Taktik-Nachlese zum Spiel KSV-FCK

Die DBB-Analyse: Klare Linie und zwei dunkle Momente

Die DBB-Analyse: Klare Linie und zwei dunkle Momente

Foto: Imago Images

Das mit der Demut ist so eine Sache. Natürlich darf Aufsteiger 1. FC Kaiserslautern mit einem 2:2 bei Holstein Kiel zufrieden sein. Aber die erste Halbzeit war so verdammt stark ... Hätte es da am Ende nicht doch mehr sein können?

Nach dem 2:1-Auftaktsieg gegen Hannover 96 müssen die Roten Teufel erkennen: Auch gegnerische Teams können mit Hilfe von Standardsituationen in Partien zurückfinden, in denen bis dato nicht viel für sie gelaufen war. Und bei den jungen Spielern im eigenen Team können Licht und Schatten sehr schnell wechseln. Zu einem Reifeprozess gehört eben auch, Rückschläge verkraften zu lernen. Aber der Reihe nach.

Beide Trainer hatten ihre Startelf gegenüber der Vorwoche nur auf einer Position geändert. Kiels Trainer Marcel Rapp tauschte in seiner Dreier-Abwehrkette Simon Lorenz gegen Johannes van den Bergh, Lauterns Dirk Schuster nominierte Daniel Hanslik für den verletzten Ben Zolinski. Kann man sicher als Zeichen dafür werten, dass die Übungsleiter ihren Teams in dieser frühen Phase der Saison Gelegenheit geben wollen, sich einzuspielen und zu Stabilität zu finden.

Lautern macht die Flügel dicht - aus gutem Grund

Allerdings bewegten sich die Roten Teufel anders übers Feld als vor Wochenfrist gegen Hannover. Die 4-2-3-1-Grundordnung verschob sich nicht ständig in ein 4-4-2 mit Mittelfeldraute, sondern wurde beibehalten. Will sagen: Hanslik rückte nicht, wie in der Vorwoche Zolinski und später Kenny Redondo, permanent zu Terrence Boyd in die vorderste Reihe, um die gegnerischen Abwehrspieler zu stören. Sondern blieb am linken Flügel, um gemeinsam mit Hendrick Zuck den Kieler Julian Korb zu doppeln. Dergleichen taten auf der anderen Seite Jean Zimmer und Erik Durm mit Fabian Reese.

Damit wollte das FCK-Trainerteam die Grundordnung offenbar erneut den spezifischen Stärken Gegners anpassen. Während die 96er lieber Wege durch die Mitte suchen, kommen die Störche lieber über die Flügel. Und wie gegen Hannover sah das im Spiel gegen den Ball richtig, richtig gut aus. Boyd mühte sich vorne zwar allein ab, konnte sich als Prellbock für lange Bälle aber besser in Szene setzen als im Auftaktspiel. Die Storchenflügel lahmten, und auch durch die Mitte lief für nicht viel. Marlon Ritter ließ Kiels Dauerb(r)enner kaum Raum zur Entfaltung und Julian Niehues verfolgte Taktgeber Lewis Holtby sogar, wenn dieser sich weit nach hinten fallen ließ. Die ungewohnt offensive Positionierung nutzte Niehues für ein paar Versuche aus der Distanz, kein Lautrer schoss so oft aufs Tor wie er.

Nach 30 Minuten wird der Aufsteiger frech - und trifft

Als die tadellos organisierten Betze-Buben dem Gastgeber ein erstes Mal zu viel Platz ließen, wurde es prompt gefährlich: Korb durfte flanken und Philipp Sander aus halblinker Position abziehen. Mehr ging im ersten Drittel des Spiels allerdings auch bei den Gästen nicht. Dennoch vermittelten sie den Eindruck, dass ihr Matchplan besser aufging als der der Gastgeber.

Und dieses Bewusstsein ließ sie nach einer halben Stunde so richtig frech werden. Plötzlich rückte die offensive Dreierreihe ins Angriffsdrittel vor, und der Rest nach. Ritter rückte Holtby auf die Pelle, zwang ihn so zu einem Rückpass auf Keeper Thomas Dähne - und der schob, offenbar ein wenig irritiert, den Ball ins Seitenaus.

Ritter schnappt sich dann auch den Einwurf von der linken Seite, der dribbelt sich vorm Sechzehner in die Mitte, zieht ab, Dähne kann nur abklatschen, und Hanslik vollstreckt per Kopf. Und zum Treffer obendrauf kommt noch eine Gentleman-Geste: Er verbittet sich den Torjubel gegen seinen Ex-Verein. Wie kann man als FCK-Fan da nicht stolz sein auf solche Jungs?

Vor der Pause war auch ein 2:0 drin

Damit nicht genug. In der letzten Viertelstunde vor der Pause hatte der Aufsteiger noch einige Gelegenheiten mehr. Unmittelbar nach dem Führungstreffer darf Hanslik eine Linksflanke von Zuck aufs Tor köpfen, bekommt aber nicht genug Schmackes hinter den Ball. Niehues jagt eine Freistoßflanke aus kurzer Distanz am langen Eck vorbei, hat zwar die Hand am Ball, dennoch gibt's anschließend Ecke für Lautern. Ob die Situation abgepfiffen worden wäre, wenn das Ding drin gewesen wäre?

Und direkt vor der Pause bietet sich Niehues eine weitere Riesenchance: Hanslik setzt sich auf der linken Seite schulbuchmäßig durch, schiebt das Leder kurz vor der Grundlinie flach durch den Fünfer - aber Niehues bekommt es, abermals am langen Eck postiert, nicht ins Netz hinein. Schade.

In der Pause waren im FCK-Lager nur zufriedenen Miene zu sehen. Zurecht. Durch die Hinterköpfe allerdings geisterten ein paar bange Fragen: Würden sich die vergebenen Chancen rächen? Und: Würden sich die Schusterjungen in der zweiten Hälfte wieder das Heft aus der Hand nehmen lassen, so wie im Auftaktspiel gegen Hannover? Zuversichtlich stimmte, dass sie ihr Spiel gegen den Ball diesmal mit nicht ganz so viel Aufwand betrieben hatten, da würde sich mit den Kräften vielleicht besser haushalten lassen.

Schlimme Minuten für Niehues - und sein Team

Hälfte zwei begann zunächst so gut wie gehabt. Ritter, der sich in die Spitze gemogelt hat, scheitert beim Versuch, Dähne zu überlupfen, nur knapp.

Dann aber schlug Kiel doch zu. Gar nicht mal, weil die Störche "besser ins Spiel" kamen, sondern, weil sie ihre Standardsituationen konsequent nutzten. Eine erste Ecke führen sie so aus, wie der FCK vergangene Saison wieder gelernt hat, sie auszuführen: Die langen Kerls am ersten Pfosten positionieren und am zweiten einen, der eine eventuelle Verlängerung verwertet. Holtby zirkelt den Ball hinein, Timo Becker leitet mit dem Hinterkopf weiter und Reese bekommt den Fuß vor Niehues am Ball. Ausgleich.

Diese Unachtsamkeit des Youngsters war noch zu entschuldigen, das ging halt alles sehr schnell. Sechs Minuten später aber erlebt Niehues einen vollkommen schwarzen Moment. Wieder Ecke für Kiel, Arp schlägt diesmal direkt auf den langen Pfosten. Dort geht abermals Reese hoch - und Niehues bekommt seine 1,95 Meter einfach nicht die Höhe. Reese trifft erneut.

Tomiak setzt Ausrufezeichen - nicht nur wegen seines Beinahe-Treffers

Ausgerechnet Niehues, der für die Analysten des englischen Daten-Anbieters "whoscored" gegen Hannover sogar Lauterns Bester war. Dafür aber hatte zwischen dem ersten und dem zweiten Torerfolg Kiels ein anderer junger FCK'ler auf sich aufmerksam gemacht: Boris Tomiak hätte nach einer Mike-Wunderlich-Ecke sein Team um ein Haar erneut in Führung geköpft. Holsteins Mittelstürmer Benedikt Pichler kratzte den Ball gerade noch von der Torlinie. Und das war nur ein Ausrufezeichen, das Tomiak setzte.

Über 90 Minuten behauptete sich der Innenverteidiger in fünf Tacklings, so oft wie kein anderer Roter Teufel. Mit Sprints aus der hinteren sorgte er immer wieder Entlastung, und laut "bundesliga.de" der beste Spieler auf dem Platz in puncto "Passeffizienz": Er spielte 22 erfolgreiche Pässe, obwohl die Analyse-Software ihm nur für 18,3 einen wahrscheinlichen Erfolg errechnet hatte. Der 23-Jährige geht seine erste Saison in der Zweiten Liga ähnlich stark an wie sein Debüt in der Dritten vergangenes Jahr. Für uns der "Man of the Match" - auch wenn Marlon Ritter fraglos an den spektakuläreren Aktionen beteiligt war.

Boyd macht's vor: Diese Lautrer können auch zurückschlagen

Niehues dagegen musste nach seinem Fehler vor dem Kieler Führungstreffer vom Platz. Für ihn kam Hikmet Ciftci - und der fügte sich gut ein. Direktes Zuspiel von der Mittellinie auf Boyd in den Zehnerraum, der setzt rechts Zimmer ein, der wiederum flankt flach vor den Fünfer, Boyd knoddelt sich an Becker vorbei, schießt, trifft. 2:2.

Der FCK 2022/23 kann also auch nicht nur in Führung gehen, sondern auch zurückschlagen.

Erst danach gaben die Roten Teufel dann doch das Heft ein wenig aus der Hand. Mit Boyd und Wunderlich gingen zwei der älteren Herrschaften vom Platz - und mit ihnen die spielerische Linie verloren. Was diese Eigenschaften angeht, können Kenny Redondo und Lex-Tyger Lobinger diese beiden nicht ersetzen. Ein Fingerzeig an die sportliche Leitung, dass sich hier personell noch was tun muss, so viel Erfreuliches dieses Spiel auch geboten haben mag.

Andererseits: Außer einem Torschuss für Arp verzeichnen auch die Gastgeber trotz aller optischen Gelegenheit nicht mehr viel.

Zu wenig Ballbesitz? Lautern siegt nach xG's - und nach Tacklings

Eine Passgrafik für dieses Spiel wird's diesmal leider nicht geben. "Wyscout" gestattet uns aufgrund einen Zählfehlers für diesen Monat keine Downloads mehr. Als Ersatz wenigstens eine Positionsgrafik von "whoscored", die zeigt, wie weit die Nummer 16 - Niehues - aufrücken durfte.

Positionsgrafik KSV-FCK

Ganz interessant auch diese grafische Darstellung der "Shot Directions". Dem FCK glückte kein einziger Torschuss von der rechten Seite. Bei allem Respekt vor der Defensivleistung des Duos Zimmer/Durm und Zimmers Assist zum 2:2: Wäre schön, wenn Philipp Hercher, der diesmal nur für die Schlussminuten kam, mal wieder in der Startelf rückte.

Shot Directions KSV-FCK

Das "expected Goals"-Ergebnis müssen wir diesmal ohne Visualisierung präsentieren: Mit 1,18 : 1,89 sprechen die qualitativ bewerteten Torgelegenheiten für den FCK. Und das bei einem Ballbesitzverhältnis von 64 : 36 zugunsten Kiels. Wir sehen einmal mehr: Ballbesitz wird überschätzt. Im Gegensatz zu Tacklings: Da behaupteten sich die Roten Teufel laut "whoscored" mit 24:18. Zweikämpfe - ein unserer Ansicht nach allerdings weniger griffiger Wert - entschied der FCK laut "bundesliga.de" mit 118 : 98 für sich. So darf es gerne weitergehen in dieser Saison.

Ergänzung, 28.07.2022: Die xG-Plots: Durm könnte mehr die Zentrale suchen

Hier sind sie nun doch noch: die Plots von "11tegen11". Die x-Goals spricht für sich. Da Niehues’ Handspiel nicht abgepfiffen wurde, erscheint sie hier als fette Einschusschance.

Die Positions- und Passgrafik des FCK: Schöne Verteilung im 4-2-3-1, ordentliches Passspiel in der Offensive, allerdings: Erik Durm sucht kaum die Passwege ins Zentrum. Fiel auch schon der Passgrafik vom Hannover-Spiel auf.

Zum Vergleich die Positions- und Passgrafik der Kieler: Viel Ballbesitz in Abwehr und Mittelfeld, aber ganz vorne nur wenig.


Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer

Weitere Links zum Thema:

- Saison-Übersicht 2021/22: Die DBB-Analysen der FCK-Spieltage

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