Taktik-Nachlese zum Spiel FCK-H96

Die DBB-Analyse: Mit Glück, Geschick und Kraus

Die DBB-Analyse: Mit Glück, Geschick und Kraus


Freitagabend, Flutlicht, 40.000 Fans und ein Last Minute-Treffer, der alle in die Seligkeit stürzt: Der 1. FC Kaiserslautern feiert eine Premiere, wie es emotionaler nicht geht, muss aber auch erkennen, was für ein hartes Stück Arbeit diese Zweite Liga wird.

Es ist schon erstaunlich, wie schnell Dirk Schuster das Image des Hauruck-Fußballverfechters, das ihm seit seinen Tagen in Darmstadt anhaftete, abgestreift hat und zum Taktikfuchs mutiert ist. Erst drei Pflichtspiele hat er als Cheftrainer des FCK bestritten, und jedes Mal hat er Beobachter und Gegner mit Aufstellungen und Ausrichtungen überrascht, die so niemand erwartet hatte.

Vor dem Auftaktspiel gegen Hannover 96 war Neuzugang Erik Durm etwa eher auf der linken Abwehrseite erwartet worden. Der aber orientierte vom Anpfiff weg nach rechts. Links agierte Hendrick Zuck, von dem viele geglaubt hatten, dass er als linkes Glied einer Vierer-Abwehrkette kaum noch zum Zug käme. Kapitän Jean Zimmer, in den beiden Relegationsspielen gegen Dynamo Dresden rechter Verteidiger, rückte dafür nach vorne. Und den Part den defensiven Mittelfeldspielers neben Marlon Ritter übernahm Julian Niehues.

Wieder mal im System-Hybrid: Zolinski mal links, mal ganz vorn

Dazu präsentierten die Schusterjungen eine neue taktische Variante: Die erwartete 4-2-3-1-Grundordnung verschob sich während des Spiels ständig in ein 4-4-2 mit Raute, also in die Formation, die Hannover unter seinem neuen Trainer Stefan Leitl nun fest bei sich etablieren will. Um diese herzustellen, gesellte sich der linke Außenbahnspieler Ben Zolinski immer wieder zu Sturmspitze Terrence Boyd, während sein eigentliches Gegenüber Zimmer die Raute komplettierte. Wer diese Analysen regelmäßig liest, erinnert sich vielleicht: Dieser Hybrid aus 4-2-3-1 und Rauten-4-4-2 wird von Taktik-Historikern als Dunga-Raute bezeichnet und kam auch beim FCK unter Marco Antwerpen schon mal zum Einsatz: beim Saisoneröffnungsspiel gegen Eintracht Braunschweig (0:0).

Schusters Lautrer entwickelten aus dieser Ordnung heraus ein Pressingspiel, das gar nicht mal so aggressiv daherkam, sich in der ersten Hälfte aber als höchst effizient erwies. Boyd und Zolinski stressten im Zusammenspiel immer wieder die Hintermannschaft der Gäste. Was bereits nach elf Minuten zum 1:0 führte.

Der Führungstreffer: Wunderlich knackt den Altersrekord

Eingeleitet wurde der Treffer durch einen kapitalen Bock des erfahrenen Julian Börner. Boyd konnte seinen laschen Rückpass von der linken Abwehrseite problemlos erlaufen, hatte aber auch mitgeholfen, den Fehler zu provozieren, indem er dem Innenverteidiger durch gutes Auf- und Nachrücken jede andere mögliche Anspielstation nahm.

Sein Zuspiel verwertete anschließend der 36-jährige Mike Wunderlich, der mit diesem Treffer Wolfgang Funkel als ältesten Torschützen im FCK-Dress ablöste. Funkel traf 1994 im Alter von 36 Jahren und 45 Tagen für den FCK, Wunderlich war zum Zeitpunkt dieses Treffers exakt 67 Tage älter.

Redondo jagt Schaub, Ritter macht die Mitte dicht

Und als Zolinski das Feld nach nur 27 Minuten verletzt verlassen musste, kam Kenny Redondo. Der übernahm nicht nur dessen taktische Aufgaben 1:1. Als Nervelse für Hannoveraner Abwehrspieler trat er sogar noch furioser auf als sein Vorgänger. In der 40. Minute brachte er sich selbst in Schussposition, nachdem er sich pitbullmäßig an die Fersen von Louis Schaub geheftet und diesem den Ball abgejagt hatte. Doch scheiterte er an Keeper Ron-Robert Zieler.

Mit der engen Mittelfeldraute wollte Schuster offenbar das Passspiel der Niedersachsen durch die Mitte unterbinden - und auch das gelang in der ersten Hälfte hervorragend. In der 19. Minute sogar in Kombination mit einer vorbildlichen Umschaltaktion: Ritter schnappte sich einen gegnerischen Passversuch durch die Mitte, setzte sofort mit langem Ball Zolinski auf der linken Seite ein, der spielte mit Wunderlich gleich doppelt Doppelpass, und dieser stellte seinen soeben aufgestellten Altersrekord ums Haar gleich nochmal neu auf. Sein 16-Meter-Schuss strich ums Haar knapp am langen Eck vorbei.

Ab Mitte der zweiten Hälfte wird’s für Lautern immer enger

Und die Gäste? Hatten viel Ballbesitz, brachten jedoch bis zur Pause so gut wie gar nichts vors Tor. Nach der Pause verlagerte sich das Spiel immer mehr in die Lautrer Hälfte, lange Zeit kam dabei aber immer noch nichts Vorzeigbares heraus, sieht man mal Maximilian Beiers halbgarer Kopfballchance nach Linksflanke von Sebastian Kerk ab. Aber auch die Roten Teufel machten immer weniger nach vorne und brauchten immer mehr Beine, um Hannovers Passspiel um den FCK-Strafraum herum zu unterbinden. So dass sich irgendwann dann doch das Gefühl einstellte: Das geht nicht mehr lange gut…

Die "wyscout"-Visualisierung der Pressingintensität über den gesamten Spielverlauf bestätigt dies eindrucksvoll. Im 90-Minuten-Durchschnitt gestatteten die Roten Teufel ihrem Gegner 8,8 Zuspiele, ehe sie ihn attackierten. Zwischen der 61. und 75. Minute schnellte dieser Wert auf zeitweise 43 (!) hoch - das mutet fast schon wie ein Betteln um den Ausgleich an.

Pressingintensität FCK-Hannover

In der 80. Minute fiel er dann auch: Der eingewechselte Harvard Nielsen durfte aus sieben Metern einschieben, obwohl mehr als genug Lautrer in seiner unmittelbaren Nähe bereitstanden. Doch Boris Tomiak hatte sich von Cedric Teuchert zu einfach überlaufen lassen, Innenverteidiger Kevin Kraus war dessen Rückpass von der Grundlinie zu weit vom Fuß gesprungen.

Kraus durfte seinen Fehler zwölf Minuten später aber korrigieren. Redondo machte nach einer Zuck-Ecke einen nicht ganz geglückten Kopfballversuch des eingewechselten Lex Tyger Lobinger per Fallrückzieher wieder scharf, und Kraus vollstreckte aus fünf Metern. Fairerweise muss man sagen: In dieser Phase hatte es eher danach ausgesehen, als könne Hannover des Spiel noch zu seinen Gunsten drehen. Kurz zuvor hatte der aufgerückte Rechtsverteidiger Jannik Dehm das Leder ans Außennetz genagelt, nachdem ihn seine Mitspieler geradezu leichtfüßig freispielen durften.

Unverdienter Sieg? Kann man so sehen, aber auch anders

Also ein "glücklicher" oder gar "unverdienter" Sieg für den FCK? Man kann auch sagen: Ein Sieg des Teams, dem am Ende eben die eine Aktion mehr gelang als dem Gegner. Oder auch: Ein Beleg für die klasse Mentalität der Schusterjungen, die es verstehen, jederzeit in eine Partie zurückzukommen. Oder auch: Das ist der Vorteil, wenn man gute Standards beherrscht - sie ermöglichen auch dann noch Treffer, wenn aus dem Spielverlauf keine mehr möglich scheinen.

Die Hannoveraner werden dagegen argumentieren: Zucks Ecke hätte gar nicht gegeben werden dürfen, denn eigentlich wär’s Einwurf gewesen. Stimmt wohl. Aber: Referee Sven Waschitzki-Günther hatte so oder so keinen guten Tag. Pfiff mal zu kleinlich, ließ dann wieder viel zu viel laufen, hatte unterm Strich aber niemanden benachteiligt. Hannovers Gael Ondoua etwa hätte schon nach 23 Minuten mit Gelb-Rot vom Platz fliegen müssen. Schon nach neun Minuten wurde er nach einem Foul an Zolinski verwarnt und erwischte dann nochmal Mike Wunderlich am Hals.

Die xG-Grafiker: Zuck ist Taktgeber, Zauberfuss Ritter die Kampfsau

Die Timeline der "expected Goals", also der qualitativ bewerteten Torchancen, sieht Lautern mit einem Endergebnis von 1,2 : 0,8 sogar leicht im Vorteil - und das bei einer Ballbesitzverteilung von 34 : 66 zugunsten der Gäste. Zugegeben: Das Plus für den FCK kommt in erster Linie durch Kraus’ Torchance in der 92. Minute zustande.

xG Dynamik FCK-Hannover

In der Positions- und Passgrafik der Roten Teufel fällt auf: Zuck erscheint auch nach dem Aufstieg noch als der wichtigste Passspieler im Team. Die Dunga-Raute ist nur mit viel Phantasie zu erkennen. Wir sehen aber: Der FCK spielte weder in einem eindeutigen 4-2-3-1 noch in einem klaren 4-4-2 mit Raute.

Passmap FCK

Im Gegensatz zu Hannover 96. Auch wenn die Torchancen-Produktion bescheiden ausfiel, lässt die Visualisierung erkennen, was für ein passintensives Spiel Coach Leitl anstrebt. Dazu kommt diese außerordentlich hohe Pressingintensität - im Schnitt gestatteten die 96er dem Gegner nur 3,2 Pässe bis zur nächsten Attacke. Wenn das Team diese Elemente weiter kultiviert, wird sich die Liga warm anziehen müssen.

Passmap Hannover

Und zum Abschluss noch ein "wyscout"-Schmankerl, das wir heuer zum ersten Mal vorzeigen: Ein Überblick über die während der Partie geführten Duelle. Er zeigt, dass die Lautrer diese eben da gewannen, wo es drauf ankommt: im zentralen Mittelfeld. Und Zauberfüßchen Ritter präsentierte sich darin sogar noch einen Tick erfolgreicher als sein Nebenmann Niehues, der doch eigentlich fürs Rustikale zuständig ist - schau an, schau an.

Für alle neuen Leser: Die visualisierten Grafiken können vergrößert werden, indem ihr sie einfach anklickt. Viel Spaß beim Lesen!

Spieler-Duelle FCK-Hannover

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer

Weitere Links zum Thema:

- Saison-Übersicht 2022/23: Die DBB-Analysen der FCK-Spieltage

Kommentare 301 Kommentare | Empfehlen Artikel weiter empfehlen | Drucken Artikel drucken