadion. "Das war natürlich ein Erlebnis, ich bekomme gerade Gänsehaut, wenn wir darüber reden. Bei aller Rivalität muss man ja zugeben, dass die Bayern schon damals eine große Nummer waren. Und für mich als kleiner Junge in Dänemark war es immer ein Kindheitstraum, einmal in der Bundesliga zu spielen. Jeden Samstag habe ich Bundesliga geschaut. Und dann stehst du auf einmal im Olympiastadion auf dem Platz. Bis kurz vorher war aber überhaupt nicht klar, ob ich überhaupt würde nach München mitfahren können. Denn meine Frau war hochschwanger und ich hatte schon einige Geburten verpasst. Ich habe sie dann gefragt, was ich machen soll, und sie hat gesagt: 'Fahr hin'. Ich habe dann mit Otto ein Agreement gemacht, habe gespielt, das Tor geschossen und bin direkt zu meiner Frau gefahren und auch noch rechtzeitig angekommen", erzählt der heute 54-Jährige mit einem Schmunzeln.

Doch was war das Erfolgsgeheimnis der Truppe? Waren es die Qualität der mit Nationalspielern gespickten Elf, die nach dem Abstieg 1996 quasi komplett zusammengeblieben war? Oder war es Trainer-Legende Rehhagel? Oder einfach die Mentalität des kleinen gallischen Dorfes, das die römischen Bayern so lange ärgerte, bis sie schließlich in die Knie gingen? "Ich bin während der Zweitliga-Saison nach Lautern gewechselt. Aber es hat niemand mehr zurückgeblickt zum Abstieg. Alle haben an einem Strang gezogen. Es gab ja auch die Aktion 'Jetzt erst recht'. Und damals wie auch ein Jahr später hast du sofort gemerkt, dass in dieser Mannschaft jeder alles für den anderen gibt. Mein bestes Beispiel ist Jürgen Rische. Der hat in der Meistersaison zwölf Tore geschossen, ohne dass er Stammspieler gewesen wäre. Der hat sich nicht ein einziges Mal beschwert. In der Truppe gab es keine Egomanen, für jeden stand die Mannschaft an erster Stelle. Der Teamgeist war einfach unbeschreiblich. Das ist es, was ich so wahnsinnig vermisse. Diese Atmosphäre in der Kabine und natürlich die Zeit mit den Jungs. Das war denke ich der Schlüssel für den Erfolg", erklärt Schjønberg.

Guido Marklofskys a-ha Erlebnis: "Ey, da geht ja wirklich mehr"

Einer, der schon damals fast jedes Spiel live verfolgt hat, war Guido Marklofsky. In der DDR aufgewachsen, verfolgte er den FCK schon seit Kindertagen in der Sportschau und hatte nach der Wiedervereinigung seit 1992 eine Dauerkarte in Block 6.1 in der Westkurve. Dabei ging er mit gar keinen allzu großen Erwartungen in die Saison 1997/98. "Für uns ging es als Aufsteiger eigentlich nur um den Klassenerhalt. Wobei man sagen muss, wir hatten ja keine schlechte Mannschaft. Und dann kam unter anderem noch Ciriaco Sforza zurück, da waren wir eigentlich kein normaler Aufsteiger. Aber nach der Hinrunde, als wir dann auch noch die Bayern im Rückspiel am Betze besiegt haben, da hat man schon gedacht: 'Ey, da geht ein bisschen mehr wahrscheinlich", erzählt Marklofsky, der mittlerweile zweiter ehrenamtlicher Fanbeauftragter beim FCK ist und so auch noch heute mit den Roten Teufeln durch die Republik reist. Dabei verpasste er als einzige Partie ausgerechnet den Auftakt bei den Bayern. "Da war ich auf der Beerdigung meiner Schwiegermutter. Ich hatte trotzdem mein Handy dabei und obwohl es natürlich eigentlich ein trauriger Tag war, habe ich mich natürlich gefreut, auch mein Schwiegervater, der durch mich vom FCK-Virus infiziert worden ist."

Das Verimpfen des FCK-Virus. Es ist ein Akt, gegen den man sich nicht wehren kann. Wie oft hat man sich als Fan schon gedacht, wie nervenschonend es sein könnte, von einem 08/15-Verein Anhänger zu sein. Keine Nervenschlachten im Stadion, kein Zittern um die Existenz, das Auswirkung auf das alltägliche Wohlbefinden einer ganzen Region hat, wie sonst fast bei keinem anderen Klub. Doch am Ende des Tages bin ich dankbar, dass mich das Serum mit dem rot-weiß-roten Impfstoff auch erreicht hat. Denn solche Wunder wie 1998, die gibt es eben nur in Kaiserslautern.

Dass das Wunder wirklich Realität werden würde, das wurde Marklofsky nach dem Nachholspiel Ende April in Bielefeld bewusst. "Das Wetter war furchtbar, das war eine regelrechte Schlammschlacht auf der damals noch alten Bielefelder Alm, die wirklich eine Alm war. Als Jürgen Rische in der 87. Minute doch noch den 2:2-Ausgleich machte und wir den so wichtigen Punkt holten, da wusste ich: Jetzt ziehen wir das Ding, jetzt werden wir wirklich Deutscher Meister." Den 33. Spieltag hat Marklofsky als einzigen Rauschzustand in Erfahrung - auch wenn die Erlösung nach dem 4:0 über Wolfsburg gefühlt eine Ewigkeit auf sich warten ließ: "Die Bayern haben ewig lange gespielt. Im Stadion war es richtig still. Doch dann hat sich auf einmal die Nachricht verbreitet, dass in Duisburg Schluss ist. Da sind alle Dämme gebrochen."

Was der FCK und die Queen gemeinsam hatten: "Alles lief ab wie in einem großen Spielfilm"

Kaum ein Spiel verpasst hat auch Martin Hauter aus Rockenhausen. Neben den Heimspielen in Block 8 machte der damals 16-Jährige etliche Auswärtsfahrten, etwa nach München oder Stuttgart. Dabei fing für ihn die eigentliche Reise schon 1994 mit der Vize-Meisterschaft an. "Ich habe diese Zeit genau vor Augen. Sie lief für mich ab wie ein großer Spielfilm, eine spannende Serie, in der fast jedes Jahr eine neue Episode oder Staffel hinzugekommen ist und du konntest nicht aufhören, die Serie zu schauen." Dabei hatte der heutige Gymnasiallehrer derart Meisterliches nicht erwartet, erinnert sich aber auch heute noch an Schlüsselmomente, die Großes erahnen ließen. "Wir sind nicht zitternd vom Abstieg ausgegangen, aber auch nicht mit einer Erwartungshaltung. Bundesliga war für uns ja eine Art "coming home". Zweite Liga für den FCK, das war ja ein bisschen, wie wenn die Queen aus dem Buckingham Palace vorübergehend in einen Plattenbau gezogen wäre. Durch die Transfers wurden dann auch schon Ausrufezeichen gesetzt. Ich weiß noch, wie ich etwa abends um 22:00 Uhr in meinem Zimmer hörte, dass Sforza zurückkehrt. Das war für mich damals schon ein Schlüsselerlebnis - ähnlich wie 2008 bei Stefan Kuntz. Da hattest du direkt das Gefühl, das ist eine ganz große Nummer."

Und Hauter wurde wahrlich Augenzeuge von dem Beginn einer Reise, die heute als das Fußballwunder gilt, was sich nie wieder wiederholen wird. Er fuhr mit einem Schulfreund spontan zum Auftaktspiel nach München. "Die Bayern waren damals super arrogant, wir hatten die Partie im Griff und die Trapattoni-Truppe hatte überhaupt kein Rezept. Dann kam in der zweiten Halbzeit die Einwechslung von Marco Reich. In einer der nächsten Aktionen ging er ins Dribbling und wurde vor unseren Augen gefoult. Der Freistoß wird von Sforza ausgeführt und ich sehe es heute noch ganz genau vor mir, wie sich Schjönberg nach oben schraubt und den Ball reinköpft. Das war einer der tollsten Tor-Erlebnisse, die ich je hatte. Danach folgten aber die vielleicht längsten Fußball-Minuten meines Lebens", erzählt der 42-Jährige begeistert.

Doch irgendwann war es dann soweit. Im Olympiastadion ertönte der erlösende und zugleich kaum zu glaubende Schlusspfiff. Und wieder war Hauter hautnah dabei. "Otto Rehhagel kam zu uns gerannt, wir waren ganz dicht dran. Er hat sich gefreut wie ein kleiner Schulbub. Wir uns natürlich auch. Du konntest es einfach nicht fassen." Es war ein Schlüsselmoment. Für die Fans, für die Mannschaft, für eine ganze Region. Das kleine gallische Dorf, das die Römer ärgert. Es war wieder da. Und es sollte über sich hinauswachsen, wie es noch niemand zuvor gesehen hatte.

Eine Däne wird Teil der FCK-Familie: "Die Pfalz ist damals meine Heimat geworden"

Schlüsselspiele, die hat auch Michael Schjønberg noch im Kopf. "Das ist zum einen das Hinspiel am Gladbacher Bökelberg, das wir mit 3:1 gewonnen haben. Sie haben die Partie dominiert, aber sie haben einfach keinen Ball ins Tor bekommen. Miroslav Kadlec, Harry Koch und ich haben uns währenddessen angeschaut und gelacht. Das zeigt auch, welchen Spaß wir trotz des Drucks am Fußball gehabt haben. Dann die Partie in Bielefeld und fünf Tage zuvor der 3:2-Sieg über Gladbach, die damals schon mit zwei Toren führten, wir aber das Ding in der 90. Minute noch zum 3:2-Heimsieg gedreht haben. Das sind so die Spiele, die sehe ich heute noch vor mir, da könnte ich dir jede Sekunde detailliert nachstellen und sagen was passiert", erzählt der Däne mit einem Schmunzeln. "Ich hatte in meiner Karriere nur vier Vereine. Der FCK bedeutet mir so viel, jeder Einzelne war damals ein Teil des Erfolgs. Nicht nur die Mannschaft, auch die wahnsinnig tollen Fans. Aber genauso die Ordner, Putzfrauen, das alles war eine Familie. Zu meinen Nachbarn in Stelzenberg habe ich heute noch engen Kontakt. Die Pfalz ist damals meine Heimat geworden", blickt der Defensiv-Stratege zurück.

Gegen Ende des Gesprächs bedankt sich Michael Schjønberg - dabei bin ich es doch, der dankbar ist, solch tolle Geschichten einer echten FCK-Legende zu hören. "Es war schön, mal wieder etwas pfälzisch gehört zu haben." Man merkt, da hat jemand die Pfalz und den FCK wirklich im Herzen. Die Meistermannschaft steht auch heute noch in engem Kontakt und will sich schon bald wieder treffen. Dann wird auch Schjønberg die alte Zeit wieder aufleben lassen, die er wie tausende FCK-Fans so in sein Herz geschlossen hat. Und vielleicht fällt dann auch im Spielerkreis der Satz: "Weißt du noch wie’s damals war? Deutscher Meister wird nur der FCK!"

» SWR-Film: Das teuflische Wunder des FCK - ein Aufsteiger wird Deutscher Meister

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Gerrit Schnabel

Kommentare 16 Kommentare | Empfehlen Artikel weiter empfehlen | Drucken Artikel drucken